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LAG Hamm, Ur­teil vom 04.05.2011, 2 Sa 1975/10

   
Schlagworte: Kündigung: Betriebsbedingt, Interessenausgleich, Auswahlrichtlinie, Sozialauswahl, Betriebsänderung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 2 Sa 1975/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 04.05.2011
   
Leitsätze:

1. Die vorsätzliche Abweichung von einer Auswahlrichtlinie i.S.v. § 95 BetrVG, die die Bewertung der sozialen Auswahlkriterien verbindlich regelt, führt als ein vorsätzlicher Rechtsverstoß unabhängig davon, ob die Abweichung nur "marginal" ist, stets zur groben Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl i.S.v. § 125 InsO.

2. Die Zustimmung des Betriebsrats zum Interessenausgleich und Namensliste ändert an der groben Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl nichts, weil der Betriebsrat selbst nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass bestehende Betriebsvereinbarungen eingehalten werden und nach § 75 BetrVG auch darüber, dass alle Arbeitnehmer nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, was auch eigenes rechtsnormkonformes Verhalten beinhaltet.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hagen, Urteil vom 30.9.2010, 4 Ca 415/10
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.10.2013, 6 AZR 854/11
   

Te­nor:

Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ha­gen vom 30.09.2010 – 4 Ca 415/10 – wird zurück­ge­wie­sen.

Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens wer­den dem Be­klag­ten auf­er­legt.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses.

Der Be­klag­te wur­de durch Be­schluss des Amts­ge­richts Ha­gen vom 02.12.2009 - Ak­ten­zei­chen 100 IN 172/09 – zum In­sol­venz­ver­wal­ter über das Vermögen der Fir­ma T1 Press­werk GmbH & Co. KG (im fol­gen­den: In­sol­venz­schuld­ne­rin) be­stellt. Be­reits un­ter dem 06.10.2009 wur­de der Be­klag­te durch Be­schluss des Amts­ge­richts Ha­gen im Rah­men des In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­rens zum vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt.

Der am 24.06.1970 ge­bo­re­ne, le­di­ge Kläger war seit dem 05.11.1998 als Werk­zeug­me­cha­ni­ker bei der In­sol­venz­schuld­ne­rin zu ei­nem mo­nat­li­chen Brut­to­ge­halt von zu­letzt rund 3.000,-- Eu­ro auf der Ba­sis des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges vom 21.10.1998 so­wie der Zu­satz­ver­ein­ba­rung vom 08.04.2004 beschäftigt. We­gen der Ein­zel­hei­ten des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges so­wie der Zu­satz­ver­ein­ba­rung wird auf Blatt 6 bis 9 der Ge­richts­ak­te Be­zug ge­nom­men.

Be­reits im Rah­men des In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­rens bemühte sich der Be­klag­te um ei­ne Be­triebs­veräußerung und re­du­zier­te den Per­so­nal­be­stand, in­dem er ins­be­son­de­re be­fris­te­te Ar­beits­verträge nicht verlänger­te.

Am 28.01.2010 fand in den Räum­lich­kei­ten des Be­klag­ten ei­ne Be­spre­chung mit dem Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den S1 und der stell­ver­tre­ten­den Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den H1 statt, an den für den Be­triebs­rat auch Herr R2 von der IG Me­tall und für den Be­klag­ten Herr Rechts­an­walt Dr. K2 so­wie Frau Rechts­anwältin M2-O1 teil­nah­men. Außer­dem war bei die­ser Be­spre­chung ein Ver­tre­ter ei­ner in­ter­es­sier­ten Be­triebs­er­wer­be­rin an­we­send. Im Rah­men die­ses Gesprächs wur­de der er­for­der­li­che Per­so­nal­ab­bau erörtert und dem Be­triebs­rat ei­ne Per­so­nal­lis­te mit sämt­li­chen So­zi­al­da­ten un­ter Schil­de­rung der Hin­ter­gründe für die ge­plan­te Be­triebsände­rung über­reicht.

