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BAG, Be­schluss vom 03.11.2020, 9 AZB 47/20

   
Schlagworte: Arbeitnehmer, Arbeitnehmerbegriff, Handelsvertreter, Rechtsweg
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZB 47/20
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 03.11.2020
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mannheim, Beschluss vom 7. November 2019, 8 Ca 148/19,
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Mai 2020, 22 Ta 28/20
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

9 AZB 47/20
22 Ta 28/20
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ba­den-Würt­tem­berg

BESCHLUSS

In Sa­chen

 

Be­klag­te, Be­schwer­deführe­rin und Rechts­be­schwer­deführe­rin,

 

pp.

 

Kläger, Be­schwer­de­geg­ner und Rechts­be­schwer­de­geg­ner,

 

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts am 3. No­vem­ber 2020 be­schlos­sen:

    1. Auf die Rechts­be­schwer­de der Be­klag­ten wird der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg - Kam­mern Frei­burg - vom 5. Mai 2020 - 22 Ta 28/20 - auf­ge­ho­ben.
    2. Die Sa­che wird zur er­neu­ten Ent­schei­dung an das Be­schwer­de­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

 

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Gründe

I. Der Kläger nimmt die Be­klag­te auf Zah­lung von Pro­vi­sio­nen in An­spruch, die die Be­klag­te zunächst an den Kläger zur Aus­zah­lung, so­dann aber im We­ge der Nach­be­rech­nung in Ab­zug ge­bracht hat.

1

Der Kläger ver­mit­telt für die Be­klag­te Kre­dit­verträge. Der die Par­tei­en ver­bin­den­de Ver­trag enthält ua. fol­gen­de Re­ge­lun­gen:

„§ 1 Stel­lung des Han­dels­ver­tre­ters

Der Han­dels­ver­tre­ter wird mit Wir­kung vom 01.06.2011 als selbständi­ger Han­dels­ver­tre­ter gemäß §§ 84, 87 Abs. 1 HGB für den Un­ter­neh­mer tätig. ...

§ 4 Pflich­ten des Han­dels­ver­tre­ters

...

Der Han­dels­ver­tre­ter wird sei­nen Auf­ga­ben ent­spre­chend den Wei­sun­gen des Un­ter­neh­mens in­ten­siv nach­kom­men. Bei Wei­sun­gen des Un­ter­neh­mens an den Han­dels­vert­re­ter ist ei­ne Stel­lung als selbständi­ger Ge­wer­be­trei­ben­der zu berück­sich­ti­gen.

§ 6 Pro­vi­si­on des Han­dels­ver­tre­ters

Der Han­dels­ver­tre­ter erhält für al­le getätig­ten Ver­mitt­lungs­geschäfte Pro­vi­si­on ...

§ 7 Fort­fall des Pro­vi­si­ons­an­spru­ches

Der An­spruch auf Pro­vi­si­on entfällt, wenn fest­steht, dass der be­tref­fen­de Kun­de nicht leis­tet, ge­zahl­te Vorschüsse sind zurück­zu­zah­len.

§ 10 Wett­be­werbs­ver­bot

Der Han­dels­ver­tre­ter ver­pflich­tet sich, während der Dau­er des Ver­trags­verhält­nis­ses nicht für ein Un­ter­neh­men tätig zu sein, das mit der Fir­ma in Wett­be­werb steht. ...

§ 13 Ge­richts­stand

Ge­richts­stand und Erfüllungs­ort ist das für den Sitz des Un­ter­neh­mers zuständi­ge Amts- bzw. Land­ge­richt. …

 

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Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Rechts­weg zu den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen sei eröff­net, da er Ar­beit­neh­mer der Be­klag­ten sei. Er hat be­haup­tet, die Ver­trags­pra­xis wei­che in we­sent­li­chen Punk­ten von den ver­trag­li­chen Vor­ga­ben ab. Die Be­klag­te er­tei­le ihm so­wohl in zeit­li­cher als auch in ört­li­cher und fach­li­cher Hin­sicht Wei­sun­gen. So sei er nicht be­fugt, die Kun­den zu ei­nem von ihm be­stimm­ten Zeit­punkt auf­zu­su­chen. Die Be­klag­te ha­be ihn an­ge­wie­sen, wie er Gespräche mit Kun­den zu führen und die Man­da­te zu be­ar­bei­ten ha­be. Zu die­sem Zweck ha­be er auf Ge­heiß der Be­klag­ten an Se­mi­na­ren und Schu­lun­gen teil­neh­men müssen. Die Büro­zei­ten, bin­nen de­ren er für die Be­klag­te tätig sei, ge­be ihm die Be­klag­te vor. Er sei ver­pflich­tet, der Be­klag­ten Zei­ten ei­ner krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­unfähig­keit an­zu­zei­gen. Die Be­klag­te ha­be ihm Ur­laub nach ar­beits­recht­li­chen Re­geln er­teilt. Zu­dem ha­be die Be­klag­te ihm hin­sicht­lich der Ab­schluss­ra­te Vor­ga­ben ge­macht. Nicht zu­letzt die An­wei­sung der Be­klag­ten, ih­re Vi­si­ten­kar­ten, e-mail-Adres­sen und Si­gna­tur­kar­ten zu nut­zen, be­le­ge sei­ne Ein­glie­de­rung in den Be­trieb der Be­klag­ten.

