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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 21|2020

Update Arbeitsrecht 21|2020 vom 14.10.2020

Entscheidungsbesprechungen

LAG Baden-Württemberg: Urlaubs- und Weihnachtsgeld bei längerer Erkrankung nach Ablauf der Entgeltfortzahlung

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2020, 9 Sa 13/20

Sonderzahlungen ohne ausdrückliche andere Zweckbestimmungen sollen in der Regel die geleistete Arbeit bezahlen.

§§ 133, 151, 157, 315 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); §§ 3, 4a, 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)

Rechtlicher Hintergrund

In der Regel wird das Weihnachtsgeld zusammen mit dem Novembergehalt ausgezahlt. Scheidet ein Arbeitnehmer vor dem November aus dem Arbeitsverhältnis aus, wird manchmal darüber gestritten, ob ein anteiliger Anspruch besteht.

Eine ähnliche Frage stellt sich, wenn ein Arbeitnehmer vor der Fälligkeit des Novembergehaltes infolge einer längeren Erkrankung vorübergehend (bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis) aus der laufenden Lohn- bzw. Entgeltfortzahlung ausgesteuert wird und Krankengeld bezieht. Da das Arbeitsverhältnis fortbesteht, ist für viele Arbeitnehmer nicht verständlich, warum sie kein Weihnachtsgeld bekommen sollten. Aus Sicht des Arbeitgebers kommt eine solche Zahlung aber erst einmal nicht in Betracht, denn das Weihnachtsgeld ist ja Teil einer regulären Lohnzahlung (für November), die der Arbeitnehmer wegen seiner Erkrankung nicht beanspruchen kann.

Nach der Rechtsprechung kommt es auf die Zielsetzung der November-Sonderzahlung an. Hier gibt es drei Möglichkeiten, nämlich Sonderzahlungen mit reinem Entgeltcharakter, die die geleistete Arbeit vergüten sollen, Sonderzahlungen mit dem Zweck, die „Betriebstreue“ zu belohnen, und Sonderzahlungen mit Mischcharakter, die beide Zwecke verfolgen (sie sollen die geleistete Arbeit vergüten und gleichzeitig die Betriebstreue honorieren oder anspornen).

Wenn ein im November zahlbares 13. Gehalt ausschließlich die geleistete Arbeit vergüten soll, kann ein länger erkrankter Arbeitnehmer die Zahlung nicht verlangen. Denn er hat nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung keinen weiteren Anspruch auf Vergütung durch den Arbeitgeber (§ 3 Abs.1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz - EFZG). Verfolgt die Sonderzahlung dagegen den Zweck, die Betriebstreue zu belohnen, oder hat sie Mischcharakter, dann ist ein Anspruch trotz längerer Erkrankung naheliegend.

In einem aktuellen Fall musste das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg darüber entscheiden, welchen Zweck ein Weihnachtsgeldanspruch verfolgt und ob daher ein Zahlungsanspruch während einer längeren Erkrankung (fort-)besteht.

Sachverhalt

Eine langjährig beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmerin war seit Ende Juni 2016 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Seit Mitte August 2016 erhielt sie keine Entgeltfortzahlung mehr, sondern Krankengeld. Das Arbeitsverhältnis endete im Jahr 2020 durch einen gerichtlichen Vergleich.

Da die Arbeitnehmerin infolge ihrer Arbeitsunfähigkeit keinen laufenden Lohn und auch keine Entgeltfortzahlung mehr erhielt, zahlte der Arbeitgeber für die Jahre 2016 bis 2019 auch kein Weihnachtsgeld mehr, das die Arbeitnehmerin in den Jahren zuvor in wechselnder Höhe erhalten hatte. Und auch das Urlaubsgeld, das in den vergangenen Jahren während des Sommerurlaubs gezahlt wurde, bekam die Arbeitnehmerin in den Jahren 2017 bis 2019 nicht mehr. Die Urlaubsgeldzahlungen hatte der Arbeitgeber immer mit dem Hinweis versehen, dass die Zahlung freiwillig erfolge und auch bei wiederholter Gewährung keinen Rechtsanspruch begründe.

In dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Klägerin vom September 2000 waren diese Sonderzahlungen nicht geregelt, abgesehen von dem Hinweis, dass für sie „die Betriebsvereinbarungen“ gelten sollten. Eine Betriebsvereinbarung vom Januar 2019 enthielt dazu aber nur den klarstellenden Hinweis, dass die Gewährung von Sonderzahlungen wie z.B. eines Weihnachts- oder Urlaubsgeldes im freien Ermessen des Arbeitgebers liegt, und dass ein Rechtsanspruch auch bei Gewährung solcher Leistungen nicht besteht. Außerdem war in der Betriebsvereinbarung festgehalten, dass Sonderzahlungen, falls sie gewährt würden, „als Ansporn für künftige Betriebstreue“ dienen.

Die Arbeitnehmerin klagte auf Zahlung des Weihnachtsgeldes für die Jahre 2016 bis 2019 und des Urlaubsgeldes für die Jahre 2017 bis 2019. Aus ihrer Sicht bestand eine betriebliche Übung, aus der der Zahlungsanspruch folgte. Damit hatte sie vor dem Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen Erfolg (Urteil vom 14.01.2020, 3 Ca 74/19).

Entscheidung des LAG Baden-Württemberg

Das LAG entschied andersherum und wies die Klage ab.

Denn zu den Urlaubsgeldzahlungen hatte die Klägerin bereits keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Betriebsübung vorgebracht, denn der Arbeitgeber hatte bei Auszahlung des Urlaubsgeldes jedes Mal darauf hingewiesen, dass kein Rechtsanspruch entstehen sollte.

Demgegenüber war durch die mehrfachen vorbehaltlosen Weihnachtsgeldzahlungen in der Vergangenheit ein Zahlungsanspruch entstanden, denn mit diesen Zahlungen hatte der Arbeitgeber ein Vertragsänderungsangebot unterbreitet (§§ 133, 157 BGB), das die Klägerin ohne gesonderte Erklärung durch Entgegennahme der Zahlung gemäß § 151 BGB angenommen hatte (Urteil, Rn.84).

Im Ergebnis bestand aber trotzdem kein Weihnachtsgeldanspruch, denn die stillschweigende Vereinbarung über eine Weihnachtsgeldzahlung war im Sinne einer zusätzlichen Vergütung für geleistete Arbeit auszulegen (Urteil, Rn.90, 97 f.). Für andere Zwecke (z.B. Honorierung der Betriebstreue) gab es hier laut LAG keine Anhaltspunkte (Urteil, Rn.97 f.). Mit der Bezeichnung „Weihnachtsgeld“ ist nur der Fälligkeitszeitpunkt im November gemeint (Urteil, Rn.97).

Nach der sechswöchigen Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs.1 EFZG konnte die Klägerin kein Weihnachtsgeld verlangen, da es hier um eine „arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung“ ging (Urteil, Rn.107). Eine vertragliche Vereinbarung ist für den Wegfall oder eine Kürzung des Anspruchs nicht erforderlich, denn der Wegfall des Anspruchs gilt kraft Gesetzes, so das LAG.

Das Argument der Klägerin, der Arbeitgeber müsse beweisen, dass das Weihnachtsgeld ausschließlich die erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich honorieren sollte, ließ das LAG nicht gelten. Da ein sog. Mischcharakter des Weihnachtsgeldes für die Klägerin günstig wäre, müsste sie diese weiteren Zwecke (Honorierung der Betriebstreue) bzw. den Mischcharakter des Weihnachtsgelds beweisen (Urteil, Rn.95 f., 99).

Daran änderte auch die Betriebsvereinbarung vom Januar 2019 nichts, obwohl dort ja geregelt war, dass Sonderzahlungen wie ein Weihnachtsgeld die Betriebstreue anspornen sollten. Denn die Klägerin hatte ja - im Ausgangspunkt bzw. dem Grunde nach - einen Anspruch auf ein Weihnachtsgeld, wohingegen der Betriebsvereinbarung zufolge ein solcher Anspruch nicht bestehen sollte (Urteil, Rn.109 bis 111).

Praxishinweis

Das LAG hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen, das daher demnächst über den Fall entscheiden muss. Wenn das BAG die Auslegung der hier umstrittenen Weihnachtsgeldregelung im Sinne eines Anspruchs mit reinem Entgeltcharakter bestätigt, würde das in Fällen längerer Erkrankung Zahlungsansprüche ausschließen.

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2020, 9 Sa 13/20

 

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebliche Übung

Handbuch Arbeitsrecht: Freiwilligkeitsvorbehalt

Handbuch Arbeitsrecht: Gratifikation

Handbuch Arbeitsrecht: Weihnachtsgeld

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