Update Arbeitsrecht 12|2024 vom 12.06.2024
Entscheidungsbesprechungen
LAG Köln: Abgrenzung von Arbeitsleistung und betrieblicher Hospitation
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 02.05.2024, 6 Sa 325/23
Bei unstreitig bestehendem Arbeitsvertrag und unstreitiger Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb kann sich der Arbeitgeber im Normalfall nicht darauf berufen, der Arbeitnehmer habe nicht die vertraglich geschuldete Arbeit verrichtet.
§§ 134, 275, 326, 611a, 615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); §§ 138, 263 Zivilprozessordnung (ZPO); § 16d Abs.1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)
Rechtlicher Hintergrund
Das Arbeitsverhältnis ist ein Austauschverhältnis. § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) regelt daher sowohl die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung (§ 611a Abs.1 BGB) als auch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung der vereinbarten Vergütung (§ 611a Abs.2 BGB).
Erbringt der Arbeitnehmer zu den vereinbarten Zeiten seine Arbeitsleistung nicht, ist er zur Nachleistung nicht verpflichtet (Fixschuldcharakter der Arbeit). Daher verliert der Arbeitgeber bei Arbeitsausfällen den Anspruch auf die (nachträgliche) Arbeitsleistung, so dass der Leistungsanspruch des Arbeitgebers gemäß § 275 Abs.1 BGB untergeht.
Dementsprechend entfällt aber auch der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Gegenleistung, d.h. auf Lohn bzw. Gehalt, wie sich aus § 326 Abs.1 BGB ergibt. Es gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“.
Von diesem „harten“ Gegenseitigkeitsprinzip gibt es viele Ausnahmen zugunsten des Arbeitnehmers, z.B. in Fällen von Krankheit, Urlaub etc. Auch in diesen Fällen wird nicht gearbeitet, doch bleibt der Lohnanspruch (abweichend von § 326 Abs.1 BGB) bestehen.
Es liegt daher nahe, dem Arbeitnehmer bei einer Lohnklage nur den Vortrag abzuverlangen, dass er einen Arbeitsvertrag mit dem verklagten Arbeitnehmer abgeschlossen hat, allerdings für bestimmte Zeiten seinen Lohn nicht erhalten hat.
Dass der Lohnanspruch (trotz bestehenden Arbeitsvertrags) infolge des Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“ entfallen ist, weil der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat, sollte eigentlich der Arbeitgeber darlegen und beweisen müssen. Denn diese Einwendung ist im Prozess für ihn günstig.
Hier vertritt das Bundesarbeitsgericht (BAG) aber eine andere Meinung. Klagt ein Arbeitnehmer Lohnforderungen ein, muss er nicht nur das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vortragen, sondern auch darlegen, dass er gearbeitet hat (BAG, Urteil vom 18.04.2012, 5 AZR 248/11, Leitsatz).
Dabei genügt es im Normalfall, dass der Arbeitnehmer (pauschal) vorträgt, er habe sich zur rechten Zeit am rechten Ort bereitgehalten, um Anweisungen zu befolgen (BAG, a.a.O., Rn.14). Darauf muss der Arbeitgeber, wenn er sich auf den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ bzw. auf § 326 Abs.1 BGB berufen will, konkret erwidern und seinerseits (angebliche) Fehlzeiten vortragen.
Im Ergebnis trägt der Arbeitgeber daher auch nach Ansicht des BAG im Lohnprozess die größere Vortragslast, wenn er sich auf Fehlzeiten berufen will.
In einem aktuellen Fall des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln ging es nicht nur um die Frage, ob und wann die klagende Arbeitnehmerin gearbeitet hatte.
Streitig war auch, ob etwaige Arbeitsleistungen erfüllungstauglich waren, d.h. ob es sich überhaupt um Arbeitsleistungen handelte, wie sie vertraglich vereinbart waren.
Sachverhalt
Eine Pflegekraft, die in einem außereuropäischen Land eine Ausbildung als Krankenschwester abgeschlossen hatte, war im Januar 2021 nach Deutschland eingereist und hatte mit einem Krankenhausbetreiber einen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Er sah eine Tätigkeit als „Gesundheits- und Krankenpflegerin ohne deutsche Anerkennung“ für 19,25 Stunden wöchentlich ab dem 01.11.2021 vor.
Im Oktober 2021 erhielt die Pflegekraft gemäß § 16d Abs.1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eine bis Dezember 2022 gültige Aufenthaltserlaubnis zur Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Berufsqualifikation.
Gemäß dem Bescheid der Behörde war ihr eine Tätigkeit bis zu höchstens zehn Stunden wöchentlich erlaubt, aber nur „zur Ausübung einer von der Qualifizierungsmaßnahme unabhängigen Beschäftigung“.