3

Der Kläger hat den An­trag an­gekündigt,

 

    1. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 5.096,79 Eu­ro brut­to mit Zin­sen hier­aus in Höhe von 5%-Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 4. Fe­bru­ar 2018 zu be­zah­len,

    2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 5.797,72 Eu­ro brut­to mit Zin­sen hier­aus in Höhe von 5%-Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 4. März 2018 zu be­zah­len,

    3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 3.964,62 Eu­ro brut­to mit Zin­sen hier­aus in Höhe von 5%-Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 4. April 2018 zu be­zah­len,

    4. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 5.186,80 Eu­ro brut­to mit Zin­sen hier­aus in Höhe von 5%-Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 4. Mai 2018 zu be­zah­len,

    5. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 2.779,35 Eu­ro brut­to mit Zin­sen hier­aus in Höhe von 5%-Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 4. Ju­ni 2018 zu be­zah­len,
      und


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    6. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 3.810,96 Eu­ro brut­to mit Zin­sen hier­aus in Höhe von 5%-Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 4. Ju­li 2018 zu be­zah­len.

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Die Be­klag­te hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Rechts­streit fal­le in die Ent­schei­dungs­zuständig­keit der or­dent­li­chen Ge­rich­te. Sie hat be­haup­tet, der Kläger er­brin­ge die von ihm ge­schul­de­ten Leis­tun­gen nicht als Ar­beit­neh­mer, son­dern als nicht wei­sungs­ge­bun­de­ner Han­dels­ver­tre­ter. Er könne je­der­zeit frei und ei­genständig darüber be­fin­den, ob er ei­ne Kun­den­an­fra­ge be­ar­bei­te. Dies be­le­ge ua. der Um­stand, dass der Kläger in der Ver­gan­gen­heit meh­re­re kon­kre­te An­ge­bo­te, die sie ihm un­ter­brei­tet ha­be, ab­ge­lehnt ha­be. Auch in zeit­li­cher Hin­sicht sei der Kläger nicht wei­sungs­ge­bun­den. Die Ent­schei­dung, wann er die an ihn wei­ter­ge­lei­te­ten Kun­den­an­fra­gen be­ar­bei­te, lie­ge al­lein bei ihm. So ha­be er in ei­ner Viel­zahl von Fällen Kun­den an­ge­ru­fen und mit ih­nen un­ter Be­ach­tung sei­ner persönli­chen zeit­li­chen Verfügbar­keit Ter­mi­ne für Be­ra­tungs­gespräche ver­ein­bart. In ört­li­cher Hin­sicht er­tei­le sie dem Kläger kei­ne Wei­sun­gen. Der Klä­ger ar­bei­te zu Hau­se oder an sons­ti­gen von ihm frei gewähl­ten Or­ten. In ih­ren Büro­gebäuden hal­te sie Sitz­ge­le­gen­hei­ten vor, die der Kläger nut­zen dürfe, oh­ne hier­zu ver­pflich­tet zu sein. Ab­ge­se­hen von ei­ner Ver­wal­tungs­soft­ware stel­le sie dem Kläger kei­ner­lei Be­triebs­mit­tel zur Verfügung. Der Kläger sei nicht ver­pflich­tet ge­we­sen, von ihr her­ge­stell­te Vi­si­ten­kar­ten zu ver­wen­den. In fach­li­cher Hin­sicht übe der Kläger sei­ne Tätig­keit wei­sungs­frei aus. Er ha­be bei der Be­klag­ten kei­nen Vor­ge­setz­ten, son­dern le­dig­lich ei­nen An­sprech­part­ner, an den er sich wen­den könne, wenn er dies wünsche. Sie ha­be dem Kläger nie­mals Ur­laub er­teilt, son­dern ihn le­dig­lich ge­be­ten, ihr mit­zu­tei­len, in wel­chen Zeiträum­en er ur­laubs­be­dingt nicht für sie tätig sein wer­de.

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Auf die Rüge der Be­klag­ten hat das Ar­beits­ge­richt mit Be­schluss vom 7. No­vem­ber 2019 den Rechts­weg zu den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen für zuläs­sig erklärt. Ge­gen die­sen Be­schluss hat die Be­klag­te so­for­ti­ge Be­schwer­de ein­ge­legt. Das Ar­beits­ge­richt hat der so­for­ti­gen Be­schwer­de der Be­klag­ten mit Be­schluss vom 13. Fe­bru­ar 2020 nicht ab­ge­hol­fen und sie dem Lan­des­ar­beits­ge-

 

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richt zur Ent­schei­dung vor­ge­legt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die so­for­ti­ge Be­schwer­de mit Be­schluss vom 5. Mai 2020 zurück­ge­wie­sen und die Rechts­be­schwer­de für die Be­klag­te zu­ge­las­sen.

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II. Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statt­haf­te und nach § 78 ArbGG, §§ 574 ff. ZPO zulässi­ge Rechts­be­schwer­de der Be­klag­ten ist be­gründet. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­ge­be­nen Be­gründung durf­te die so­for­ti­ge Be­schwer­de der Be­klag­ten ge­gen den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts nicht zurück­ge­wie­sen wer­den. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts stellt sich auch nicht aus an­de­ren Gründen als rich­tig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Auf der Grund­la­ge der bis­lang vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen ist der Se­nat al­ler­dings an ei­ner ei­ge­nen Sach­ent­schei­dung ge­hin­dert (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Dies führt zur Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Be­schlus­ses und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt als Be­schwer­de­ge­richt zur er­neu­ten Ent­schei­dung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

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1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - wie schon das Ar­beits­ge­richt - zur Be­gründung der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung aus­geführt, die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen sei­en zur Ent­schei­dung des Rechts­streits be­ru­fen, da die von den Ver­trags­be­stim­mun­gen ab­wei­chen­de Ver­trags­pra­xis auf ein Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en schließen las­se. Die Rechts­weg­zuständig­keit sei al­lein nach dem Vor­brin­gen des Klägers zu be­ur­tei­len. Grund­la­ge der Prüfung sei der je­wei­li­ge Streit­ge­gen­stand, der durch die an­gekündig­ten Anträge be­stimmt wer­de und die Rechts­na­tur des er­ho­be­nen An­spruchs fest­le­ge. Für die Fra­ge des zu­tref­fen­den Rechts­wegs kom­me es nur dar­auf an, ob die tatsächli­chen Be­haup­tun­gen des Klägers, ih­re Rich­tig­keit un­ter­stellt, Rechts­be­zie­hun­gen oder Rechts­fol­gen ergä­ben, für die die aus­sch­ließli­che Zuständig­keit der Ar­beits­ge­rich­te be­ste­he. Die in tatsäch­li­cher Hin­sicht von der Be­klag­ten gel­tend ge­mach­ten Ein­wen­dun­gen sei­en un­be­acht­lich.

