UPDATE
ARBEITSRECHT
Ausgabe
ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 10|2022

Update Arbeitsrecht 10|2022 vom 18.05.2022

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Fortbildungsvereinbarung mit Rückzahlungsklausel bei Eigenkündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.03.2022, 9 AZR 260/21

Fortbildungsvereinbarungen mit einer Rückzahlungsklausel müssen eine Ausnahme der Rückzahlungspflicht für den Fall vorsehen, dass der Arbeitnehmer aus personen- bzw. krankheitsbedingten Gründen kündigt.

§ 307 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Art.12 Grundgesetz (GG)

Rechtlicher Hintergrund

Weiterbildungsmaßnahmen lohnen sich aus Arbeitgebersicht nur, wenn der geförderte Arbeitnehmer nach der Weiterbildung im Unternehmen bleibt. Um sich hier abzusichern, schlagen viele Arbeitgeber vor Beginn der Fortbildung Arbeitnehmern vor, Kursgebühren und bezahlte Freistellungszeiten auf sich zu nehmen - vorausgesetzt, der Arbeitnehmer ist im Gegenzug dazu bereit, nach Abschluss der Fortbildung für eine vertraglich vereinbarte Zeit auf eine Kündigung zu verzichten oder andernfalls die Fortbildungskosten zu erstatten.

Fortbildungsvereinbarungen mit Rückzahlungsklauseln werden von der Rechtsprechung streng kontrolliert, denn sie sind allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). Sie dürfen den Arbeitnehmer daher nicht unangemessen benachteiligen, § 307 Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), und sie müssen klar und verständlich sein (§ 307 Abs.1 Satz 2 BGB).

Aus diesen gesetzlichen Vorgaben hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) einige konkrete Schlussfolgerungen gezogen: So muss die Dauer der Vertragsbindung in einem „angemessenen Verhältnis“ zur Dauer und zu den Kosten der Fortbildung stehen. Weiterhin müssen die Kosten, die der Arbeitnehmer bei einer vorzeitigen Vertragsbeendigung zu erstatten hat, genau festgelegt sein, damit der Arbeitnehmer sein Risiko abschätzen kann. Zudem müssen Rückzahlungsklauseln eine allmähliche Verringerung der Rückzahlungspflicht vorsehen, d.h. die Rückzahlungspflicht muss zeitanteilig verringert werden je länger der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis bleibt.

Eine weitere Wirksamkeitsbedingung betrifft die (möglichst genaue) Beschreibung der Fälle, in denen eine Vertragsauflösung zur Rückzahlungspflicht führt. Auch an dieser Stelle müssen Rückzahlungsklauseln eindeutig sein, damit Arbeitnehmer wissen, wann sie sich vom Vertrag ohne Rückzahlungspflicht lösen können und wann sie dagegen mit finanziellen Belastungen rechnen müssen. An dieser Hürde scheitern viele Rückzahlungsklauseln, wie eine aktuelle BAG-Entscheidung zeigt: BAG, Urteil vom 01.03.2022, 9 AZR 260/21.

Sachverhalt

Eine Reha-Klinik vereinbarte mit einer Altenpflegerin eine 18-tägige Fortbildung in der Zeit von Anfang Juni bis Anfang Dezember 2019. Vor Beginn der Fortbildung unterzeichneten die Parteien einen Fortbildungsvertrag, dem zufolge sich die Klinik zur Übernahme der Kosten von 4.090,00 EUR verpflichtete. Sie bestanden aus Kursgebühren von 1.930,00 EUR und weiteren 2.160,00 EUR Kosten für die bezahlte Freistellung. Die Bindungsfrist war mit sechs Monaten nach Beendigung der Fortbildung festgelegt. Während dieser Zeit sollte sich die Rückzahlungspflicht für jeden Monat um ein Sechstel verringern.

