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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 04|2025

Update Arbeitsrecht 04|2025 vom 30.04.2025

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage bei Schwangerschaft

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.04.2025, 2 AZR 156/24

Kenntnis von einer Schwangerschaft im Sinne von § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG hat eine gekündigte Arbeitnehmerin erst, wenn sie durch eine ärztliche Untersuchung weiß, dass sie bei Ausspruch der Kündigung schwanger war.

Art.10, 12 Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19.10.1992 (Richtlinie 92/85/EWG - Mutterschutzrichtlinie); §§ 4,5, 7 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG); § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Rechtlicher Hintergrund

Die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin durch den Arbeitgeber ist im Allgemeinen unwirksam, wenn dem Arbeitgeber die Schwangerschaft bekannt ist, wie sich aus § 17 Abs.1 Satz 1 Nr.1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) in Verb. mit § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergibt. In Ausnahmefällen kann die Arbeitsschutzbehörde eine solche Kündigung vorab für zulässig erklären (§ 17 Abs.2 Satz 1 MuSchG).

War dem Arbeitgeber die Schwangerschaft bei Ausspruch der Kündigung nicht bekannt und teilt die Schwangere ihm dies binnen zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mit, ist die Kündigung ebenfalls unwirksam (§ 17 Abs.1 Satz 1 MuSchG).

Falls die Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt weder dem Arbeitgeber noch der Schwangeren bekannt war, und falls daher die Zweiwochenfrist für die nachträgliche Mitteilung abgelaufen ist, muss die Mitteilung gemäß § 17 Abs.1 Satz 2 MuSchG „unverzüglich“ nachgeholt werden. Auch dann ist die Kündigung unwirksam.

Zusätzlich zu diesen - recht komplizierten - gesetzlichen Fristen müssen Schwangere beachten, dass sie gemäß § 4 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gehalten sind, binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Kündigungsschutzklage einzureichen, denn andernfalls gilt die Kündigung als wirksam (§ 7 KSchG). 

Zwar scheint die dreiwöchige Klagefrist gemäß § 4 Satz 4 KSchG erst nach Bekanntgabe der arbeitsbehördlichen Zustimmung zur Kündigung (gemäß § 17 Abs.2 Satz 1 MuSchG) gegenüber der Arbeitnehmerin zu beginnen, doch gilt die Sonderregel des § 4 Satz 4 KSchG nicht, wenn der Arbeitgeber von der Schwangerschaft nichts wusste.

Gekündigte Schwangere, die erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist von ihrer Schwangerschaft (zum Zeitpunkt der Kündigung) erfahren, müssen sich daher beeilen. 

Erstens müssen sie dem Arbeitgeber die Schwangerschaft gemäß § 17 Abs.1 Satz 2 MuSchG „unverzüglich“ mitteilen. Und zweitens müssen sie gemäß § 5 Abs.1 und Abs.3 KSchG binnen zwei Wochen einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage bei Gericht stellen, wie sich aus § 5 Abs.1 und Abs.3 KSchG ergibt.

Dazu hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor knapp einem Jahr entschieden, dass die Zweiwochenfrist für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage zu europarechtswidrigen Verfahrensnachteilen zulasten von schwangeren Frauen führen kann, wenn sie erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist von ihrer Schwangerschaft erfahren haben (EuGH, Urteil vom 27.06.2024, C-284/23; s. dazu Update Arbeitsrecht 13|2024). Maßstab war hier Art.10 Richtlinie 92/85/EWG, der die EU-Staaten zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen vor Kündigungen verpflichtet.

Das EuGH-Urteil legt es nahe, die Zweiwochenfrist des § 5 Abs.3 KSchG für den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zugunsten von Schwangeren europarechtskonform zu begrenzen. 

Diesen Weg will das Bundesarbeitsgericht (BAG) aber nicht gehen, wie es vor kurzem deutlich gemacht hat: BAG, Urteil vom 03.04.2025, 2 AZR 156/24.

Sachverhalt

Eine in einem Kleinbetrieb mit nicht mehr als zehn Arbeitnehmern tätige Angestellte erhielt am 14.05.2022 eine ordentliche Kündigung ihrer Arbeitgeberin. Zu diesem Zeitpunkt war sie schwanger, was sie aber nicht wusste.

Zwei Wochen später, am 29.05.2022, führte sie zu Hause einen Schwangerschaftstest durch, mit einem positiven Ergebnis. Dies teilte sie ihrer Chefin per E-Mail und per Einschreiben mit.