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2. Dies hält ei­ner recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.

 

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a) Die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG aus­sch­ließlich zuständig für bürger­li­che Rechts­strei­tig­kei­ten zwi­schen Ar­beit­neh­mern und Ar­beit­ge­bern aus dem Ar­beits­verhält­nis. Wer Ar­beit­neh­mer im Sin­ne des Ar­beits­ge­richts­ge­set­zes ist, be­stimmt § 5 ArbGG. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Ar­beit­neh­mer Ar­bei­ter und An­ge­stell­te so­wie die zu ih­rer Be­rufs­aus­bil­dung Beschäftig­ten. Als Ar­beit­neh­mer gel­ten nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG auch die in Heim­ar­beit Beschäftig­ten und die ih­nen Gleich­ge­stell­ten so­wie sons­ti­ge Per­so­nen, die we­gen ih­rer wirt­schaft­li­chen Un­selbständig­keit als ar­beit­neh­merähn­li­che Per­so­nen an­zu­se­hen sind.

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b) § 5 Abs. 1 ArbGG liegt der all­ge­mei­ne na­tio­na­le Ar­beit­neh­mer­be­griff zu­grun­de (BAG 9. April 2019 - 9 AZB 2/19 - Rn. 16), der seit dem 1. April 2017 durch die Auf­nah­me des Ar­beits­ver­trags als ei­genständi­ger Ver­trags­typ in § 611a BGB ge­setz­lich ko­di­fi­ziert ist (Art. 2 des Ge­set­zes zur Ände­rung des Ar­beit­neh-merüber­las­sungs­ge­set­zes und an­de­rer Ge­set­ze vom 21. Fe­bru­ar 2017 [BGBl. I S. 258, 261]). Durch den Ar­beits­ver­trag wird da­nach der Ar­beit­neh­mer im Diens­te ei­nes an­de­ren zur Leis­tung wei­sungs­ge­bun­de­ner, fremd­be­stimm­ter Ar­beit in per­sönli­cher Abhängig­keit ver­pflich­tet (§ 611a Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Wei­sungs­recht kann In­halt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätig­keit be­tref­fen (Satz 2). Wei­sungs­ge­bun­den ist, wer nicht im We­sent­li­chen frei sei­ne Tätig­keit ge­stal­ten und sei­ne Ar­beits­zeit be­stim­men kann (Satz 3). Der Grad der persönli­chen Ab­hängig­keit hängt da­bei auch von der Ei­gen­art der je­wei­li­gen Tätig­keit ab (Satz 4). Für die Fest­stel­lung, ob ein Ar­beits­ver­trag vor­liegt, ist ei­ne Ge­samt­be­trach­tung al­ler Umstände vor­zu­neh­men (Satz 5). Zeigt die tatsächli­che Durchführung des Ver­trags­verhält­nis­ses, dass es sich um ein Ar­beits­verhält­nis han­delt, kommt es auf die Be­zeich­nung im Ver­trag nicht an (Satz 6).

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c) Im Aus­gangs­punkt zu­tref­fend ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­von aus­ge­gan­gen, dass es sich vor­lie­gend nicht um ei­nen sog. „sic-non-Fall“ han­delt, der die Ent­schei­dungs­zuständig­keit der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen un­abhängig da­von be­gründet, ob die tatsächli­chen Umstände vor­lie­gen, die der Kläger zur Be­gründung sei­ner Ar­beit­neh­mer­ei­gen­schaft vorträgt.

 

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aa) Die Fall­grup­pen „sic non“, „aut aut“ und „et et“ hat die Recht­spre­chung im Hin­blick auf die Fra­ge ent­wi­ckelt, wel­che An­for­de­run­gen an das kläge­ri­sche Vor­brin­gen zur Be­gründung der Rechts­weg­zuständig­keit der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen in Ab­gren­zung zu den or­dent­li­chen Ge­rich­ten zu stel­len sind (vgl. BAG 21. Ja­nu­ar 2019 - 9 AZB 23/18 - Rn. 20, BA­GE 165, 61). In den sic-non-Fällen kann der ein­ge­klag­te An­spruch aus­sch­ließlich auf ei­ne An­spruchs­grund­la­ge gestützt wer­den, de­ren Prüfung gemäß § 2 ArbGG in die Zuständig­keit der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen fällt (vgl. BAG 24. April 2018 - 9 AZB 62/17 - Rn. 14). Die für die Rechts­weg­zuständig­keit maßge­ben­den Tat­sa­chen sind gleich­zei­tig die Vor­aus­set­zung für die Be­gründet­heit der Kla­ge (sog. dop­pel­re­le­van­te Tat­sa­chen bei ei­ner ein­zi­gen in Be­tracht kom­men­den An­spruchs­grund­la­ge, vgl. BAG 1. Au­gust 2017 - 9 AZB 45/17 - Rn. 19, BA­GE 160, 22). In derar­ti­gen Fällen eröff­net bei strei­ti­ger Tat­sa­chen­grund­la­ge die bloße Rechts­an­sicht der kla­gen­den Par­tei, es han­de­le sich um ein Ar­beits­verhält­nis, den Rechts­weg zu den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen (vgl. BAG 9. April 2019 - 9 AZB 2/19 - Rn. 12). Kom­men da­ge­gen für ei­nen An­spruch so­wohl ar­beits­recht­li­che als auch bürger­lich-recht­li­che An­spruchs­grund­la­gen in Be­tracht, kann die bloße Rechts­an­sicht des Klägers, er sei Ar­beit­neh­mer, die Zuständig­keit der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen nicht be­gründen (vgl. BAG 31. Au­gust 1998 - 5 AZB 21/98 - un­ter II 2 a der Gründe).

