HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/212

In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan im Klein­be­trieb

Nach­teils­aus­gleich im Klein­be­trieb: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg, Ur­teil vom 21.09.2009, 6 Sa 808/08
Schild vor Rollgitter WIR SCHLIESSEN "Mas­sen­ent­las­sung" von fünf Ar­beit­neh­mern?
17.11.2009. Ge­mäß § 111 Satz 1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) ist der Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet, den Be­triebs­rat über ge­plan­te Be­trieb­s­än­de­run­gen, recht­zei­tig und um­fas­send zu un­ter­rich­ten. Zu den in der Pra­xis wich­tigs­ten Be­trieb­s­än­de­run­gen ge­hört ne­ben der Be­triebs­still­le­gung bzw. Be­triebs­schlie­ßung auch die Still­le­gung von „we­sent­li­chen“ Be­triebs­tei­len.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nürn­berg hat­te nun die Fra­ge zu klä­ren, ob es sich um ei­ne sol­che Still­le­gung von „we­sent­li­chen“ Be­triebs­tei­len han­delt, wenn in ei­nem Be­trieb mit 13 Ar­beit­neh­mern der Fuhr­park mit dort be­schäf­tig­ten fünf Ar­beit­neh­mern ge­schlos­sen wer­den soll und da­her vier Kraft­fah­rern ge­kün­digt wer­den soll: LAG Nürn­berg, Ur­teil vom 21.09.2009, 6 Sa 808/08.

Wie­vie­le Ar­beit­neh­mer müssen ent­las­sen wer­den, da­mit im Klein­be­trieb von ei­ner Be­triebsände­rung die Re­de sein kann?

17.11.2009. § 111 Satz 1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) ver­pflich­tet den Ar­beit­ge­ber da­zu, den Be­triebs­rat über ge­plan­te Be­triebsände­run­gen, die we­sent­li­che Nach­tei­le für die Be­leg­schaft oder er­heb­li­che Tei­le der Be­leg­schaft zur Fol­ge ha­ben können, recht­zei­tig und um­fas­send zu un­ter­rich­ten. Der Ar­beit­ge­ber muss sei­ne Pla­nun­gen mit dem Be­triebs­rat be­ra­ten und ver­su­chen, mit ihm zu ei­nem In­ter­es­sen­aus­gleich zu kom­men.

Da ein In­ter­es­sen­aus­gleich, dem zu­fol­ge der Ar­beit­ge­ber auf die Be­triebsände­rung ver­zich­tet, vom Be­triebs­rat nicht er­zwun­gen wer­den kann und da­her in der Pra­xis nicht vor­kommt, kon­zen­triert sich die Mit­ge­stal­tung durch den Be­triebs­rat auf das Aus­han­deln ei­nes So­zi­al­plans, denn den kann er gemäß § 112 Abs. 4 Be­trVG er­zwin­gen, not­falls durch ei­nen Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le.

Die­se vom Ar­beit­ge­ber zu be­ach­ten­den Spiel­re­geln bei Be­triebsände­run­gen grei­fen erst ab ei­ner Ar­beit­neh­mer­an­zahl von mehr als 20 wahl­be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mern ein. Hier gab es auf­grund der Re­form des Be­trVG aus dem Jah­re 2001 ei­ne Ände­rung: Während bis da­hin die Min­dest­an­zahl von 21 wahl­be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mern in dem be­trof­fe­nen Be­trieb vor­han­den sein muss­te, kommt es seit­dem auf die An­zahl der Ar­beit­neh­mer im Un­ter­neh­men an.

Da­her können seit der Be­trVG-Re­form 2001 auch Be­trie­be mit we­ni­ger als 21 Ar­beit­neh­mern un­ter die Re­ge­lun­gen zum In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan fal­len, wenn das Un­ter­neh­men, zu dem der Be­trieb gehört, 21 Ar­beit­neh­mer beschäftigt. Das be­trifft vor al­lem über­re­gio­nal täti­ge Un­ter­neh­men mit klei­nen ört­li­chen Be­trie­ben: Möch­te ein deutsch­land­weit täti­ges Un­ter­neh­men mit in der Re­gel 500 Ar­beit­neh­mern und Stand­or­ten in ver­schie­de­nen Städten ei­nen sei­ner ört­li­chen Be­trie­be schließen und wa­ren in die­sem zu­letzt 10 Ar­beit­neh­mer beschäftigt, liegt nach § 111 Satz 1 Be­trVG neu­er Fas­sung ei­ne mit­be­stim­mungs­pflich­ti­ge Be­triebs­stil­le­gung vor.

