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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 10|2024

Update Arbeitsrecht 10|2024 vom 15.05.2024

Entscheidungsbesprechungen

BAG: AGB-Recht als international zwingendes Recht

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.01.2024, 9 AZR 115/23

Das deutsche Recht der AGB-Kontrolle gehört zu den Vorschriften gemäß Art.8 Abs.1 Satz 2 Rom I-VO, die auch dann gelten, wenn die Arbeitsparteien eine Rechtswahl zugunsten einer ausländischen Rechtsordnung getroffen haben.

§§ 305 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Art.1, 3, 8 Verordnung (EG) Nr.593/2008 vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO)

Rechtlicher Hintergrund

Gemäß Art.3 Abs.1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr.593/2008 vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) unterliegt ein zivilrechtlicher Vertrag, der Verbindungen zum Recht verschiedener Staaten hat (Art.1 Abs.1 Rom I-VO), dem Recht, das die Parteien gewählt haben.

Der Grundsatz der Rechtswahlfreiheit gilt gemäß Art.8 Abs.1 Satz 1 Rom I-VO im Prinzip auch für Arbeitsverträge. Von der Rechtswahlfreiheit im Arbeitsrecht macht Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO aber eine Ausnahme zugunsten des zwingenden Arbeitnehmerschutzes: 

Denn gemäß Art.8 Abs.1 Satz 2 Rom I-VO darf die Rechtswahl der Arbeitsvertragsparteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch zwingende, d.h. arbeitsvertraglich nicht abdingbare Bestimmungen der Rechtsordnung gewährt wird, die auf das Arbeitsverhältnis mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre. 

Das Recht wiederum, das ohne Rechtswahl auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden ist, ist gemäß Art.8 Abs.2 Satz 1 Rom I-VO das Recht des Staates, in dem oder von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.

Kann das anzuwendende Recht nicht durch den gewöhnlichen Arbeitsort bestimmt werden, kommt es darauf an, wo sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat (Art.8 Abs.3 Satz 1 Rom I-VO).

Eine weitere Auffangregelung enthält Art.8 Abs.4 Rom I-VO. Danach kommt es weder auf den Arbeitsort noch auf den Ort der Einstellungsniederlassung an, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände des Falls ergibt, dass der Vertrag eine engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist. Dann ist das Recht dieses Staates anzuwenden.

Aufgrund dieser Regelungen, v.a. der Beschränkung der Rechtswahlfreiheit durch den Vorbehalt zwingender Regelungen (Art.8 Abs.1 Satz 2 Rom I-VO), spielen der gewöhnliche Arbeitsort des Arbeitnehmers und die zwingenden gesetzlichen Regelungen des am Arbeitsort geltenden Rechts eine wichtige Rolle. 

Denn obwohl es z.B. zulässig ist, in Deutschland arbeitende Arbeitnehmer durch Rechtswahl dem Recht eines anderen Staates zu unterwerfen, gelten trotzdem zwingende Regelungen des deutschen Arbeitsvertragsrechts. 

In einem aktuellen Fall hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass zu diesen zwingenden Regelungen auch die gerichtliche Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) gehört, d.h. der Arbeitsvertragsklauseln, die der Arbeitgeber einseitig vorformuliert.

Sachverhalt

Ein von Mitte Oktober 2016 bis Anfang Juni 2018 bei einer irischen Fluggesellschaft angestellter Pilot war am Flughafen Berlin-Schönefeld als Home Base stationiert. Er wohnte in der Nähe des Flughafens und trat während seines Arbeitsverhältnisses regelmäßig seinen Dienst von Schönefeld aus an. 

Die von der Fluggesellschaft vorgegebenen AGB sahen die Anwendbarkeit des irischen Rechts vor. Das Gehalt wurde dem Piloten unter Anwendung irischen Steuerrechts auf ein irisches Bankkonto überwiesen. Allerdings meldete die Fluggesellschaft ihn bei der deutschen Sozialversicherung an und führte dorthin Sozialbeiträge ab.