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bb) Der Kla­ge­er­folg im Streit­fall hängt nicht da­von ab, ob der Kläger für die Be­klag­te als Ar­beit­neh­mer oder aber als frei­er Dienst­neh­mer tätig ge­wor­den ist. Die für den Rechts­weg ent­schei­den­de Fra­ge, ob der die Par­tei­en ver­bin­den­de Ver­trag un­ter Berück­sich­ti­gung sei­ner tatsächli­chen Durchführung als Ar­beits­ver­trag oder als frei­er Dienst­ver­trag ein­zu­ord­nen ist, hat für die Be­gründet­heit der Kla­ge kei­ne Be­deu­tung. Denn der vom Kläger er­ho­be­ne Pro­vi­si­ons­an­spruch ist im ei­nen wie im an­de­ren Fall al­lein da­nach zu be­ur­tei­len, ob die Be­klag­te die Tätig­keit des Klägers zu pro­vi­sio­nie­ren hat­te und die von der Be­klag­ten vor­ge­nom­me­nen Stor­no­abzüge von den ver­trag­li­chen Ab­spra­chen der Par­tei­en ge­deckt sind.

 

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d) In ei­nem sog. „aut-aut-Fall“ wie dem vor­lie­gen­den, in dem der Kläger die Kla­ge­for­de­rung aus ei­nem Rechts­verhält­nis her­lei­tet, das er für ein Ar­beits­ver­hält­nis, die Be­klag­te da­ge­gen für das Rechts­verhält­nis ei­nes wei­sungs­frei täti­gen Han­dels­ver­tre­ters hält, ist eben­so wie in ei­nem sog. „et-et-Fall“ (zur Ab­gren­zung sie­he BAG 24. April 1996 - 5 AZB 25/95 - zu B II 3 b und c der Gründe, BA­GE 83, 40) für die Be­ur­tei­lung, ob der Rechts­streit in die Zuständig­keit der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen fällt, nicht al­lein auf das Kläger­vor­brin­gen ab­zu­stel­len. Be­strei­tet die be­klag­te Par­tei - wie im vor­lie­gen­den Fall - tatsächli­che Umstände, die für die recht­li­che Ein­ord­nung des Rechts­verhält­nis­ses von Be­deu­tung sind, hat das zur Ent­schei­dung be­ru­fe­ne Ge­richt die zuständig­keits­be­gründen­den Tat­sa­chen ge­ge­be­nen­falls im We­ge der Be­weis­auf­nah­me fest­zu­stel­len.

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aa) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, der den Par­tei­en ei­nes Rechts­streits den „ge­setz­li­chen Rich­ter“ ga­ran­tiert, si­chert die Rechts­staat­lich­keit des ge­richt­li­chen Ver­fah­rens (vgl. Jach­mann-Mi­chel in Maunz/Dürig Stand Au­gust 2018 GG Art. 101 Rn. 5), in­dem er der Ge­fahr vor­beugt, dass durch ei­ne auf den Ein­zel­fall be­zo­ge­ne Aus­wahl der zur Ent­schei­dung be­ru­fe­nen Rich­ter das Er­geb­nis der Ent­schei­dung - gleichgültig von wel­cher Sei­te (vgl. BVerfG 24. März 1964 - 2 BvR 42/63 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 17, 294) - be­ein­flusst wer­den kann (vgl. BVerfG 20. Fe­bru­ar 2018 - 2 BvR 2675/17 - Rn. 16). Das Ver­fah­rens­grund­recht setzt ob­jek­ti­ves Ver­fas­sungs­recht (vgl. BVerfG 9. Ju­li 1997 - 2 BvR 389/94 - zu B II 2 b der Gründe, BVerfGE 96, 231), das die Ge­rich­te als Träger staat­li­cher Ge­walt (Art. 1 Abs. 3 GG) bei der Aus­le­gung ein­fach­ge­setz­li­cher Nor­men (vgl. BAG 30. Ja­nu­ar 2019 - 10 AZR 299/18 (A) - Rn. 36, BA­GE 165, 233) und so auch bei der Aus­le­gung der zuständig­keits­be­gründen­den Vor­schrift des § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG zu be­ach­ten ha­ben.

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(1) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG er­for­dert, dass die Re­ge­lun­gen, die der Be­stim­mung des ge­setz­li­chen Rich­ters die­nen, im Vor­aus so ein­deu­tig wie möglich fest­le­gen, wel­ches Ge­richt, wel­cher Spruchkörper und wel­che Rich­ter zur Streit­ent­schei­dung be­ru­fen sind (BVerfG 3. Fe­bru­ar 1965 - 2 BvR 166/64 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 18, 344). Die­sen Ver­fas­sungs­auf­trag hat der Ge­setz­ge­ber durch die Schaf­fung ei­ner Zuständig­keits­ord­nung um­ge­setzt, die bürger­lich-

 

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recht­li­che Strei­tig­kei­ten, die aus ei­nem Ar­beits­verhält­nis re­sul­tie­ren, den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen zu­weist (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG). Dass das in die­sem Zu­sam­men­hang maßge­ben­de Ab­gren­zungs­kri­te­ri­um „Ar­beits­verhält­nis“ un­ter Wür­di­gung al­ler er­heb­li­chen Umstände und da­mit nicht al­lein nach dem Vor­brin­gen des Klägers zu be­stim­men ist, er­gibt sich be­reits aus dem Wort­laut der Norm, die ein „Ar­beits­verhält­nis“ vor­aus­setzt und nicht et­wa des­sen Be­haup­tung aus­rei­chen lässt. Nicht die be­haup­te­te, son­dern nur die tatsächli­che Zuständig­keit des Ge­richts le­gi­ti­miert den je­wei­li­gen Spruchkörper, die ihm vom Ge­setz­ge­ber über­tra­ge­ne Rechts­spre­chungs­ge­walt aus­zuüben.

