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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 06|2020

Update Arbeitsrecht 06|2020 vom 18.03.2020

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Einigungsstelle zu Auskunftspflichten des Unternehmers auch ohne Beschluss des Wirtschaftsausschusses

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.12.2019, 1 ABR 25/18

Die Zuständigkeit der Einigungsstelle nach § 109 BetrVG setzt keinen Beschluss des Wirtschaftsausschusses über eine verlangte Auskunft voraus.

§§ 106, 109 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Rechtlicher Hintergrund

In größeren Unternehmen unterstützen Wirtschaftsausschüsse die Arbeit des Betriebsrats. Sie beraten wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer und informieren den Betriebsrat über diese Beratungen. Voraussetzung ist nach § 106 Abs.1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) eine Unternehmensgröße von über 100 Arbeitnehmern. Wer im Wirtschaftsausschuss sitzt, bestimmt der Betriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat (§ 107 Abs.2 Satz 1 BetrVG).

Um den Informationsfluss zwischen Unternehmensleitung und Wirtschaftsausschuss abzusichern, muss der Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens und über deren Auswirkungen auf die Personalplanung unterrichtet werden, und zwar „unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen“ (§ 106 Abs.2 Satz 1 BetrVG). Eine Informationspflicht besteht nicht, wenn dadurch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gefährdet würden.

Hin und wieder kommt es zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der Unternehmer dem Wirtschaftsausschuss bestimmte Auskünfte erteilen oder bestimmte Unterlagen vorlegen muss, und/oder ob eine solche Zuarbeit rechtzeitig und ausreichend war. Dann entscheidet nicht etwa das Arbeitsgericht, sondern die betriebliche Einigungsstelle über die Informationspflichten des Unternehmers gegenüber dem Wirtschaftsausschuss. Berechtigt zur Anrufung der Einigungsstelle ist der Betriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat (§ 109 Satz 1 und 2 BetrVG). Der Wirtschaftsausschuss hat diese Befugnis nicht.

Im Gesetz nicht geregelt ist die Frage, in welcher Weise der Wirtschaftsausschuss seine Bitte um Auskünfte bzw. Unterlagen an die Unternehmensleitung herantragen haben muss, damit die Einigungsstelle im Weigerungsfall aktiv werden kann. Damit hier zwischen den Beteiligten Rechtssicherheit besteht, verlangt die bisherige Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte (LAG), dass der Wirtschaftsausschuss zunächst einen formellen Beschluss darüber fassen muss, dass er eine bestimmte Auskunft bzw. Unterlage verlangt (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.11.2016, 4 TaBV 40/16, Leitsatz; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 26.02.2016, 4 TaBV 8/16, Leitsatz; LAG Hamm, Beschluss vom 02.11.2015, 13 TaBV 70/15, Rn.4). Auch in den juristischen Kommentaren wird diese Ansicht vertreten (BetrVG, Gemeinschaftskommentar, 11. Aufl. 2018, Rn.17 [Oetker]).

In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) dieser bislang herrschenden Meinung eine Absage erteilt.

Sachverhalt

Ein Krankenhausträger mit drei psychiatrischen Fachkrankenhäusern hatte sich mit dem Wirtschaftsausschuss und dem Gesamtbetriebsrat darüber gestritten, ob dem Wirtschaftsausschuss die Budgetvereinbarungen für die Jahre 2015 und 2016 vorgelegt werden müssten. Diese hatte der Krankenhausträger mit den Krankenkassen abgeschlossen.

Im Sommer 2017 rief der Gesamtbetriebsrat die Einigungsstelle an, die den Krankenhausträger dazu verpflichtete, dem Wirtschaftsausschuss die Budgetvereinbarungen vorzulegen. Der Arbeitgeber wollte das nicht hinnehmen und zog vor Gericht mit dem Ziel der gerichtlichen Feststellung, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam ist.

Das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel (Beschluss vom 14.12.2017, 4 BV 14/17) und das für die Beschwerde zuständige LAG Berlin-Brandenburg wiesen den Antrag des Arbeitgebers ab (Beschluss vom 02.052018, 4 TaBV 111/18). Ob der Wirtschaftsausschuss vor Anrufung der Einigungsstelle einen Beschluss über sein Auskunftsverlangen gefasst hatte, spielte vor dem Arbeitsgericht und dem LAG offenbar keine Rolle, da sich dazu keine Angaben in den beiden Entscheidungen finden.

Entscheidung des BAG

Das BAG wies die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers zurück, der damit in allen drei Instanzen den Kürzeren gezogen hatte. In den Entscheidungsgründen stellt das BAG klar, dass ein Beschluss des Wirtschaftsausschusses über ein Auskunftsverlangen keine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass sich die Einigungsstelle mit dem Auskunftsverlangen befassen kann (BAG, Beschluss, Rn.29 bis 31).

Denn für die Einleitung eines Einigungsstellenverfahrens kommt es nicht auf die Willensbildung des Wirtschaftsausschusses an, sondern allein auf die des Betriebsrats (oder Gesamtbetriebsrats), so das BAG. Voraussetzung der Einigungsstelle ist gemäß § 109 Satz 1 BetrVG, dass sich Unternehmer und Betriebsrat über die zu erteilenden Auskünfte nicht einigen können.

Letztlich hat der Wirtschaftsausschuss nur eine begrenzte „Funktion als Hilfsorgan des Betriebsrats“, d.h. er unterstützt den Betriebsrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben (BAG, Rn.31). Auch deshalb kann es nicht auf eine formelle Beschlussfassung des Wirtschaftsausschusses ankommen, so die Erfurter Richter.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG räumt einen überflüssigen bürokratischen Stolperstein auf dem Weg zur Entscheidung der Einigungsstelle aus dem Weg. Der Wirtschaftsausschuss hat andere Aufgaben als der Betriebsrat. Er muss Informationen verarbeiten, nicht aber Entscheidungen treffen. Daher hat auch der Betriebsrat (durch Beschluss) und nicht etwa der Wirtschaftsausschuss zu entscheiden, ob die Einigungsstelle gemäß § 109 Satz 2 BetrVG angerufen werden soll oder nicht.

Die BAG-Linie passt auch besser mit § 107 Abs.1 Satz 1 BetrVG zusammen. Danach besteht der Wirtschaftsausschuss aus mindestens drei und höchstens sieben Mitgliedern, d.h. eine gerade Anzahl von Mitgliedern (vier oder sechs) ist gesetzlich nicht ausgeschlossen. Hat der Wirtschaftsausschuss aber eine gerade Anzahl von Mitgliedern, kann es häufiger vorkommen, dass keine Mehrheit für eine bestimmte Entscheidung gefunden werden kann. Im Unterschied dazu ist für den Betriebsrat eine ungerade Anzahl von Mitgliedern vorgeschrieben (§ 9 BetrVG).

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.12.2019, 1 ABR 25/18

 

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsrat

Handbuch Arbeitsrecht: Einigungsstelle

Handbuch Arbeitsrecht: Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten

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