Von Oktober 2016 bis Februar 2017 absolvierte der Pilot in Großbritannien auf Kosten der Fluggesellschaft ein Training, durch das er die Berechtigung zum Führen einer Boeing 737 erwarb (Musterberechtigungs-Training, Type Rating). 

Dazu sahen die arbeitsvertraglichen Klauseln vor, dass der Pilot je nach Dauer des Arbeitsverhältnisses im Anschluss an das Type Rating zur - allmählich geringer werdenden - Rückzahlung der Schulungskosten verpflichtet sein sollte, falls er kündigen sollte. Die Rückzahlungspflicht sollte dabei unabhängig von dem Grund der Kündigung bestehen.

Nachdem der Pilot im März 2018 gekündigt hatte, verlangte die Fluggesellschaft unter Berufung auf die Vertragsklausel 20.000,00 EUR Schulungskosten zurück, die sie zum großen Teil mit laufenden Gehaltsansprüchen bis zur Vertragsbeendigung verrechnete. 

Die dadurch verrechneten Gehaltsansprüche von 17.124,34 EUR netto klagte der Pilot ein und hatte damit vor dem Arbeitsgericht Cottbus (Urteil vom 01.09.2021, 4 Ca 583/18) und in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg Erfolg (Urteil vom 19.05.2022, 14 Sa 1396/21).

Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg. Die Klausel verstieß gegen § 307 Abs.1 Satz 1 BGB, da sie den Piloten in unangemessener Weise benachteiligte.

Eine Rückzahlungsklausel, die sich auf vom Arbeitgeber getragene Schulungskosten bezieht, muss nämlich die Rückzahlungspflicht ausdrücklich und in transparenter Weise in Fällen wegfallen lassen, in denen der Grund für die Eigenkündigung aus der Sphäre des Arbeitgebers stammt (BAG, Urteil, Rn.38). 

Dies sind z.B. Fälle, in denen der Arbeitnehmer nicht vertragsgemäß beschäftigt wird oder der Arbeitgeber in anderer Weise gegen seine Pflichten verstößt, z.B. gegen die Pflicht zur Lohnzahlung.

Da die Klausel eine solche Einschränkung nicht enthielt, war sie gemäß § 307 Abs.1 Satz 1 BGB unwirksam.

§ 307 Abs.1 Satz 1 BGB wiederum war auf den Streitfall trotz der Rechtswahl zugunsten des irischen Rechts anwendbar. Denn die gesetzlichen Vorschriften zur gerichtlichen AGB-Kontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB gewähren Arbeitnehmern einen Schutz, der ihnen durch die von den Parteien getroffene Rechtswahl nicht entzogen werden darf (BAG, Urteil, Rn.31). 

Das AGB-Recht gehört zu den Vorschriften im Sinne von Art.8 Abs.1 Satz 2 Rom I-VO, die auch dann gelten, wenn die Arbeitsparteien eine Rechtswahl zugunsten einer nicht-deutschen Rechtsordnung getroffen haben (wie hier zugunsten des irischen Rechts).

Schließlich wäre im Streitfall ohne Rechtswahl deutsches Arbeitsrecht anzuwenden. Denn der Ort, an dem der Pilot gewöhnlich seine arbeitsvertragliche Leistung zu erbringen hatte, war der Flughafen Berlin-Schönefeld und damit Deutschland (BAG, Urteil, Rn.19). 

Eine engere Beziehung zu dem Recht eines anderen Staates, hier des Rechts der Republik Irland, hatte der Streitfall nicht. Die Fluggesellschaft konnte sich daher auch nicht auf Art.8 Abs.4 Rom I-VO berufen.

Praxishinweis

Dem BAG ist zuzustimmen. 

Die §§ 305 ff. BGB in Gestalt der arbeitsgerichtlichen Auslegung dieser Vorschriften, d.h. das deutsche Recht der AGB-Kontrolle, gehört zu den Vorschriften gemäß Art.8 Abs.1 Satz 2 Rom I-VO. 

Sie gelten auch dann, wenn die Arbeitsparteien eine Rechtswahl zugunsten einer ausländischen Rechtsordnung getroffen haben.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.01.2024, 9 AZR 115/23

 

Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)

Handbuch Arbeitsrecht: Rückzahlungsklausel

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