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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 01|2019

Update Arbeitsrecht 01|2019 vom 02.10.2019

Entscheidungsbesprechungen

LAG Mecklenburg-Vorpommern: Fristlose Kündigung wegen falscher Arbeitszeiterfassung und Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30.07.2019, 5 Sa 246/18

Eine falsche Arbeitszeiterfassung mit Hilfe eines Kollegen und das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit können auch nach langer Beschäftigungszeit eine fristlose Kündigung rechtfertigen.

§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Rechtlicher Hintergrund

Gemäß § 626 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) können Arbeitnehmer auch nach sehr langer Beschäftigungszeit außerordentlich und fristlos gekündigt werden, wenn es dafür einen wichtigen Grund gibt. Erforderlich für einen solchen Schritt sind Tatsachen, aufgrund derer es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.

Eine fristlose Kündigung gemäß § 626 Abs.1 BGB ist, wie jede Kündigung im Arbeitsrecht, keine Strafe (Sanktion), sondern eine vorbeugende Maßnahme zur Verhinderung künftiger Vertragsstörungen. Gibt es gleich taugliche, aber mildere Mittel als eine fristlose Kündigung, die im konkreten Fall eine weitere Vertragsstörung ebenfalls verhindern würden, muss der Arbeitgeber aus Gründen der Verhältnismäßigkeit diese milderen Mittel anwenden, also z.B. eine ordentliche Kündigung aussprechen oder auch nur eine Abmahnung.

Hat der Arbeitnehmer einen (erheblichen) Pflichtverstoß wie z.B. ein heimliches Verlassen des Betriebs während der Arbeitszeit zugegeben, liegt ein wichtiger Grund „an sich“ vor, d.h. grundsätzlich kommt dann eine fristlose Kündigung in Betracht. Ob sie auch im Ergebnis verhältnismäßig und damit rechtens wäre, hängt dann von der umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen ab.

Bei der Interessenabwägung orientieren sich die Arbeitsgerichte im Wesentlichen an folgenden Gesichtspunkten: Objektive Bedeutung des Pflichtverstoßes (z.B. Schadenshöhe, Dauer einer Abwesenheit von der Arbeit?), Auswirkungen des Pflichtverstoßes (z.B. Gefährdung von Arbeitsergebnissen, Beeinträchtigung Dritter?), Grad des Verschuldens (verzeihlicher „Ausrutscher“ oder grobe Rücksichtslosigkeit?), Heimlichkeit des Vorgehens (Vertuschungsabsicht?), Beharrlichkeit der Pflichtwidrigkeit, Verhalten nach dem Pflichtverstoß (uneinsichtiges Leugnen oder rückhaltlose Entschuldigung?), bisheriger (störungsfreier?) Verlauf des Arbeitsverhältnisses.

Sprechen die meisten dieser Bewertungskriterien für den Arbeitnehmer, ist eine fristlose Kündigung „ziemlich offenkundig“ unwirksam. Sprechen die meisten dieser Kriterien gegen den Arbeitnehmer, ist die Kündigung dagegen sehr wahrscheinlich wirksam. In einer Grauzone liegen Fälle, in denen einige Gesichtspunkte gegen den Arbeitnehmer sprechen, er dafür aber auf eine lange und störungsfreie Betriebszugehörigkeit verweisen kann. Über einen solchen Fall hatte vor kurzem das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern zu entscheiden.

Sachverhalt

Im Streitfall ging es um einen gewerblichen Arbeitnehmer, der fast 40 Jahre lang in einem metallverarbeitenden Betrieb beschäftigt und Mitglied des Betriebsrats war.

An einem Donnerstagabend im Juni 2018 wurde er während der Spätschicht, die von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr dauerte, gegen 19:40 Uhr von der Personalleiterin seines Arbeitgebers außerhalb des Betriebs in einer öffentlichen Freizeiteinrichtung („Haus der Jugend“) angetroffen. Kurze Zeit später, um 20:05 Uhr, checkte ein Kollege den Arbeitnehmer mit dessen Mitarbeiterausweis im Zeiterfassungssystem aus. Obwohl das Haus der Jugend nur einige Autominuten vom Betrieb entfernt war, nahm der Arbeitnehmer das Zusammentreffen mit der Personalleiterin nicht zum Anlass, sein unberechtigtes Entfernen von der Arbeit abzubrechen und sich schleunigst wieder in den Betrieb zu begeben.