Die Frage, unter welchen Umständen ein vorzeitiges Ausscheiden der Altenpflegerin zur Rückzahlungspflicht führen sollte, wurde in dem Fortbildungsvertrag so beantwortet:

„Scheidet der Arbeitnehmer aufgrund einer eigenen ordentlichen nicht vom Arbeitgeber zu vertretenden oder einer eigenen außerordentlichen nicht vom Arbeitgeber zu vertretenden Kündigung oder aufgrund einer vom Arbeitgeber erklärten verhaltensbedingten ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung vor Ablauf der in Abs. 1 genannten Bindungsfrist aus den Diensten des Arbeitgebers aus, so hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die vom Arbeitgeber übernommenen Gesamtkosten an diesen zurückzuzahlen. Die Rückzahlungspflicht gilt auch im Falle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen vom Arbeitnehmer veranlassten Aufhebungsvertrag.“

Die Altenpflegerin schloss die Fortbildung Anfang Dezember 2019 erfolgreich ab und erklärte bereits einige Tage zuvor, noch Ende November 2019, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu Ende Januar 2020. Der Betreiber der Reha-Klinik verlangte daraufhin 4/6 der Fortbildungskosten, d.h. einen Betrag von 2.726,68 EUR.
Seine darauf gerichtete Klage wurde vom Arbeitsgericht Würzburg (Urteil vom 08.09.2020, 9 Ca 220/20) und in der Berufung vom Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg abgewiesen (LAG Nürnberg, Urteil vom 26.03.2021, 8 Sa 412/20).

Das LAG Nürnberg folgte dabei einem Urteil des LAG Hamm (Urteil vom 29.01.2021, 1 Sa 954/20), dem zufolge eine Rückzahlungsklausel unwirksam ist, wenn sie die Rückzahlungspflicht nicht ausdrücklich für den Fall ausschließt, dass der Arbeitnehmer aus berechtigten personenbedingten Gründen kündigt, z.B. wegen einer Krankheit (s. zu dem Urteil des LAG Hamm Update Arbeitsrecht 06|2021).

Entscheidung des BAG

Auch das BAG kam zu dem Ergebnis, dass die Rückzahlungsklausel unwirksam war, da sie die Altenpflegerin entgegen § 307 Abs.1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligte.

Denn eine Rückzahlungsklausel benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen in diesem Sinne, wenn sie ihn zur Erstattung der Fortbildungskosten auch dann verpflichtet, falls er vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm unverschuldet dauerhaft nicht möglich ist, die Arbeitsleistung zu erbringen (BAG, Urteil, Rn.23).

Denn wenn ein Arbeitnehmer ohne Verschulden dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen, insbesondere wegen einer Krankheit, ist der arbeitsvertraglich vorgesehene Leistungsaustausch nicht mehr möglich. Trotzdem würde er durch die hier streitige Klausel nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung ohne Gegenleistung am Arbeitsverhältnis festgehalten, um die Rückzahlungspflicht abzuwenden (BAG, Urteil, Rn.25).

Praxishinweis

Aus dem Urteil des BAG geht nicht hervor, ob die Altenpflegerin hier im Streitfall aus personen- bzw. krankheitsbedingten Gründen oder aus anderen Motiven gekündigt hatte. Auf diese Frage kommt es rechtlich auch nicht an (BAG, Urteil vom 11.12.2018, 9 AZR 383/18, Rn.28). Denn die streitige Rückzahlungsklausel war allein aufgrund ihrer zu weitgehenden Formulierung unwirksam, d.h. unabhängig von der Frage, aus welchen Motiven die Altenpflegerin gekündigt hatte.

Das Urteil des BAG bestätigt eine Entscheidung aus dem Jahr 2018, mit der das BAG schon einmal eine Rückzahlungsklausel für unwirksam erklärt hatte, weil sie keine Ausnahme für den Fall einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit enthielt. Damals hatte das BAG eine solche Klausel aber noch nicht generell für unwirksam erklärt, da der damalige Fall einen Piloten betraf, dessen Arbeitsvertrag für den Fall eines dauerhaften Wegfalls der medizinischen Tauglichkeit eine Suspendierung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten vorsah (BAG, Urteil vom 11.12.2018, 9 AZR 383/18).

Aufgrund des jetzt ergangenen BAG-Urteils steht fest, dass Rückzahlungsklauseln generell eine ausdrückliche Ausnahme der Rückzahlungspflicht für den Fall vorsehen müssen, dass der Arbeitnehmer aus personen- bzw. krankheitsbedingten Gründen kündigt. Einen Formulierungsvorschlag für eine Rückzahlungsklausel finden Sie in Update Arbeitsrecht 06|2019.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.03.2022, 9 AZR 260/21

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

IMPRESSUM