Am 03.02.2010 fand ei­ne wei­te­re Be­spre­chung mit dem Be­triebs­rat der In­sol­venz­schuld­ne­rin statt, nach­dem zu­vor der Be­klag­te per E-Mail dem Be­triebs­rat ei­ne Ge­samt­per­so­nal­lis­te des Stand­or­tes H2 so­wie ein Mus­ter zum In­ter­es­sen- und So­zi­al­plan un­ter Hin­weis auf die Auf­nah­me der Ver­hand­lung zum In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan über­mit­tel­te. Nach wei­te­ren Be­spre­chun­gen schlos­sen der Be­klag­te und der Be­triebs­rat un­ter dem 10.02.2010 ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich so­wie ei­nen So­zi­al­plan. In dem In­ter­es­sen­aus­gleich wird ins­be­son­de­re un­ter dem Punkt II dar­auf hin­ge­wie­sen, dass we­gen des er­heb­li­chen Um­satzrück­gangs le­dig­lich ein Beschäfti­gungs­be­darf für 460 Ar­beitsplätze am Stand­ort H2 be­ste­he, so dass 48 be­triebs­be­ding­te Kündi­gung er­for­der­lich sei­en, um die not­wen­di­ge Kos­ten­re­du­zie­rung zu er­rei­chen, die Vor­aus­set­zung für die ge­plan­te Be­triebs­veräußerung war. Außer­dem ver­ein­bar­ten der Be­klag­te und der Be­triebs­rat un­ter II.2 des In­ter­es­sen­aus­gleichs ei­ne Lis­te mit Na­men von zu kündi­gen­den Beschäftig­ten, die im In­ter­es­sen­aus­gleich aus­drück­lich als "Na­mens­lis­te im Sin­ne von § 125 In­sO" be­zeich­net ist. Un­ter der lau­fen­den Nr. 24 die­ser Na­mens­lis­te be­fin­det sich auch der Na­me des Klägers. Darüber hin­aus enthält der In­ter­es­sen­aus­gleich ei­ne Ver­ein­ba­rung über ei­ne Aus­wahl­richt­li­nie, die fol­gen­den Wort­laut hat:

Die Par­tei­en ha­ben nach­ste­hen­de Aus­wahl­richt­li­nie gem. § 1 Abs. 4 KSchG i. V. m. § 95 Be­trVG ver­ein­bart, nach der die so­zia­len Ge­sichts­punk­te bei der Aus­wahl von Mit­ar­bei­tern zu den be­ab­sich­ti­gen Kündi­gun­gen zu wer­ten sind:

Le­bens­al­ter

Für je­des voll­ende­te Le­bens­jahr 1 Punkt

Ma­xi­mal 55 Punk­te

Be­triebs­zu­gehörig­keit

Für je­des voll­ende­te Jahr der Be­triebs­zu­gehörig­keit 1 Punkt

Für je­des voll­ende­te Jahr der Be­triebs­zu­gehörig­keit ab dem 11. Beschäfti­gungs­jahr 2 Punk­te

Ma­xi­mal 70 Punk­te

Un­ter­halts­pflich­ten

Ver­hei­ra­tet 8 Punk­te

Je Kind 4 Punk­te

Schwer­be­hin­de­rung

Schwer­be­hin­de­rung im Sin­ne der §§ 85 ff. SGB IX bis zu ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von GdB 50 oder Gleich­stel­lung 5 Punk­te

je 1 wei­te­rer Punkt pro 10 GdB mehr

Als Stich­tag für die Be­rech­nung wur­de der 01.02.2010 zu­grun­de ge­legt.

Im Rah­men des In­ter­es­sen­aus­gleichs wur­den ins­ge­samt 51 Ver­gleichs­grup­pen ge­bil­det, wo­bei der Kläger ne­ben 21 wei­te­ren Ar­beit­neh­mern der Grup­pe 10 "In­stand­hal­tung Me­cha­nik/Werk­zeug­bau" zu­ge­ord­net wur­de. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten die­ser Grup­pe wird auf Blatt 31 d. A. Be­zug ge­nom­men.

Bei drei der ins­ge­samt 51 Ver­gleichs­grup­pen bil­de­ten die Be­triebs­par­tei­en Al­ters­grup­pen. Die Ver­gleichs­grup­pe des Klägers, die Grup­pe Nr. 10 "In­stand­hal­ter Me­cha­nik/Werk­zeug­bau" war ei­ne die­ser Grup­pe. Der Kläger wur­de in­ner­halb die­ser Ver­gleichs­grup­pe der Al­ters­grup­pe 35-44 zu­ge­ord­net. Von den dort be­find­li­chen 7 Mit­ar­bei­tern wur­de nur dem Kläger gekündigt. Un­ter Zu­grun­de­le­gung des Punk­te­sche­mas wies der Kläger zu­sam­men mit dem Mit­ar­bei­ter T2 B1 zwei So­zi­al­punk­te mehr als der Mit­ar­bei­ter K3 Y1, der eben­falls der Ver­gleichs- und Al­ters­grup­pe des Klägers zu­ge­ord­net wur­de. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten der Al­ters­grup­pen­bil­dung in­ner­halb der Ver­gleichs­grup­pe 10 wird auf Bl. 81 d. A. Be­zug ge­nom­men.