Außerdem bemühte sie sich um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den 17.06.2022 erhielt. Schon einige Tage vor dem Arzttermin, am 13.06.2022 und damit zwei Wochen nach dem selbst durchgeführten Schwangerschaftstest, reichte sie Kündigungsschutzklage ein und beantragte deren nachträgliche Zulassung.

Die Arbeitgeberin meinte, die Kündigung sei wegen Ablaufs der dreiwöchigen Klagefrist wirksam. Denn gerechnet ab Zugang der Kündigung (14.05.2022) wäre die Dreiwochenfrist am 07.06.2022 abgelaufen. Die Angestellte hätte, so die Arbeitgeberin, noch nach ihrem Selbsttest (am 29.05.2022) genügend Zeit gehabt, die reguläre Klagefrist einzuhalten.

Das sahen das Arbeitsgericht Dresden (Urteil vom 05.01.2023, 6 Ca 1051/22) und das Sächsische Landesarbeitsgericht (LAG) anders und gaben dem Kündigungsschutzantrag statt (Sächsisches LAG, Urteil vom 22.04.2024, 2 Sa 88/23).

Das LAG meinte, dass die Zweiwochenfrist für die nachträgliche Klagezulassung hier erst ab sicherer Kenntnis der Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung zu laufen begann, d.h. im Streitfall ab der ärztlichen Untersuchung am 17.06.2022. So gesehen hatte die Angestellte Klage und Antrag früher als nötig eingereicht (nämlich schon am 13.06.2022). 

Aber auch dann, wenn das Hindernis für die Klage bereits mit dem (während der laufenden Klagefrist durchgeführten) Selbsttest am 29.05.2022 weggefallen sein sollte, wäre der Angestellten entsprechend § 5 Abs.3 KSchG eine Überlegungsfrist von zwei Wochen einzuräumen, die sie im Streitfall beachtet hatte.

Entscheidung des BAG

Das LAG bestätigte das LAG-Urteil im Ergebnis und wohl auch in der Begründung. In der derzeit allein vorliegenden Pressemitteilung des BAG heißt es:

Die Kündigung war wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot des § 17 Abs.1 Nr.1 MuSchG unwirksam. Auf den Ablauf der Klagefrist konnte sich die Arbeitgeberin nicht berufen. 

Zwar lief die dreiwöchige Klagefrist am 07.06.2022 ab, so dass die Klage zu spät eingereicht wurde (nämlich erst am 13.06.2022), denn für den Fristbeginn kam es hier nicht (gemäß § 4 Satz 4 KSchG) auf eine behördliche Zustimmung zur Kündigung an, weil die Beklagte bei Ausspruch der Kündigung von der Schwangerschaft nichts wusste. Die verspätete Klage war aber gemäß § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen, so das BAG. 

Denn die Angestellte hatte erst durch die frühestmögliche frauenärztlichen Untersuchung am 17.06.2022 positive Kenntnis von ihrer Schwangerschaft bei Zugang der Kündigung am 14.05.2022erlangt. 

Der zu Hause selbst durchgeführte Schwangerschaftstest vom 29.05.2022 war hier nicht maßgeblich, da er der Angestellten keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt verschaffen konnte.

In dieser Auslegung der §§ 4, 5 KSchG und des § 17 Abs.1 MuSchG entspricht der Kündigungsschutz für Schwangere den Vorgaben des EuGH in der o.g. Entscheidung vom 27.06.2024 (C-284/23), so das BAG.

Praxishinweis

Das BAG stellt zurecht klar, dass es für die Kenntnis von einer Schwangerschaft im Sinne von § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG nicht auf einen Selbsttest, sondern auf eine frauenärztliche Untersuchung ankommt.

Damit genügt das BAG aber noch nicht vollständig den Anforderungen des o.g. EuGH-Urteils. Denn dieses Urteil hat ziemlich unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Zweiwochenfrist des § 5 Abs.3 KSchG für die nachträgliche Klageinreichung und den Antrag auf nachträgliche Zulassung in der besonderen Lage, in der sich eine gekündigte Schwangere befindet, zu kurz ist.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.04.2025, 2 AZR 156/24 (Pressemitteilung des Gerichts)

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 27.06.2024, C-284/23

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 2910.2009, C-63/08 (Pontin)

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.02.2009, 2 AZR 286/07

 

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutz

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage

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