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KAGH, Ur­teil vom 07.07.2016, M 03/2015

   
Schlagworte: Kirchenarbeitsrecht, Kirche, Mitarbeitervertretung
   
Gericht: Kirchlicher Arbeitsgerichtshof
Aktenzeichen: M 03/2015
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.07.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Kirchliches Arbeitsgericht Münster, Urteil vom 11.06.2015, 14/14 KAG
   

Im Na­men der Deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz
auf Grund ei­nes Man­dats des Hei­li­gen Stuhls

Im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren

 

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hat der Kirch­li­che Ar­beits­ge­richts­hof auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 20.11.2015 durch den Präsi­den­ten des Kirch­li­chen Ar­beits­ge­richts­hofs Prof. Dr. Rein­hard Ri­char­di, die Rich­ter am Kirch­li­chen Ar­beits­ge­richts­hof Mar­git Ma­ria We­ber und Prof. Dr. Al­fred E. Hie­rold so­wie die bei­sit­zen­den Rich­ter Sr. Jo­se­fia Schul­te und Dr. Joa­chim Eder

am 20.11.2015

für Recht er­kannt:

Die Re­vi­si­on wird zurück­ge­wie­sen.

Tat­be­stand

Der Kläger ist beim Ca­ri­tas­ver­band Mo­ers-Xan­ten e.V. in Mo­ers seit dem 1.1.2011 als Lei­ter des Ca­ri­tas-Se­nio­ren­heims St. Jo­sef beschäftigt. In dem Se­nio­ren­heim ar­bei­ten et­wa 70 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter. Das Se­nio­ren­heim St. Jo­sef ist ei­ne recht­lich un­selbständi­ge Ein­rich­tung des Ca­ri­tas­ver­ban­des Mo­ers-Xan­ten e.V. Die­ser Recht­sträger be­treibt ein Netz pro­fes­sio­nel­ler so­zia­ler Ein­rich­tun­gen und Diens­te in den Städten und Ge­mein­den Mo­ers, Neu­kir­chen-Vluyn, Kamp-Lint­fort, Rhein­berg, Al­pen, Sons­beck und Xan­ten mit ins­ge­samt über 700 haupt- und eh­ren­amt­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern. Die Außen­ver­tre­tungs­be­fug­nis ob­liegt dem Geschäftsführer des Ca­ri­tas­ver­ban­des, der zu­gleich auch Lei­ter des Fach­be­reichs „Sta­ti­onäre Al­ten­hil­fe" ist. Zu die­sem Fach­be­reich gehören ne­ben dem Se­nio­ren­zen­trum St. Jo­sef auch das Ca­ri­tas-Haus St. Hed­wig, die Kurz­zeit­pfle­ge St. Ka­tha­ri­na, die Ta­ges­pfle­ge St. Pau­lus und die Zen­tralküche. Der Kläger, der kei­ne Ver­tre­tungs­be­fug­nis für das Se­nio­ren­zen­trum St. Jo­sef be­sitzt, hat­te für die Wahl zur Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung des Ca­ri­tas­ver­ban­des Mo­ers-Xan­ten e.V. kan­di­diert. Er wur­de durch den Be­klag­ten trotz frist­ge­rech­tem Ein­gang der Kan­di­da­tur mit der Be­gründung nicht zu­ge­las­sen, die Vor­aus­set­zun­gen der Wähl­bar­keit hätten bei ihm nicht vor­ge­le­gen. Da­ge­gen er­hob er Kla­ge, die das Kirch­li­che Ar­beits­ge­richt der Diöze­se Müns­ter, nord­rhein-westfäli­scher Teil, durch Ur­teil vom 18.7.2013 ab­ge­wie­sen hat Die da­ge­gen er­ho­be­ne Re­vi­si­on führ­te zur Auf­he­bung des Ur­teils und Zurück­ver­wei­sung des Recht­streits durch das Ur­teil des Kirch­li­chen Ar­beits­ge­richts­hofs vom 28.11.2014 — M 10/13. Auf die­ses Ur­teil wird ver-

 

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wie­sen. Die Vor­in­stanz hat durch Ur­teil vom 11.6.2015 — 14/14 KAG — die Kla­ge er­neut ab­ge­wie­sen und die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen.
Der Kläger hat ge­gen das ihm am 15.6.2015 zu­ge­stell­te Ur­teil am 10.7.2015 Re­vi­si­on ein­ge­legt und die­se mit Schrift­satz vom 14.9.2015, ein­ge­gan­gen am 14.9.2015, be­gründet.

Er be­an­tragt,

das Ur­teil auf­zu­he­ben und der Kla­ge voll­umfäng­lich statt­zu­ge­ben, hilfs­wei­se, das Ur­teil auf­zu­he­ben und zur er­neu­ten Ent­schei­dung zurück­zu­ver­wei­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

I.

Die Re­vi­si­on ist zulässig. Sie ist im Ur­teil des Kirch­li­chen Ar­beits­ge­richts ers­ter In­stanz zu­ge­las­sen (§ 47 Abs. 1 KA­GO) so­wie form- und frist­ge­recht ein­ge­legt wor­den (§ 50 KA­GO).