Un­ter III des In­ter­es­sen­aus­gleichs heißt es, dass dem Be­triebs­rat die Kündi­gungs­gründe so­wie die So­zi­al­da­ten der ent­spre­chend der Na­mens­lis­te zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer mit­ge­teilt wur­den, der Be­triebs­rat Ge­le­gen­heit zur Be­ra­tung über die be­ab­sich­tig­te Kündi­gung hat­te, das Anhörungs­ver­fah­ren als ab­ge­schlos­sen be­trach­te und den Kündi­gun­gen nicht wi­der­spre­che.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des In­ter­es­sen­aus­gleichs und des So­zi­al­plans vom 10.02.2010 wird auf Bl. 16 – 30 d. A. Be­zug ge­nom­men.

Nach­dem der Be­klag­te mit Schrei­ben vom 11.02.2010 ge­genüber der Bun­des­agen­tur für Ar­beit ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­stat­te­te und un­ter dem 18.02.2010 ei­nen ent­spre­chen­den Be­scheid der Bun­des­agen­tur für Ar­beit er­hielt, erklärte er mit Schrei­ben vom 12.02.2010 (Bl. 5 d. A.) die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Kläger zum 31.05.2010, ge­gen die sich der Kläger mit der am 25.02.2011 ein­ge­gan­ge­nen Kündi­gungs­schutz­kla­ge wehrt.

Der Kläger hat die An­sicht ver­tre­ten, dass die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung we­gen gro­ber Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl un­wirk­sam sei. Dies fol­ge be­reits dar­aus, dass der Be­klag­te nicht dem nach dem Punk­te­sche­ma so­zi­alstärks­ten Mit­ar­bei­ter gekündigt ha­be, so dass be­reits auf­grund der Ab­wei­chung von der Aus­wahl­richt­li­nie gro­be Feh­ler­haf­tig­keit an­ge­nom­men wer­den müsse. Außer­dem hat der Kläger die Bil­dung der Al­ters­grup­pen un­ter Hin­weis dar­auf gerügt, dass nicht er­kenn­bar sei, in­wie­weit dies zur Schaf­fung/Er­hal­tung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur er­for­der­lich ge­we­sen sei. Wes­halb der Be­klag­te le­dig­lich bei drei Ver­gleichs­grup­pen Al­ters­grup­pen ge­bil­det ha­be, sei eben­so we­nig er­sicht­lich. Außer­dem hätten ver­gleich­ba­re Ar­beit­neh­mer in der In­stand­hal­tung Me­cha­nik/Werk­zeug­bau kei­ne Kündi­gung er­hal­ten, ob­wohl die­se kei­nen Kündi­gungs­schutz ge­nießen würden. Hier­bei han­de­le es sich um den ehe­ma­li­gen Aus­zu­bil­den­den B2, der erst im Ja­nu­ar 2010 ei­nen Ar­beits­ver­trag er­hal­ten ha­be. Glei­ches gel­te für den Ar­beit­neh­mer S3. Auch der Leih­ar­beit­neh­mer B3 ha­be nur im De­zem­ber 2009 ei­nen Ar­beits­ver­trag er­hal­ten. Sch­ließlich hat der Kläger das Vor­lie­gen ei­ner ord­nungs­gemäßen Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge so­wie der Be­triebs­rats­anhörung be­strit­ten.

