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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 24|2021

Update Arbeitsrecht 24|2021 vom 01.12.2021

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Meldung eines für Schwerbehinderte geeigneten Arbeitsplatzes bei der Arbeitsagentur

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.11.2021, 8 AZR 313/20

Die Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Arbeitsagentur ist keine ausreichende Meldung von Arbeitsplätzen, die für Schwerbehinderte geeignet sind.

§ 165 SGB Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX); §§ 13, 15, 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Rechtlicher Hintergrund

Öffentliche Arbeitgeber haben eine besondere gesetzliche Verpflichtung, sich für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen einzusetzen. Sie sind gemäß § 165 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) gehalten, der Arbeitsagentur frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung eines Arbeitsplatzes frei werdende, neu zu besetzende und auch neu geschaffene Arbeitsplätze zu melden.

Bewirbt sich ein schwerbehinderter Mensch um einen solchen Arbeitsplatz, sind öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 165 Satz 3 SGB IX). Die Einladungspflicht besteht nur ausnahmsweise nicht, nämlich wenn die „fachliche Eignung offensichtlich fehlt“ (§ 165 Satz 4 SGB IX).

In den vergangenen Jahren konnten schwerbehinderte Bewerber vor den Arbeitsgerichten immer wieder Ansprüche auf Geldentschädigung wegen einer im Bewerbungsverfahren erlittenen behinderungsbedingten Diskriminierung durchsetzen. Auslöser dieser Prozesse war oft der Streit darüber, ob der verklagte öffentliche Arbeitgeber dazu berechtigt war, den Bewerber ausnahmsweise nicht zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

In einem aktuellen, vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Fall kamen die Erfurter Richter dagegen aus einem anderen Grund zu einer Entscheidung zugunsten des Bewerbers. Hier hatte der öffentliche Arbeitgeber eine offene Stelle zwar über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht, doch war das nach Ansicht des BAG nicht ausreichend für die gemäß § 165 Satz 1 SGB IX vorgeschriebene „Meldung“ einer offenen Stelle bei der Arbeitsagentur: BAG, Urteil vom 25.11.2021, 8 AZR 313/20.

Sachverhalt

Ein sächsischer Landkreis schrieb über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit eine Stelle als „Amtsleiter/in Rechts- und Kommunalamt (Jurist/in)“ aus. Zu den Anforderungen gehörten laut Stellenausschreibung neben einem abgeschlossenen Hochschulstudium eine „mehrjährige einschlägige Berufserfahrung“ sowie „mehrjährige einschlägige Führungserfahrung vorzugsweise in einer vergleichbaren Führungsposition“.

Ein schwerbehinderter Volljurist, der etwa ein Jahr nach seinem zweiten Staatsexamen als selbständiger Anwalt gearbeitet hatte, erhielt auf seine Bewerbung hin eine Absage. Auch eine daraufhin eingereichte Beschwerde gemäß § 13 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), in der er die Ablehnung seiner Bewerbung als Diskriminierung bewertete und eine Geldentschädigung gemäß § 15 Abs.2 AGG verlangte, blieb unbeantwortet.

Der Bewerber klagte daraufhin auf Zahlung einer Entschädigung und argumentierte, er hätte gemäß § 165 Satz 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen, da er fachlich geeignet sei. Jedenfalls fehle ihm die Eignung nicht „offensichtlich“ im Sinne von § 165 Satz 5 SGB IX. Die Nicht-Einladung sei daher ein Indiz für eine behinderungsbedingte Diskriminierung im Sinne von § 22 AGG.

Weitere Diskriminierungsindizien sah der Bewerber darin, dass der Landkreis vor der Stellenbesetzung nicht frühzeitig mit der Bundesagentur Verbindung aufgenommen hatte, und dass er auf seine Beschwerde nicht reagiert hatte.

Das Arbeitsgericht Dresden (Urteil vom 28.11.2018, 1 Ca 1034/18) und das Sächsische Landesarbeitsgericht (LAG) wiesen die Klage ab (Urteil vom 11.03.2020, 5 Sa 414/18).

Nach Ansicht des LAG gab es hier eine Meldung der offenen Stelle, nämlich in Form ihrer Veröffentlichung im Jobportal der Bundesagentur. Und auch auf § 13 AGG konnte sich der Bewerber nicht berufen, da seine Reaktion auf die Ablehnung keine „Beschwerde“ im Sinne von § 13 AGG war, so das LAG. Denn die Beschwerde-Vorschrift (§ 13 AGG) ist nach Ansicht des LAG auf Stellenbewerber gar nicht anwendbar.

Entscheidung des BAG

Das BAG hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung einer Geldentschädigung gemäß § 15 Abs.2 AGG in Höhe von 6.864,00 EUR, d.h. von 1,5 Monatsgehältern.

Der beklagte Landkreis hatte es nämlich, so die Erfurter Richter, entgegen § 165 Satz 1 SGB IX unterlassen, den ausgeschriebenen Arbeitsplatz der zuständigen Agentur für Arbeit zu melden. Denn die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit stellt keine Meldung im Sinne von § 165 Satz 1 SGB IX dar.

Das Unterlassen einer Meldung war ein Indiz im Sinne von § 22 AGG, d.h. das Unterbleiben einer korrekten „Meldung“ führte zu der Vermutung, dass der Kläger im Stellenbesetzungsverfahren wegen seiner Schwerbehinderung abgelehnt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt worden war.

Daher konnte das BAG die Frage offenlassen, ob der Landkreis hier zurecht davon ausgegangen war, dass der Bewerber für die Stelle „offensichtlich“ ungeeignet war. Offenbleiben konnte auch, ob die unterbliebene Beantwortung der Beschwerde des Klägers durch den Landkreis ein Diskriminierungsindiz gemäß § 22 AGG war.

Praxishinweis

Aus der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG geht nicht hervor, was öffentliche Arbeitgeber im Einzelnen machen müssen, um in korrekter Weise eine offene Stelle der Arbeitsagentur zu „melden“. Dazu werden die Urteilsgründe voraussichtlich genauere Hinweise enthalten. Jedenfalls genügt es nach Ansicht des BAG nicht, dass ein öffentlicher Arbeitgeber ein Stellenangebot über die Jobbörse der Bundesagentur veröffentlicht.

Die Entscheidung zeigt wieder einmal, dass das BAG (sehr) strenge Anforderungen an die gesetzliche Pflicht öffentlicher Arbeitgeber zur Förderung der Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer stellt. Auch geringe Verstöße gegen die gesetzlichen Verfahrensvorschriften zugunsten schwerbehinderter Bewerber führen dazu, dass Entschädigungsklagen abgelehnter Bewerber erfolgreich sind.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.11.2021, 8 AZR 313/20 (Pressemeldung des Gerichts)

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.11.2021, 8 AZR 313/20

 

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