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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 09|2021

Update Arbeitsrecht 09|2021 vom 05.05.2021

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Vertragliche Ausschlussklauseln müssen Ansprüche wegen Vorsatzhaftung ausnehmen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.11.2020, 8 AZR 58/20

Vom Arbeitgeber vorformulierte Ausschlussklauseln, die Ersatzansprüche aus vorsätzlicher Schädigung nicht ausdrücklich ausklammern, verstoßen gegen § 202 Abs.1 BGB und sind daher unwirksam.

§§ 134, 202 Abs.1, 276 Abs.3, 306, 307, 310 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Rechtlicher Hintergrund

Arbeitsvertragliche Klauseln werden meist vom Arbeitgeber einseitig und für viele Anwendungsfälle ausgearbeitet und dem Arbeitnehmer zur Annahme vorgelegt. Dann sind sie Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und müssen den §§ 305 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechen.

AGB, die den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen und/oder unklar („intransparent“) sind, sind unwirksam (§ 307 BGB). Trotzdem bleibt der Vertrag im Übrigen gültig, und statt der unwirksamen Klausel gelten die gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs.1 und 2 BGB). Daraus folgt: Eine teilweise Aufrechterhaltung von rechtswidrigen AGB wäre unzulässig, d.h. der Verstoß gegen das AGB-Recht muss zum Wegfall der gesamten Klausel führen („Verbot der geltungserhaltenden Reduktion“). Sonst bestünde kein Anreiz für den Arbeitgeber, korrekte AGB zu verwenden.

Daher ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass arbeitsvertragliche Ausschlussklauseln, denen zufolge Ansprüche binnen einer bestimmten Frist angemahnt werden müssen und anderenfalls verfallen, seit Anfang 2015 Mindestlohnansprüche ausdrücklich von ihrer Geltung ausnehmen müssen. Und seit Oktober 2016 dürfen sie auch keine „schriftliche“ Geltendmachung mehr vorschreiben, sondern müssen ein Mahnschreiben in Textform (z.B. per E-Mail) ausreichen lassen. Klauseln, die dagegen verstoßen, sind insgesamt unwirksam.

Von dieser am Verbot der geltungserhaltenden Reduktion orientierten Rechtsprechung weicht das Bundesarbeitsgericht (BAG) bisher beim Thema Vorsatzhaftung ab. Es ist gesetzlich nämlich ausgeschlossen, per Vertrag eine Abkürzung der Verjährung zu vereinbaren (wozu auch Ausschlussfristen gehören), wenn davon (auch) Ansprüche aus vorsätzlicher Schädigung erfasst sind (§ 202 Abs.1 BGB). Trotzdem hat das BAG bisher auch solche Ausschlussklauseln gelten lassen, die keine Klarstellung enthalten, der zufolge sie für Ansprüche aus vorsätzlicher Schädigung nicht gelten.

Denn, so das BAG bisher: An solche seltenen Ansprüche denken die Parteien bei Ausschlussklauseln nicht, und außerdem ergibt sich die Unzulässigkeit einer vertraglichen Beseitigung von Ansprüchen aus vorsätzlicher Schädigung ohnehin aus dem Gesetz, nämlich aus § 202 Abs.1 BGB und aus § 276 Abs.3 BGB. Daher interpretiert das BAG Ausschlussklauseln bislang so, dass sie auch ohne eine ausdrückliche Klarstellung nicht für Ansprüche gelten (sollen), denen eine Haftung wegen Vorsatzes zugrunde liegt (BAG, Urteil vom 20.06.2013, 8 AZR 280/12, Rn.22).

Diese Rechtsprechung, die zugunsten des Arbeitgebers Ausschlussklauseln „rettet“ und daher mit dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion kaum zusammenpasst, hat das BAG jetzt aufgegeben.

Sachverhalt

Eine deutsche und eine mit ihr geschäftlich verbundene luxemburgische Gesellschaft wurden über Jahre hinweg durch betrügerische Machenschaften eines ihrer Manager um 230.000,00 EUR geschädigt. In dieser Höhe bezahlte der Manager nämlich zulasten der Konten der Gesellschaften seine private Verbindlichkeiten. Im August 2017 flog der Schwindel auf.

