UPDATE
ARBEITSRECHT
Ausgabe
ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 10|2020

Update Arbeitsrecht 10|2020 vom 13.05.2020

Entscheidungsbesprechungen

EuGH: Betriebsübergang im öffentlichen Busverkehr ohne Übernahme von Bussen

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 27.02.2020, C‑298/18

Ist die Übertragung materieller Betriebsmittel auf einen Nachfolger rechtlich und wirtschaftlich ausgeschlossen, kommt es darauf bei der Prüfung eines Betriebsübergangs nicht entscheidend an.

Art.1 Abs.1 Buchstabe b), Art.3 Abs.1 Richtlinie 2001/23/EG; § 613a Bürgerliches Gesetzbuch

Rechtlicher Hintergrund

Geht ein Betrieb durch vertragliche Vereinbarung („Rechtsgeschäft“) auf einen anderen Inhaber über, so tritt der neue Inhaber gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Schutz der betroffenen Arbeitnehmer automatisch in die bestehenden Arbeitsverhältnisse als neuer Arbeitgeber ein. Ob ein „Betrieb“ im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung davon ab, ob es eine „wirtschaftliche Einheit“ gibt, die als „identische“ Einheit vom neuen Inhaber fortgeführt wird.

Dabei macht es einen Unterschied, ob es sich um einen produktionsmittelgeprägten Betrieb oder um einen Dienstleistungsbetrieb handelt, der durch die menschliche Arbeitskraft bzw. das Know How seiner Arbeitnehmer charakterisiert ist.

Bei produktionsmittelgeprägten Betrieben setzt ein Betriebsübergang in der Regel voraus, dass der Erwerber die (meisten) sachlichen Betriebsmittel übernimmt, während es bei Dienstleistungsbetrieben möglich ist, dass sie allein durch die Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft und der Kundenbeziehungen übertragen werden.

Mit § 613a Abs.1 Satz 1 BGB setzt Deutschland die Richtlinie 2001/23/EG um, die verlangt, dass die bestehenden Arbeitsverhältnisse im Falle eines Betriebsübergangs unverändert vom Erwerber fortgeführt werden (Art.1 Abs.1 Buchstabe b), Art.3 Abs.1 Richtlinie 2001/23/EG).

In einem älteren Urteil hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Busbetriebe des öffentlichen Linienbusverkehrs betriebsmittelgeprägt sind, weil die vorhandenen Busse für die Identität der Busunternehmen entscheidend sind. In diesem Urteil heißt es:

„In einem Bereich wie dem des öffentlichen Linienbusverkehrs, in dem die materiellen Betriebsmittel von erheblicher Bedeutung für die Ausübung der Tätigkeit sind, schließt jedoch die Tatsache, dass diese für den ordnungsgemäßen Betrieb der Einheit unerlässlichen Mittel nicht in nennenswertem Umfang vom alten auf den neuen Auftragnehmer übergehen, aus, dass diese Einheit ihre Identität bewahrt.“ (EuGH, Urteil vom 25.01.2001, C-172/99 - Liikenne, Rn.42)

Diese Aussage hat der EuGH in einer aktuellen Entscheidung eingeschränkt: Auch bei Busunternehmen des öffentlichen Nahverkehrs kann es zu einem Betriebsübergang kommen, wenn der Erwerber zwar viele Busfahrer, aber keine Busse seines Vorgängers übernimmt.

Sachverhalt

Die Südbrandenburger Nahverkehrs GmbH (SBN) betrieb von August 2008 bis Juli 2017 für den Landkreis Oberspreewald-Lausitz den öffentlichen Busverkehr des Landkreises. Seitdem wird der Busverkehr durch ein anderes Unternehmen betrieben, die OSL Bus GmbH, die bei einer Neu-Ausschreibung des Busverkehrs für mehr als zehn Jahre den Zuschlag erhalten hatte.

Die SBN GmbH, die sich an der Ausschreibung nicht mehr beteiligt hatte, stellte den Betrieb ein und entließ alle Busfahrer. Die OSL Bus GmbH wiederum stellte viele der entlassenen SBN-Busfahrer und einen Teil der Führungskräfte wieder ein, übernahm aber keinen der von der SBN eingesetzten Busse. Dies wäre wegen des Alters und der Ausstattung der Busse unrentabel gewesen, da sie den aktuellen Anforderungen des Landkreises nicht mehr entsprachen.

Zwei langjährig bei der SBN beschäftigte Busfahrer, Herr Grafe und Herr Pohle, erhoben vor dem Arbeitsgericht Cottbus Klage. Herr Grafe wollte seine langjährige Betriebszugehörigkeit durch die OSL Bus GmbH anerkannt sehen, da sie mit einem höheren Tarifgehalt verbunden wäre. Herr Pohle war erst gar nicht von der OSL übernommen worden und klagte auf Feststellung bzw. Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses durch die OSL.

Das Arbeitsgericht Cottbus setzte die Verfahren aus und fragte den EuGH, ob die Übergabe des Betriebs von Buslinien von einem Busunternehmen auf ein anderes als Betriebsübergang angesehen werden kann, auch wenn keine nennenswerten Betriebsmittel, insbesondere keine Busse, übertragen werden.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH bestätigte die Sichtweise des Arbeitsgerichts Cottbus und schränkte sein Urteil vom 25.01.2001 (C‑172/99 - Liikenne) ausdrücklich ein. Die Übernahme von Bussen ist, so der Gerichtshof, nicht abstrakt als einziger Faktor anzusehen, der für den Übergang eines Unternehmens des öffentlichen Busverkehrs entscheidend ist (Urteil, Rn.30).

Denn die OSL Bus GmbH hätte die alten Busse der SBN GmbH aus wirtschaftlichen und rechtlichen Gründen nicht übernehmen können, d.h. diese Möglichkeit bestand gar nicht. Dementsprechend hätte auch die SBN GmbH ihre Busse ersetzen müssen, wenn sie sich erneut um den Auftrag beworben und den Zuschlag erhalten hätte (Urteil, Rn.32, 34). Die Nicht-Übernahme der Busse ist daher in einem solchen Fall kein KO-Kriterium, an dem ein Betriebsübergang auf jeden Fall scheitert.

Auf der anderen Seite sprach hier für einen Betriebsübergang, dass der Busverkehr ohne Unterbrechung und mit denselben Fahrern auf denselben Strecken fortgeführt worden war (Urteil, Rn.37). Außerdem sind erfahrene Busfahrer in ländlichen Gegenden wie dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz wichtig für die Qualität des Busverkehrs (Urteil, Rn.38).

Praxishinweis

Nicht nur Dienstleistungsbetriebe, sondern auch betriebsmittelgeprägte Einrichtungen können per Betriebsübergang auf einen Erwerber übergehen, wenn der Erwerber viele gut qualifizierte und schwer zu ersetzende Arbeitnehmer übernimmt, die Betriebsmittel dagegen nicht, weil dies wirtschaftlich und/oder rechtlich ausgeschlossen ist.

Denn die Frage, ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist nicht einfach deshalb mit „nein“ zu beantworten, weil der (mögliche) Erwerber Betriebsmittel nicht übernimmt. Das gilt auch, so der EuGH zurecht, bei betriebsmittelgeprägten Betrieben.

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 27.02.2020, C‑298/18

 

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsübergang

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

IMPRESSUM