UPDATE
ARBEITSRECHT
Ausgabe
ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 11|2021

Update Arbeitsrecht 11|2021 vom 02.06.2021

Entscheidungsbesprechungen

LAG Berlin-Brandenburg: Aufhebungsvertrag unter Androhung einer fristlosen Kündigung nach Ablauf der Zweiwochenfrist

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.03.2021, 23 Sa 1381/20

Ist die Zweiwochenfrist für die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung abgelaufen, dürfen Arbeitgeber mit einer solchen Kündigung nicht mehr drohen, um den Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu bringen.

§§ 123 Abs.1; 142 Abs.1; 174; 623; 626 Abs.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 102 Abs.2 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Rechtlicher Hintergrund

Arbeitnehmer fühlen sich durch einen vom Arbeitgeber vorgeschlagenen Aufhebungsvertrag im Nachhinein oft überrumpelt, v.a. dann, wenn der Arbeitgeber mit einer fristlosen Kündigung für den Fall droht, dass der Arbeitnehmer den Aufhebungsvertrag nicht unterschreibt.

Anfechtungserklärungen sind aber selten erfolgreich. Zwar sieht § 123 Abs.1 Fall 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein Anfechtungsrecht für den Fall einer widerrechtlichen Drohung vor, doch ist die Drohung mit einer fristlosen Kündigung und/oder einer Strafanzeige meist nicht „widerrechtlich“ im Sinne von § 123 Abs.1 BGB.

Denn widerrechtlich ist die Androhung einer (fristlosen) Kündigung nach der Rechtsprechung nur, wenn ein „verständiger“ Arbeitgeber eine solche Kündigung im konkreten Fall nicht ernsthaft in Betracht ziehen durfte, weil sie vor Gericht mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Bestand hätte.

In einem schon länger zurückliegenden Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) beiläufig geäußert, dass die Androhung einer außerordentlichen Kündigung auch dann widerrechtlich sein kann, wenn der Arbeitgeber nach Ablauf der zweiwöchigen Erklärungsfrist des § 626 Abs.2 BGB keine wirksame außerordentliche Kündigung mehr erklären könnte (BAG, Urteil vom 05.12.2002, 2 AZR 478/01, Rn.33). Denn gemäß § 626 Abs.2 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erklärt werden, nachdem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

Lässt sich der Arbeitgeber länger Zeit, ist eine außerordentliche Kündigung nicht mehr möglich. Folgerichtig kann dann aber auch ein „verständiger Arbeitgeber“ mit einer außerordentlichen Kündigung nicht mehr drohen, um einen Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu bringen, d.h. eine solche Drohung ist dann widerrechtlich. Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg vor kurzem bestätigt (Urteil vom 31.03.2021, 23 Sa 1381/20).

Sachverhalt

Ein langjährig beschäftigter, ordentlich unkündbarer Produktionshelfer geriet Ende Februar 2020 in den Verdacht, im Betrieb Rauschgift an Kollegen zu verkaufen, nämlich Ecstasy-Pillen.

In einem deshalb am 06.03.2020 (Freitag) geführten Gespräch stritt er zwar alles ab, doch bestätigte ein Kollege am selben Tag, dass er von dem Produktionshelfer mehrfach im Betrieb Ecstasy-Pillen zum Preis von 10,00 EUR pro Pille erhalten hatte. Der Arbeitgeber hörte den Betriebsrat am 16.03.2020 (Montag) zu einer beabsichtigten außerordentlichen Tat- und Verdachtskündigung an, woraufhin der Betriebsrat am 19.03.2020 (Donnerstag) per E-Mail Bedenken gegen die geplante Kündigung äußerte.

Die zuständige Personalreferentin bestellte den Produktionshelfer am 20.03.2020 (Freitag) für den nächsten Montag (23.03.2020) zu einem Personalgespräch ein. Bei diesem Gespräch erklärte sie ihm, dass er außerordentlich gekündigt würde, falls er einer Vertragsbeendigung zu Ende Oktober 2020 per Aufhebungsvertrag nicht zustimmen sollte. Das tat der Produktionshelfer zwar, erklärte aber am nächsten Tag über einen Anwalt die Anfechtung des Aufhebungsvertrags.

