Update Arbeitsrecht 10|2025 vom 31.10.2025
Entscheidungsbesprechungen
BAG lässt Paarvergleich bei Klagen wegen geschlechtsbedingter Lohndiskriminierung zu
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.10.2025, 8 AZR 300/24
Für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts genügt es, wenn die klagende Partei nachweist, dass ein einziger gegengeschlechtlicher Kollege bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein höheres Entgelt erhält.
§§ 3, 7 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG); §§ 15, 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); Art.157 Abs.1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
Rechtlicher Hintergrund
Art.157 Abs.1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verlangt von den EU-Staaten, den Grundsatz der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen.
Dazu schreibt in Deutschland § 3 Abs.1 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) vor, dass bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit Benachteiligungen wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten sind.
Ergänzend gibt § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Betroffenen eine Beweiserleichterung an die Hand. Danach genügt im Prozess zunächst einmal der Nachweis von Indizien, die eine Lohndiskriminierung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Dann muss der Arbeitgeber beweisen, dass keine Diskriminierung vorlag.
Zu diesem Thema hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Jahr 2021 entschieden, dass bereits Gehaltsunterschiede als solche zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmergruppen ein Indiz für eine geschlechtsbedingte Lohndiskriminierung sein können (BAG, Urteil vom 21.01.2021, 8 AZR 488/19; s. dazu Update Arbeitsrecht 03|2021)
In einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2023 hat das BAG klargestellt, dass für die Vermutung einer Lohndiskriminierung auch der Nachweis genügen kann, dass ein einziger gegengeschlechtlicher Kollege mit gleichen oder gleichwertigen Arbeitsaufgaben besser verdient (BAG, Urteil vom 16.02.2023, 8 AZR 450/21; s. dazu Update Arbeitsrecht 04|2023).
Allerdings gab es in dem Streitfall, in dem das BAG im Jahr 2023 einen einzigen gegengeschlechtlichen Arbeitnehmer als ausreichend ansah (Paarvergleich), im Betrieb auch nur einen vergleichbaren männlichen Kollegen, auf den die klagende Arbeitnehmer verweisen konnte.
Aber ist ein solcher Paarvergleich auch dann ausreichend für die Vermutung einer Lohndiskriminierung, wenn es sehr viele gegengeschlechtliche Vergleichsarbeitnehmer gibt? Und kann man sich dann als Kläger oder Klägerin den bestbezahlten Vergleichskollegen herauspicken und eine ebenso hohe Bezahlung verlangen („Angleichung nach ganz oben“)?
Ja, so das BAG in einer aktuellen Entscheidung: Urteil vom 23.10.2025, 8 AZR 300/24 (Pressemitteilung des Gerichts).
Sachverhalt
Eine Angestellte mit Führungsaufgaben war seit längerem bei einem global tätigen Automobilhersteller auf der dritten Führungsebene E 3 (Abteilungsleiterebene) unterhalb des Vorstands beschäftigt.
Sie klagte für fünf Jahre, von 2018 bis 2022, unter Berufung auf Art. 157 AEUV und auf § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG auf Gewährung von Gehaltsbestandteilen mit dem Argument, sie werde wegen ihres Geschlechts schlechter vergütet als männliche Kollegen mit gleichen oder gleichwertigen Aufgaben.
Dabei ging es um eine fixe Grundvergütung, einen Company Bonus, eine aktienorientierte Vergütung nach einem „Performance Phantom Share Plan“ (PPSP) nebst Dividenden und um Kapitalbausteine zur betrieblichen Altersversorgung.
Das Gehalt der Klägerin war sowohl geringer als das Medianentgelt der männlichen als auch der weiblichen Vergleichskollegen bzw. -kolleginnen.
Zur Begründung ihrer Klageforderungen berief sich die Angestellte nicht nur auf das Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe, sondern in erster Linie auf das eines zu dieser Gruppe gehörenden männlichen Kollegen, der hier am besten verdiente, d.h. diesen nahm sie als Vergleichsarbeitnehmer.
Dabei verwendete die Klägerin Angaben in einem Dashboard, das mit dem das Unternehmen in seinem Intranet Auskünften im Sinne des EntgTranspG erteilt.
