Update Arbeitsrecht 07|2025 vom 31.07.2025
Leitsatzreport
LAG Schleswig-Holstein: Recht zur Verweigerung der Auskunft im Zivilprozess wegen der Gefahr der strafrechtlichen Selbstbezichtigung?
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11.04.2025, 2 Sa 67/25
§ 62 Abs.1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG); §§ 138; 719 Abs.1 Satz 1 ZPO; 707 Abs.1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO); Art.1; 2 Abs.1; 20 Abs.3 Grundgesetz (GG)
Leitsatz des Gerichts:
Keine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, weil die Partei sich auf den Grundsatz beruft (nemo-tenetur), dass sie sich im Zivilprozess wegen eines laufenden Ermittlungsverfahrens nicht selbst bezichtigen muss. Es gilt der Grundsatz der Wahrheitspflicht des § 138 ZPO.
Hintergrund:
Aus dem im Grundgesetz (GG) verankerten Schutz der Persönlichkeit (Art.1 in Verb. mit Art. 2 Abs.1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (20 Abs.3 GG) wird hergeleitet, dass im deutschen Strafprozessrecht niemand gegen sich selbst aussagen muss: Nemo tenetur se ipsum accusare. (Niemand ist gehalten, sich selbst anzuklagen.) In einem vom Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschiedenen Fall ging es um einen angestellten Manager, der - sehr wahrscheinlich - schwerwiegende und auch strafbare Pflichtverletzungen begangen hatte und daher fristlos gekündigt worden war. Den Kündigungsschutzprozess hatte er in erster Instanz verloren und war auf die Widerklage des Arbeitgebers hin dazu verurteilt worden, Auskunft über bestimmte Wettbewerbshandlungen zu erteilen sowie bestimmte Unterlagen vorzulegen (Arbeitsgericht Neumünster, Teilurteil vom 03.02.2025, 3 Ca 728 d/24). Gleichzeitig betrieb die Staatsanwaltschaft Kiel ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn, und zwar wegen des Verdachts der besonders schweren Untreue, der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen. Der (Ex-)Manager hatte zwar Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil eingelegt, doch betrieb sein (Ex-)Arbeitgeber bereits die Vollstreckung aus diesem Urteil, d.h. er wollte durch gerichtliche Verhängung eines Zwangsgeldes erreichen, dass der verurteilte (Ex-)Manager gemäß dem Urteil Urkunden vorlegt und Auskünfte erteilt. Dagegen wehrte dieser sich mit einem beim LAG gestellten Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs.1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) in Verb. mit §§ 719 Abs.1 Satz 1 und 707 Abs.1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Danach kann das Berufungsgericht die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil einstweilen einstellen, wenn der Vollstreckungsschuldner glaubhaft macht, dass ihm die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Dazu hatte der (Ex-)Manager vorgetragen, dass er als Beschuldigter eines Strafverfahrens nicht über den Umweg einer zivilgerichtlichen Entscheidung gezwungen werden dürfe, Urkunden im Zusammenhang mit einem gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Tatvorwurf vorzulegen. Denn das, so der Antragsteller, verstoße gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz. Das sah das LAG anders und wies den Antrag zurück. Es sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, bis zum Abschluss des Strafverfahrens abzuwarten, um dann erst seine Ansprüche gegen den Kläger durchzusetzen. Würde man aufgrund des Nemo-tenetur-Grundsatzes die Darlegungslasten des (Ex-)Managers einschränken, hätte der Arbeitgeber (lange Zeit) keine Möglichkeit, seine Ansprüche durchzusetzen. Straftäter würden damit im Zivilprozess auf Kosten des Gegners privilegiert. Das gelte auch im Zwangsvollstreckungsverfahren.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11.04.2025, 2 Sa 67/25
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