UPDATE
ARBEITSRECHT
Ausgabe
ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 17|2023

Update Arbeitsrecht 17|2023 vom 23.08.2023

Leitsatzreport

LAG Mecklenburg-Vorpommern: Notwendige Schriftform bei der Ausübung einer „Turboklausel“

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 09.05.2023, 2 Sa 146/22

§§ 125, 126, 126a, 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 12 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

Leitsätze des Gerichts:

1. Die Einräumung des Rechtes für eine Partei eines Arbeitsvertrages mit einer bestimmten Ankündigungsfrist vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu können, stellt ein § 12 Satz 1 KSchG vergleichbares Sonderkündigungsrecht dar, welches in einem Abwicklungsvertrag eingeräumt werden kann, dessen Ausübung jedoch dem Schriftformerfordernis des § 623 BGB unterfällt.

2. § 623 BGB erfasst jedes Arbeitsverhältnis. Der Gesetzgeber hat das Schriftformerfordernis als konstitutiv angesehen. Es handelt sich deshalb um zwingendes Recht, welches weder durch vertragliche noch durch tarifvertragliche Regelungen abbedungen werden kann (BAG, Urteil vom 17.12.2015 - 6 AZR 709/14 - Rn. 35, juris).

3. Soll die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, so muss der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen (§ 126a BGB). Eine solche Ersetzung ist jedoch nur möglich, wenn die elektronische Form nicht durch Gesetz ausgeschlossen ist.

4. Für Kündigungen ist gemäß § 623 2. Halbsatz BGB der Ausschluss der elektronischen Form normiert. Damit hat der Gesetzgeber eindeutig zu verstehen gegeben, dass das Schriftformerfordernis konstitutiv ist, die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch elektronische Form nicht in Betracht kommt.

5. Die Formvorschriften des Bürgerlichen Rechts sind von denen des Prozessrechts strikt zu unterscheiden. Sie können wegen der Eigenständigkeit des Prozessrechts weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozesshandlungen angewendet werden. Die Möglichkeit der Nutzung der qualifizierten elektronischen Signatur und Übermittlung durch das besondere Anwaltspostfach dient der Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren, verfolgt damit eine andere Ziel- und Zweckrichtung als die Formvorschriften des BGB. Es bedarf keiner Übertragung des für das Prozessrecht vorgesehenen Beschleunigungs- und Vereinfachungseffekts auf den Ausspruch von Kündigungen für Arbeitsverhältnisse.

Hintergrund:

Gemäß § 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bedarf die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses der Schriftform. Möchte man nicht zum Notar gehen ist dazu gemäß § 126 Abs.1 BGB ein Blatt Papier und eine eigenhändige Unterschrift erforderlich. Die sog. elektronische Form ist ausgeschlossen (§ 623, 2. Halbsatz BGB). Im Streitfall war ein Küchenleiter mit einem Monatsgehalt von 2.700,00 EUR brutto im Juni 2021 gekündigt worden und hatte sich mit seinem Arbeitgeber durch gerichtlichen Vergleich auf sein Ausscheiden zu Ende November 2021 geeinigt, verbunden mit einer Freistellung bis dahin bei einem verringerten Gehalt von 1.800,00 EUR brutto. Der über einen Anwalt ausgehandelte Vergleich enthielt eine sog. Turboklausel, der zufolge der Küchenleiter das Recht hatte, das Arbeitsverhältnis vorzeitig durch schriftliche Erklärung zu beenden. In diesem Fall sollte er die entfallenden Gehälter als Abfindung erhalten. Der Anwalt des Küchenleiters teilte mit Schreiben vom 20.07.2023 dem Anwalt des Arbeitgebers mit, dass sein Mandant das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu Ende Juli 2021 beende. Das Schreiben versandte er über den im deutschen Rechtsverkehr üblichen digitalen Übertragungsweg, das sog. besondere elektronische Anwaltspostfach (beA). Die später verlangte Abfindung von (4 x 1.800,00 EUR =) 7.200,00 EUR zahlte der Arbeitgeber nicht. Das Arbeitsgericht Stralsund verurteilte ihn zwar zur Zahlung, da es meinte, hier komme § 623 BGB nicht zur Anwendung (Urteil vom 20.09.2022, 13 Ca 99/22). Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern sah das aber anders und wies die Klage ab. Denn die vorzeitige Beendigung war - als Kündigung im Sinne von § 623 BGB - nicht schriftlich erklärt worden.

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 09.05.2023, 2 Sa 146/22

 

Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung

Handbuch Arbeitsrecht: Abwicklungsvertrag

Handbuch Arbeitsrecht: Aufhebungsvertrag

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung des Arbeitsvertrags (Überblick)

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

IMPRESSUM