Das Arbeitsgericht Stuttgart gab der Klage teilweise statt. Abgesehen von den verlangten virtuellen Aktien (PPSP) sprach es der Klägerin den Unterschiedsbetrag zwischen ihrem individuellen Gehalt und dem Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe zu (Urteil vom 19.10.2023, 22 Ca 7069/21).
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg sprach der Klägerin ebenfalls ein zusätzliches Entgelt zu (Grundvergütung und Company Bonus), allerdings nur in Höhe des Unterschieds zwischen dem Medianentgelt der weiblichen und der männlichen Vergleichsgruppe (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.10.2024, 2 Sa 14/24). Auch bei den übrigen Gehaltskomponenten hatte die Klägerin beim LAG (nur) teilweise Erfolg.
Nach Ansicht des LAG war es nicht möglich, sich zur Begründung der Vermutung einer Lohndiskriminierung auf den bestbezahlten Arbeitnehmer der männlichen Vergleichsgruppe zu beziehen. Denn bei einem solchen Vergleich besteht, so das LAG, keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung.
Entscheidung des BAG
Das BAG hob das Urteil des LAG auf und verwies den Fall dorthin zurück. Zur Begründung heißt es in der derzeit allein vorliegenden Pressemitteilung des BAG:
Entgegen der vom LAG vertretenen Ansicht ist bei Lohndiskriminierungsklagen keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung erforderlich.
Eine solche Anforderung wäre, so das BAG, mit den „Vorgaben des primären Unionsrechts“ unvereinbar. Hier hat das BAG wahrscheinlich Art.157 Abs.1 AEUV vor Augen.
Weiterhin genügt es für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts, wenn die klagende Partei nachweist, dass ein einziger gegengeschlechtlicher Kollege bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein höheres Entgelt erhält.
Wie groß die gegengeschlechtliche (im Streitfall die männliche) Vergleichsgruppe ist, und wie hoch das Medianentgelt der männlichen und der weiblichen Vergleichsgruppe ist, spielt für die Vermutung einer geschlechtsbedingten Lohndiskriminierung keine Rolle
In dem jetzt in Stuttgart weiter zu führenden Prozess muss das LAG prüfen, ob das Unternehmen die Vermutung der Lohndiskriminierung widerlegt hat. Dazu ist beiden Parteien Gelegenheit zur Ergänzung ihres Sachvortrags zu geben.
Voraussichtlich wird das Unternehmen dabei erhebliche Probleme bekommen, wie sich einem Seitenhieb des BAG auf die „Intransparenz“ seines Entgeltsystems entnehmen lässt.
Praxishinweis
Angesichts der aktuellen BAG-Rechtsprechung zum Nachweis der Vermutung einer Lohndiskriminierung wegen des Geschlechts wird Unternehmen oft zu einer möglichst genauen Dokumentation der Gründe für einzelvertragliche Gehaltsvereinbarungen im AT-Bereich geraten.
Solche Empfehlungen sind leichter gegeben als umgesetzt. Außertarifliche Gehaltsverläufe lassen sich nur schwer über Jahre hinweg im Nachhinein nachvollziehen (wenn überhaupt).
Eher sinnvoll dürfte es sein, außertarifliche Gehaltsansprüche auf der Grundlage von Betriebsvereinbarungen zu regeln, da angesichts der restriktiven Rechtsprechung zu leitenden Angestellten im Sinne von § 5 Abs.3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) die meisten AT-Angestellten von solchen Regelungen erfasst werden.
Solche Betriebsvereinbarungen sollten angemessen lange Ausschlussfristen enthalten. Auch in Arbeitsverträgen außertariflich bezahlter Angestellter sind - juristisch laufend aktualisierte - Ausschlussfristen unverzichtbar.
Aus Arbeitnehmersicht ist das aktuelle BAG-Urteil eine gute Nachricht. Unabhängig von der Arbeitnehmeranzahl genügt es für eine Diskriminierungsvermutung, einen einzigen besser verdienenden Kollegen der jeweiligen gegengeschlechtlichen Vergleichsgruppe benennen zu können.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.10.2025, 8 AZR 300/24 (Pressemitteilung des Gerichts)
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 01.10.2024, 2 Sa 14/24
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.02.2023, 8 AZR 450/21
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.01.2021, 8 AZR 488/19
Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Rechte Betroffener
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