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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 20|2021

Update Arbeitsrecht 20|2021 vom 06.10.2021

Entscheidungsbesprechungen

LAG Niedersachsen: Kein datenschutzrechtlicher Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 04.05.2021, 11 Sa 1180/20

Arbeitnehmer können nach ihren Ausscheiden unter Art.17 Abs.1 Buchstabe a) DS-GVO nicht verlangen, dass der Arbeitgeber Abmahnungen aus der Personalakte entfernt.

Art.1, 2 Grundgesetz (GG); § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Art.4 Nr.7, Art.17 Abs.1 Buchstabe a), Art.88 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO); Erwägungsgrund 15 zur DS-GVO; §§ 26, 35 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)

Rechtlicher Hintergrund

Arbeitgeber entscheiden u.a. durch das Führen von Personalakten über „die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten“ der bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer und sind daher gemäß Art.4 Nr.7 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) „verantwortliche Stellen“ im Sinne der DS-GVO.

Arbeitnehmer wiederum sind „betroffene Personen“ und können vom Arbeitgeber die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen der DS-GVO verlangen

Dazu gehört gemäß Art.17 Abs.1 Buchstabe a) DS-GVO das „Recht auf Vergessenwerden“: Arbeitnehmer können verlangen, dass der Arbeitgeber ihre personenbezogene Daten unverzüglich löscht, wenn sie für die Zwecke, für die sie erhoben bzw. verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind.

Dem entspricht § 26 Abs.1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Danach dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten nur dann (und solange) für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Einstellung oder für die Durchführung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist, oder wenn die Datenverarbeitung zur Ausübung oder Erfüllung gesetzlicher oder kollektivrechtlicher Rechte und Pflichten betrieblicher Interessenvertretungen nötig ist.

Arbeitgeber müssen daher bei der Führung von Personalakten den Grundsatz der Datensparsamkeit beachten. Personenbezogene Arbeitnehmerdaten, die nicht mehr benötigt werden, sind diesem Grundsatz zufolge bzw. gemäß Art.17 Abs.1 Buchstabe a) DS-GVO zu löschen.

Dies ergibt sich auch aus § 26 Abs.1 Satz 1 BDSG, da die hier genannten Rechtfertigungsgründe für die Datenverarbeitung entfallen, wenn die Daten nicht mehr gebraucht werden.

Daraus folgt z.B., dass Bewerbungsunterlagen, die traditionell zur Personalakte genommen werden, dort nicht hingehören. Denn wenn das das Arbeitsverhältnis erst einmal begründet ist, braucht der Arbeitgeber die für das Bewerbungsverfahren nötigen Informationen nicht mehr. Eine Ausnahme gilt möglicherweise für Nachweise der Berufsqualifikation des Arbeitnehmers.

Auch vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnungen sind nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers nicht mehr nötig.

Es spricht daher viel dafür, dass Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangen können, dass der Arbeitgeber Abmahnungen aus der Personalakte entfernt. In diesem Sinne hatte 2018 das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen-Anhalt entschieden (Urteil vom 23.11.2018, 5 Sa 7/17).

In einem aktuellen Urteil hat das LAG Niedersachsen die gegenteilige Position bezogen (LAG Niedersachsen, Urteil vom 04.05.2021, 11 Sa 1180/20).

Sachverhalt

Eine Arbeitnehmerin war fristlos gekündigt worden, hatte dagegen vor dem Arbeitsgericht Hannover erfolgreich geklagt und später selbst gekündigt.

Die Berufung des Arbeitgebers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil im Kündigungsrechtsstreit (Arbeitsgericht Hannover, Urteil vom 02.10.2020, 6 Ca 31/20) hatte vor dem LAG Niedersachsen keinen Erfolg, so dass das LAG bei seinem Urteil davon ausgehen musste, dass das Arbeitsverhältnis mittlerweile ordentlich beendet war, nämlich durch die Eigenkündigung der Klägerin.

Über Ihren Kündigungsschutzantrag hinaus wollte die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber verpflichten lassen, zwei Abmahnungen aus Ihrer Personalakte zu entfernen. Diesen Antrag hatte das Arbeitsgericht Hannover der ersten Instanz abgewiesen.

