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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 01|2020

Update Arbeitsrecht 01|2020 vom 08.01.2020

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Gleichzeitige mitbestimmungspflichtige Einstellung eines Arbeitnehmers in zwei Betrieben

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22.10.2019, 1 ABR 13/18

Wird eine Führungskraft eingestellt und erhält Weisungsbefugnisse gegenüber Arbeitnehmern in zwei verschiedenen Betrieben, müssen die Betriebsräte beider Betriebe gemäß § 99 BetrVG zustimmen.

§§ 99, 101 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Rechtlicher Hintergrund

Gemäß § 99 Abs.1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) muss der Arbeitgeber den Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern vorab über jede Einstellung informieren, und er muss die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Einstellung einholen.

Im Juni 2019 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass eine Einstellung im Sinne von § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG auch dann vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer, der regelmäßig in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens arbeitet und dort auch seinen Dienstsitz hat, zum Vorgesetzten von Arbeitnehmern eines anderen Betriebs bestellt wird. Durch die Übertragung der Vorgesetztenstellung wird ein solcher Arbeitnehmer in dem Betrieb eingestellt, in dem er, gleichsam „aus der Ferne“, Führungsaufgaben gegenüber den ihm unterstellten Mitarbeitern wahrnimmt (BAG, Beschluss vom 12.06.2019, 1 ABR 5/18, s. dazu Update Arbeitsrecht 1|2019 vom 02.10.2019).

Aus dieser Entscheidung folgt, dass eine Einstellung im Sinne von § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG gleichzeitig in mehreren Betrieben desselben Unternehmens möglich sein kann (BAG, Beschluss vom 12.06.2019, 1 ABR 5/18, Rn.24). Diese Konsequenz hat das BAG jetzt in einer weiteren Entscheidung ausdrücklich klargestellt (Beschluss vom 22.10.2019, 1 ABR 13/18).

Sachverhalt

Ein Softwareunternehmen mit etwa 3.750 Arbeitnehmern und drei Betrieben in Frankfurt, Münster und Hannover stellte zum April 2017 eine Führungskraft als Bereichsleiter mit Dienstsitz in Münster ein, Herrn D., und übertrug ihm Personalverantwortung für Arbeitnehmer in Münster und für zwei Arbeitnehmer in Hannover. Den beiden in Hannover tätigen Mitarbeitern wiederum sind dort jeweils zehn bis 20 Arbeitnehmer unterstellt.

Seine Aufgaben nimmt Herr D. tageweise in Münster und in Hannover wahr, wobei er lediglich in Münster über ein eigenes Büro verfügt. Vor diesem Hintergrund beteiligte das Unternehmen zwar den für den Betrieb in Münster zuständigen Betriebsrat, nicht aber den Betriebsrat in Hannover. Der zog daraufhin vor Gericht und beantragte, dem Unternehmen die Aufhebung der Einstellung von Herrn D. in Hannover aufzugeben (§ 101 Satz 1 BetrVG).

Das Arbeitsgericht Hannover (Beschluss vom 07.09.2017, 4 BV 6/17) und das Landesarbeitsgericht (LAG) wiesen den Antrag zurück (Beschluss vom 13.02.2018, 11 TaBV 91/17). Aus Sicht des LAG war die Übertragung von Weisungsrechten gegenüber einzelnen Mitarbeitern in Hannover keine Einstellung im Hannoveraner Betrieb. Denn das Arbeitsverhältnis von Herrn D. wurde in Münster abgewickelt, und er hatte in Hannover keinen Chef.

Entscheidung des BAG

Das BAG hob die Beschlüsse der Vorinstanzen auf und entschied zugunsten des Betriebsrats. Denn, so das BAG unter mehrfachem Verweis auf seine Entscheidung vom 22.10.2019 (1 ABR 13/18):

Herr D. ist aufgrund seiner Weisungsbefugnisse in die Arbeitsprozesse in Hannover eingebunden und daher in den dortigen Betrieb „eingegliedert“. Dass er in Hannover kein Büro hat, dort nur hin und wieder präsent ist und von dort aus keine Weisungen erhält, schließt eine Eingliederung in den Hannoveraner Betrieb nicht aus. Auch die vertragliche Anbindung an Münster und der dortige Dienstsitz samt Büro ändern daran nichts.

Im Ergebnis ist Herr D. somit zugleich in zwei Betriebe seines Arbeitgebers eingegliedert, nämlich in Münster und in Hannover (Beschluss, Rn.22). Dementsprechend waren beide Betriebsräte gemäß § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG zu beteiligen, d.h. der Arbeitgeber brauchte hier von beiden Gremien eine Zustimmung. Demgegenüber ist eine Zuständigkeit des (hier gebildeten) Gesamtbetriebsrats ausgeschlossen, so das BAG (Beschluss, Rn.11).

Praxishinweis

Die betriebsübergreifende Übertragung von Weisungsrechten einer Führungskraft innerhalb Unternehmens mit mehreren Betrieben bedeutet für den Arbeitgeber, dass er die Betriebsräte aller Betriebe gemäß § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG beteiligen muss, in denen Arbeitnehmer tätig sind, denen gegenüber die Führungskraft weisungsberechtigt ist. In einer sog. Matrixstruktur eines Unternehmens können das viele Betriebe sein, wenn die Führungskraft für einen betriebsübergreifenden Unternehmensbereich zuständig ist.

An welchen Betrieb oder an welche Kostenstelle die Führungskraft arbeitsvertraglich „angebunden“ ist, von wo aus sie ihrerseits Weisungen erhält und an welchem Ort bzw. in welchem Betrieb sie ständig oder überwiegend persönlich anwesend ist, spielt demgegenüber keine Rolle.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22.10.2019, 1 ABR 13/18

 

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