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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 08|2020

Update Arbeitsrecht 08|2020 vom 15.04.2020

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Keine Information des Wirtschaftsausschusses über die wirtschaftliche Lage der Konzernmutter

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.12.2019, 1 ABR 35/18

Der Wirtschaftsausschuss eines beherrschten Unternehmens ist nicht über die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens zu unterrichten.

§§ 77, 106, 109 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Rechtlicher Hintergrund

In Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitnehmern soll der Wirtschaftsausschuss die Arbeit des Betriebsrats unterstützen, indem er wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer berät und den Betriebsrat darüber informiert (§ 106 Abs.1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG). Besteht Streit darüber, welche Auskünfte oder Unterlagen der Wirtschaftsausschuss verlangen kann, entscheidet die Einigungsstelle (§ 109 Satz 1 und 2 BetrVG).

Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 109 Satz 2 BetrVG). Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, den Wirtschaftsausschuss gemäß dem Einigungsstellenspruch zu informieren, d.h. er muss den Spruch der Einigungsstelle durchführen (§ 77 Abs.1 Satz 1 BetrVG). Will er das nicht, muss er gerichtlich feststellen lassen, dass der Einigungsstellenspruch unwirksam ist.

Was zu den „wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens“ gehört, über die der Unternehmer den Wirtschaftsausschuss unterrichten muss, ist gesetzlich nur durch Beispiele umschrieben (§ 106 Abs.3 BetrVG), aber nicht abschließend definiert. Daher ist im Gesetz z.B. nicht eindeutig geregelt, ob der Wirtschaftsausschuss auch über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Mutter- bzw. Konzernobergesellschaft zu informieren ist.

Dafür spricht, dass die Lage der Konzernmutter von großer Bedeutung für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Tochterunternehmens ist. Dagegen spricht, dass der Betriebsrat des Tochterunternehmens, den der Wirtschaftsausschuss ja unterstützen soll, keine Mitbestimmungsrechte gegenüber dem Management der Muttergesellschaft hat.

In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) diese Streitfrage geklärt.

Sachverhalt

Der Arbeitgeber, ein Stahlwerk in Brandenburg mit ca. 750 Arbeitnehmern, hatte sich mit seinem Betriebsrat darüber gestritten, ob der Wirtschaftsausschuss u.a. über die laufende betriebswirtschaftliche Auswertung sowie über Auftragsbestand, Auftragseingang und Absatzplanung der Muttergesellschaft informiert werden müsste. Die Muttergesellschaft beschäftigte weniger als 100 Arbeitnehmer und hatte keinen Betriebsrat.

Der Streit war entstanden, weil die Stahlwerks-Betreibergesellschaft als Tochtergesellschaft zu 94 Prozent ihrer Konzernmutter gehörte und ausschließlich in deren Auftrag tätig war. Außerdem haftete die Tochter mit ihrem Grundvermögen und anderen „Assets“ für die Schulden ihrer Muttergesellschaft. Als dann Anfang 2016 Kurzarbeit eingeführt wurde, wurde es dem Betriebsrat zu bunt und er verlangte vom Arbeitgeber, der Stahlwerks-Betreibergesellschaft, Informationen über die wirtschaftliche Lage der Muttergesellschaft.

Nachdem der Arbeitgeber sich weigerte und der Betriebsrat die Einigungsstelle angerufen hatte, entschied diese im November 2016 durch Spruch im Sinne des Betriebsrats. Dabei verpflichtete sie den Arbeitgeber u.a. dazu, dem Wirtschaftsausschuss die verlangten Informationen „laufend monatlich“ zuzuarbeiten.

Der Arbeitgeber zog vor Gericht und wollte feststellen lassen, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam war. Damit hatte er vor dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel (Beschluss vom 09.08.2017, 3 BV 28/16) und vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg Erfolg (Beschluss vom 19.07.2018, 21 TaBV 33/18). Beide Gerichte meinten, dass die Informationsrechte des Wirtschaftsausschusses auf das Unternehmen beschränkt sind, in dessen Betrieb der Ausschuss gebildet ist.

Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen. Der Leitsatz der BAG-Entscheidung lautet:

„Der Wirtschaftsausschuss ist lediglich über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens zu unterrichten, in dem er nach § 106 Abs.1 Satz 1 BetrVG gebildet ist, nicht aber über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des dieses beherrschenden Unternehmens.“

Zur Begründung verweist das BAG zunächst auf den Wortlaut des § 106 Abs.2 Satz 1 BetrVG, wonach der Unternehmer den Wirtschaftsausschuss über die wirtschaftlichen Angelegenheiten „des“ Unternehmens informieren muss (BAG, Beschluss, Rn.31).

Vor allem aber spricht der Zweck der Informationsrechte gegen deren Ausweitung auf die Konzernobergesellschaft, so das BAG (Beschluss, Rn.36). Denn die Information des Wirtschaftsausschusses soll die Möglichkeiten des (Gesamt-)Betriebsrats verbessern, auf die Planungen des Unternehmers Einfluss zu nehmen. Die Muttergesellschaft bzw. deren Management kann der (Gesamt-)Betriebsrat der Tochter aber ohnehin nicht beeinflussen.

Weiterhin stellt das BAG klar, dass die Einigungsstelle nicht nur über einmalige, sondern, wie hier im Streitfall, auch über regelmäßig wiederkehrende Informationen des Wirtschaftsausschusses entscheiden kann (Beschluss, Rn.23-28).

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG ist rechtlich korrekt, für Arbeitnehmervertreter aber natürlich enttäuschend.

Denn wenn eine Muttergesellschaft wie hier im Streitfall weniger als 100 Arbeitnehmer beschäftigt, gibt es keinen Wirtschaftsausschuss, der ihr in die Karten sehen kann. Außerdem sind Mutter- und Tochtergesellschaft häufig so eng verflochten wie hier im Streitfall. Und dann lassen sich die „wirtschaftlichen Angelegenheiten“ der Tochtergesellschaft ohne Einblicke in die Lage der Muttergesellschaft kaum nachvollziehen.

Der BAG-Beschluss enthält aber auch eine gute Nachricht für Betriebsräte: Die Einigungsstelle kann nicht nur über einmalig zu erteilende Auskünfte entscheiden, sondern auch über ein Verlangen des Wirtschaftsausschusses, das sich auf regelmäßig wiederkehrende Auskünfte oder Unterlagen bezieht. Diese Klarstellung erleichtert die Arbeit der Einigungsstelle gemäß § 109 Satz 1 und 2 BetrVG.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.12.2019, 1 ABR 35/18

 

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsrat

Handbuch Arbeitsrecht: Einigungsstelle

Handbuch Arbeitsrecht: Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten

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