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ARBEITSRECHT AKTUELL // 08/044

An­ge­mes­se­ne Ver­gü­tung auch für Aus­zu­bil­den­de im Kran­ken­pfle­ge­be­reich

Ob die Ver­gü­tung für ei­nen Aus­zu­bil­den­den in der Kran­ken­pfle­ge an­ge­mes­sen ist, ist nach all­ge­mei­nen Re­geln zu be­ur­tei­len (20-Pro­zent-Gren­ze): Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.02.2008, 9 AZR 1091/06
Auch Kran­ken­häu­ser müs­sen ih­re Azu­bis an­stän­dig ver­gü­ten

24.04.2008. Wie je­der Aus­bil­dungs­be­trieb so müs­sen auch Ein­rich­tun­gen der Kran­ken­pfle­ge ih­ren Aus­zu­bil­den­den ei­ne „an­ge­mes­se­ne Ver­gü­tung“ ge­wäh­ren. Das ist ge­setz­lich fest­ge­schrie­ben, und zwar in § 12 Abs. 1 Kran­ken­pfle­ge­ge­setz (KrPflG).

Frag­lich ist, ob Kran­ken­häu­ser und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen ei­nen grö­ße­ren Spiel­raum ha­ben, wenn sie von der üb­li­chen Aus­bil­dungs­ver­gü­tung nach un­ten ab­wei­chen. Nor­ma­ler­wei­se dür­fen Aus­bil­der die üb­li­che Aus­bil­dungs­ver­gü­tung um nicht mehr als 20 Pro­zent un­ter­schrei­ten.

Nach ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) gilt die­se 20-Pro­zent-Gren­ze auch für Kran­ken­häu­ser und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen. Un­ter­schrei­tet die von ih­nen ge­zahl­te Aus­bil­dungs­ver­gü­tung die üb­li­che Ver­gü­tung und/oder das Ta­rif­ni­veau um mehr als 20 Pro­zent, ist sie in der Re­gel un­an­ge­mes­sen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.02.2008, 9 AZR 1091/06.

Wann ist die Vergütung für ei­nen Azu­bi in der Kran­ken­pfle­ge un­an­ge­mes­sen ge­ring?

24.04.2008. Aus­zu­bil­den­de ha­ben ei­nen An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Vergütung. Die­ses Recht ist in § 17 Abs.1 Be­rufs­bil­dungs­ge­setz (BBiG) fest­ge­schrie­ben und wird für Aus­zu­bil­den­de im Kran­ken­pfle­ge­be­reich durch § 12 des Ge­set­zes über die Be­ru­fe in der Kran­ken­pfle­ge (Kran­ken­pfle­ge­ge­setz - KrPflG) in­halts­gleich wie­der­holt.

Bei der Aus­le­gung die­ser Vor­schrif­ten ist zu berück­sich­ti­gen, dass die Aus­bil­dungs­vergütung meh­re­re Funk­tio­nen hat: Sie soll den Aus­zu­bil­den­den bzw. sei­ne El­tern bei der Be­rufs­aus­bil­dung fi­nan­zi­ell un­terstützen, soll der Her­an­zie­hung qua­li­fi­zier­ter Nach­wuchs­kräfte die­nen und schließlich auch ei­ne Ent­loh­nung dar­stel­len.

Die o.g. ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten klin­gen harm­los und selbst­verständ­lich, sind es aber kei­nes­wegs, wie ein Ver­gleich des Aus­zu­bil­den­den mit ei­nem Ar­beit­neh­mer zeigt: Die­ser hat ge­ra­de kei­nen ge­setz­li­chen An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Vergütung, son­dern ist wie je­der­mann im Pri­vat­rechts­ver­kehr grundsätz­lich frei in der Ver­ein­ba­rung von ver­trag­li­chen Ent­gel­ten. Nur dann, wenn kei­ne Vergütungs­ver­ein­ba­rung ge­trof­fen wur­de, kann er die ta­rif­li­che Vergütung oder, falls kein Ta­rif­ver­trag ein­schlägig ist, die „übli­che“ Vergütung ver­lan­gen, § 612 Abs.2 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB).