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(2) Zu be­ach­ten ist fer­ner, dass die Zuständig­keits­ord­nung des ArbGG als zwin­gen­des Ge­set­zes­recht nicht zur Dis­po­si­ti­on der Par­tei­en steht (vgl. BAG 16. No­vem­ber 1959 - 2 AZR 616/57 - zu A 2 der Gründe). Die Ent­schei­dung des Ge­setz­ge­bers, ar­beits­recht­li­che Strei­tig­kei­ten mit aus­sch­ließli­cher Wir­kung bei ei­ner Fach­ge­richts­bar­keit zu kon­zen­trie­ren, be­ruht auf der Erwägung, das die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen mit Le­bens­sach­ver­hal­ten, die nach §§ 2, 3 ArbGG in ih­re Zuständig­keit fal­len, in be­son­de­rem Maße ver­traut und für de­ren recht­li­che Be­ur­tei­lung qua­li­fi­ziert sind (vgl. BAG 16. No­vem­ber 1959 - 2 AZR 616/57 - aaO). Genügte der schlüssi­ge, aber vom Be­klag­ten be­strit­te­ne Tat­sa­chen­vor­trag des Klägers, um für ei­ne Strei­tig­keit den Rechts­weg vor die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen zu eröff­nen, bestände die Ge­fahr, dass das Sys­tem der Fach­ge­richts­bar­keit un­ter­lau­fen wird (vgl. Win­del ZZP 1998, 3, 24). Denn es wäre nicht aus­zu­sch­lie­ßen, dass die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen, nach­dem sie le­dig­lich auf­grund ei­ner Rechts­be­haup­tung des Klägers ih­re sach­li­che Zuständig­keit ge­prüft und an­ge­nom­men ha­ben, oh­ne tatsächli­ches Vor­lie­gen ei­ner Strei­tig­keit zwi­schen Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber über zi­vil­recht­li­che Fra­gen ent­schei­den würden, für de­ren Be­ur­tei­lung ei­ne ar­beits­recht­li­che Ex­per­ti­se nicht vonnöten ist und die der Ge­setz­ge­ber kon­se­quen­ter­wei­se al­lein den or­dent­li­chen Ge­rich­ten zur Ent­sch­ei­dung zu­ge­wie­sen hat (in die­sem Sin­ne BAG 28. Ok­to­ber 1993 - 2 AZB 12/93 - zu III 2 a bb der Gründe). Stell­ten die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen im Rah­men der ih­nen ob­lie­gen­den Zuständig­keitsprüfung al­lein auf die vom Kläger vor­ge­tra­ge­nen, aber nicht be­wie­se­nen Tat­sa­chen ab, miss­ach­te­ten sie die ge­setz­li­che Zu-

 

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ständig­keits­ord­nung und grif­fen in un­zulässi­ger Wei­se in die Ent­schei­dungs­zu­ständig­keit der or­dent­li­chen Ge­rich­te ein (vgl. BAG 13. März 1964 - 5 AZR 144/63 - zu 4 der Gründe, BA­GE 15, 292). Des­halb er­for­dert die „Re­spek­tie­rung der Nach­bar­ge­richts­bar­keit“ (BAG 30. Au­gust 1993 - 2 AZB 6/93 - zu III 3 a bb der Gründe), dass die zunächst an­ge­ru­fe­nen Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen vor­ab in tatsäch­li­cher und recht­li­cher Hin­sicht prüfen, ob ein Ar­beits­verhält­nis vor­liegt.

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(3) Sch­ließlich si­chert Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die pro­ze­du­ra­le Ge­rech­tig­keit als Vor­aus­set­zung ei­ner rich­ti­gen Ent­schei­dung (vgl. BVerfG 16. Ok­to­ber 2013 - 2 BvR 736/13 - Rn. 9). Das von der Ver­fas­sung vor­ge­ge­be­ne Ziel, durch die fai­re Aus­ge­stal­tung des Ver­fah­rens ei­ne zu­tref­fen­de Ent­schei­dung des Rechts­streits ab­zu­si­chern, wäre - außer­halb der sog. „sic-non-Fälle“ - gefähr­det, wenn das Ge­richt im Rah­men der Prüfung der Zulässig­keit des Rechts­wegs le­dig­lich den Sach­vor­trag des Klägers, nicht aber den des Be­klag­ten zur Kennt­nis nähme und sei­ne Zuständig­keit al­lein auf der Grund­la­ge ei­nes schlüssi­gen, aber be­strit­te­nen und nicht be­wie­se­nen Kläger­vor­trags be­jah­te (vgl. BGH 27. Ok­to­ber 2009 - VIII ZB 42/08 - Rn. 19, BGHZ 183, 49, das auf den Ge­sichts­punkt der „Waf­fen­gleich­heit“ ab­stellt). Leg­te das Ge­richt sei­ner Zuständig­keits­ent­sch­ei­dung al­lein den Kläger­vor­trag zu­grun­de, oh­ne dem er­heb­li­chen Be­strei­ten sei­tens des Be­klag­ten nach­zu­ge­hen, bestände für den Kläger die Möglich­keit, sich durch das Auf­stel­len ei­ner schlüssi­gen Be­haup­tung ge­gen den Wi­der­stand der an­de­ren Par­tei ei­ne ihm nicht zu­kom­men­de sach­li­che Zuständig­keit zu ver­schaf­fen (vgl. BAG 19. Ju­ni 1963 - 5 AZR 314/62 - zu I 2 der Gründe; zur Ge­fahr ei­ner Ma­ni­pu­la­ti­on vgl. fer­ner BAG 10. De­zem­ber 1996 - 5 AZB 20/96 - zu II 3 c der Gründe, BA­GE 84, 377). Dies ver­letz­te den Be­klag­ten in sei­nem grund­rechts­g­lei­chen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