An den Machenschaften des Managers war auch seine damalige Ehefrau als Buchhaltungskraft der deutschen Gesellschaft beteiligt. Dies gab sie im August 2017 zu, entschuldigte ihr Verhalten aber mit einer angeblichen Bedrohung durch ihren damaligen Mann.

Nachdem die deutsche Gesellschaft ihr gekündigt hatte, erhob sie Kündigungsschutzklage, allerdings ohne Erfolg. Erfolgreich war dagegen die von ihrem Arbeitgeber erhobene Widerklage auf Zahlung von 101.372,73 EUR Schadensersatz, und zwar sowohl vor dem Arbeitsgericht Trier (Urteil vom 14.03.2018, 4 Ca 1108/17) als auch in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG ) Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.07.2019, 5 Sa 169/18). Mit der Zahlungs-Widerklage machte die deutsche Gesellschaft eigene, überwiegend aber Forderungen der luxemburgischen Gesellschaft geltend, die sie sich zuvor hatte abtreten lassen.

In dem Arbeitsvertrag der Buchhalterin vom Dezember 2010 war folgende Ausschlussklausel enthalten:

„Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, sind binnen einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Fall der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Ausschlussfrist von einem Monat einzuklagen.“

Diese Ausschlussfrist hatte der Arbeitgeber bei Erhebung seiner Widerklage im Dezember 2017 nicht beachtet, nachdem er bereits seit August von den Schädigungshandlungen der Buchhalterin wusste. Die Buchhalterin berief sich daher in der Berufung vor dem LAG auf die Ausschlussfrist, doch meinte das LAG unter Hinweis auf die bisherige BAG-Rechtsprechung, die Klausel würde für die streitigen Schadensersatzansprüche nicht gelten (LAG, Urteil, Rn.79).

Entscheidung des BAG

Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und verwies den Fall zum LAG zurück, da es mit der Begründung des LAG nicht einverstanden war.

In den Urteilsgründen stellt das BAG klar, dass es an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht festhält, der zufolge Ausschlussklauseln wie die hier streitige für Ansprüche aus Vorsatzhaftung von vornherein nicht gelten. Eine so weitgehende Geltung ist jetzt doch anzunehmen, so das BAG. Das wiederum führt dazu, dass die gesamte Klausel gegen § 202 Abs.1 BGB verstößt und daher gemäß § 134 BGB unwirksam ist.

Normalerweise hätte die Buchhalterin damit den Prozess gewonnen, denn auf die Unwirksamkeit seiner eigenen AGB-Klausel kann sich der Verwender der Klausel (hier: der Arbeitgeber) in der Regel nicht berufen (sog „personale Teilunwirksamkeit“ von AGB-Klauseln). Doch gilt das hier ausnahmsweise nicht, so das BAG. Denn die §§ 202 Abs.1 und 276 Abs.3 BGB verbieten vertragliche Haftungsbeschränkungen „schlechthin“ bzw. ohne Rücksicht darauf, auf wessen Initiative eine solche vertragliche Vereinbarung getroffen wird (BAG, Urteil, Rn.72).

Praxishinweis

Das BAG-Urteil bestätigt die bereits seit langem übliche Empfehlung, bei der Ausarbeitung arbeitsvertraglicher Ausschlussklauseln vorsichtshalber klarzustellen, dass die Ausschlussfrist für Ansprüche nicht gilt, denen eine Haftung wegen Vorsatzes zugrunde liegt.

Arbeitsvertragliche Ausschlussklauseln, die demgegenüber eine solche ausdrückliche Einschränkung ihres Geltungsbereichs nicht enthalten, sind insgesamt unwirksam. Dies gilt unabhängig davon, wann der Arbeitsvertrag vereinbart wurde, d.h. eine bestimmte Stichtagsregelung oder Übergangsfrist gilt hier nicht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.11.2020, 8 AZR 58/20

 

Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) - Ausschlussklausel

Handbuch Arbeitsrecht: Ausschlussfrist

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verhaltensbedingte Kündigung

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