Dagegen legte die Arbeitnehmerin Berufung ein. Auch der Arbeitgeber wollte in der Berufungsinstanz, abgesehen von dem Streit über die fristlose Kündigung, einen angeblichen Rückzahlungsanspruch gegen seine (Ex-)Arbeitnehmerin durchsetzen.

Entscheidung des LAG Niedersachsen

Das LAG wies sowohl die Berufung der des Arbeitgebers als auch die der Arbeitnehmerin zurück.

Für den Arbeitgeber hieß das, dass seine fristlose Kündigung unwirksam war und er keinen Rückzahlungsanspruch hatte.

Die Arbeitnehmerin hatte dagegen Gewissheit, dass das Arbeitsverhältnis erst später infolge ihrer Eigenkündigung beendet wurde, doch blieb es dabei, dass sie laut LAG keinen Anspruch auf Entfernung der beiden Abmahnungen hatte.

Den aus Art.17 Abs.1 Buchstabe a) DS-GVO eigentlich folgenden Löschungsanspruch lehnte das LAG ab und verweist zur Begründung auf § 35 Abs.1 Satz 1 BDSG, wonach ein Löschungsrecht über die Ausnahmetatbestände der DS-GVO hinaus bei nicht automatisierter Datenverarbeitung auch dann nicht besteht, wenn eine Löschung nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich wäre und das Löschungsinteresse des Betroffenen als gering anzusehen ist.

Warum der Arbeitgeber hier im Streitfall durch eine Abmahnung-Entfernungspflicht mit einem unverhältnismäßigen Aufwand belastet wäre, führt das LAG aber nicht weiter aus.

Darüber hinaus beruft sich das Gericht auf den Erwägungsgrund 15 zur DS-GVO. Dort heißt es, dass Akten oder Aktensammlungen sowie ihre Deckblätter, die nicht nach bestimmten Kriterien geordnet sind, nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen sollten.

Angeblich soll, so das LAG, für Akten und insbesondere für Personalakten der Grundsatz der Vollständigkeit (und nicht der datenschutzrechtlichen Grundsätze Datensparsamkeit) maßgeblich sein. Auch hier bricht die Argumentation des LAG ab, d.h. das LAG lässt offen, ob es Personalakten als Akten ansieht, die nicht nach bestimmten Kriterien geordnet sind (was für Personalakten wohl kaum zutreffen dürfte).

Das LAG hat für die Klägerin die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen, wo der Fall inzwischen liegt (Aktenzeichen des BAG: 9 AZR 355/21).

Praxishinweis

Das Urteil des LAG kann nicht überzeugen.

Es ist zwar in der bisherigen Rechtsprechung zum Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung anerkannt, dass eine (außerhalb des Datenschutzrechts liegende) Belastung des Arbeitnehmers durch die Aufbewahrung einer Abmahnung in der Personalakte ausscheidet, sobald das Arbeitsverhältnis einmal beendet ist.

Denn die in einer Abmahnung liegende Belastung besteht in der Kündigungsandrohung, die sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses erledigt hat. Damit entfällt der auf der auf Art.1, 2 Grundgesetz (GG) und auf § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestützte Entfernungsanspruch.

Mit diesem Anspruch hat das datenschutzrechtliche „Recht auf Vergessenwerden“, d.h. der aus Art.17 Abs.1 Buchstabe a) DS-GVO folgende Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten aber nichts zu tun.

Da Abmahnungen zweifellos personenbezogene Daten des abgemahnten Arbeitnehmers enthalten, und da ein nachvollziehbarer Zweck einer weiteren Datenspeicherung durch den Arbeitgeber mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt, ist nicht recht nachvollziehbar, warum der Arbeitgeber nicht zu Entfernung verpflichtet sein sollte.

Voraussichtlich wird das BAG demnächst das letzte Wort in dieser Frage sprechen.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 04.05.2021, 11 Sa 1180/20

Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23.11.2018, 5 Sa 7/17

 

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