Am folgenden Freitag meldete sich der Arbeitnehmer gegen 11:00 Uhr bei seinem Vorgesetzten für die Spätschicht telefonisch arbeitsunfähig. Am Abend wurde er gegen 21:45 Uhr in Festkleidung am „Haus der Jugend“ gesehen. Arbeitsunfähig war er an diesem Tag nicht.

Der Arbeitgeber hörte den Arbeitnehmer am folgenden Montag zu der Arbeitszeitmanipulation (Vorfall vom Donnerstag) und der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit (Vorfall vom Freitag) an. Der Arbeitnehmer entschuldigte sein Vorgehen damit, kurzfristig mit der Familie eine Geburtstagsfeier für seinen Vater vorbereitet zu haben.

Nach umgehender Einholung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers und Betriebsratsmitglieds gemäß § 103 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) kündigte der Arbeitgeber außerordentlich und fristlos, wobei er die gesetzliche Zweiwochenfrist zum Ausspruch der Kündigung (§ 626 Abs.2 BGB) einhielt.

Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht Schwerin gab der Klage statt, wobei es vor allem auf die lange und beanstandungsfreie Tätigkeit des Arbeitnehmers abstellte (Urteil vom 15.11.2018, 2 Ca 975/18).

Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern

Das LAG hob das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin auf und wies die Klage ab. Zur Begründung stützt sich das LAG auf folgende Überlegungen:

Der Arbeitnehmer hatte nicht nur (am Donnerstag) gegen seine Pflicht verstoßen, seine Arbeitszeiten korrekt im Zeiterfassungssystem einzutragen, sondern auch (am Folgetag) eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und damit eine unberechtigte Entgeltfortzahlung veranlasst. Bei der Manipulation der Arbeitszeiterfassung kam erschwerend hinzu, dass der Arbeitnehmer einen Kollegen hineingezogen hatte, womit er das Arbeitsverhältnis seines Kollegen aufs Spiel gesetzt hatte (LAG, Urteil vom 30.07.2019, 5 Sa 246/18, Rn.34).

Der Kläger hatte somit rücksichtslos und beharrlich gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, und das in einer sehr erheblichen Weise (Urteil a.a.O., Rn.31).

Zugunsten des Arbeitnehmers bewertete das LAG zwar sein vorgerücktes Alter von 56 Jahren und die fast 40-jährige Betriebszugehörigkeit, doch gaben diese Gesichtspunkte im Ergebnis nicht den Ausschlag. Denn, so das LAG: Auch eine jahrzehntelang ausgeübte und nicht zu beanstandende Tätigkeit verschafft einem Arbeitnehmer „keine Sonderstellung, in der er sich grobe Pflichtverletzungen zumindest einmalig erlauben kann“ (Urteil a.a.O., Rn.32).

Ergänzend, als eine Art Hilfserwägung, verweist das Gericht darauf, dass der klagende Arbeitnehmer aufgrund der guten Arbeitsmarktlage bereits sechs Wochen nach seiner Entlassung eine anderweitige Folgebeschäftigung gefunden hatte (Urteil a.a.O., Rn.38).

Praxishinweis

Wenn fast alle Bewertungskriterien, wie hier im Streitfall, für eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine fristlose Kündigung sprechen, kann auch eine (sehr) lange Betriebszugehörigkeit des gekündigten Arbeitnehmers nicht zu seinen Gunsten den Ausschlag geben.

Das LAG hat die Klage daher im Ergebnis zurecht abgewiesen und die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht zugelassen.

Kritisch ist anzumerken, dass die gute Arbeitsmarktsituation bei der Überprüfung einer verhaltensbedingten fristlosen Kündigung keine entscheidende Rolle spielen kann. An dieser Stelle können die Überlegungen des LAG nicht überzeugen. Das zeigt eine Kontroll-Überlegung: Der Streitfall wäre nicht anders zu entscheiden gewesen, wenn der gekündigte Arbeitnehmer es schwerer gehabt hätte, eine anderweitige Folgebeschäftigung zu finden.

Denn die (gute oder schlechte) Lage auf dem Arbeitsmarkt spielt bei der Bewertung einer fristlosen verhaltensbedingten Kündigung ebenso wenig eine Rolle wie die (gute oder schlechte) wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers. Entscheidend ist vielmehr der Pflichtverstoß als solcher, seine Auswirkungen und seine Begleitumstände.

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30.07.2019, 5 Sa 246/18

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