Un­ter Kla­gerück­nah­me im Übri­gen hat der Kläger be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung des Be­klag­ten vom 02.12.2010 nicht be­en­det wird.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Be­klag­te hat die An­sicht ver­tre­ten, dass die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung wirk­sam sei. Das drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis für die be­triebs­be­ding­te Kündi­gung fol­ge dar­aus, dass der Kläger die Ver­mu­tungs­wir­kung des § 125 In­sO nicht wi­der­legt ha­be. Ei­ne gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl sei eben­falls nicht er­kenn­bar, da ei­ne sol­che nur an­ge­nom­men wer­den könne, wenn die Ab­wei­chung von dem Punk­te­sche­ma mehr als zehn So­zi­al­punk­te be­tra­ge. Dem­ent­spre­chend sei nicht zu be­an­stan­den, dass man dem Kläger und nicht dem Mit­ar­bei­ter Y1 gekündigt ha­be. Darüber­hin­aus ha­be mit dem Be­triebs­rat Ei­nig­keit darüber be­stan­den, dass Mit­ar­bei­ter mit bis zu 10 So­zi­al­punk­ten Un­ter­schied als gleich schutzwürdig an­zu­se­hen sei­en. Der Kläger könne sich zur Recht­fer­ti­gung der gro­ben Feh­ler­haf­tig­keit der So­zi­al­aus­wahl auch nicht auf die Wei­ter­beschäfti­gung der Ar­beit­neh­mer S3 so­wie B3 be­ru­fen, da die so­zia­le Aus­wahl in­so­weit nicht zu be­an­stan­den sei. Da die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Kläger nach Er­stat­tung ei­ner ord­nungs­gemäßen Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge und ei­ner ord­nungs­gemäßen Durchführung der Be­triebs­rats­anhörung, die be­reits durch Zif­fer III des In­ter­es­sen­aus­gleichs do­ku­men­tiert wer­de, erklärt wor­den sei, sei de­ren Wirk­sam­keit nicht zu be­an­stan­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 30.09.2010 die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung fest­ge­stellt. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt, dass die Kündi­gung vom 12.02.2010 be­reits we­gen gro­ber Feh­ler­haf­tig­keit der ge­trof­fe­nen so­zia­len Aus­wahl an­zu­neh­men sei. Da­bei könne of­fen blei­ben, ob der Be­klag­te über­haupt be­rech­tigt ge­we­sen sei, in der Ver­gleichs­grup­pe 10 Al­ters­grup­pen zu bil­den. Denn die gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl fol­ge je­den­falls dar­aus, dass der Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger und nicht mit dem Mit­ar­bei­ter Y1 gekündigt ha­be, ob­wohl die­ser nach den Aus­wahl­richt­li­ni­en für die durch­zuführen­de so­zia­le Aus­wahl zwei Punk­te we­ni­ger vor­zu­wei­sen ge­habt ha­be. Da die Be­triebs­par­tei­en sich für die Durchführung der so­zia­len Aus­wahl aus­drück­lich auf ei­ne Aus­wahl­richt­li­nie im Sin­ne des § 1 Abs. 4 KSchG verständigt hätten und die­se Aus­wahl­richt­li­nie kei­ne Aus­nah­me zu­las­se, lie­ge ei­ne Selbst­bin­dung des Be­klag­ten in­so­weit vor, so dass er sich nicht drauf be­ru­fen könne, dass ei­ne Ab­wei­chung, die un­ter 10 So­zi­al­punk­ten lie­ge, kei­ne gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl be­gründen könne. Dies gel­te um­so mehr, als der Be­klag­te nicht vor­ge­tra­gen ha­be, was ihn zu der Ab­wei­chung von der Aus­wahl­richt­li­nie ver­an­lasst ha­be.

Ge­gen das am 14.10.2010 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts hat der Be­klag­te am 14.11.2010 (Mon­tag) Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis zum 14.01.2011 am 14.01.2011 be­gründet.

