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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 01|2025

Update Arbeitsrecht 01|2025 vom 31.01.2025

Leitsatzreport

LAG Hamburg: Einsetzung der Einigungsstelle auch bei nur teilweiser Zuständigkeit des antragstellenden Betriebsrats

Landesarbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 17.08.2024, 2 TaBV 4/23

§§ 2, 50, 76, 87 Abs.1 Nr.2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG); § 100 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)

Leitsätze des Gerichts:

1. Für die Bildung einer Einigungsstelle fehlt grundsätzlich das Rechtsschutzinteresse, wenn die Betriebsparteien in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit nicht den nach § 74 Abs.1 Satz 2 BetrVG vorgesehenen Versuch einer gütlichen Einigung unternommen haben. Begehrt aber der Betriebsrat eine umfängliche Regelung zu Arbeitszeitfragen einschließlich Rufbereitschaften für alle Beschäftigten und ist die Arbeitgeberin nur bereit, über einen Teilbereich (für Mitarbeiter bestimmter Bereiche) zu verhandeln, ist der Betriebsrat nicht gezwungen, von seinem begehrten Regelungsgegenstand abzurücken und sich auf von der Arbeitgeberin angebotene Verhandlungen nur zu einem begrenzten Teilbereich hiervon einzulassen, um der Verhandlungsobliegenheit aus §§ 2, 74 BetrVG Genüge zu tun. Dies gilt selbst dann, wenn der Betriebsrat für einen weiteren Teil des von ihm angestrebten Regelungsbereichs nicht zuständig ist, weil das in Rede stehende Mitbestimmungsrecht insoweit dem Gesamtbetriebsrat zusteht.

2. Aus einer überbetrieblichen Rufbereitschaftsorganisation folgt das Mitbestimmungsrecht des Gesamtbetriebsrats. Daraus folgt aber nicht notwendig auch die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für weitere Fragen zur Lage und Verteilung der Arbeitszeit der betroffenen Mitarbeiter, da sich die Regelungsgegenstände trennen lassen.

3. Die vom örtlichen Betriebsrat angerufene Einigungsstelle ist nicht deshalb offensichtlich unzuständig, weil sich Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat im Zuge eines weiteren Einigungsstellenverfahrens auf eine Gesamtbetriebsvereinbarung auch zu den hier betroffenen Gegenständen verständigt haben, selbst wenn dieser Einigung ein Vorschlag des dortigen Einigungsstellenvorsitzenden zugrunde lag. Es gibt insoweit keine „Richtigkeitsgewähr“ für die gefundene Einigung.

4. Die vom örtlichen Betriebsrat angerufene Einigungsstelle ist nicht deshalb offensichtlich unzuständig, weil zu einem Teil-Regelungsgegenstand bereits eine Einigungsstelle auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats eingesetzt wurde. Denn es handelt sich bei einer Einigungsstelle auf der Ebene des örtlichen Betriebsrats um eine solche mit anderem Gegenstand.

Hintergrund:

Ein bundesweit tätiger Hersteller von Aufzügen, Rolltreppen und Automatiktüren kündigte zu Ende 2021 zwei Betriebsvereinbarungen zu Fragen der Arbeitszeit, der Gleitzeit und der Rufbereitschaft, die bis dahin für den Betrieb Hamburg/Lübeck/Rostock galten. Denn der Arbeitgeber wollte Fragen der Rufbereitschafts- und Notrufdienste künftig überbetrieblich regeln, und zwar mit dem Gesamtbetriebsrat (GBR). In diesem Zusammenhang setzte das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen auf Antrag des Arbeitgebers im Oktober 2021 eine Einigungsstelle zum Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) ein, die u.a. Fragen der Arbeitszeit und der Rufbereitschaft für Monteure regeln sollte. Auf dieser Grundlage verhandelten Arbeitgeber und GBR vor der Einigungsstelle und trafen dort im Oktober 2022 zwei GBVen zu Arbeitszeitfragen im Bereich Services und Reparaturen sowie zu Rufbereitschaftsfragen. Davon unbeeindruckt verlangte der örtliche Betriebsrat des Betriebs Hamburg/Lübeck/Rostock Anfang November 2022 Verhandlungen über Fragen der Arbeitszeitmodelle und der Rufbereitschaft, wozu der Arbeitgeber unter Verweis auf die mittlerweile vorliegenden GBVen nicht bereit war. Das Arbeitsgericht Hamburg folgte dem Arbeitgeber und wies den Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle ab (Beschluss vom 04.04.2023, 19 BV 6/23). Das LAG Hamburg folgte dagegen im Wesentlichen dem Betriebsrat. Denn es war, abgesehen von einem Teil der vom Betriebsrat beanspruchten Verhandlungsgegenstände, keineswegs „offensichtlich“ im Sinne von § 100 Abs.1 Satz 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), dass die verlangte Einigungsstelle unzuständig wäre. Im Übrigen muss der Betriebsrat für einen erfolgreichen Antrag gemäß § 100 ArbGG „nicht offensichtlich zuständig sein, er darf nur nicht offensichtlich unzuständig sein“, so das LAG (Beschluss, Rn.61). Die Gefahr miteinander unvereinbarer Regelungen in den GBVen und in einer vom Betriebsrat angestrebten lokalen Betriebsvereinbarung war für das LAG nicht entscheidend.

Landesarbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 17.08.2024, 2 TaBV 4/23

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