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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 01|2020

Update Arbeitsrecht 01|2020 vom 08.01.2020

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Neue Erstbescheinigungen führen nicht immer zu weiteren Ansprüchen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.12.2019, 5 AZR 505/18

Folgt auf eine Arbeitsunfähigkeit in engem zeitlichem Zusammenhang eine neue, muss der Arbeitnehmer beweisen, dass die erste Arbeitsunfähigkeit zu Beginn der neuen geendet hatte.

§§ 3, 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)

Rechtlicher Hintergrund

Gemäß § 3 Abs.1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) können Arbeitnehmer, die infolge (unverschuldeter) krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht arbeiten, vom Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für maximal sechs Wochen verlangen. Bei einer weiteren anderen Erkrankung entsteht ein neuer Anspruch, ebenfalls bis zu maximal sechs Wochen. Zum Nachweis für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit müssen Arbeitnehmer ärztliche Bescheinigungen vorlegen (§ 5 Abs.1 Satz 2 EFZG).

In den meisten Fällen wird der erste Sechswochenzeitraum durch mehrere ärztliche Bescheinigungen nachgewiesen, d.h. durch eine Erstbescheinigung (z.B. für zwei Wochen) und durch daran anschließende Folgebescheinigungen. Tritt nach Ablauf des Sechswochenzeitraums eine andere Erkrankung auf, kann der Arbeitnehmer eine sog. „neue Erstbescheinigung“ vorlegen. Dann beginnt im Allgemeinen ein weiterer Sechswochenzeitraum, für den der Arbeitgeber erneut Entgeltfortzahlung leisten muss.

Nach der Rechtsprechung ist es für den neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer zwischen den beiden Krankheitszeiten arbeitet. Vielmehr genügt es, wenn er für einige wenige Stunden zwischen den beiden Krankheitszeiten gesund gewesen ist. Diese krankheitsfreien Stunden können auf den Feierabend fallen oder auf ein Wochenende.

Liegt zwischen den beiden Krankheitszeiten allerdings kein freier Tag oder Wochenende, kann es für den Arbeitnehmer eng werden, falls es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich beide Erkrankungen möglicherweise zeitlich überschnitten haben. Das würde zu einem „einheitlichen Verhinderungsfall“ führen. Dann wäre der Arbeitgeber nicht verpflichtet, länger als insgesamt sechs Wochen zu zahlen.

Gibt es Indizien dafür, dass die weitere Erkrankung bereits während der letzten Tage der ersten Erkrankung vorgelegen hat, d.h. Anhaltspunkte für einen einheitlichen Verhinderungsfall, trägt der Arbeitnehmer nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ende seiner Krankheitszeiten (BAG, Urteil vom 25.05.2016,5 AZR 318/15, Leitsatz).

In einem aktuellen Fall hat das BAG diese Rechtsprechung bestätigt. Hier ging es um die umgekehrte zeitliche Reihenfolge, d.h. um einen Fall, in dem die Ersterkrankung möglicherweise über ihr attestiertes Ende hinaus fortbestanden hat, d.h. noch zu Beginn der Zweiterkrankung.

Sachverhalt

Eine Altenpflegerin erschien während der letzten Monate ihres Arbeitsverhältnisses durchgehend nicht mehr bei der Arbeit, nämlich vom 07.02.2017 bis Ende Juli 2017. Dabei war sie zunächst (vom 07.02. bis zum 18.05.2017) aufgrund eines psychischen Leidens krangeschrieben. Während dieser Zeit erhielt sie zunächst sechs Wochen lang Entgeltfortzahlung (bis zum 20.03.2017) und danach Krankengeld von ihrer Krankenkasse.

Im unmittelbaren Anschluss an diese Krankschreibung, am 19.05.2019, unterzog sie sich einer gynäkologischen Operation. Die Krankschreibung wegen der Operation begann am 19.05. und dauerte bis zum 30.06.2017. Im Juli 2017 nahm die Pflegerin Urlaub und Freizeitausgleich in Anspruch und begann mit einer Psychotherapie.