Zur Be­gründung der Be­ru­fung trägt der Be­klag­te vor, dass das Ar­beits­ge­richt zu Un­recht von der gro­ben Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl aus­ge­gan­gen sei. Denn ihm ha­be im Rah­men der durch­zuführen­den so­zia­len Aus­wahl ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu­ge­stan­den, auch wenn die Aus­wahl­richt­li­nie in­so­weit kei­ne Re­ge­lung ent­hiel­te. Die­ser Be­ur­tei­lungs­spiel­raum sei bei ei­nem Ab­stand von le­dig­lich zwei So­zi­al­punk­ten nicht über­schrit­ten, so dass die so­zia­le Aus­wahl je­den­falls be­reits aus die­sem Grun­de nicht grob feh­ler­haft ge­we­sen sei. Darüber­hin­aus sei die Ab­wei­chung von der Aus­wahl­richt­li­nie un­ter Zu­grun­de­le­gung des Be­ur­tei­lungs­spiel­raums, die bei­de Be­triebs­par­tei­en an­ge­nom­men hätten, er­folgt, weil der Kläger von die­sen Mit­ar­bei­tern auf­grund sei­ner Ar­beits­leis­tung und Ar­beits­mo­ral als am ehes­ten ent­behr­lich an­ge­nom­men wor­den sei. Die­ser Um­stand sei durch die ent­spre­chen­de Fach­ab­tei­lung an den Per­so­nal­lei­ter der In­sol­venz­schuld­ne­rin und von die­sem an ihn her­an­ge­tra­gen wor­den so­wie mit dem Be­triebs­rat im Zu­sam­men­hang mit den Be­ra­tun­gen und Vor­be­rei­tun­gen des In­ter­es­sen­aus­gleichs erörtert wor­den. Ent­ge­gen der An­sicht des Ar­beits­ge­richts sei auch die durch­geführ­te Al­ters­grup­pen­bil­dung nicht zu be­an­stan­den.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Ha­gen vom 30.09.2010 – 4 Ca 415/10 – die Kla­ge ins­ge­samt ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung des Be­klag­ten zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger ver­tei­digt un­ter Ver­tie­fung sei­nes erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts. Der Be­klag­te könne sich nicht auf ei­nen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum im Rah­men der durch­zuführen­den so­zia­len Aus­wahl be­ru­fen, weil die ver­bind­li­che Aus­wahl­richt­li­nie im Sin­ne des § 95 Be­trVG nach ih­rem ein­deu­ti­gen und un­miss­verständ­li­chen Wort­laut die so­zia­len Aus­wahl­kri­te­ri­en ver­bind­lich fest­le­ge und kei­ne Ab­wei­chung zu­las­se, so dass in­so­weit von ei­ner Re­du­zie­rung auf Null aus­zu­ge­hen sei. So­weit der Be­klag­te erst­mals in der Be­ru­fungs­be­gründung Gründe für ei­ne Ab­wei­chung von der Aus­wahl­richt­li­nie vor­ge­tra­gen ha­be, so könne sein Vor­brin­gen ei­ne ab­wei­chen­de Ent­schei­dung schon des­we­gen nicht recht­fer­ti­gen, weil es viel zu un­sub­stan­ti­iert sei.

We­gen des Par­tei­vor­brin­gens im Übri­gen wird auf den vor­ge­tra­ge­nen In­halt der Schriftsätze nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

I.

Die zulässi­ge Be­ru­fung des Be­klag­ten ist un­be­gründet. Denn das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht ent­schie­den, dass die Kündi­gung des Be­klag­ten vom 12.02.2010 un­wirk­sam ist.

Ent­ge­gen der An­sicht des Be­klag­ten hat das Ar­beits­ge­richt im Er­geb­nis zu Recht ent­schie­den, dass die Kündi­gung vom 12.02.2010 we­gen feh­ler­haf­ter so­zia­ler Aus­wahl nach § 1 Abs. 3 KSchG un­wirk­sam ist. Die Tat­sa­che, dass die Kündi­gung auf­grund ei­ner Be­triebsände­rung er­folgt ist, die Ge­gen­stand ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs mit Na­mens­lis­te war mit der Fol­ge, dass die so­zia­le Aus­wahl gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 2 In­sO nur auf gro­be Feh­ler­haf­tig­keit über­prüft wer­den kann, steht dem nicht ent­ge­gen. Denn das Ar­beits­ge­richt hat im Er­geb­nis zu Recht ent­schie­den, dass die gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl be­reits dar­aus folgt, dass der Be­klag­te die Aus­wah­l­ent­schei­dung zu Las­ten des Klägers ge­trof­fen hat, ob­wohl nach den von ihm selbst zu­grun­de ge­leg­ten Aus­wahl­kri­te­ri­en der Mit­ar­bei­ter Y1 hätte gekündigt wer­den müssen, weil er zwei So­zi­al­punk­te we­ni­ger vor­zu­wei­sen hat­te. Das Ar­beits­ge­richt hat da­bei zu Recht ent­schei­dend dar­auf ab­ge­stellt, dass der Be­klag­te bei der vor­zu­neh­men­den so­zia­len Aus­wahl an die ver­bind­li­che Aus­wahl­richt­li­nie im Sin­ne des § 95 ge­bun­den ge­we­sen ist, da die­se die Aus­wahl­kri­te­ri­en ver­bind­lich fest­le­ge und kei­ne Aus­nah­me zu­las­se. Auf­grund des ver­bind­li­chen Cha­rak­ters der Aus­wahl­richt­li­ni­en sei­en auch die Be­triebs­part­ner dar­an ge­bun­den ge­we­sen, mit der Fol­ge, dass ei­ne Ab­wei­chung da­von auf­grund münd­li­cher Ab­spra­chen nicht zulässig ge­we­sen sei. In­so­weit wird zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen auf die zu­tref­fen­den Gründe der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Be­zug ge­nom­men.

