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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 14|2021

Update Arbeitsrecht 14|2021 vom 14.07.2021

Entscheidungsbesprechungen

LAG München: Betriebsbedingte Kündigung bei gleichzeitiger Einführung von Kurzarbeit?

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 05.05.2021, 5 Sa 938/20

Die Einführung von Kurzarbeit für Arbeitnehmer mit gleichen Aufgaben spricht gegen einen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs.

§ 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); § 622 Abs.2 Nr.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); §§ 95 Satz 1 Nr.1; 96 Abs.1 Satz 1 Nr.2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III)

Rechtlicher Hintergrund

Ist ein Arbeitnehmer länger als sechs Monate in demselben Betrieb oder Unternehmen beschäftigt und arbeiten dort mehr als zehn Arbeitnehmer, braucht der Arbeitgeber für eine ordentliche Kündigung einen vernünftigen Grund, der vor dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Bestand hat, d.h. sie muss sozial gerechtfertigt sein. Das ist sie u.a. dann, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs.2 Satz 1 KSchG).

Dafür verlangt das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass der Bedarf für eine Arbeitsleistung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb entfällt. Im Tätigkeitsbereich des gekündigten Arbeitnehmers müssen mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der (noch) anfallenden Arbeiten benötigt werden, und dieser Überhang muss voraussichtlich dauerhaft sein.

In aller Regel entsteht ein solcher Arbeitskräfteüberhang nicht unmittelbar durch bestimmte außerbetriebliche Faktoren wie z.B. einen Auftragsrückgang, sondern erst auf der Grundlage einer Entscheidung des Arbeitgebers, die den Betrieb anders als bisher organisiert (betriebsbezogene Unternehmerentscheidung).

Zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung vor Gericht ist es daher praktisch immer erforderlich, dass der Arbeitgeber eine Unternehmerentscheidung darlegt (wie z.B. die Schließung einer Abteilung oder die Streichung einer Hierarchie-Ebene), aus der sich ein voraussichtlich dauerhafter Personalüberhang in dem Bereich ergibt, in dem der gekündigte Arbeitnehmer zuletzt beschäftigt war.

Hat der Arbeitgeber Kurzarbeit eingeführt, ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass Arbeitsbedarf dauerhaft wegfällt, d.h. Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen schließen sich nicht notwendig in allen Fällen aus. Allerdings spricht die Einführung von Kurzarbeit nach der BAG-Rechtsprechung im Allgemeinen dafür, dass der Arbeitgeber von einem nur vorübergehenden bzw. nicht dauerhaften Arbeitsmangel ausgeht (BAG, Urteil vom 23.02.2012, 2 AZR 548/10, Rn.21).

Dieses Indiz muss der Arbeitgeber vor Gericht entkräften. Das war dem Arbeitgeber in einem aktuellen Fall des Landesarbeitsgerichts (LAG) München nicht gelungen (LAG München, Urteil vom 05.05.2021, 5 Sa 938/20).

Sachverhalt

Ein Passauer Betrieb der Reise- und Tourismusbranche mit mehr als zehn Arbeitnehmern war durch die Corona-Pandemie bzw. durch die Beschränkungen des öffentlichen Lebens im Frühjahr 2020 zur Einschränkung seiner Betriebstätigkeit gezwungen und führte daher Kurzarbeit ein.

Davon betroffen war u.a. ein angestellter Reiseleiter und Stadtführer, der seit März 2020 in Kurzarbeit war. Eine seit über zwei Jahren in dem Betrieb tätige Reiseleiterin und Stadtführerin befand sich bereits im Rentenalter und war daher gesetzlich vom Bezug von Kurzarbeitergeld ausgeschlossen. Der Arbeitgeber schlug daher zunächst eine Verringerung ihres Gehalts von 2.500,00 EUR brutto auf 1.500,00 EUR brutto und zuletzt auf 1.000,00 EUR brutto vor, was die Arbeitnehmerin ablehnte.

Daraufhin sprach der Arbeitgeber Anfang April 2020 eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 15. Mai 2020 aus. Die dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin hatte vor dem Arbeitsgericht Passau nur bzgl. der Kündigungsfrist Erfolg, d.h. das Arbeitsgericht stellte fest, dass die Kündigung unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende (§ 622 Abs.2 Nr.1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) erst zum 31.05.2020 wirksam geworden war. Im Übrigen hielt das Arbeitsgericht die Kündigung für wirksam.

Entscheidung des LAG München

Das LAG München hob das Urteil des Arbeitsgerichts auf und gab der Kündigungsschutzklage statt.

Denn infolge der Anordnung von Kurzarbeit im März 2020 war davon auszugehen, dass der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung im April 2020 von einem nur vorübergehenden Wegfall von Arbeitsbedarf ausgegangen war (LAG, Urteil, Rn.38).

Dabei legt das LAG die zum Kündigungszeitpunkt geltende Maximaldauer von zwölf Monaten für das Kurzarbeitergeld zugrunde, denn die gesetzlichen Verlängerungen der Bezugsdauer wurden erst später im Laufe des Jahres 2020 eingeführt. Dass der pandemiebedingte Wegfall von Arbeit aber länger als zwölf Monate dauern würde, hatte im Frühjahr 2020 noch niemand angenommen, so das Gericht. Infolgedessen war der vom Arbeitgeber angenommene Arbeitsausfall nicht dauerhaft bzw. nur kurzfristig, denn er bewegte sich im Rahmen der (damals geltenden) maximalen Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld (LAG, Urteil, Rn.38).

Außerdem kreidete das Gericht dem Arbeitgeber an, dass er für den anderen Reiseleiter und Stadtführer im März 2020 Kurzarbeit beantragt hatte, was aufgrund der gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen des Kurzarbeitergeldes einen nur vorübergehenden Arbeitsausfall voraussetzt, § 95 Satz 1 Nr.1 in Verb. mit § 96 Abs.1 Satz 1 Nr.2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Damit lagen hier zwei widersprüchliche Prognosen vor (LAG, Urteil, Rn.41).

Praxishinweis

Dem LAG München ist zuzustimmen. Beantragt der Arbeitgeber kurz vor einer betriebsbedingten Kündigung Kurzarbeit für andere (nicht gekündigte) Arbeitnehmer mit gleichen Arbeitsaufgaben, spricht dies dagegen, dass der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung von einem dauerhaft weggefallenen Arbeitsbedarf ausgeht.

Der Arbeitgeber hätte daher im Streitfall nachweisen müssen, warum er trotz der für den anderen Reiseleiter beantragten Kurzarbeit kurz darauf im Falle der Klägerin einen dauerhaften Wegfall von Einsatzmöglichkeiten prognostizierte. Einen solchen Nachweis konnte der Arbeitgeber nicht führen.

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 05.05.2021, 5 Sa 938/20

 

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Handbuch Arbeitsrecht: Kurzarbeit, Kurzarbeitergeld

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