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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/006

Rechts­wid­ri­ge Ar­beits­zei­ten (nicht nur) in nord­rhein-west­fä­li­schen Kran­ken­häu­sern

Rechts­wid­ri­ge Ar­beits­zei­ten in Kran­ken­häu­sern - Ein bun­des­wei­tes Pro­blem: NRW-Druck­sa­che 15/513 vom 04.11.2010
Assistenzarzt Be­kann­tes Pro­blem: Rechts­wid­ri­ge Ar­beits­zei­ten in Kran­ken­häu­sern
10.01.2011. In deut­schen Kran­ken­häu­sern füh­ren der Man­gel an me­di­zi­ni­schen Fach­kräf­ten und ste­tig wach­sen­de Spar­zwän­ge schon seit vie­len Jah­ren zu Ver­stö­ßen ge­gen das auch für Ärz­te gel­ten­de Ar­beits­zeit­ge­setz. Ei­ne kürz­lich in Nord­rhein-West­fa­len dis­ku­tier­te Schwer­punkt­prü­fung brach­te bei­spiels­wei­se ans Licht, dass in 37 von 40 ge­prüf­ten Ein­rich­tun­gen deut­lich zu lan­ge Ar­beits­zei­ten an der Ta­ges­ord­nung sind. Das Pro­blem ist zwar all­ge­mein be­kannt, ei­ne Lö­sung je­doch nicht in Sicht.

Zwin­gen­de Ar­beits­zeit­vor­ga­ben durch Richt­li­ni­en und Ge­set­ze

Die Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 04.11.2003 ("Ar­beits­zeit­richt­li­nie") enthält un­ter an­de­rem um­fang­rei­che Vor­ga­ben für die durch­schnitt­li­che Ar­beits­zeit, die Höchst­ar­beits­zeit und die Ru­he­zei­ten. Spätes­tens seit ei­ner Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes (EuGH) aus dem Jahr 2000 ist in die­sem Zu­sam­men­hang auch all­ge­mein an­er­kannt, dass Be­reit­schafts­dienst Ar­beits­zeit im Sin­ne die­ser Richt­li­nie ist (EuGH, Ur­teil vom 03.10.2000, Rs. C-303/98 - SI­MAP). Die­se Ent­schei­dung führ­te zur bis­her letz­ten großen Ände­rung des Ar­beits­zeit­ge­set­zes (Arb­ZG), die am 01.01.2004 in Kraft trat. Seit­her sind Be­reit­schafts­diens­te in vol­lem Um­fang bei Be­rech­nung der wöchent­li­chen und tägli­chen Höchst­ar­beits­zeit zu berück­sich­ti­gen.

Ne­ben Feu­er­wehr­leu­ten, Po­li­zis­ten und Kraft­fah­rern sind hier­von ins­be­son­de­re Ärz­te be­trof­fen. Grundsätz­lich gilt für die­se wie für al­le an­de­ren Ar­beit­neh­mer auch, dass die werktägli­che Ar­beits­zeit grundsätz­lich 8 St­un­den nicht über­schrei­ten darf. Auf bis zu 10 St­un­den kann sie nur verlängert wer­den, wenn in­ner­halb von sechs Ka­len­der­mo­na­ten oder in­ner­halb von 24 Wo­chen im Durch­schnitt 8 St­un­den werktäglich nicht über­schrit­ten wer­den (§ 3 Arb­ZG).