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(3) Aus die­sen Gründen reicht außer­halb der „sic-non-Fälle“ die bloße Rechts­be­haup­tung des Klägers, er sei Ar­beit­neh­mer, eben­so we­nig aus wie ein schlüssi­ger Kla­ge­vor­trag, um die Zuständig­keit der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen zu be­gründen (vgl. BAG 28. Ok­to­ber 1993 - 2 AZB 12/93 - zu III 2 a bb der Gründe; 30. Au­gust 1993 - 2 AZB 6/93 - zu III 3 a bb der Gründe; BGH 21. Ok­to­ber 2015 - VII ZB 8/15 - Rn. 25; 27. Ok­to­ber 2009 - VIII ZB 42/08 - Rn. 19,

 

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BGHZ 183, 49; so be­reits BAG 30. Ju­ni 1960 - 5 AZR 404/59 - zu 2 b der Gründe, BA­GE 9, 313; 15. Ju­li 1961 - 5 AZR 472/60 - zu I 1 der Gründe; 13. März 1964 - 5 AZR 144/63 - zu 4 der Gründe, BA­GE 15, 292; vgl. aus dem Schrift­tum Ha­ger FS Kis­sel 1994, 327, 339 f.; MHdB ArbR/Ja­cobs 4. Aufl. § 389 Rn. 22; Kis­sel NZA 1995, 345, 353; Düwell/Lip­ke/Zim­mer­mann/Krasshöfer 5. Aufl. ArbGG § 2 Rn. 13; Lans­ni­cker Pro­zes­se in Ar­beits­sa­chen 3. Aufl. § 2 Rn. 57; DLW/Lucz­ak 15. Aufl. Ka­pi­tel 14 Rn. 217; Nat­ter/Gross/Rie­ker ArbGG 2. Aufl. § 2 Rn. 76; Schaub Ar­beits­ge­richts­ver­fah­ren 7. Aufl. § 10 Rn. 36; GMP/Sch­le-wing ArbGG 9. Aufl. § 2 Rn. 168; GK-ArbGG/Schütz Stand April 2018 § 2 Rn. 286; Schwab/Weth/Wal­ker ArbGG 5. Aufl. § 2 Rn. 241 f.; Win­del ZZP 1998, 3, 24; H/W/K/Zie­mann 9. Aufl. § 48 ArbGG Rn. 31; aA Be­ckOK ArbR/Cle­mens Stand 1. Sep­tem­ber 2020 ArbGG § 2 Rn. 10; ErfK/Koch 20. Aufl. ArbGG § 2 Rn. 38; HzA-Mi­kosch Stand 2015/05 Grup­pe 21 Rn. 348 f.).

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bb) We­der der Ge­sichts­punkt der Ver­fah­rens­be­schleu­ni­gung (so ErfK/Koch 20. Aufl. ArbGG § 2 Rn. 38; in die­ser Rich­tung auch Be­ckOK ArbR/Cle­mens Stand 1. Sep­tem­ber 2020 ArbGG § 2 Rn. 10) noch die um­fas­sen­de Prüfungs­kom­pe­tenz des mit dem Rechts­streit be­fass­ten Ge­richts nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG recht­fer­ti­gen ein an­de­res Er­geb­nis.

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(1) Die Neu­re­ge­lung der Rechts­we­gent­schei­dung und -ver­wei­sung und die Zu­sam­men­fas­sung der da­zu er­las­se­nen Vor­schrif­ten für al­le Ge­richts­bar­kei­ten in den §§ 17 bis 17b GVG durch das Ge­setz zur Neu­re­ge­lung des ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Ver­fah­rens (Vier­tes Ge­setz zur Ände­rung der Ver­wal­tungs­ge­richts­ord­nung - 4. Vw­GOÄndG) vom 17. De­zem­ber 1990 (BGBl. I S. 2809) stel­len Tei­le ei­nes Bündels ver­fah­rens­recht­li­cher Maßnah­men dar, die der Ver­bes­se­rung, Be­schleu­ni­gung und Ent­las­tung ge­richt­li­cher Ver­fah­ren die­nen (vgl. BT-Drs. 11/7030 S. 1). Ände­rungs­be­darf sah der Ge­setz­ge­ber vor al­lem bei der Be­fug­nis der Be­ru­fungs- und Re­vi­si­ons­ge­rich­te, die Rechts­weg­zuständig­keit als Vor­aus­set­zung ei­ner Sach­ent­schei­dung zu prüfen. Nach vor­ma­li­gem Recht war es nicht aus­ge­schlos­sen, dass die Un­zulässig­keit des Rechts­wegs erst im Lau­fe des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens fest­ge­stellt wur­de. In die­sen Fällen war das Ver­fah­ren auf An­trag des Klägers an das zuständi­ge Ge­richt des ers­ten Rechts­zugs des für