Ein An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf die übli­che Vergütung er­gibt sich auch im Fal­le ei­ner sit­ten­wid­rig ge­rin­gen Vergütungs­ver­ein­ba­rung, die gemäß § 138 Abs.1 BGB (Sit­ten­wid­rig­keit) oder § 138 Abs.2 BGB (Lohn­wu­cher) zur Un­wirk­sam­keit der Vergütungs­ab­re­de führt. Hierfür ist al­ler­dings nach der Recht­spre­chung ein Un­ter­schrei­ten ein­schlägi­ger ta­rif­li­cher Löhne um mehr als 30 Pro­zent er­for­der­lich.

In Ab­wei­chung von die­sen für den Ar­beit­neh­mer gel­ten­den Grundsätzen be­sagt die Recht­spre­chung zur Aus­bil­dungs­vergütung, dass die ver­trag­lich ver­ein­bar­te Aus­bil­dungs­vergütung die in ein­schlägi­gen Ta­rif­verträgen fi­xier­te Aus­bil­dungs­vergütung um höchs­tens 20 Pro­zent un­ter­schrei­ten darf, soll sie nicht „un­an­ge­mes­sen“ und so­mit nich­tig sein. Die­ser Maßstab gilt auch dann, wenn die Par­tei­en des Aus­bil­dungs­verhält­nis­ses nicht ta­rif­ge­bun­den sind, so dass der Ta­rif­ver­trag nur als In­diz für die übli­che Vergütung her­an­ge­zo­gen wer­den kann.

Frag­lich ist, ob die­se eher stren­gen bzw. eher ar­beit­ge­ber- bzw. aus­bil­de­r­un­freund­li­chen Grundsätze der Recht­spre­chung zur Kon­trol­le der An­ge­mes­sen­heit von Aus­bil­dungs­vergütun­gen auch auf § 12 KrPflG zu über­tra­gen sind, d.h. ob sie auch für Aus­bil­dungs­verhält­nis­se im An­wen­dungs­be­reich des KrPflG gel­ten oder ob die Be­son­der­hei­ten der Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung die An­ge­mes­sen­heits­kon­trol­le mögli­cher­wei­se be­schränkt. Zu die­ser Fra­ge hat das BAG in ei­nem Ur­teil vom 19.02.2008 (9 AZR 1091/06) Stel­lung ge­nom­men.

Der Streit­fall: Ge­meinnützi­ge Ein­rich­tung zahlt für die Aus­bil­dung zur Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin 35 Pro­zent we­ni­ger als üblich

Die Kläge­rin ab­sol­vier­te bei der Be­klag­ten, ei­ner ge­meinnützi­gen GmbH, ei­ne Aus­bil­dung zur Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin. Der zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­ne Aus­bil­dungs­ver­trag be­stimm­te., dass sich das Aus­bil­dungs­verhält­nis nach dem Ta­rif­ver­trag zur Re­ge­lung der Rechts­verhält­nis­se der Schüle­rin­nen/Schüler, die nach Maßga­be des Kran­ken­pfle­ge­ge­set­zes aus­ge­bil­det wer­den so­wie den die­sen ergänzen­den, ändern­den oder er­set­zen­den Ta­rif­verträgen in der je­weils gel­ten­den Fas­sung rich­tet, so­fern der Aus­bil­dungs­ver­trag kei­ne spe­zi­el­len Re­ge­lun­gen ent­hal­te.

In Be­zug auf die Aus­bil­dungs­vergütung tra­fen die Par­tei­en ei­ne In­di­vi­du­al­ver­ein­ba­rung, der zu­fol­ge die­se im ers­ten Aus­bil­dungs­jahr 500,00 EUR, im zwei­ten Aus­bil­dungs­jahr 550,00 EUR und im drit­ten Aus­bil­dungs­jahr 600,00 EUR be­tra­gen soll­ten. Im Un­ter­schied zu die­ser Ver­trags­ver­ein­ba­rung sa­hen die im Aus­bil­dungs­ver­trag erwähn­ten Ta­rif­verträge ei­ne mo­nat­li­che Aus­bil­dungs­vergütung von 729,06 EUR (ers­tes Jahr) bzw. von 788,57 EUR (zwei­tes Jahr) bzw. von 884,44 EUR (drit­tes Jahr) vor. Außer­dem stan­den den Aus­zu­bil­den nach Ta­rif Ein­mal­zah­lun­gen, ei­ne an­tei­li­ge Zu­wen­dung so­wie Ur­laubs­geld zu. Ins­ge­samt un­ter­schritt die zwi­schen den Par­tei­en ver­ein­bar­te Aus­bil­dungs­vergütung die ta­rif­lich fest­ge­leg­te Vergütung um mehr als 35 Pro­zent.