II.

Die Re­vi­si­on ist je­doch nicht be­gründet.

1. Der Rechts­weg zur kirch­li­chen Ar­beits­ge­richts­bar­keit ist, wie be­reits im Ur­teil vom 28.11.2014 — M 10/13 — für die­sen Recht­streit be­gründet, nach § 2 Abs. 2 KA­GO eröff­net.

Die Vor­in­stanz hat zu­tref­fend die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung bei­ge­la­den, da es bei ei­ner Wahl­an­fech­tung auch um de­ren Be­stand und Zu­sam­men­set­zung geht. Des­halb ist

 

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ein Fall der not­wen­di­gen Bei­ladung i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 KA­GO ge­ge­ben. Da kein An­trag auf Kos­ten­er­stat­tung ge­stellt wur­de, konn­te die Vor­in­stanz da­von ab­se­hen, ob ein Fall der not­wen­di­gen Bei­ladung nach § 9 Abs. 2 Satz 2 KA­GO vor­liegt. Nach die­ser Be­stim­mung ist auch die Bei­ladung ei­nes Drit­ten not­wen­dig, der auf­grund Rechts­vor­schrift ver­pflich­tet ist, ei­ner Par­tei oder ei­nem Bei­ge­la­de­nen die Kos­ten des rechtshängig ge­mach­ten An­spruchs zu er­set­zen (Kos­tenträger).

2. Wie be­reits im Ur­teil vom 28.11.2014 — M 10/13 — ausführ­lich be­gründet, ist die Kla­ge zulässig. Auf die Ausführun­gen des Ur­teils wird Be­zug ge­nom­men.

3. Die Kla­ge ist je­doch nicht be­gründet. Die Wähl­bar­keits­vor­aus­set­zun­gen zur Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung sind beim Kläger von der Vor­in­stanz zu­tref­fend ver­neint wor­den. Wie ihr auf­ge­ge­ben wur­de, hat sie bei ih­rer Ent­schei­dung die Rechts­auf­fas­sung be­ach­tet, die im Ur­teil des KAGH vom 28.11.2014 — M 01/14 — zur Zurück­wei­sung in dem gleich­ge­la­ger­ten Fall geführt hat.

4. Die Vor­in­stanz hat zu­tref­fend er­kannt, dass dem Wahl­aus­schuss im Hin­blick auf das Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen des pas­si­ven Wahl­rechts im Sin­ne des § 8 Abs. 2 MA­VO Müns­ter ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu­kommt.

5. Auch die sons­ti­gen Ausführun­gen las­sen nicht er­ken­nen, dass das Ur­teil des Kirch­li­chen Ar­beits­ge­richts auf recht­feh­ler­haf­ten An­nah­men be­ruht. Die ge­setz­li­che Re­ge­lung in § 8 Abs. 2 MA­VO, die im we­sent­li­chen § 14 Abs. 3 BPers­VG nach­ge­bil­det ist, dient der Ver­mei­dung ei­ner Pflich­ten- und In­ter­es­sen­kol­li­si­on: Per­so­nen, die als „Ge­gen­spie­ler" der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen­ver­tre­tung agie­ren, sol­len grundsätz­lich nicht zu­gleich Mit­glied die­ser In­ter­es­sen­ver­tre­tung sein. Ein Mit­ar­bei­ter, der Ent­schei­dun­gen in Per­so­nal­an­ge­le­gen­hei­ten trifft oder maßgeb­lich die Ent­schei­dungs­fin­dung be­ein­flusst, soll nicht gleich­zei­tig als Mit­glied der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung mit zu­vor von ihm ent­schei­dend (mit-)ge­prägten Per­so­nal­an­ge­le­gen­hei­ten be­fasst sein. Ob ei­ne Ver­mi­schung bei­der Funk­tio­nen möglich ist, kann nicht all­ge­mein fest­ge­stellt wer­den, son­dern be­darf stets der sorg-fälti­gen Prüfung im Ein­zel­fall. Da­bei sind die Or­ga­ni­sa­ti­ons- und Geschäfts­ver­tei­lungs­pläne in der Ein­rich­tung und die langjähri­ge be­trieb­li­che Pra­xis der Ent­schei­dungs­abläufe ins­be­son­de­re bei Per­so­nal­an­ge­le­gen­hei­ten zu berück­sich­ti­gen.

 

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Die­se Prüfung ist hier ge­sche­hen und kann auch nicht be­an­stan­det wer­den. Ein In­diz ist in die­sem Zu­sam­men­hang, dass der Be­klag­te nach hin­rei­chen­der Prüfung so­gar zu dem Er­geb­nis ge­langt war, dass der Kläger letzt­lich so­gar der in § 3 Abs. 2 Nr. 4 MA­VO de­fi­nier­ten Per­so­nen­grup­pe an­gehört. Dar­auf hat die Vor­in­stanz zwar nicht zurück­ge­grif­fen; aber bestätigt wird da­durch, dass ei­ne Be­fug­nis zur „selbständi­gen Ent­schei­dung" an­zu­neh­men ist, wenn der Be­klag­te als Wahl­aus­schuss so­gar ei­ne „lei­ten­de Stel­lung" an­ge­nom­men hat.