Die in der Pra­xis wich­tigs­ten Be­triebsände­run­gen nennt das Ge­setz in § 111 Satz 3 Nr.1 Be­trVG. Hier­zu gehört ne­ben der Be­triebs­still­le­gung bzw. Be­triebs­sch­ließung auch die Still­le­gung von „we­sent­li­chen“ Be­triebs­tei­len. Nach der Recht­spre­chung ist ein von der ge­plan­ten Stil­le­gung be­trof­fe­ner Be­triebs­teil als „we­sent­lich“ zu be­wer­ten, wenn in ihm so vie­le Ar­beit­neh­mer beschäftigt sind, dass die Be­triebs­teil­sch­ließung zu ei­ner an­zei­ge­pflich­ti­gen Mas­sen­ent­las­sung gemäß § 17 Abs. 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) führen würde.

So liegt z.B. nach die­ser Vor­schrift in Be­trie­ben mit 21 bis 59 Ar­beit­neh­mern ei­ne Mas­sen­ent­las­sung vor, wenn der Ar­beit­neh­mer min­des­tens sechs Ar­beit­neh­mer in­ner­halb von 30 Ta­gen ent­las­sen möch­te. Dem­ent­spre­chend ist ein zu schließen­der Be­triebs­teil bei ei­ner Beschäftig­ten­zahl von 21 bis 59 Ar­beit­neh­mern „we­sent­lich“ im Sin­ne von § 111 Satz 3 Nr.1 Be­trVG, wenn in ihm min­des­tens sechs Ar­beit­neh­mer beschäftigt sind und in­fol­ge der Be­triebs­teil­sch­ließung gekündigt wer­den sol­len.

Da an­zei­gen­pflich­ti­ge Mas­sen­ent­las­sun­gen gemäß § 17 Abs.1 KSchG erst ab ei­ner Be­triebs­größe von 21 Ar­beit­neh­mern denk­bar sind, lässt sich die­ser Vor­schrift nicht ent­neh­men, ab wel­cher Zah­len­gren­ze in klei­ne­ren Be­trie­ben die Still­le­gung ei­nes „we­sent­li­chen Be­triebs­teils“ ge­ge­ben ist. Zu die­ser Fra­ge hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nürn­berg mit Ur­teil vom 21.09.2009 (6 Sa 808/08) Stel­lung ge­nom­men.

Der Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nürn­berg: Kündi­gung von vier Kraft­fah­rern bei ins­ge­samt 13 Beschäftig­ten

Der 1947 ge­bo­re­ne Ar­beit­neh­mer war seit 1967 bei der be­klag­ten GmbH, die bun­des­weit über 250 Ar­beit­neh­mer beschäftigt, als Kraft­fah­rer in ei­ner Nie­der­las­sung mit nur 13 Ar­beit­neh­mern beschäftigt. Sie­ben von die­sen wa­ren in der Ver­wal­tung und fünf als Kraft­fah­rer beschäftigt. Ein wei­te­rer Kraft­fah­rer be­fand sich be­reits im Ru­he­stand und wur­de nur von Zeit zu Zeit als Aus­hilfs­fah­rer ein­ge­setzt.

Die Ar­beit­ge­be­rin be­schloss An­fang 2008, den Fuhr­park der Nie­der­las­sung zu schließen. Sie kündig­te da­her den Kläger und drei wei­te­re Kraft­fah­rer. Der fünf­te Kraft­fah­rer schied zeit­nah aus Al­ters­gründen aus. Über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich ver­han­del­te das Un­ter­neh­men mit dem Be­triebs­rat nicht, da es der An­sicht war, die Sch­ließung des Fuhr­parks und die in der Fol­ge aus­zu­spre­chen­den Kündi­gun­gen sei­en kei­ne Be­triebs­teil­still­le­gung gemäß § 111 Satz 3 Nr.1 Be­trVG.

