Update Arbeitsrecht 01|2025 vom 31.01.2025
Entscheidungsbesprechungen
LAG Baden-Württemberg: Home Office als milderes Mittel gegenüber einer Änderungskündigung?
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 04.11.2024, 9 Sa 42/24
Die Gestattung der Arbeitstätigkeit im Home-Office durch den Arbeitgeber ist gegenüber einer Änderungskündigung, mit der der Arbeitsort des Arbeitnehmers geändert wird, kein milderes Mittel.
§ 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); § 106 Gewerbeordnung (GewO)
Rechtlicher Hintergrund
Gemäß § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung „nach billigem Ermessen“, d.h. unter fairer Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Arbeitnehmers, einseitig festlegen.
Dieses Weisungsrecht besteht allerdings nur, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht bereits durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder durch gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.
Schreibt der Arbeitsvertrag als Arbeitsort eine bestimmte Stadt verbindlich fest, hat der Arbeitgeber nur ein eingeschränktes Weisungsrecht bezüglich des Orts der Arbeitsleistung. Dieses erstreckt sich oft nur auf verschiedene Betriebsstätten innerhalb der Stadt, die im Arbeitsvertrag als Arbeitsort vereinbart ist.
Unter solchen Umständen kann der Arbeitgeber, wenn er den bisherigen Standort eines Betriebs in eine andere Stadt verlagern möchte, den davon betroffenen Arbeitnehmern nicht per Weisung vorgeben, künftig dort zu arbeiten.
Vielmehr muss er dann, soweit die betroffenen Arbeitnehmer aufgrund einer mehr als sechsmonatigen Dauer des Arbeitsverhältnisses und eine Betriebsgröße von über zehn Arbeitnehmern durch §§ 1, 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) abgesichert sind, eine (betriebsbedingte) Änderungskündigung aussprechen.
Mit einer Änderungskündigung wird das Arbeitsverhältnis gekündigt, so dass der Arbeitnehmer entscheiden kann, dem Betrieb den Rücken zu kehren oder gegen die Kündigung eine normale Kündigungsschutzklage einzureichen. Da eine Änderungskündigung aber - neben der Kündigung - ein Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit geänderten Bedingungen enthält, kann sich der Arbeitnehmer auf diese Änderung einlassen und damit sein Arbeitsverhältnis „retten“.
Dazu sieht § 2 Satz 1 KSchG eine besondere Variante der Annahme des Änderungsangebots vor - die Vorbehaltsannahme. Danach kann der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt annehmen, dass die Änderungen der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt sind, und dies dann gerichtlich prüfen lassen, d.h. durch eine Änderungsschutzklage.
Ob der Arbeitnehmer auf eine Änderungskündigung (ohne Annahme des Änderungsangebots) mit einer Kündigungsschutzklage reagiert, oder ob er sich gemäß § 2 KSchG für eine Vorbehaltsannahme mit anschließender Änderungsschutzklage entscheidet - in beiden Fällen kommt es vor Gericht darauf an, ob die Änderungskündigung das mildeste Mittel war.
Hier kann man überlegen, ob nicht anstelle einer mit Ortsveränderung verbundenen Änderungskündigung die Gestattung der Arbeit im Home-Office ein milderes Mittel ist. Mit dieser Frage musste sich vor kurzem das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg beschäftigen (Urteil vom 04.11.2024, 9 Sa 42/24).
Sachverhalt
Ein seit Mai 2008 als Meister beschäftigter Arbeitnehmer war mit sechs Kollegen in einer räumlich vom Hauptbetrieb getrennten Betriebsstätte beschäftigt. Der Arbeitgeber, der insgesamt 88 Arbeitnehmer beschäftigte, beschloss im Dezember 2023, den Standort zu schließen.