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin mit Schreiben vom 24.03.2020 (Dienstag) und vorsorglich nochmals am 26.03.2020 (Donnerstag), jeweils außerordentlich.

Der Arbeitnehmer klagte auf die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis weder durch den Aufhebungsvertrag noch durch die beiden Kündigungen vom 24.03.2020 und vom 26.03.2020 aufgelöst worden ist. Das Arbeitsgericht Berlin gab der Klage in diesen Punkten statt (Urteil vom 10.09.2020, 44 Ca 3827/20).

Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg

Auch das LAG entschied gegen den Arbeitgeber. Denn der Arbeitnehmer hatte den Aufhebungsvertrag vom 23.03.2020 wirksam wegen widerrechtlicher Drohung gemäß § 123 Abs.1 Alt.2 BGB angefochten, so dass er gemäß § 142 Abs.1 BGB von Anfang an unwirksam war.

Bei Abschluss des Aufhebungsvertrags hatte der Arbeitgeber nämlich mit einer außerordentlichen Kündigung gedroht, und diese Drohung war widerrechtlich, da an diesem Tag (23.03.2020) die zweiwöchige Erklärungsfrist für eine außerordentliche Kündigung (§ 626 Abs.2 BGB) bereits abgelaufen war. Die Frist begann am 06.03.2020 (Freitag) bzw. am folgenden Samstag (07.03.2020, 00:00 Uhr), da der Arbeitgeber aufgrund der Aussage des Arbeitskollegen die für eine außerordentliche fristlose Kündigung maßgebenden Tatsachen somit kannte. Demnach endete die Zweiwochenfrist am übernächsten Freitag (20.03.2020, 24:00 Uhr).

Innerhalb dieser Frist führte der Arbeitgeber auch die Anhörung des Betriebsrats zu der geplanten außerordentlichen Kündigung (§ 102 Abs.2 Satz 3 BetrVG) durch, nämlich vom 16.03.2020 (Anhörung) bis zum 19.03.2020 (Stellungnahme des Betriebsrats). Daher hätte er noch am letzten Tag der Zweiwochenfrist des § 626 Abs.2 BGB, nämlich am 20.03.2020 (Freitag), eine außerordentliche Kündigung aussprechen können und müssen, so das LAG (Urteil, Rn.42). Am folgenden Montag (23.03.2020) war die Frist aber schon abgelaufen, so dass die an diesem Tag erklärte Kündigungsandrohung widerrechtlich war.

Der Arbeitgeber berief sich auch vergeblich auf die Einschränkungen des öffentlichen Lebens infolge der Covid-19-Pandemie im März 2020, die dazu führten, dass weniger Mitarbeiter der Personalabteilung verfügbar waren. Diese Probleme sind aber, so das LAG, nicht dem Arbeitnehmer zuzurechnen, und sie führten auch nicht dazu, dass es dem Arbeitgeber infolge höherer Gewalt unmöglich war, noch am 20.03.2020 (Freitag) eine außerordentliche Kündigung zu erklären und den Zugang der Kündigungserklärung zu bewirken (Urteil, Rn.43).

Auch die nach Anfechtung des Aufhebungsvertrags erklärten außerordentlichen Kündigungen vom 24.03.2020 und vom 26.03.2020 waren unwirksam, da sie ebenfalls außerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden waren.

Praxishinweis

Ist die Zweiwochenfrist für eine außerordentliche Kündigung einmal abgelaufen, dürfen Arbeitgeber mit einer solchen Kündigung nicht mehr drohen, um den Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu bringen. Eine solche Drohung wäre widerrechtlich im Sinne von § 123 Abs.1 Fall 2 BGB und würde den Arbeitnehmer zur Anfechtung berechtigen.

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.03.2021, 23 Sa 1381/20

 

Handbuch Arbeitsrecht: Aufhebungsvertrag

Handbuch Arbeitsrecht: Aufhebungsvertrag und Anfechtung, Widerruf

Handbuch Arbeitsrecht: Gebot fairen Verhandelns

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - außerordentliche Kündigung

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

IMPRESSUM