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten recht­fer­tigt kei­ne ab­wei­chen­de Be­ur­tei­lung und gibt le­dig­lich An­lass zu fol­gen­den Ergänzun­gen:

Der Be­klag­ten ist zwar zu­zu­ge­ben, dass ei­ne gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl im Sin­ne des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 In­sO nur dann an­ge­nom­men wer­den kann, wenn ein evi­den­ter, ins Au­ge sprin­gen­der schwe­rer Feh­ler vor­liegt und der In­ter­es­sen­aus­gleich, ins­be­son­de­re bei der Ge­wich­tung der Aus­wahl­kri­te­ri­en, je­de Aus­ge­wo­gen­heit ver­mis­sen lässt. Zu­zu­ge­ben ist dem Be­klag­ten auch, dass die vom Ar­beit­ge­ber - zu­sam­men mit dem Be­triebs­rat – ge­trof­fe­ne so­zia­le Aus­wahl nur dann grob feh­ler­haft ist, wenn sich ihr Er­geb­nis als grob feh­ler­haft er­weist, so dass grundsätz­lich nicht maßgeb­lich ist, ob das gewähl­te Aus­wahl­ver­fah­ren be­an­stan­dungs­frei war, da ein man­gel­haf­tes Aus­wahl­ver­fah­ren auch zu ei­nem rich­ti­gen – nicht grob feh­ler­haf­ten – Aus­wahl­er­geb­nis führen kann (vgl. BAG, Ur­teil vom 10.06.2010 – 2 AZR 420/09, NZA 2010, 1352; BAG, Ur­teil vom 03.04.2008 – 2 AZR 879/06, NZA 2008, 1060). Vor­lie­gend kann je­doch nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass auf­grund ei­nes feh­ler­haf­ten Aus­wahl­ver­fah­rens ein nicht ins Au­ge sprin­gen­der schwe­rer Feh­ler bei der so­zia­len Aus­wahl vor­liegt. Viel­mehr folgt die gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl dar­aus, dass der Be­klag­te von ei­ner ver­bind­li­chen Aus­wahl­richt­li­nie im Sin­ne des § 95 Be­trVG, die die Aus­wahl­kri­te­ri­en und de­ren Ge­wich­tung ab­sch­ließend fest­legt, be­wusst ab­ge­wi­chen, al­so ei­ne be­ste­hen­de Rechts­norm be­wusst nicht ein­ge­hal­ten hat. Die Tat­sa­che, dass der Be­triebs­rat der der Aus­wahl­richt­li­nie wi­der­spre­chen­den Na­mens­lis­te nach dem Vor­brin­gen des Be­klag­ten in Kennt­nis der Ab­wei­chung, al­so be­wusst zu­ge­stimmt hat, recht­fer­tigt schon des­we­gen kei­ne ab­wei­chen­de Be­ur­tei­lung, weil der Ar­beit­ge­ber und der Be­triebs­rat nach § 75 Abs. 1 Be­trVG darüber zu wa­chen ha­ben, dass al­le im Be­trieb täti­gen Per­so­nen nach den Grundsätzen von Recht und Bil­lig­keit be­han­delt wer­den und der Be­triebs­rat nach § 80 Abs. 1 un­ter an­de­rem auch darüber zu wa­chen hat, dass die zu Guns­ten der Ar­beit­neh­mer gel­ten­den Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen durch­geführt wer­den. De­men­spre­chend wird der be­wuss­te Ver­s­toß ge­gen die Aus­wahl­richt­li­ni­en nicht da­durch ge­heilt, dass der Be­triebs­rat ent­ge­gen den §§ 75, 80 Abs. 1 Be­trVG der Ver­s­toß nicht rügt, son­dern sich da­mit ein­ver­stan­den erklärt.

In Zif­fer II.4 des In­ter­es­sen­aus­gleichs vom 10.02.2010 heißt es aus­drück­lich, dass die "Par­tei­en nach­ste­hen­de Aus­wahl­richt­li­nie gemäß § 1 Abs. 4 KSchG i.V.m. § 95 Be­trVG ver­ein­bart ha­ben, nach der die so­zia­len Ge­sichts­punk­te bei der Aus­wahl von Mit­ar­bei­tern zu un­be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung zu wer­ten sind. Als Stich­tag für die Be­wer­tung der Aus­wahl­kri­te­ri­en wur­de der 01.02.2010 fest­ge­legt, wo­bei Aus­nah­men auf­grund be­son­de­rer Umstände in der Aus­wahl­richt­li­nie nicht vor­ge­se­hen sind. Die Zif­fer II.4 des In­ter­es­sen­aus­gleichs enthält so­mit ei­ne ab­sch­ließen­de Re­ge­lung hin­sicht­lich der so­zia­len Aus­wahl­kri­te­ri­en und de­ren Ge­wich­tung im Rah­men der durch­zuführen­den so­zia­len Aus­wahl und lässt nach ih­rem ein­deu­ti­gen und un­miss­verständ­li­chen Wort­laut ent­ge­gen der An­sicht des Be­klag­ten kei­nen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum im Rah­men ei­ner in­di­vi­du­el­len Ab­schluss­prüfung vor.

