Update Arbeitsrecht 05|2020 vom 04.03.2020
Entscheidungsbesprechungen
LAG Berlin-Brandenburg: Fremdvergabe der Kassentätigkeiten im Kaufhaus per Werkvertrag?
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.12.2019, 21 TaBV 489/19
Werden Fremdfirmenmitarbeiter an der Kasse eines Kaufhauses wie festangestellte Verkäufer eingesetzt, spricht dies für Arbeitnehmerüberlassung.
§§ 23, 99, 101 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG); §§ 1, 14 Abs.3 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG); §§ 611, 611a, 631 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Rechtlicher Hintergrund
In Unternehmen mit über zwanzig Arbeitnehmern braucht der Arbeitgeber gemäß § 99 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) die vorherige Zustimmung des Betriebsrats zu jeder einzelnen Einstellung. Auch die Übernahme eines Leiharbeitnehmers zur Arbeitsleistung im Betrieb ist eine zustimmungspflichtige Einstellung, wie sich aus § 14 Abs.3 Satz 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ergibt.
Verweigert der Betriebsrat die erbetene Zustimmung unter Angabe von Gründen innerhalb der gesetzlichen Wochenfrist, kann der Arbeitgeber vor das Arbeitsgericht ziehen und beantragen, dass das Gericht die Zustimmung ersetzt (§ 99 Abs.3, 4 BetrVG). Dann überprüft das Gericht, ob sich der Betriebsrat auf stichhaltige Gründe für seine Zustimmungsverweigerung berufen konnte oder nicht.
Arbeitgeber, die sich nicht an diese Spielregeln halten und ohne Zustimmung des Betriebsrats (bzw. ohne gerichtliche Zustimmungsersetzung) Leiharbeitnehmer beschäftigen, riskieren, dass ihnen der Betriebsrat Ärger macht. Er kann den Arbeitgeber nämlich gerichtlich dazu zwingen, den Einsatz der Leiharbeitnehmer zu beenden, d.h. die Einstellung „aufzuheben“ (§ 101 Satz 1 BetrVG).
In den letzten Jahren führt der Einsatz von Fremdfirmenmitarbeitern zunehmend oft zu solchen Streitigkeiten. Dann ist der Arbeitgeber der Meinung, dass die Fremdfirma auf der Grundlage eines Werkvertrags gemäß § 631 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) tätig wird. Demgegenüber bewertet der Betriebsrat die Arbeit der Fremdfirmenmitarbeiter als Leiharbeit. Der Unterschied zwischen Werkvertrag und Leiharbeit besteht dabei vor allem im Weisungsrecht:
Bei der werkvertraglichen Tätigkeit einer Fremdfirma werden deren Arbeitnehmer durch die Fremdfirma angeleitet, d.h. sie kommen als deren Team in den Betrieb und erledigen dort eine abgrenzbare Tätigkeit, wie es oft bei Handwerks- oder IT-Firmen der Fall ist, aber auch bei Kantinen-, Reinigungs- und Hausmeisterunternehmen. Im Unterschied dazu werden die von einer Leih- bzw. Zeitarbeitsfirma überlassenen Arbeitnehmer nicht von ihrem Vertragsarbeitgeber (der Leiharbeitsfirma) angeleitet, sondern von dem Auftraggeber, in dessen Betrieb gearbeitet wird. Dann muss der Auftraggeber seinen Betriebsrat um Zustimmung zu dem Einsatz der Leiharbeitnehmer bitten.
In einem aktuellen Fall hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg einen (angeblichen) Werkvertrag zu überprüfen, bei dem der Auftraggeber, ein Warenhaus, die Arbeiten an den Kassen an eine Fremdfirma übergeben hatte.
Sachverhalt
In einem Berliner Karstadt-Kaufhaus war ein Personaldienstleister auf der Grundlage eines (angeblichen) „Werkvertrags Kassenservice“ mit ungefähr 80 Kassenmitarbeitern tätig. Der Vertrag nannte die einzelnen Kassen, die mit mindestens einer Kassenkraft zu besetzen waren, wobei sich das Kaufhaus vorbehielt, Anzahl und Standorte der Kassen zu ändern.