 

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zulässig er­ach­te­ten Rechts­wegs zu ver­wei­sen und die Sa­che bei die­sem im Gan­zen mit der Fol­ge neu zu ver­han­deln, dass der Pro­zess in dem neu­en Ge­richts­zweig wie­der­um durch meh­re­re In­stan­zen geführt wer­den konn­te. Um die­sem un­be­frie­di­gen­den Zu­stand vor­zu­beu­gen, führ­te der Ge­setz­ge­ber ei­ne al­le Ge­richts­zwei­ge und In­stan­zen bin­den­de Vor­ab­ent­schei­dung ein, de­ren Ziel es ist, die Fra­ge der Rechts­weg­zuständig­keit zu ei­nem möglichst frühen Zeit­punkt des Ver­fah­rens ab­sch­ließend zu klären (vgl. BT-Drs. 11/7030 S. 36 f.) und die Rechts­mit­tel­ge­rich­te, die den Rechts­streit in der Haupt­sa­che zu ent­schei­den ha­ben, von ei­ner er­neu­ten Prüfung frei­zu­stel­len (§ 17a Abs. 5 GVG). Aus die­ser ge­setz­ge­be­ri­schen Ab­sicht lässt sich in­des­sen nicht ab­lei­ten, dass ei­ne Be­weis­auf­nah­me über die für die Be­gründung der Rechts­weg­zuständig­keit maßge­b­li­chen, vom Be­klag­ten be­strit­te­nen Tat­sa­chen nicht statt­fin­den soll­te (BGH 27. Ok-to­ber 2009 - VIII ZB 42/08 - Rn. 19, BGHZ 183, 49). An­ge­sichts der ver­fas­sungs­recht­li­chen Ga­ran­tie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hätte es hierfür ei­ner ein­deu­ti­gen ge­setz­li­chen Re­ge­lung be­durft. An ei­ner sol­chen fehlt es.

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(2) Die Prüfungs­kom­pe­tenz, die § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG dem zur Ent­sch­ei­dung be­ru­fe­nen Ge­richt ver­leiht, gibt kein ab­wei­chen­des Er­geb­nis vor. Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ent­schei­det das Ge­richt des zulässi­gen Rechts­wegs den Rechts­streit un­ter al­len in Be­tracht kom­men­den recht­li­chen Ge­sichts­punk­ten. Die rechts­wegüberg­rei­fen­de Kom­pe­tenz, die dem Ge­richt da­mit ein­geräumt wird, er­möglicht ei­ne um­fas­sen­de Ent­schei­dung über den ein­zel­nen Kla­ge­an­spruch un­ter Ein­be­zie­hung al­ler kon­kur­rie­ren­den Kla­ge­gründe (vgl. BT-Drs. 11/7030 S. 37), nicht aber die Er­le­di­gung rechts­weg­frem­der Ansprüche, wenn die­se al­lein den Ge­gen­stand des Rechts­streits bil­den (vgl. GK-ArbGG/Schütz Stand April 2018 § 2 Rn. 287).

 

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cc) So­weit der Ge­mein­sa­me Se­nat der Obers­ten Ge­richtshöfe des Bun­des­ent­schie­den hat, für die Be­stim­mung des strei­ti­gen Rechts­verhält­nis­ses sei im Re­gel­fall al­lein von dem Kla­ge­vor­brin­gen aus­zu­ge­hen (vgl. GmS-OGB 29. Ok­to­ber 1987 - GmS-OGB 1/86 - zu III 3 a der Gründe, BGHZ 102, 280; 10. Ju­li 1989 - GmS-OGB 1/88 - zu 3 der Gründe, BGHZ 108, 284), steht dies ei­nem

 

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Er­folg der Rechts­be­schwer­de nicht ent­ge­gen. In den Fällen, über die der Ge­mein­sa­me Se­nat zu be­fin­den hat­te, ging es nicht um die Ab­gren­zung der Zustän­dig­kei­ten von or­dent­li­cher und Ar­beits­ge­richts­bar­keit, son­dern al­lein um die Ab­gren­zung von or­dent­li­cher und Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit. Maßge­bend für letz­te­re ist die Na­tur des Rechts­verhält­nis­ses, aus dem der Kla­ge­an­spruch her­ge­lei­tet wird, und da­mit der je­wei­li­ge Streit­ge­gen­stand des Ver­fah­rens (GmS-OGB 10. April 1986 - GmS-OGB 1/85 - zu III 1 der Gründe, BGHZ 97, 312). Die­ser ist im Re­gel­fall al­lein nach dem Kläger­vor­brin­gen zu be­stim­men (vgl. GmS-OGB 29. Ok­to­ber 1987 - GmS-OGB 1/86 - aaO). Ob die strei­tent­schei­den­de Norm dem bürger­li­chen oder dem öffent­li­chen Recht zu­zu­ord­nen ist, ist dem­nach ei­ne Rechts­fra­ge (vgl. BAG 4. Sep­tem­ber 2018 - 9 AZB 10/18 - Rn. 15 ff.). An­ders verhält sich im vor­lie­gen­den Fall, in dem die Zuständig­keit der or­dent­li­chen Ge­rich­te von der der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen ab­zu­gren­zen ist. Die Prüfung, ob die zuständig­keits­be­gründen­den Vor­aus­set­zun­gen des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG erfüllt sind, hängt vom Vor­lie­gen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses und da­mit auch vom Tat­sa­chen­vor­brin­gen bei­der Par­tei­en ab.

 

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3. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts er­weist sich nicht aus an­ de­ren Gründen als rich­tig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Ins­be­son­de­re gehört der Kläger nicht zu den ar­beit­neh­merähn­li­chen Per­so­nen, für die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a iVm. § 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ArbGG der Rechts­weg vor den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen eröff­net ist.