Am 25.02.2022 vereinbarten die Parteien einen Abänderungsvertrag für die Zeit ab dem 01.03.2022. Danach sollte die Pflegekraft nicht mehr als „Gesundheits- und Krankenpflegerin ohne deutsche Anerkennung“ (wie gemäß dem ersten Vertrag), sondern als „Pflegehilfskraft in Anerkennung mit Weiterbildung als Fachkraft nach erfolgreicher Anerkennung“ eingesetzt werden.
In der Zeit von September 2021 bis März 2022 war die Pflegekraft in dem Krankenhaus ihres Arbeitgebers tätig. Dauer und Inhalt dieser Tätigkeit waren zwischen den Parteien streitig. Unstreitig waren nur einige wenige Tage im September und Oktober 2021 sowie im Februar 2022.
Der Klinikbetreiber meinte, die Pflegekraft habe nur hospitiert. Sie soll mit einer dort tätigen Pflegekraft „mitgelaufen“ sein. Dagegen behauptete die Pflegekraft, sie hätte (zumindest praktikumsmäßig) mitgearbeitet.
Ihre Klage auf Lohn und Urlaubsabgeltung hatte vor dem Arbeitsgericht Köln teilweise Erfolg, nämlich bezogen auf die (wenigen) unstreitigen Einsatztage (Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 30.03.2023, 6 Ca 3875/22). Dagegen legte die Pflegekraft Berufung ein.
Entscheidung des LAG Köln
Das LAG wies die Berufung zurück. Ansprüche auf Vergütung von geleisteter Arbeit auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages gab es nicht. Die Voraussetzungen des § 611a Abs. 2 BGB waren nicht erfüllt.
Zwischen den Parteien bestand zwar ein Arbeitsverhältnis, so dass die Klage im Ausgangspunkt nachvollziehbar war. Dass die Klägerin keine Arbeitserlaubnis hatte, führte nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages gemäß § 134 BGB, so das LAG im Anschluss an die BAG-Rechtsprechung.
Allerdings ergab sich aus den Darlegungen der Klägerin nicht, dass ihre Tätigkeiten als Arbeitsleistung zu vergüten waren. Hier lag die Darlegungslast im Streitfall bei der Klägerin.
Zwar gibt die BAG-Rechtsprechung vor, dass der Arbeitgeber (und nicht der Arbeitgeber) konkrete Fehlzeiten darlegen muss, wenn streitig ist, ob Arbeitsleistungen erbracht wurden (BAG, Urteil vom 18.04.2012, 5 AZR 248/11, Leitsatz), und auf diese BAG-Rechtsprechung hatte sich die Klägerin berufen.
Das half ihr aber nicht, denn das LAG Köln ging zu ihren Gunsten davon aus, dass sie während der von ihr behaupteten Zeiten in der Klinik tätig war, d.h. pflegerische Tätigkeiten entfaltete.
Diese waren aber aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls nicht tauglich zur Erfüllung der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht der Klägerin.
Hier verweist das LAG auf die unstreitig fehlende unbeschränkte Arbeitserlaubnis, auf die fehlende Anerkennung der beruflichen Qualifikation als Krankenpflegerin, auf den hochgradig unregelmäßigen Einsatz sowie auf die Tatsache, dass es eine zusätzliche vertragliche Bindung der Klägerin mit einem Unternehmen der Personalvermittlung gab.
Daher hätte die Klägerin gemäß § 138 Abs.1 und 2 ZPO darlegen müssen, dass ihre Tätigkeit nicht im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung für den Personalvermittler erbracht wurde, dass sie keine bloße Hospitation war, dass sie nicht als Praktikumsversuch entfaltet wurde, und dass sie nicht nur in Begleitung einer Ausbilderin oder Einweiserin verrichtet wurde.
Praxishinweis
Dem LAG Köln ist zuzustimmen.
Zwar kann sich der Arbeitgeber - bei unstreitig bestehendem Arbeitsverhältnis und unstreitiger Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb - im Normalfall nicht darauf berufen, der Arbeitnehmer habe nicht die vertraglich geschuldete Arbeit verrichtet.
Dies gilt aber nur im Grundsatz bzw. im Normalfall. Gibt es wie im Fall des LAG Köln mehrere erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitnehmer trotz Anwesenheit im Betrieb dort keine vertragsgemäße Arbeit geleistet hat, muss er die Arbeitsleistung konkretisieren.
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 02.05.2024, 6 Sa 325/23
Handbuch Arbeitsrecht: Annahmeverzug des Arbeitgebers
Handbuch Arbeitsrecht: Lohn und Gehalt
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