- -> zur Mobil-Ansicht
- Arbeitsrecht aktuell
- Arbeitsrecht 2023
- Arbeitsrecht 2022
- Arbeitsrecht 2021
- Arbeitsrecht 2020
- Arbeitsrecht 2019
- Arbeitsrecht 2018
- Arbeitsrecht 2017
- Arbeitsrecht 2016
- Arbeitsrecht 2015
- Arbeitsrecht 2014
- Arbeitsrecht 2013
- Arbeitsrecht 2012
- Arbeitsrecht 2011
- Arbeitsrecht 2010
- Arbeitsrecht 2009
- Arbeitsrecht 2008
- Arbeitsrecht 2007
- Arbeitsrecht 2006
- Arbeitsrecht 2005
- Arbeitsrecht 2004
- Arbeitsrecht 2003
- Arbeitsrecht 2002
- Arbeitsrecht 2001
- Tipps und Tricks
- Handbuch Arbeitsrecht
- Gesetze zum Arbeitsrecht
- Urteile zum Arbeitsrecht
- Arbeitsrecht Muster
- Videos
- Impressum-Generator
- Webinare zum Arbeitsrecht
-
Kanzlei Düsseldorf
0211 - 54 03 95 26
duesseldorf@hensche.de
AnfahrtDetails
LAG Düsseldorf legt Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede aus
07.06.2017. Viele Arbeitnehmer kleiner und mittlerer Betriebe sind nicht gewerkschaftlich organisiert, so dass sie Bezahlung nach Tarif nicht auf der Grundlage des Tarifvertragsgesetzes (TVG) verlangen können. Denn das setzt gemäß § 4 Abs.1 TVG in Verb. mit § 3 Abs.1 TVG die Gewerkschaftsmitgliedschaft der Arbeitnehmer voraus.
Außerdem muss der Arbeitgeber im Arbeitgeberverband organisiert sein oder selbst Tarifverträge abschließen. Auch diese Voraussetzungen ist in kleinen und mittleren Betrieben oft nicht gegeben sind.
Daher sind arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln in solchen Betrieben wichtig. Denn ihnen zufolge gelten Tarifverträgen auf arbeitsvertraglicher Grundlage.
Eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf zeigt allerdings, dass Bezugnahmeklauseln aus Arbeitnehmersicht wenig wert sind, wenn sie die Tarifbindung des Arbeitgebers voraussetzen: LAG Düsseldorf, Urteil vom 17.03.2017, 6 Sa 982/16.
- Wann sind Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden auszulegen?
- Verkäuferin in einem Düsseldorfer Flughafenshop hat seit 2012 kein tarifgebundenen Arbeitgeber mehr
- LAG Düsseldorf: Gelten gemäß einer Bezugnahmeklausel Tarifverträge nur, „soweit sie für den Arbeitgeber verbindlich sind“, ist die Klausel zugunsten des Arbeitgebers als Gleichstellungsabrede auszulegen
Wann sind Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden auszulegen?
Bezugnahmeklauseln sind meist dynamisch ausgestaltet, d.h. sie sehen vor, dass die Tarifverträge einer bestimmten Branche „in ihrer jeweils geltenden Fassung“ auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind. Arbeitnehmer können aus solchen Klauseln einen Anspruch auf künftige Tariflohnerhöhungen herleiten.
Seit einer grundlegenden Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Jahre 2007 interpretiert das BAG Bezugnahmeklauseln im Regelfall nicht mehr als sogenannte Gleichstellungsabreden (wir berichteten u.a. in Arbeitsrecht aktuell: 07/10 Bundesarbeitsgericht verabschiedet „Gleichstellungsabrede“).
