Update Arbeitsrecht 10|2024 vom 15.05.2024
Leitsatzreport
LAG Nürnberg: Änderungskündigung auf Druck anderer Arbeitnehmer
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 12.12.2023, 7 Sa 61/23
§§ 242, 615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); §§ 1, 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
Leitsätze der Redaktion:
1. Das ernstliche Verlangen Dritter, z.B. anderer Arbeitnehmer, die unter Androhung von Nachteilen vom Arbeitgeber die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers fordern, kann einen Grund im Sinne von § 1 Abs.2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) für eine sog. Druckkündigung darstellen. Der Arbeitgeber darf einem solchen Kündigungsverlangen aber nicht vorschnell nachgeben, sondern muss sich schützend vor den Betroffenen stellen und alles Zumutbare zu versuchen, um die Dritten von ihrer Drohung abzubringen.
2. Ein Versuch, andere Arbeitnehmer von ihren Drohungen z.B. mit einer Eigenkündigung abzubringen, liegt nicht schon darin, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung ein Meinungsbild dieser Arbeitnehmer zu bestehenden Konflikten mit dem betroffenen Arbeitnehmer abfragt und sich in diesem Rahmen danach erkundigt, ob sich die befragten Arbeitnehmer eine weitere Zusammenarbeit mit dem betroffenen Arbeitnehmer vorstellen könnten, ob sie Konsequenzen befürchteten für den Fall der Rückkehr des betroffenen Arbeitnehmers an seinen Arbeitsplatz, und ob sie eine Mediation oder ein gemeinsames Gespräch mit dem betroffenen Arbeitnehmer für erfolgversprechend hielten und bereit wären, daran teilzunehmen.
3. Liegen die Ursachen für das Kündigungsverlangen anderer Arbeitnehmer in Konflikten, die im Bereich der betrieblichen Zusammenarbeit bestehen, kann der Arbeitgeber gehalten sein, durch Ausübung seines Weisungsrechts auf die beteiligten Arbeitnehmer einzuwirken. Dazu kann gehören, dass er den mit einem Kündigungsverlangen hervorgetretenen Arbeitnehmern mitteilt, dass aus seiner Sicht kein Kündigungsgrund vorliegt.
4. Der Arbeitgeber verletzt seine Pflicht, sich schützend vor den von einem Kündigungsverlangen betroffenen Arbeitnehmer zu stellen, wenn er aktiv dazu beiträgt, die ablehnende Haltung anderer Arbeitnehmer gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer zu schaffen oder zu verstärken.
Hintergrund:
Eine Chemielaborantin war seit 1998 in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt. Sie war einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Im Betrieb gab es Konflikte mit anderen Arbeitnehmern. Diese nahm der Arbeitgeber zum Anlass, während einer krankheitsbedingten Abwesenheit der Laborantin Kollegen und Vorgesetzte u.a. danach zu fragen, ob sie sich eine weitere Zusammenarbeit mit der Chemielaborantin vorstellen könnten und welche Konsequenzen sie in Betracht zögen, falls sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren sollte. Einige der Befragten schlossen daraufhin eine weitere Zusammenarbeit aus und äußerten die Vermutung, dass es zu Kündigungen kommen werde. Dies nahm der Arbeitgeber zum Anlass, nach Zustimmung des Inklusionsamtes im Februar 2022 eine ordentliche Änderungskündigung zu Ende September 2022 auszusprechen. Als Änderungsangebot schlug er der Laborantin vor, ab Oktober 2022 als Coloristin in einer 90 km entfernten anderen Stadt zu arbeiten. Die Laborantin nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung gemäß § 2 KSchG an und erhob Änderungsschutzklage. Außerdem klagte sie auf Verzugslohn, da der Arbeitgeber Ende Mai 2022 eine bis dahin bestehende Freistellung widerrufen und sie aufgefordert hatte, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist, d.h. ab Mitte Juni 2022, die Tätigkeit als Coloristin in der anderen Stadt aufzunehmen. Das lehnte die Laborantin ab. Änderungsschutzklage und Klage auf Verzugslohn gemäß § 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hatten vor dem Arbeitsgericht Würzburg (Urteil vom 27.10.2022, 11 Ca 247/22) und vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg Erfolg. Beide Gerichte meinten, dass der Arbeitgeber keine zulässige Druckkündigung erklärt hatte, da er sich nicht schützend vor die Klägerin gestellt hatte. Auch der Anspruch auf Verzugslohn bestand. Denn mit der Ablehnung der Arbeit als Coloristin in der recht weit entfernten anderen Stadt hatte die Laborantin keine zumutbare anderweitige Tätigkeit im Sinne von § 615 Satz 2 BGB unterlassen.
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 12.12.2023, 7 Sa 61/23
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