Ob und un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen die in ei­nem In­ter­es­sen­aus­gleich ver­ein­bar­ten Aus­wahl­kri­te­ri­en als Aus­wahl­richt­li­ni­en im Sin­ne des § 1 Abs. 4 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 In­sO zu qua­li­fi­zie­ren sind, kann of­fen blei­ben.

Da dies nach der Rechts­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, der die Kam­mer folgt, je­den­falls dann der Fall ist, wenn der In­ter­es­sen­aus­gleich – wie vor­lie­gend – aus­drück­lich re­gelt, dass es sich da­bei um ver­ein­bar­te Aus­wahl­richt­li­ni­en im Sin­ne des § 95 Be­trVG han­delt. Die Tat­sa­che, dass die Kri­te­ri­en nicht ge­ne­rell, son­dern in Be­zug auf ganz kon­kret be­vor­ste­hen­de be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen an­ge­wen­det wer­den sol­len, steht der An­nah­me ei­ner Richt­li­nie im Sin­ne des § 95 Abs. 1 Be­trVG nicht ent­ge­gen (vgl. BAG, Ur­teil vom 09.11.2006 – 2 AZR 815/05 - , BB 2007, 1393; BAG , Be­schluss vom 26.07.2005 – 1 ABR 29/04, BB 2005, 2819). Die in dem In­ter­es­sen­aus­gleich vom 10.02.2010 ver­ein­bar­ten Aus­wahl­richt­li­ni­en, bei de­nen es sich nach dem Wil­len der Be­triebs­par­tei­en um Aus­wahl­richt­li­ni­en im Sin­ne der §§ 1 Abs. 4 KSchG i.V.m. § 95 Be­trVG han­delt, ha­ben so­mit den Cha­rak­ter ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung, die nach § 77 Abs. 4 Be­trVG un­mit­tel­bar und zwin­gen­de Rechts­norm enthält. Dies gilt auch in­so­weit, als dar­in kei­ne ein­zel­fall­be­zo­ge­ne Ab­schluss­prüfung mehr vor­ge­se­hen ist, weil in Aus­wahl­richt­li­ni­en im Sin­ne des § 95 Abs. 1 Be­trVG wirk­sam ge­re­gelt wer­den kann, dass nur die in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG vor­ge­se­he­nen Kri­te­ri­en im Rah­men der so­zia­len Aus­wahl zu berück­sich­ti­gen sind (vgl. BAG, Ur­teil vom 09.11.2006 – 2 AZR 812/05). Die be­wuss­te Nicht­be­ach­tung ei­ner ver­bind­li­chen Aus­wahl­richt­li­nie im Sin­ne des § 95 Be­trVG und da­mit ei­ner im Be­trieb gel­ten­den Rechts­norm im Rah­men der durch­zuführen­den so­zia­len Aus­wahl durch den Ar­beit­ge­ber be­gründet nach An­sicht der Kam­mer gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl im Sin­ne des § 125 Abs. 1 S.1 Nr. 2 In­sO, oh­ne dass es da­bei auf die Ab­wei­chung bei der Punkt­zahl an­kommt. Da es sich da­bei um ei­nen vorsätz­li­chen Rechts­ver­s­toß han­delt, kann er auch nicht durch ei­ne Zu­stim­mung des Be­triebs­rats zu der Na­mens­lis­te ge­heilt wer­den, da auch die­ser an die ver­ein­bar­ten und gel­ten­den Aus­wahl­richt­li­ni­en, die Rechts­norm­cha­rak­ter ha­ben, ge­bun­den ist.

