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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 24|2023

Update Arbeitsrecht 24|2023 vom 29.11.2023

Leitsatzreport

LAG Baden-Württemberg: Einstufung streitgegenständlicher Informationen als geheimhaltungsbedürftig

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.09.2023, 7 Ta 1/22

§§ 16 Abs.1; 20 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG); Art.9 Abs.1 Richtlinie (EU) 2016/943 (Geschäftsgeheimnis-Richtlinie)

Leitsätze des Gerichts:

1. Beantragt eine Partei, streitgegenständliche Informationen ganz oder teilweise nach § 16 Abs.1 GeschGehG als geheimhaltungsbedürftig einzustufen, ist hierüber vorab durch Beschluss zu entscheiden.

2. Verstößt das Arbeitsgericht hiergegen und erlässt ein Endurteil, ist nach Maßgabe des Meistbegünstigungsgrundsatzes, sofern die Einstufung als geheimhaltungsbedürftig zweitinstanzlich weiterverfolgt wird, eine eingelegte Berufung in Bezug auf den Einstufungsantrag in das Beschwerdeverfahren überzuleiten und im Übrigen die Berufung bis zur nicht anfechtbaren Entscheidung über den Einstufungsantrag auszusetzen.

3. Der auf das insoweit als sofortige Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel ergangene Beschluss ist nicht isoliert anfechtbar, sondern nur gemeinsam mit dem Rechtsmittel der Hauptsache.

4. Soweit zugleich beantragt wird, die Öffentlichkeit von der mündlichen Verhandlung auszuschließen, ist dieses weitere Begehren nicht vom Vorabverfahren nach § 20 GeschGehG erfasst.

5. Für den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit im zweitinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren ist auf § 52 ArbGG in Verbindung mit § 64 Abs.7 ArbGG zurückzugreifen.

6. Ein Einstufungsantrag nach § 16 Abs.1 GeschGehG ist nur statthaft, wenn der Antragsteller eine Geschäftsgeheimnisstreitsache mit den sich aus Abschnitt 2 des GeschGehG ergebenden Streitigkeiten verfolgt.

7. Es genügt als tatbestandliche Voraussetzung, dass die streitgegenständlichen als geheimhaltungsbedürftig einzustufenden Informationen im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG ein Geschäftsgeheimnis sein können. Das folgt aus der richtlinienkonformen Auslegung des Art. 9 Abs. 1 (EU) 2016/943 vom 08.06.2016 (ABl. L 157 vom 15.06.2016, S. 1). Dementsprechend reicht es aus, dass für das Vorliegen eines solchen Geschäftsgeheimnisses eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht (Prognoseentscheidung).

8. Liegt danach ein mögliches Geschäftsgeheimnis vor, ist in aller Regel nur eine Einstufung als geheimhaltungsbedürftig ermessensfehlerfrei. Etwas anderes kommt allenfalls bei eindeutig rechtsmissbräuchlichen Anträgen in Betracht.

9. Für das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses genügt die Glaubhaftmachung der tatbestandlichen Voraussetzungen. Davon ist auszugehen, wenn nach freier Würdigung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht.

Hintergrund:

Gemäß § 16 Abs.1 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) kann das Gericht bei Klagen, mit denen Ansprüche nach dem GeschGehG geltend gemacht werden (Geschäftsgeheimnisstreitsachen), auf Antrag einer der Parteien bestimmte für den Streit erhebliche Informationen ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstufen, falls diese ein Geschäftsgeheimnis sein können. Dann müssen die Parteien, ihre Anwälte und andere Verfahrensbeteiligte die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen vertraulich behandeln, und sie dürfen diese Informationen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nicht nutzen oder offenlegen (§ 16 Abs.2 GeschGehG). Geschäftsgeheimnisstreitsachen sind z.B. Ansprüche auf Unterlassung einer (weiteren) unzulässigen Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen oder auf Vernichtung oder Herausgabe von geheimhaltungsbedürftigen Dokumenten und Dateien. Im Streitfall hatte ein Unternehmen derartige Ansprüche gegen einen (Ex-)Arbeitnehmer geltend gemacht und einen Einstufungsantrag gestellt, woraufhin das Arbeitsgericht Stuttgart über den Antrag nicht vorab per Beschluss, sondern entgegen § 20 Abs.5 Satz 1 durch Urteil entschieden hatte, und zwar gegen den Arbeitgeber. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg rüffelte die Verfahrensweise des Arbeitsgerichts und ließ es gelten, dass das klagende Unternehmen daraufhin Berufung (anstatt Beschwerde) eingelegt hatte. In der Sache gab das LAG dem Antrag auf Einstufung statt, da hier im Verfahren Dinge erörtert wurden, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Geschäftsgeheimnisse waren.

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.09.2023, 7 Ta 1/22

 

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