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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 04|2024

Update Arbeitsrecht 04|2024 vom 21.02.2024

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Betriebsräte müssen Fortbildung nicht aus Kostengründen als Online-Veranstaltungen durchführen

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.02.2024, 7 ABR 8/23

Betriebsräte können sich bei der Auswahl von Schulungsveranstaltungen für ihre Mitglieder auch dann für Präsenzveranstaltungen entscheiden, wenn diese mit höheren Kosten verbunden sind als Online-Seminare.

§§ 37 Abs.6; 40 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Rechtlicher Hintergrund

Arbeitgeber müssen Betriebsratsmitglieder auf Verlangen des Betriebsrats für Schulungsveranstaltungen bezahlt freistellen, wenn die vom Betriebsrat ausgewählte Veranstaltung Kenntnisse vermittelt, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Dies ergibt sich aus § 37 Abs.2, Abs.6 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). 

Liegen diese Voraussetzungen vor, müssen Arbeitgeber nicht nur die fortbildungsbedingt abwesenden Betriebsratsmitglieder vergüten, sondern gemäß § 40 Abs.1 BetrVG auch sämtliche Kosten für die Fortbildungsveranstaltung übernehmen, d.h. Kursgebühren sowie Reise- und Übernachtungskosten.

Dabei haben Betriebsräte bei der Auswahl der Fortbildungsveranstaltungen, zu denen sie ihre Mitglieder schicken, einen Beurteilungsspielraum. 

Einerseits müssen Themen und Termine aus Sicht des Betriebsrats möglichst gut passen. Andererseits sind gemäß § 37 Abs.6 Satz 3 BetrVG bei der zeitlichen Lage der Veranstaltung auch betriebliche Notwendigkeiten zu berücksichtigen. 

Auch wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers müssen Betriebsräte im Blick behalten. Gibt es mehrere gleich gut geeignete Veranstaltungen, muss der Betriebsrat die günstigste wählen.

Online-Seminare („Webinare“) sind im Vergleich zu Präsenzseminaren mit geringeren Kosten verbunden, da bei ihnen Reise- und Übernachtungskosten entfallen. Sie haben während der Corona-Pandemie einen Boom erlebt und werden immer noch häufig angeboten.

Aber können Arbeitgeber unter Hinweis auf die geringeren Kosten vom Betriebsrat verlangen, seine Mitglieder an Online-Seminaren teilnehmen zu lassen anstatt sie zu Präsenzseminaren zu schicken? 

Nein, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer aktuellen Entscheidung: BAG, Beschluss vom 07.02.2024, 7 ABR 8/23.

Sachverhalt

Die Personalvertretung Kabine (PV Kabine) eines Luftfahrtunternehmens beschloss, zwei in Düsseldorf und Köln wohnende Mitglieder zu einer viertägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung in Potsdam zu schicken. Für die PV Kabine galten auf tariflicher Grundlage gemäß § 117 Abs.2 BetrVG die Vorschriften des BetrVG entsprechend. 

Das Seminar im August 2021 war für beide Teilnehmer mit Kursgebühren von zusammen 1.818,32 EUR brutto sowie mit weiteren 1.319,26 EUR brutto Übernachtungs- und Verpflegungskosten verbunden. Für den Hin- und Rückflug mit Flügen des Unternehmens waren keine Kosten verbunden, da die Betriebsratsmitglieder auf Plätzen reisten, die von Kunden nicht gebucht worden waren.

Das Unternehmen wollte die Kosten für Schulung, Übernachtung und Verpflegung nicht übernehmen. Sein Argument: Die beiden Mitglieder der PV Kabine hätten ein kostengünstigeres Webinar mit demselben Schulungsinhalt besuchen können, das noch dazu vom selben Veranstalter angeboten wurde. Dann wären weder Übernachtungs- noch Verpflegungskosten entstanden. 

Die PV Kabine hielt dagegen, dass keine Pflicht zum Besuch eines Webinars bestehe. Sie zog vor das Arbeitsgericht mit dem Ziel, das Unternehmen zu verpflichten, sie von den Schulungs-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten für das Seminar in Potsdam freizustellen.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf (Beschluss vom 17.11.2021, 10 BV 126/21) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf gaben der PV Kabine recht (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2022, 8 TaBV 59/21, s. dazu Update Arbeitsrecht 25|2022).

Entscheidung des BAG

Das BAG wies die Rechtsbeschwerde des Unternehmens zurück. In der derzeit allein vorliegenden, sehr knappen Pressemitteilung des BAG heißt es zur Begründung:

Betriebsräte haben Anspruch auf Schulungen, die für die Betriebsratsarbeit erforderlich sind. Deren Kosten hat der Arbeitgeber zu tragen. 

Von der Pflicht zur Kostentragung können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar erfasst sein, und zwar auch dann, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet.

Die PV Kabine hatte im Streitfall ebenso wie ein Betriebsrat bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Er umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat, so das BAG.

Dieser Spielraum, sich für ein Präsenzseminar entscheiden zu können, entfällt nicht deshalb, weil damit aufgrund der erforderlichen Übernachtung und Verpflegung regelmäßig höhere Kosten verbunden sind als bei Online-Veranstaltungen.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG ist richtig. 

Zur Fortbildung von Betriebsräten gehört die ungezwungene Möglichkeit für die Teilnehmer, sich während der Veranstaltung zu Wort zu melden, um ein besseres Verständnis der Veranstaltungsthemen zu gewährleisten. Hier können Online-Seminare nicht mithalten.

Aber auch der Meinungsaustausch am Rande der Veranstaltung und die damit verbundene Teambildung sind wichtige Aspekte von Betriebsrätefortbildungen. Auch dafür sind Präsenzseminare besser geeignet. 

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.02.2024, 7 ABR 8/23 (Pressemitteilung des Gerichts)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2022, 8 TaBV 59/21

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2022, 8 TaBV 59/21 (Pressemitteilung des Gerichts)

 

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsrat 

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsratsmitglied

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsratsschulung

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