Der gekündig­te Ar­beit­neh­mer war an­de­rer Mei­nung, zog vor Ge­richt und ver­lang­te Zah­lung ei­nes Nach­teils­aus­gleichs gemäß § 113 Abs.3 Be­trVG. Nach die­ser Vor­schrift können Ar­beit­neh­mer, die we­gen ei­ner Be­triebsände­rung ent­las­sen wer­den, ei­nen Nach­teils­aus­gleich in Form ei­ner Ab­fin­dung be­an­spru­chen , wenn der Ar­beit­ge­ber die Be­triebsände­rung durchführt, oh­ne über sie mit dem Be­triebs­rat ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich ver­sucht zu ha­ben.

Das Ar­beits­ge­richt Nürn­berg gab der Kla­ge statt und ver­ur­teil­te das Un­ter­neh­men zur Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung von 25.000,00 EUR brut­to (Ur­teil vom 23.09.2008, 4 Ca 1659/08), das dar­auf­hin Be­ru­fung ein­leg­te.

Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg: Sind im Klein­be­trieb 30 Pro­zent der Be­leg­schaft von ei­ner Be­triebs­teil­sch­ließung be­trof­fen, liegt ei­ne Be­triebsände­rung im Sin­ne von § 111 Be­trVG vor

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg wies die Be­ru­fung zurück, d.h. es ent­schied eben­falls zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers. Wie die ers­te In­stanz war auch das LAG der Mei­nung, mit der Sch­ließung des Fuhr­parks und der Kündi­gung der vier Fah­rer wer­de ein we­sent­li­cher Be­triebs­teil im Sin­ne von § 111 Satz 3 Nr.1 Be­trVG still­ge­legt.

Zur Be­gründung schließt sich das LAG ei­ner in der Li­te­ra­tur ver­tre­te­nen Mei­nung an, der zu­fol­ge die Zah­len­verhält­nis­se des § 17 Abs. 1 KSchG für Klein­be­trie­be nach un­ten fort­ge­schrie­ben wer­den müss­ten. Da gemäß die­ser Vor­schrift ei­ne Mas­sen­ent­las­sung bei ei­ner Be­triebs­größe von 21 bis 59 Ar­beit­neh­mern die Ent­las­sung von sechs Ar­beit­neh­mern vor­aus­setzt, d.h. bei 21 Ar­beit­neh­mern von min­des­tens (6 : 21 =) 28,57 Pro­zent der Be­leg­schaft, genügt dem LAG Nürn­berg im Fal­le der Teil­sch­ließung ei­nes Klein­be­triebs, dass dort min­des­tens 30 Pro­zent der Ar­beit­neh­mer tätig wa­ren.

Da die im hier ent­schie­de­nen Fall gekündig­ten vier Fah­rer mehr als 30 Pro­zent der aus 13 Per­so­nen be­ste­hen­den Be­leg­schaft aus­ge­macht ha­ben, lag ei­ne Be­triebs­teil­still­le­gung vor. Die Ar­beit­ge­be­rin hat­te da­ge­gen die An­sicht ver­tre­ten, auch im Klein­be­trieb müss­ten min­des­tens sechs Ar­beit­neh­mer und so­mit in ih­rem Be­trieb (6 : 13 =) 46 Pro­zent der Ar­beit­neh­mer be­trof­fen sein. Da auch die­se Rechts­mei­nung in der Li­te­ra­tur ver­tre­ten wird, ließ das LAG Nürn­berg die Re­vi­si­on zum BAG zu.

Fa­zit: Die Fra­ge, wie vie­le Ar­beit­neh­mer in ei­nem Klein­be­trieb von ei­ner Be­triebs­teil­sch­ließung be­trof­fen sein müssen, da­mit von ei­ner mit­be­stim­mungs­pflich­ti­gen Be­triebsände­rung ge­spro­chen wer­den kann, ist nach wie vor of­fen. In Fällen wie dem vor­lie­gen­den lohnt sich da­her al­le­mal ei­ne Nach­teils­aus­gleichs­kla­ge, falls der Ar­beit­ge­ber auf der Grund­la­ge sei­nes Rechts­stand­punk­tes kei­ne In­ter­es­sen­aus­gleichs­ver­hand­lun­gen geführt hat.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 25. Januar 2014

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (1 Bewertung)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de