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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 05|2025

Update Arbeitsrecht 05|2025 vom 31.05.2025

Entscheidungsbesprechungen

Hessisches LAG: Treuwidrigkeit einer Wartezeitkündigung mit sechsmonatiger Frist?

Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 29.04.2024, 8 Sa 1057/23

Eine kurz vor Ablauf der kündigungsschutzrechtlichen Wartezeit vereinbarte Verlängerung der Kündigungsfrist auf sechs Monate ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn dem Arbeitnehmer damit eine Bewährungschance eingeräumt werden soll.

§§ 1 Abs.1, 23 Abs.1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); §§ 162, 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 75 Abs.4 Satz 1 Hessisches Personalvertretungsgesetz (HPVG), § 308 Zivilprozessordnung (ZPO)

Rechtlicher Hintergrund

Arbeitgeber in Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern müssen bedenken, dass unbefristet beschäftigte Mitarbeiter nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in Anspruch nehmen können (§ 1 Abs.1 KSchG). 

Kündigungen, die Arbeitgeber nach dieser sechsmonatigen Wartezeit erklären, müssen sozial gerechtfertigt sein, d.h. Arbeitgeber brauchen einen gerichtlich darstellbaren (betriebsbedingten, verhaltensbedingten oder personenbedingten) Kündigungsgrund. 

Wird die Kündigung dagegen noch innerhalb der ersten sechs Monate ausgesprochen, und sei es am letzten Tag dieser Frist, besteht Kündigungsfreiheit. Eine soziale Rechtfertigung ist dann nicht nötig.

Vor diesem Hintergrund überlegen manche Arbeitgeber, wenn die Einarbeitung eines unbefristet tätigen neuen Mitarbeiters in der Wartezeit nicht wie gewünscht verläuft, ob sie die Erprobungsphase nicht verlängern können, ohne an den Kündigungsschutz gebunden zu sein.

Ein denkbares Mittel zur Erreichung einer solchen Verlängerung der Erprobung wäre ein Aufhebungsvertrag, dessen Wirkung (Beendigung des Arbeitsverhältnisses) von der Bedingung abhängig gemacht wird, dass der Arbeitnehmer bestimmte Leistungs- oder Verhaltensziele nicht erreicht. 

Da ein solcher „bedingter Aufhebungsvertrag“ aber den Schutz des Arbeitnehmers gegenüber (außerordentlichen oder ordentlichen) Kündigungen umgehen würde, ist er nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) rechtlich unzulässig (BAG, Urteil vom 05.12.1985, 2 AZR 61/85, Rn.37-47).

Dagegen ist es rechtlich möglich, mit einem Arbeitnehmer einen - unbedingten - Aufhebungsvertrag mit einem um einige Monate hinausgeschobenen Austrittsdatum zu vereinbaren, und ihm zugleich anzubieten, ihn im Falle einer Verbesserung seiner Leistungen wieder einzustellen (BAG, Urteil vom 07.03.2002, 2 AZR 93/01). 

Diese Möglichkeit setzt allerdings voraus, dass die Verlängerung der Beschäftigungsdauer „überschaubar“ ist, d.h. die Vertragsverlängerung darf die längste (gesetzlich oder tariflich vorgesehene) Kündigungsfrist nicht überschreiten (BAG, a.a.O.).

Auf dieser Linie liegt eine aktuelle Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG), mit dem das Gericht über eine gegen Ende der Wartezeit vom Arbeitgeber erklärte Kündigung mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende entscheiden musste (Hessisches LAG, Urteil vom 29.04.2024, 8 Sa 1057/23). 

Die Kündigung war mit der Arbeitnehmerin zuvor abgesprochen worden, wobei die Parteien ins Auge gefasst hatten, dass die Arbeitnehmerin im Falle einer Leistungsverbesserung unbefristet wieder eingestellt werden würde.

Sachverhalt

Eine hessische Stadt stellte zum 01.01.2023 eine neue Mitarbeiterin mit den Aufgaben der Leiterin der Abteilung Bauverwaltung und Liegenschaftsmanagement ein. 

Die Anstellung erfolgte unbefristet auf tariflicher Grundlage, d.h. unter Bezugnahme auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD/VKA). 

Neben der gesetzlichen Wartezeit (§ 1 Abs.1 KSchG) galt daher eine tarifliche sechsmonatige Probezeit (§ 2 Abs.4 Satz 1 TVöD/VKA). Die Stadt konnte daher innerhalb der ersten sechs Monate mit einer auf zwei Wochen zum Monatsende verkürzten Kündigungsfrist kündigen (§ 34 Abs.1 Satz 1 TVöD/VKA).