Sieht man Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden an, stellen sie nur klar, dass Nicht-Gewerkschaftsmitglieder ebenso von Tarifverträgen bzw. Tariflohnerhöhungen profitieren sollen wie Gewerkschaftsmitglieder. Da deren im TVG festgeschriebener Anspruch auf Bezahlung gemäß Tarif (§ 4 Abs.1 TVG) aber die Tarifbindung des Arbeitgebers voraussetzt (§ 3 Abs.1 TVG), verschafft eine Gleichstellungsabrede dem Arbeitnehmer keinen eigenständigen arbeitsvertraglichen Anspruch auf künftige Tariflohnerhöhungen, sobald die Tarifbindung des Arbeitgebers wegfällt. Denn dann haben ja auch Gewerkschaftsmitglieder keinen solchen Anspruch mehr aufgrund von § 4 Abs.1 TVG, und das gilt dann auch für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder.
Da das BAG diese, aus Arbeitnehmersicht ungünstige Auslegung von Bezugnahmeklauseln 2007 aufgegeben hat, werden Bezugnahmeklauseln seitdem im Allgemeinen als rechtsbegründend („konstitutiv“) angesehen. So interpretiert verschaffen sie allen Arbeitnehmern, Gewerkschaftsmitgliedern wie Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern, einen Anspruch auf künftige Tariflohnerhöhungen, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist oder nicht. Diese Auslegung gilt allerdings nur für Arbeitsverträge, die 2002 oder später abgeschlossen oder grundlegend geändert worden, da Arbeitgeber erst ab 2002 infolge der Schuldrechtsreform strengere rechtliche Anforderungen bei der Formulierung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) beachten müssen.
Trotz dieser höchstrichterlichen Klarstellungen kommt es immer wieder zum Streit über die Bedeutung von Bezugnahmeklauseln, denn dabei geht es um viel Geld. Fällt die Tarifbindung des Arbeitgebers weg, z.B. weil er zwar im Arbeitgeberverband bleibt, sich dort aber für eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung entscheidet (OT-Mitgliedschaft), oder weil der Betrieb an einen Erwerber veräußert wird, der nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist, dann beruht die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weitergabe von Tariflohnerhöhungen allein auf den arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln. Kein Wunder, dass Arbeitgeber in solchen Fällen die vereinbarten Bezugnahmeklauseln juristisch sehr genau prüfen lassen.
In dem vom LAG Düsseldorf entschiedenen Fall ging es um eine formulararbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel, die die Anwendung der Tarifverträge davon abhängig machte, dass sie „für den Arbeitgeber verbindlich“ sind. Hier fragt sich, ob mit „verbindlich“ die Tarifbindung des Arbeitgebers gemeint ist.
Verkäuferin in einem Düsseldorfer Flughafenshop hat seit 2012 kein tarifgebundenen Arbeitgeber mehr
Geklagt hatte eine Verkäuferin, die in einem Düsseldorfer Flughafenshop arbeitete. Ihr Arbeitgeber unterhielt mehrere Filialgeschäfte und war bis Ende 2011 Mitglied des Arbeitgeberverbandes. Die in ihrem Arbeitsvertrag aus dem Jahre 1997 vereinbarte Bezugnahmeklausel lautete:
„Es gelten die Bestimmungen der für den Einsatzort einschlägigen Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel - soweit sie für den Arbeitgeber verbindlich sind - sowie etwaige Betriebsvereinbarungen/-ordnungen in ihrer jeweils geltenden Fassung.“
Obwohl der Arbeitgeber zum Ende 2011 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten war, gab er eine Mitte 2012 wirksam gewordene Tariflohnerhöhung noch an seine Arbeitnehmer weiter, da der Tarifvertrag noch im Jahre 2011 abgeschlossen worden war. Danach war allerdings Schluss mit Tariflohnerhöhungen, denn der Düsseldorfer Flughafenshop wurde zu Anfang 2013 an einen nicht tarifgebundenen Erwerber verkauft.