Den Be­triebs­par­tei­en steht für die "aus­rei­chen­de" Berück­sich­ti­gung der Kri­te­ri­en, wenn sie ei­ne Aus­wahl­richt­li­nie nach § 95 Be­trVG auf­stel­len, ein großer Spiel­raum zu. Ei­ne von ih­nen fest­ge­leg­te re­la­ti­ve Ge­wich­tung der so­zia­len Ge­sichts­punk­te des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG un­ter­ein­an­der kann nach § 1 Abs. 4 KSchG nur auf gro­be Feh­ler­haf­tig­keit über­prüft wer­den. Ei­ne von ih­nen ge­re­gel­te Punk­te­ta­bel­le ist nur dann nicht an­zu­wen­den, wenn ei­nes der ge­setz­li­chen Aus­wahl­kri­te­ri­en gar nicht oder so ge­ring be­wer­tet wird, dass es als re­le­van­tes Aus­wahl­kri­te­ri­um nicht ins Ge­wicht fällt und al­len­falls in Aus­nah­mefällen ei­ne Rol­le spielt. Der großer Spiel­raum gilt der Be­triebs­par­tei­en gilt da­bei nicht nur für die so­zia­len In­di­ka­to­ren und de­ren Ge­wich­tung selbst, son­dern auch für die Bil­dung der aus­wahl­re­le­van­ten Grup­pen (vgl. BAG, Ur­teil vom 05.11.2009 – 2 AZR 676/08, NZA 2010, 457). Die Be­triebs­par­tei­en hätten so­mit auch Aus­wahl­richt­li­ni­en ver­ein­ba­ren können, die le­dig­lich ei­ner Vor­aus­wahl an­hand des Punk­te­sche­mas die­nen soll­te und der Möglich­keit ei­ner ab­sch­ließen­den End­aus­wahl mit der Möglich­keit der Ab­wei­chung von dem Er­geb­nis der Vor­aus­wahl un­ter Berück­sich­ti­gung der Ein­zel­fall­be­son­der­hei­ten. Da­von ha­ben sie je­doch vor­lie­gend kei­nen Ge­brauch ge­macht. Viel­mehr ha­ben sie in dem In­ter­es­sen­aus­gleich bei rund 500 Ar­beit­neh­mern ins­ge­samt 51 Ver­gleichs­grup­pen und da­bei nur bei drei Ver­gleichs­grup­pen Al­ters­grup­pen ge­bil­det, so­dass sie von dem ih­nen zu­ste­hen­den großen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum in dem In­ter­es­sen­aus­gleich und in den Aus­wahl­richt­li­ni­en Ge­brauch ge­macht ha­ben mit der Fol­ge, dass die An­greif­bar­keit der Kündi­gung un­ter dem Ge­sichts­punkt der feh­ler­haf­ten so­zia­len Aus­wahl er­heb­lich ein­ge­schränkt wur­de. Ob die Bil­dung der Al­ters­grup­pen nur bei ein­zel­nen Ver­gleichs­grup­pen, ins­be­son­de­re bei der Ver­gleichs­grup­pe des Klägers ent­spre­chend der An­sicht des Klägers nicht mehr von dem Be­ur­tei­lungs­spiel­raum der Be­triebs­par­tei­en ge­deckt war, kann da­hin­ste­hen. Denn selbst wenn dies zu­guns­ten des Be­klag­ten un­ter­stellt wird, dann muss er je­den­falls im Rah­men der durch­zuführen­den so­zia­len Aus­wahl, die be­reits durch die Bil­dung der vie­len Ver­gleichs­grup­pen und Al­ters­grup­pe nur bei ein­zel­nen Ver­gleichs­grup­pen so­wie die Fest­le­gung der Ge­wich­tung der ein­zel­nen Aus­wahl­kri­te­ri­en im er­heb­li­chen Um­fang er­leich­tert wor­den ist, we­nigs­tens die we­ni­gen be­ste­hen­den Vor­ga­ben be­ach­ten und darf nicht be­wusst da­von ab­wei­chen. An­de­ren­falls wären die Ar­beit­neh­mer, de­ren Rechts­schutzmöglich­kei­ten bei ei­ner Kündi­gung auf­grund ei­ner in ei­nem In­ter­es­sen­aus­gleich ver­ein­bar­ten Be­triebsände­rung mit ei­ner Na­mens­lis­te oh­ne­hin er­heb­lich ein­ge­schränkt sind, na­he­zu rechts­schutz­los.

Aus dem folgt, dass be­reits auf­grund der be­wuss­ten Ab­wei­chung des Be­klag­ten von den ver­bind­li­chen Aus­wahl­richt­li­ni­en nach § 95 Be­trVG gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl an­zu­neh­men war (vgl. da­zu auch: LAG Hamm, Ur­teil vom 06.04.2011 – 6 Sa 2023/10).

II.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ArbGG.

Die Re­vi­si­on war nach An­sicht der Kam­mer we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung und der ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG zu­zu­las­sen.

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