So­weit der Re­vi­si­onskläger den Ein­wand er­hebt, dass die Aus­le­gung des § 8 Abs. 2 MA­VO Müns­ter durch die Vor­in­stanz zur Fol­ge ha­be, dass je­der Führungs­kraft ei­ner Ein­rich­tung das pas­si­ve Wahl­recht ab­zu­spre­chen sei, ist ent­ge­gen­zu­hal­ten, dass es sich bei dem Re­vi­si­onskläger nicht um ir­gend ei­ne Führungs­kraft han­delt, son­dern um den „Lei­ter" des Se­nio­ren­heims. In die­ser ex­po­nier­ten Funk­ti­on nimmt der Re­vi­si­onskläger fak­tisch die Stel­lung des obers­ten, in der Ein­rich­tung ständig präsen­ten Dienst­ge­ber­ver­tre­ters wahr, dem die Kom­pe­tenz zur ver­ant­wort­li­chen Lei­tung des ge­sam­ten Se­nio­ren­hei­mes St. Jo­sef mit über 70 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern zu­steht. In die­ser her­aus­ge­ho­be­nen Po­si­ti­on und mit die­ser Funk­ti­ons­be­zeich­nung wird der Kläger so­wohl von der Außen­welt als auch von der Be­leg­schaft des Se­nio­ren­zen­trums als Re­präsen­tant des Dienst­ge­bers wahr­ge­nom­men. Dies gilt um­so mehr als der zur Außen­ver­tre­tung be­fug­te Geschäftsführer, dem die ope­ra­ti­ve Führung des ge­sam­ten Ver­ban­des so­wie die Lei­tung des ge­sam­ten Fach­be­reichs „Sta­ti­onäre Al­ten­hil­fe" mit meh­re­ren un­selbständi­gen Ein­rich­tun­gen ob­liegt, al­lein auf­grund der Größe des Recht­strägers mit mehr als 700 haupt- und eh­ren­amt­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern so­wie auf­grund der de­zen­tra­len Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur (die zahl­rei­chen recht­lich un­selbständi­gen Dienst­stel­len des Recht­strägers sind in den Städten und Ge­mein­den Mo­ers, Neu­kir­chen-Vluyn, Kamp-Lint­fort, Rhein­berg, Al­pen, Sons­beck und Xan­ten ver­teilt) schlech­ter­dings nicht in der La­ge sein dürf­te, sich auf­grund ei­ge­ner Wahr­neh­mung ge­naue In­for­ma­tio­nen über die Per­so­nal­si­tua­ti­on vor Ort zu ver­schaf­fen. Auf­grund der be­son­de­ren Struk­tur des Recht­strägers und der dar­aus re­sul­tie­ren­den Ent­schei­dungs­abläufe ist der Geschäftsführer in al­len per­so­nel­len An­ge­le­gen­hei­ten zwangsläufig auf qua­li­fi­zier­te Vor­be­rei­tun­gen und Vor­ent­schei­dun­gen der obers­ten Führungs­kraft im Se­nio­ren­zen­trum St. Jo­sef an­ge­wie­sen. Aus die­sem Grund steht für den Ge­richts­hof oh­ne Zwei­fel fest, dass der Re­vi­si­ons­be­klag­te in sei­ner Funk­ti­on als Lei­ter des Se­nio­ren-

 

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hei­mes sämt­li­che Per­so­nal­an­ge­le­gen­hei­ten und Dis­zi­pli­nar­maßnah­men, die sei­ne Ein­rich­tung be­tref­fen, maßgeb­lich in­iti­ie­ren, in­halt­lich ent­schei­dend mit­prägen und mit­ge­stal­ten dürf­te, auch wenn die Letzt­ver­ant­wor­tung und die ver­bind­li­che Ent­schei­dung über die zu er­grei­fen­den Maßnah­men bei den ver­tre­tungs­be­rech­tig­ten Or­ga­nen des Recht­strägers liegt (vgl. auch KAGH, Ur­teil vom 17.7.2014 — M 14/2014, Rn. 22). Als zen­tra­les Bin­de­glied zwi­schen Mit­ar­bei­tern und Geschäftsführung wird der Re­vi­si­onskläger so­wohl von den Mit­glie­dern der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung als auch von den Mit­ar­bei­tern des Se­nio­ren­zen­trums als obers­te Führungs-kraft und als „verlänger­ter Arm" des Dienst­ge­bers wahr­ge­nom­men. Zur Ver­mei­dung von Pflich­ten- und In­ter­es­sen­kol­li­sio­nen ist der Kläger da­her nicht wähl­bar für die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung sei­ner Ein­rich­tung.

Mar­git Ma­ria We­ber

Prof. Dr. Rein­hard Ri­char­di

Prof. Dr. Al­fred E. Hie­rold

Dr. Joa­chim Eder

Sr. Jo­se­fia Schul­te

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