Die Kassenkräfte mussten eine einheitliche Kleidung in Art und Farbe der von Karstadt vorgegebenen Teamdress-Richtlinien tragen, so dass für Kunden nicht erkennbar war, ob sie zu Karstadt oder zu dem Personaldienstleister gehörten. Außerdem hatten sie die Karstadt-Kundenkarte zu bewerben und waren in den Umtausch von Waren eingebunden, wobei sie teilweise mit Karstadt-Mitarbeitern zusammenarbeiten mussten.
Das Kaufhaus war nach dem „Werkvertrag Kassenservice“ zwar ausdrücklich nicht dazu berechtigt, den Kassenkräften Weisungen zu erteilen. Allerdings konnte es sich, falls es eine Anweisung für nötig halten sollte, an den Personaldienstleister wenden, der dann die arbeitsrechtliche Weisung seinen Mitarbeiter erteilen musste.
Vor diesem Hintergrund beantragte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht Berlin, die Einstellung von insgesamt 83 Arbeitnehmern des Personaldienstleisters aufzuheben, und hatte damit Erfolg. Das Arbeitsgericht verpflichtete das Kaufhaus außerdem auf der Grundlage von § 23 Abs.3 BetrVG dazu, solche Einstellungen künftig zu unterlassen, da es das Arbeitgeberverhalten hier als groben Verstoß gegen die Pflichten aus dem BetrVG ansah (Arbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 26.11.2018, 19 BV 11638/18).
Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
Das LAG wies die Beschwerde des Kaufhauses überwiegend zurück. Nur die Pflicht zur Unterlassung wurde zu seinen Gunsten aufgehoben.
Denn das LAG bewertet die Vereinbarungen des „Werkvertrags Kassenservice“ als tätigkeitsbezogene Regelungen, die so engmaschig waren, dass sie dem Personaldienstleister kaum noch einen Gestaltungspielraum bei der Vertragsdurchführung ließen. Sie konnten daher nicht als Weisungen im Rahmen eines Werkvertrags (§ 631 BGB) oder eines freien Dienstvertrags (§ 611 BGB) angesehen werden.
Vielmehr handelte es sich bei den Vertragspflichten des Personaldienstleisters um „vorweggenommene arbeitsrechtliche Weisungen“ (Beschluss, Rn.138). Insbesondere seine Pflicht, Weisungen des Kaufhauses an die eigenen Arbeitnehmer weiterzugeben, führte dazu, dass der Personaldienstleister letztlich nur noch entscheiden konnte, welche Arbeitnehmer er zu welchen Zeiten an welchen Kassen einsetzen sollte. Das sah das LAG als den „typischen Gestaltungsspielraum eines Verleihunternehmens“ an (Beschluss, Rn.138).
Praxishinweis
Das LAG lässt die Frage ausdrücklich offen, ob Kassentätigkeiten im Einzelhandel durch freie Dienst- oder Werkverträge auf andere Unternehmen übertragen werden können oder ob eine solche Fremdvergabe bei Kassentätigkeiten generell ausgeschlossen ist (Beschluss, Rn.122, 123).
Wenn Kassentätigkeiten auf einen externen Dienstleister übertragen werden sollen, müsste eine solche Auftragsvergabe allerdings umfassend sein, d.h. das beauftragte Unternehmen müsste die komplette „Inkassotätigkeit“ übernehmen. Dazu würden nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch eigene Kassen, Wechselgeld, Bonrollen, Tüten und Packmaterial gehören.
Dieses Kassenequipment wurde in dem Berliner Fall nicht von dem Personaldienstleister gestellt, sondern vom Kaufhaus. Auch deshalb lag das LAG richtig mit seiner Entscheidung.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.12.2019, 21 TaBV 489/19
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