Die Aus­zu­bil­den­de er­hob vor dem Ar­beits­ge­richt Kiel Kla­ge auf Zah­lung des Dif­fe­renz­be­tra­ges. Während das Ar­beits­ge­richt die Kla­ge ab­wies, gab ihr das Lan­des­ar­beits­geicht (LAG) Schles­wig-Hol­stein mit Ur­teil vom 07.11.2006 (5 Sa 159/06) un­ter Be­zug­nah­me auf die o.g. ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten statt.

Die Ver­mu­tung der Un­an­ge­mes­sen­heit der ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Aus­bil­dungs­vergütung, die sich aus dem Un­ter­schrei­ten der Ta­rif­vor­schrif­ten um mehr als 35 Pro­zent er­gibt, wird nicht durch die von der Be­klag­ten in An­spruch ge­nom­me­nen Aus­nah­me­tat­bestände wi­der­legt, so das LAG. Die Be­klag­te hat­te - oh­ne Er­folg - die An­sicht ver­tre­ten, dass sie die bei ihr statt­fin­den­de Be­rufs­aus­bil­dung durch öffent­li­che (Förder-)Mit­tel und Spen­den­gel­der fi­nan­zie­re. Dem folg­te das LAG nicht, da es ei­nen sol­chen Zu­sam­men­hang zwi­schen Mit­tel­auf­brin­gung und (zusätz­li­cher) Aus­bil­dung nicht nach­voll­zie­hen konn­te.

BAG: Ob die Vergütung für ei­nen Aus­zu­bil­den­den in der Kran­ken­pfle­ge an­ge­mes­sen ist, ist nach all­ge­mei­nen Re­geln zu be­ur­tei­len (20-Pro­zent-Gren­ze)

Das BAG hat die Ent­schei­dung des LAG Schles­wig-Hol­stein im Grund­satz bestätigt und der Kla­ge statt­ge­ge­ben, so­weit die Ansprüche nicht ver­fal­len wa­ren.

Der Träger der Aus­bil­dung ha­be den Aus­zu­bil­den­den nach § 12 Abs. 1 KrPflG ei­ne „an­ge­mes­se­ne Vergütung“ zu gewähren. Die An­ge­mes­sen­heit rich­te sich nach den­je­ni­gen Grundsätzen, die zur Be­ur­tei­lung der An­ge­mes­sen­heit der Vergütung nach § 10 Abs.1 BBiG a.F. (jetzt § 17 Abs.1 BBiG) ent­wi­ckelt wor­den sei­en.

Die Be­son­der­hei­ten der Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung durch Bud­ge­tie­rung recht­fer­tig­ten kei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung. Die An­ge­mes­sen­heit der Vergütung rich­te sich nicht nach dem Bud­get, son­dern die an­ge­mes­se­ne Vergütung sei viel­mehr bei der Fest­le­gung des Bud­gets zu be­ach­ten.

Un­ter­schrei­te die ver­ein­bar­te Aus­bil­dungs­vergütung nicht ta­rif­ge­bun­de­ner Par­tei­en das Ta­rif­ni­veau um mehr als 20 Pro­zent, könne sie nur in Aus­nah­mefällen als an­ge­mes­sen be­wer­tet wer­den.

Ei­ne sol­che Aus­nah­me könne et­wa an­zu­neh­men sein, wenn Aus­bil­dungs­plätze für Per­so­nen­grup­pen ge­schaf­fen wer­den, die sonst nur un­ter er­heb­li­chen Schwie­rig­kei­ten ei­nen Aus­bil­dungs­platz fin­den könn­ten, oder wenn die Aus­bil­dung teil­wei­se oder vollständig durch öffent­li­che Gel­der fi­nan­ziert wer­de. Ei­ne sol­che Aus­nah­me­si­tua­ti­on woll­te das BAG aber im vor­lie­gen­den Fall eben­so we­nig wie das LAG an­neh­men.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 13. Mai 2015

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