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a) § 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ArbGG be­gründet die Zuständig­keit für Rechts­ strei­tig­kei­ten von Per­so­nen, die we­gen ih­rer wirt­schaft­li­chen Un­selbständig­keit als ar­beit­neh­merähn­li­che Per­so­nen an­zu­se­hen sind. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG gel­ten Han­dels­ver­tre­ter al­ler­dings nur dann als Ar­beit­neh­mer, wenn sie zu dem Per­so­nen­kreis gehören, für den nach § 92a des Han­dels­ge­setz­buchs die un­te­re Gren­ze der ver­trag­li­chen Leis­tun­gen des Un­ter­neh­mers fest­ge­setzt wer­den kann, und wenn sie während der letz­ten sechs Mo­na­te des Ver­trags­verhält­nis­ses, bei kürze­rer Ver­trags­dau­er während die­ser, im Durch­schnitt mo­nat­lich nicht mehr als 1.000,00 Eu­ro auf Grund des Ver­trags­verhält­nis­ses an Vergütung

 

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ein­sch­ließlich Pro­vi­si­on und Er­satz für im re­gelmäßigen Geschäfts­be­trieb ent­stan­de­ne Auf­wen­dun­gen be­zo­gen ha­ben. Die Fest­set­zung ei­ner un­te­ren Leis­tungs­gren­ze knüpft iSd. § 92a Abs. 1 Satz 1 HGB an die Vor­aus­set­zung, dass der Han­dels­ver­tre­ter ver­trag­lich nicht für wei­te­re Un­ter­neh­mer tätig wer­den darf oder ihm dies nach Art und Um­fang der von ihm ver­lang­ten Tätig­keit nicht mög­lich ist.

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b) Im Verhält­nis zu § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG enthält die Vor­schrift des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG ei­ne vor­greif­li­che Son­der­re­ge­lung (vgl. BGH 27. Ok­to­ber 2009 - VIII ZB 45/08 - Rn. 25), die es ver­bie­tet, Han­dels­ver­tre­ter un­ter an­de­ren als den in § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen als Ar­beit­neh­mer oder ar­beit­neh­merähn­li­che Per­so­nen im Sin­ne des § 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ArbGG zu be­han­deln (vgl. BGH 21. Ok­to­ber 2015 - VII ZB 8/15 - Rn. 12). Für die An­nah­me, ein Han­dels­ver­tre­ter sei als sog. „Ein­fir­men­ver­tre­ter kraft Ver­trags“ (vgl. BT-Drs. 1/3856 S. 40) iSd. § 92a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB tätig, reicht es nicht aus, dass er durch ein bran­chen­be­zo­ge­nes Kon­kur­renz­ver­bot in sei­ner Tä­tig­keit be­schränkt ist, weil ei­ne der­ar­ti­ge ver­trag­li­che Ab­spra­che ihn nicht dar­an hin­dert, für Un­ter­neh­mer ei­nes an­de­ren Wirt­schafts­zweigs tätig zu wer­den (vgl. BGH 18. Ju­li 2013 - VII ZB 45/12 - Rn. 21).

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b) Die­se zuständig­keits­be­gründen­den Vor­aus­set­zun­gen lie­gen im Streit­fall un­abhängig da­von nicht vor, ob das die Par­tei­en ver­bin­den­de Rechts­verhält­nis ein Ar­beits­verhält­nis oder ein Han­dels­ver­tre­ter­ver­trag ist. Der Kläger ist für die Be­klag­te nicht als Ein­fir­men­ver­tre­ter tätig. Das in § 10 Satz 1 des Ver­trags ent­hal­te­ne Kon­kur­renz­ver­bot, das dem Kläger un­ter­sagt, für „ein Un­ter­neh­men tätig zu sein, das mit der Fir­ma in Wett­be­werb steht“, hin­dert den Kläger nicht, für an­de­re Un­ter­neh­mer tätig zu wer­den.

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4. Die Sa­che ist nicht zur Ent­schei­dung reif (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Ins­be­son­de­re ist die in § 13 des Ver­trags ge­re­gel­te Ge­richts­stands­ver­ein­ba­rung nicht ge­eig­net, die Zuständig­keit der or­dent­li­chen Ge­rich­te zu be­gründen. Der Rechts­weg zu den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen ist - von dem in § 2 Abs. 4 ArbGG ge­re­gel­ten Son­der­fall ab­ge­se­hen - in §§ 2 bis 5 ArbGG zwin­gend fest­ge­legt (BAG 30. Au­gust 1993 - 2 AZB 6/93 - zu III 3 der Gründe). Dies hat die Fol­ge,

 

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dass ei­ne Ver­ein­ba­rung der Pro­zess­par­tei­en über den Rechts­weg un­zulässig ist (vgl. GMP/Schlewing ArbGG 9. Aufl. § 2 Rn. 2 mwN).

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5. Auf der Grund­la­ge der bis­lang vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen ver­mag der Se­nat nicht zu be­ur­tei­len, ob der Rechts­streit in die Ent­schei­dungs­zuständig­keit der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen fällt. Das Lan­de­sar­beits­ge­richt wird nach der Zurück­ver­wei­sung der Sa­che - ge­ge­be­nen­falls im We­ge der Be­weis­auf­nah­me - auf­zuklären ha­ben, ob die Be­haup­tung des Klägers zu­trifft, die Be­klag­te ha­be ihm re­gelmäßig Wei­sun­gen in ört­li­cher, zeit­li­cher und fach­li­cher Hin­sicht mit der Fol­ge er­teilt, dass die Rechts­be­zie­hung der Par­tei­en als Ar­beits­verhält­nis zu qua­li­fi­zie­ren ist.

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