In der zweiten Maihälfte 2023 teilte die Stadt der Angestellten ihre Absicht mit, sie wegen mangelnder Akzeptanz im Team innerhalb der Wartezeit bzw. Probezeit zu kündigen. Die Angestellte legte daraufhin wenige Tage später einen „Maßnahmenplan“ vor, dem zufolge die Konflikte gelöst werden sollten.

Daraufhin stellte die Stadt die Angestellte vor die Wahl, entweder eine Probezeitkündigung zu Ende Juli 2023 auszusprechen oder eine Probezeitkündigung zum 31.12.2023, d.h. mit verlängerter sechsmonatiger Frist, verbunden mit der Option der Wiedereinstellung, falls sich die Situation in der Bauabteilung verbessern sollte.

Die Klägerin sprach sich für die zweite Kündigungsvariante aus, stellte aber die rhetorische Frage, welche Option sie denn sonst habe. Nach Anhörung des Personalrats erklärte die Stadt im Juni 2023 eine Kündigung zum 31.12.2023.

Die Angestellte sah darin eine unzulässige Umgehung ihres ab dem 01.07.2023 eingreifenden Kündigungsschutzes und erhob Kündigungsschutzklage, die das Arbeitsgericht Offenbach abwies (Urteil vom 12.10.2023, 2 Ca 178123).

Entscheidung des Hessischen LAG

Auch die Berufung der Angestellten vor dem Hessischen LAG hatte keinen Erfolg. Zur Begründung heißt es in dem Urteil:

Die Stadt musste sich nicht wegen einer treuwidrigen Vereitelung des Fristablaufs gemäß § 162 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) so behandeln lassen, als ob die Wartezeit bereits verstrichen gewesen wäre. Eine treuwidrige Vereitelung des Fristablaufs lag hier nicht vor.

Denn der Arbeitgeber kann, auch noch kurz vor Ablauf der Wartezeit, den Arbeitnehmer statt mit einer kurzen Kündigungsfrist mit einer deutlich verlängerten Frist kündigen, um ihm eine Chance zur Bewährung zu geben. 

Die Frist muss dann aber, so das LAG unter Berufung auf das o.g. BAG-Urteil (BAG, Urteil vom 07.03.2002, 2 AZR 93/01), die eigentlich geltende Frist in einer „überschaubaren“ Weise verlängern.

Das war hier der Fall. Das arbeitsgerichtliche Urteil, dessen Begründung sich das LAG zu eigen macht, hatte an dieser Stelle darauf verwiesen, dass die gewährte Kündigungsfrist von sechs Monaten unter der tarifvertraglich längsten Kündigungsfrist lag, die gemäß § 34 Abs.1 Satz 2 TVöD/VKA sechs Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres beträgt. 

Darüber hinaus lag die Überschreitung der Probezeitkündigungsfrist im Streitfall weder ausschließlich noch überwiegend im Interesse der Stadt. Diese nahm vielmehr v.a. Rücksicht auf die Interessen der Angestellten, indem sie ihr eine Chance zur Umsetzung ihres „Maßnahmenplanes“ geben wollte.

Auch die Beteiligung des Personalrats war in Ordnung, so das LAG. Die Stadt hatte ihm zwar in der Anhörung mitgeteilt, dass die Angestellte mit der Kündigung bzw. der „Verlängerung der Probezeit“ bis zum Jahresende einverstanden gewesen sein soll. 

Darin lag aber keine bewusst wahrheitswidrige Täuschung des Personalrats. Denn die Stadt hatte den Verlauf der Gespräche, die die Parteien vor Ausspruch der Kündigung führten, in diesem Sinne verstehen können.

Praxishinweis

Dem LAG ist zuzustimmen. Die Kündigung war als Wartezeitkündigung ohne soziale Rechtfertigung wirksam, da die verklagte Stadt Kündigungsfreiheit in Anspruch nehmen konnte. 

Eine ausnahmsweise denkbare Treuwidrigkeit der Kündigung gemäß § 242 und/oder § 162 BGB lag hier nicht vor. 

Die gewährte Kündigungsfrist war nämlich „überschaubar“ im Sinne der BAG-Rechtsprechung, und sie lag auch im Interesse der Klägerin, die ja selbst einen Maßnahmenplan zur Lösung der in ihrer Abteilung vorhandenen Probleme vorgeschlagen hatte. Diesen Vorschlag hatte die Stadt durch Ausspruch der streitigen Kündigung mit sechsmonatiger Frist aufgegriffen.

Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 29.04.2024, 8 Sa 1057/23

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.03.2002, 2 AZR 93/01 

 

Handbuch Arbeitsrecht: Aufhebungsvertrag

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