Update Arbeitsrecht 18|2024 vom 31.12.2024
Leitsatzreport
LAG Niedersachsen: Umfang der Information des Betriebsrats vor Kündigung in der Wartezeit
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 05.11.2024, 10 Sa 817/23
§ 102 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG); § 1 Abs.1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Leitsätze des Gerichts:
1. Auch in der gesetzlichen Wartezeit ist der Betriebsrat vor der beabsichtigten Kündigung zu hören.
2. Bei einer Kündigung in der Wartezeit ist die Substantiierungspflicht allerdings nicht an den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern allein an den Umständen zu messen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet.
3. Der Betriebsrat ist immer dann ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind. Diesen Kündigungsentschluss hat er regelmäßig unter Angabe von Tatsachen so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann.
Hintergrund:
Eine Angestellte hatte kurz nach Beginn ihres Arbeitsverhältnisses Streit mit Kollegen und wandte sich deshalb an ihre Vorgesetzten und an den Betriebsrat. Einige Zeit später wurde sie - nach Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) - gekündigt, und zwar noch innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses, d.h. innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs.1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Sie reichte Kündigungsschutzklage ein und begründet sie mit einer angeblichen Maßregelung durch den Arbeitgeber im Sinne von § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Ihrer Ansicht nach war die Kündigung eine verbotene maßregelnde Reaktion auf ihre Beschwerde (einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Beschwerde und Kündigung hatte sie aber nicht vorgetragen). Auch die Anhörung des Betriebsrats sei, so die Angestellte, zu ungenau gewesen und verstoße daher gegen § 102 Abs.1 BetrVG. Das Arbeitsgericht Hannover (Urteil vom 26.10.2023, 10 Ca 93/23) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen (LAG Niedersachsen, Urteil vom 05.11.2024, 10 Sa 817/23) entschieden gegen die Klägerin. Beide Gerichte konnten keine Maßregelung erkennen und hielten die Anhörung des Betriebsrats für ausreichend. Denn in der Wartezeit braucht der Arbeitgeber keine sachliche Begründung für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs.2 KSchG. Daher kann er seine rein subjektiven Kündigungsgründe dem Betriebsrat mitteilen, d.h. so genau oder ungenau, wie diese Kündigungsgründe in der Wartezeit sein können.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 05.11.2024, 10 Sa 817/23
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