Einige Monate später, im April 2024, erhielt der Arbeitnehmer eine Änderungskündigung mit dem Angebot, an einem 240 km entfernten Standort weiter zu arbeiten. Der Arbeitsvertrag enthielt eine Festlegung des Dienstsitzes, die es dem Arbeitgeber nicht erlaubte, eine solche Ortsverlagerung per Weisungsrecht anzuordnen.
Der Arbeitnehmer, der zwischen einem und vier Tagen in der Woche im Home-Office arbeitete, nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung gemäß § 2 KSchG an, sowie unter dem weiteren Vorbehalt, dass er künftig generell von Zuhause aus arbeiten dürfte und nur ausnahmsweise zu dienstlichen Besprechungen an dem neuen Standort erscheinen müsste.
Die daraufhin erhobene Änderungsschutzklage legte das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen als normalen Kündigungsschutzantrag aus. Denn aufgrund der zusätzlichen Vorbehalte in seiner „Annahme“ des Änderungsangebots hatte der Angestellte dieses gar nicht angenommen, sondern zurückgewiesen.
Und die Kündigung war, so das Arbeitsgericht, aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG.
Entscheidung des LAG Baden-Württemberg
Das LAG wies die Berufung des Klägers zurück. Das Arbeitsgericht hatte die Klage richtig ausgelegt, woran sich auch in der Berufung nichts änderte.
Hier stellte der Kläger als Hauptantrag seinen bereits vor dem Arbeitsgericht gestellten Antrag, nämlich festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt ist. Dieser Antrag war unbegründet, da es zu keiner Änderung der Arbeitsbedingungen gekommen war, weil der Kläger das Änderungsangebot nicht angenommen hatte, auch nicht unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG, sondern durch ein eigenes Angebot ersetzt und daher (endgültig) abgelehnt hatte.
Der Hilfsantrag, mit dem der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung begehrte, war ebenfalls unbegründet. Denn die Kündigung war sozial gerechtfertigt.
Zunächst lag hier keine überflüssige bestandsgefährdende Kündigung vor, denn der Arbeitsvertrag erlaubte es dem Arbeitgeber nicht, die Ortsveränderung per Weisung gemäß § 106 GewO einseitig durchzusetzen.
Die Kündigung selbst war auch nicht unverhältnismäßig, weil der Arbeitgeber es dem Kläger - als milderes Mittel im Vergleich zu der streitigen Kündigung - dauerhaft hätte gestatten können, im Home-Office zu arbeiten. Denn, so das LAG:
Der Kläger hatte unstreitig - obwohl die genaue Anzahl der Home-Office-Tage zwischen den Parteien streitig war - nicht durchgehend im Home-Office gearbeitet, sondern nur maximal drei bis vier Tage. Daher gab es hier keinen bereits eingerichteten Home-Office-Arbeitsplatz. Diesen hätte der Arbeitgeber, wäre er dem Vorschlag des Angestellten gefolgt, zunächst einmal einrichten müssen.
Der Arbeitgeber ist aber nicht dazu verpflichtet, Home-Office-Arbeitsplätze einzurichten. Nach derzeitiger Rechtslage gibt es keinen Anspruch auf Arbeit im Home-Office.
Dass der Arbeitnehmer dies bislang an einigen Tagen pro Woche durfte, führte zu keiner Vertragsänderung, insbesondere auch nicht zu einer Einschränkung des Weisungsrechts des Arbeitgebers, der zufolge er künftig nicht mehr berechtigt wäre, Arbeit im Betrieb anzuordnen.
Praxishinweis
Es gibt nach allgemeiner Rechtslage, d.h. soweit nicht Arbeitsverträge, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge etwas anderes regeln, keinen Anspruch auf Arbeit im Home-Office.
Daher ist die Gestattung der Arbeitstätigkeit im Home-Office durch den Arbeitgeber im Vergleich zu einer Änderungskündigung, mit der der Arbeitsort geändert wird, kein milderes Mittel.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 04.11.2024, 9 Sa 42/24
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