Der Arbeitgeber leistete für die Zeit der operationsbedingten Arbeitsunfähigkeit vom 19.05. bis zum 30.06.2017 keine Entgeltfortzahlung, da aus seiner Sicht ein einheitlicher Verhinderungsfall mit der vorherigen psychischen Erkrankung vorlag. Denn die frauenärztliche Krankschreibung datierte bereits vom 18.05.2019, dem Vortag der Operation, und außerdem war die Pflegekraft offenbar auch im Juli 2017 wegen eines psychischen Leidens behandlungsbedürftig, da sie ja im Juli eine Psychotherapie begonnen hatte.

Die Pflegekraft klagte auf Entgeltfortzahlung, in der ersten Instanz mit Erfolg (Arbeitsgericht Hannover, Urteil vom 07.03.2018, 11 Ca 378/17). Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen wies die Klage dagegen ab, nachdem es die behandelnden Ärzte als Zeugen zu der Frage vernommen hatte, ob die psychische Erkrankung mit Ablauf des 18.05.2017 bereits ausgeheilt war.

Denn laut LAG bestanden im Streitfall erhebliche Indizien für einen weiteren Fortbestand des psychischen Leidens, und zwar aufgrund der langen Krankschreibung wegen dieses Leidens (vom 07.02. bis zum 18.05.2017), aufgrund der Einnahme entsprechender Medikamente über den 18.05.2017 hinaus und aufgrund der im Juli 2017 begonnenen Psychotherapie. Die Ärztin, die die am 18.05.2017 endende Krankschreibung ausgestellt hatte, erklärte vor Gericht, dies nur vertretungshalber für den eigentlich behandelnden Arzt gemacht zu haben, und zwar ohne persönliche Untersuchung der Klägerin.

Vor diesem Hintergrund war das LAG der Meinung, die Arbeitnehmerin hätte das Ende ihrer ersten Arbeitsunfähigkeit am 18.05.2017 nicht beweisen können, so dass ein einheitlicher Verhinderungsfall über diesen Tag hinaus bestand. Daher musste der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung leisten.

Entscheidung des BAG

Das BAG segnete die Entscheidung des LAG ab. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG heißt es zur Begründung:

Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch wegen einer weiteren Erkrankung entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führte. Ist ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließt sich daran „in engem zeitlichen Zusammenhang“ eine weitere Arbeitsunfähigkeit an, die durch eine neue Erstbescheinigung attestiert wird, muss der Arbeitnehmer beweisen, dass die erste Arbeitsunfähigkeit zu Beginn der weiteren Krankheit beendet war.

Einen solchen Nachweis hatte die Klägerin im Streitfall nicht führen können, so das BAG. Denn auf der Grundlage der Beweiserhebung durch das LAG konnte nicht festgestellt werden, dass ein einheitlicher Verhinderungsfall nicht vorlag.

Praxishinweis

Dauert eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit über mehrere Monate ohne Unterbrechung an, und reicht der Arbeitnehmer während dieser Zeit verschiedene Erstbescheinigungen ein, können sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es zwischen den verschiedenen Krankheiten bzw. Krankheitszeiten zeitliche Überschneidungen gibt.

In dem hier vom BAG entschiedenen Fall lag die Vermutung nahe, dass sich die Klägerin nur deshalb nicht um eine weitere Krankschreibung wegen ihres psychischen Leidens bemüht hatte, weil sie sich einer Operation unterziehen musste. Eine länger geplante Operation besagt aber an sich nichts dafür, dass eine chronische psychische Erkrankung zum Zeitpunkt der Operation vorübergehend beendet ist.

Der Fall des BAG zeigt außerdem, dass es Arbeitnehmer vor Gericht schwer haben, durch Zeugenaussagen der sie behandelnden Ärzte nachzuweisen, dass bestimmte Erkrankungen genau zu einem bestimmten Tag begonnen oder geendet haben. Verbleiben an dieser Stelle Zweifel und lässt sich daher ein einheitlicher Verhinderungsfall nicht ausschließen, geht dies nach der BAG-Rechtsprechung zulasten des beweispflichtigen Arbeitnehmers.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.12.2019, 5 AZR 505/18

 

Handbuch Arbeitsrecht: Krankheit

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