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ARBEITSRECHT
Ausgabe
ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 19|2023

Update Arbeitsrecht 19|2023 vom 20.09.2023

Entscheidungsbesprechungen

LAG München: Einigungsstelle zur Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung

Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 22.05.2023, 4 TaBV 24/23

Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungs- und Initiativrecht für die Ausgestaltung eines betrieblichen Systems der Arbeitszeiterfassung, d.h. bei der Frage des „Wie“. Dieses Recht hängt nicht davon ab, ob der Arbeitgeber eine Zeiterfassung einführen will.

§ 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG); § 87 Abs.1 Nr.6, Nr.7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG); § 100 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG); Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie); Art. 31 Abs.2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC)

Rechtlicher Hintergrund

Im September des letzten Jahres hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass Arbeitgeber gemäß § 3 Abs.2 Nr.1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen (BAG, Beschluss vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21, s. dazu Update Arbeitsrecht 19|2022). 

Hintergrund des BAG-Beschlusses ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dem zufolge die Richtlinie 2003/88/EG („Arbeitszeitrichtlinie“) den Mitgliedsstaaten vorgibt, die Arbeitgeber zu verpflichten, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System“ der Arbeitszeitmessung einzuführen (EuGH, Urteil vom 14.05.2019, C-55/18).

Da der deutsche Gesetzgeber das EuGH-Urteil bislang nicht durch eine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung umgesetzt hat, ist das BAG als Ersatzgesetzgeber eingesprungen und hat die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in § 3 Abs.2 Nr.1 ArbSchG „hineingelesen“.

Für den Betriebsrat, der die treibende Kraft in dem vom BAG entschiedenen Fall war, wirkte sich die BAG-Entscheidung im Ergebnis nachteilig aus. 

Er hatte nämlich die arbeitsgerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle gemäß § 100 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) mit dem Ziel durchgesetzt, eine elektronische Arbeitszeiterfassung auf der Grundlage seines Mitbestimmungsrechts gemäß § 87 Abs.1 Nr.6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) einzuführen. 

Die Einigungsstelle setzte daraufhin ihr Verfahren aus, um arbeitsgerichtlich klären zu lassen, ob der Betriebsrat überhaupt ein Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung hat. Nein, so das BAG in dem o.g. Beschluss. 

Denn da der Arbeitgeber bereits kraft Gesetzes, nämlich gemäß § 3 Abs.2 Nr.1 ArbSchG, zur Einführung einer Arbeitszeiterfassung verpflichtet ist, scheidet ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems der Zeiterfassung auf der Grundlage von § 87 Abs.1 Nr.6 BetrVG aus. Die Mitbestimmungsrechte des § 87 Abs.1 BetrVG bestehen nämlich nur, „soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“ (§ 87 Abs.1 Eingangssatz BetrVG).

Anders sieht es aber aus, wenn sich der Betriebsrat nicht auf die Einführung einer bestimmten (z.B. elektronischen) Form der Zeiterfassung festlegt wie der Betriebsrat in dem Fall des BAG, sondern wenn er irgendeine Art der Zeiterfassung verlangt, und zwar unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes bzw. unter Berufung auf das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs.1 Nr.7 BetrVG.

Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) München vor kurzem klargestellt (LAG München, Beschluss vom 22.05.2023, 4 TaBV 24/23).

Sachverhalt

Der Betriebsrat einer Regionaldirektion einer konzernzugehörigen Vertriebsgesellschaft verlangte von dieser unter Berufung auf § 87 Abs.1 Nr.7 BetrVG eine Betriebsvereinbarung zur Zeiterfassung im Außendienst.

Gemäß § 87 Abs.1 Nr.7 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Regelungen über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, und damit u.a. im Rahmen der Pflicht des Arbeitgebers gemäß § 3 Abs.2 Nr.1 ArbSchG zur Einführung einer Arbeitszeiterfassung.

Der Arbeitgeber wandte ein, dass nicht der örtliche Betriebsrat zuständig sei, sondern der Konzernbetriebsrat (KBR). 

Denn die bereits vorhandene Arbeitszeiterfassung der Innendienstmitarbeiter erfolge konzerneinheitlich durch das System SAP HCM auf der Grundlage von Konzernbetriebsvereinbarungen. Daher habe man bereits mit dem KBR Gespräche über die Anwendung von SAP HCM auf den Außendienst geführt. Das System könne nicht unterschiedlich geregelt werden.

Der Betriebsrat beantragte daraufhin gemäß § 100 ArbGG die arbeitsgerichtliche Einsetzung der Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Außendienst“. 

Das Arbeitsgericht München gab dem Antrag statt, setzte die Anzahl der Beisitzer aber auf zwei pro Seite fest - anstatt wie vom Betriebsrat beantragt auf drei pro Seite (Beschluss vom 20.04.2023, 3 BV 61/23).

Entscheidung des LAG München

Das LAG München wies die Beschwerde des Arbeitgebers zurück.

Denn der Betriebsrat kann gemäß § 87 Abs.1 Nr.7 BetrVG bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitbestimmen, die der Arbeitgeber aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift zu treffen hat, bei deren Gestaltung ihm aber Handlungsspielräume verbleiben.

Beim Thema Arbeitszeiterfassung besteht zwar in Bezug auf die Frage, ob ein solches System (überhaupt) eingeführt werden soll, kein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs.1 BetrVG. Denn dazu ist der Arbeitgeber bereits gemäß § 3 Abs.2 Nr.1 ArbSchG gesetzlich verpflichtet. 

Allerdings besteht ein Mitbestimmungsrecht für die Ausgestaltung eines betrieblichen Systems der Arbeitszeiterfassung, denn Ausgestaltungsfragen (elektronische oder analoge Zeiterfassung? Trennung nach Abteilungen oder Beschäftigtengruppen?) sind gesetzlich durch § 3 Abs.2 Nr.1 ArbSchG nicht geregelt. Dies hatte bereits das BAG in seiner Grundsatzentscheidung vom September 2022 ausdrücklich klargestellt (BAG, Beschluss vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21, Rn.61-66).

Schließlich hängt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht davon ab, ob der Arbeitgeber eine Zeiterfassung einführen will. Der Arbeitgeber kann sich gegenüber dem Wunsch des Betriebsrats nach einer Regelung nicht darauf berufen, dass er nicht gewillt sei, seiner gesetzlichen Verpflichtung zu genügen.

Auch mit dem Argument, dass der KBR und nicht der antragstellende örtliche Betriebsrat zuständig sei, hatte der Arbeitgeber keinen Erfolg. Denn da sich die Pflicht zur Einführung einer Zeiterfassung nicht notwendig auf eine elektronische Form bezieht, kann auch der Arbeitgeber keine Vorab-Festlegung auf eine solche unternehmens- oder konzernweite Form der Zeiterfassung treffen.

Praxishinweis

Die Entscheidung des LAG München konnte auf der Grundlage des BAG-Beschlusses vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) nicht anders ausfallen.

Dass der Betriebsrat im Fall des BAG gescheitert war, lag daran, dass er eine spezielle - nämlich elektronische - Form der Arbeitszeiterfassung durchsetzen wollte. Diesen Fehler hatte der Betriebsrat in dem Fall des LAG München nicht wiederholt.

Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 22.05.2023, 4 TaBV 24/23

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21 (Pressemitteilung des Gerichts)

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom Urteil vom 14.05.2019, C-55/18

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