Die Verkäuferin klagte vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf auf Tariflohnerhöhungen, die zu Anfang August 2013 sowie zu Anfang August 2015 wirksam geworden waren. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, da die streitige Bezugnahmeklausel aus dem Jahre 1997 stammte und damit vor 2002, so dass nach Ansicht des Arbeitsgerichts zugunsten des Arbeitgebers die alte Rechtsprechung des BAG anzuwenden war. Und dieser zufolge sind Bezugnahmeklauseln im Allgemeinen als Gleichstellungsabreden auszulegen. Dass die Parteien im Jahre 2009 die tarifvertragliche Eingruppierung der Klägerin (nach vorheriger Änderungskündigung des Arbeitgebers) geändert hatten, ließ das Arbeitsgericht nicht als grundlegende Änderung des Arbeitsvertrags gelten.
LAG Düsseldorf: Gelten gemäß einer Bezugnahmeklausel Tarifverträge nur, „soweit sie für den Arbeitgeber verbindlich sind“, ist die Klausel zugunsten des Arbeitgebers als Gleichstellungsabrede auszulegen
Das LAG Düsseldorf wies die Berufung der Klägerin zurück, allerdings mit anderer Begründung als das Arbeitsgericht:
Nach Ansicht des LAG hätte die Klage auch dann keinen Erfolg gehabt, wenn die umstrittene Klausel aufgrund der Vertragsänderung aus dem Jahre 2009 unter die aktuelle bzw. arbeitnehmerfreundliche BAG-Rechtsprechung zu Bezugnahmeklauseln fallen sollte.
Denn auch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, die 2002 oder später vereinbart wurden, sind auszulegen bzw. daraufhin zu überprüfen, ob sie den Anspruch auf Bezahlung nach Tarif von der Tarifbindung des Arbeitgebers abhängig machen (Gleichstellungsabrede) oder nicht.
Hier im Streitfall enthielt die Bezugnahme auf die Tarifverträge des Einzelhandels den einschränkenden Zusatz „soweit sie für den Arbeitgeber verbindlich sind“. Damit war nach Meinung des LAG die Tarifbindung des Arbeitgebers im Sinne von § 3 Abs.1 TVG gemeint. Denn dieser Zusatz kann kaum als „arbeitsvertragliche Verbindlichkeit“ verstanden werden, denn dann wäre die Klausel ein „Zirkelschluss“, so das LAG. Die Einschränkung („ soweit“) hätte dann keinen Sinn, da der Arbeitsvertrag die in Bezug genommenen Tarifverträge dieser Auslegung zufolge ja gerade „verbindlich“ machen würde.
Fazit: Erklärt eine Bezugnahmeklausel Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung für anwendbar, „soweit sie für den Arbeitgeber verbindlich sind“, muss der Arbeitgeber Tariflohnerhöhungen nicht mehr weitergeben, sobald seine Tarifbindung wegfällt. Die in Bezug genommenen Tarifverträge gelten dann nur noch statisch.
Da das LAG die Revision zum BAG zugelassen hat, haben voraussichtlich demnächst die Erfurter Richter das letzte Wort.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 17.03.2017, 6 Sa 982/16
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) - Bezugnahmeklausel
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsübergang
- Handbuch Arbeitsrecht: Tarifvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 20/057 Betriebsvereinbarungen können arbeitsvertragliche Verweise auf AVR nicht beseitigen
- Arbeitsrecht aktuell: 18/091 Verschlechterung des Arbeitsvertrags per Betriebsvereinbarung?
- Arbeitsrecht aktuell: 17/230 Pacta sunt servanda - auch im Arbeitsrecht
- Arbeitsrecht aktuell: 17/119 Anspruch auf Tariflohnerhöhung nach Betriebsübergang
- Arbeitsrecht aktuell: 15/159 Dynamische Tarifanbindung und Betriebsübergang
- Arbeitsrecht aktuell: 13/218 Betriebsübergang und arbeitsvertraglich in Bezug genommener Tarifvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 08/119 Abschied von der Gleichstellungsabrede - Teil III
- Arbeitsrecht aktuell: 07/54 Abschied von der Gleichstellungsabrede – Teil II
- Arbeitsrecht aktuell: 07/10 Bundesarbeitsgericht verabschiedet „Gleichstellungsabrede“
Letzte Überarbeitung: 4. Mai 2020
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |
Bewertung:
HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.
Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw.
bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig.
Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.
© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de