In Ta­rif­verträgen oder kirch­li­chen Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en (AVR) kann je­doch zu­ge­las­sen wer­den, die werktägli­che Ar­beits­zeit auch oh­ne Aus­gleich auf über 8 St­un­den zu verlängern, wenn in die Ar­beits­zeit re­gelmäßig und in "er­heb­li­chem Um­fang" Ar­beits­be­reit­schaft oder Be­reit­schafts­dienst fällt und durch be­son­de­re Re­ge­lun­gen si­cher­ge­stellt wird, dass die Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­mer nicht gefähr­det wird (§ 7 Abs. 2a Arb­ZG). Die Verlänge­rung ist al­ler­dings nur möglich, wenn der Ar­beit­neh­mer schrift­lich ein­ge­wil­ligt hat (§ 7 Abs. 7 S. 1 Arb­ZG). Der Ar­beit­ge­ber darf, so heißt es je­den­falls in § 7 Abs. 7 Satz 3 Arb­ZG, ei­nen Ar­beit­neh­mer nicht be­nach­tei­li­gen, weil die­ser die Ein­wil­li­gung zur Verlänge­rung der Ar­beits­zeit nicht erklärt oder die Ein­wil­li­gung wi­der­ru­fen hat. Im übri­gen gilt auch hier, dass die Ar­beits­zeit 48 St­un­den wöchent­lich im Durch­schnitt von zwölf Ka­len­der­mo­na­ten nicht über­schrei­ten darf (§ 7 Abs. 8 Arb­ZG) und bei ei­ner Verlänge­rung der werktägli­chen Ar­beits­zeit über 12 St­un­den hin­aus im un­mit­tel­ba­ren An­schluss an das En­de der Ar­beits­zeit ei­ne Ru­he­zeit von min­des­tens 11 St­un­den gewährt wer­den muss (§ 7 Abs. 9 Arb­ZG).

Da­von un­abhängig gilt auch grundsätz­lich, dass Ar­beit­neh­mer nach En­de der tägli­chen Ar­beits­zeit ei­ne un­un­ter­bro­che­ne Ru­he­zeit von min­des­tens 11 St­un­den ha­ben müssen (§ 5 Abs. 1 Arb­ZG). In Kran­kenhäusern und an­de­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen kann die­se je­doch um bis zu ei­ne St­un­de verkürzt wer­den, wenn je­de Verkürzung in­ner­halb von ma­xi­mal ei­nem Mo­nat durch die Verlänge­rung ei­ner an­de­ren Ru­he­zeit auf min­des­tens 12 St­un­den aus­ge­gli­chen wird (§ 5 Abs. 2 Arb­ZG). Hin­zu kommt, dass in die­sen Ein­rich­tun­gen Kürzun­gen der Ru­he­zeit durch In­an­spruch­nah­men während der Ruf­be­reit­schaft, die nicht mehr als die Hälf­te der Ru­he­zeit be­tra­gen, zu an­de­ren Zei­ten aus­ge­gli­chen wer­den können (§ 5 Abs. 3 Arb­ZG).

Durch die kom­bi­nier­te An­wen­dung die­ser Vor­schrif­ten ist es bei­spiels­wei­se möglich, die tägli­che Ar­beits­zeit von Ärz­ten - je­den­falls zeit­wei­se - auf bis zu 24 St­un­den oh­ne Aus­gleich in die Höhe zu trei­ben, wenn min­des­tens die 8 St­un­den über­schrei­ten­de Zeit als Be­reit­schafts­dienst ab­ge­leis­tet wird.

Kran­kenhäuser im Teu­fels­kreis­lauf

Die­se Re­ge­lun­gen die­nen da­bei nicht nur dem Schutz der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer, son­dern auch der Wah­rung öffent­li­cher In­ter­es­sen. Nie­man­dem ist da­mit ge­dient, wenn ein Arzt im übermüde­ten Zu­stand Ope­ra­tio­nen durchführen oder an­de­re wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen tref­fen muss. Gleich­wohl be­steht seit Jah­ren das Pro­blem, dass die ge­setz­li­chen Vor­ga­ben in großem Maßstab miss­ach­tet wer­den. In ver­trau­li­chen Gesprächen und an­ony­men Um­fra­gen be­rich­ten Ärz­te im­mer wie­der da­von, wie sie bei­spiels­wei­se von ih­ren Vor­ge­setz­ten an­ge­hal­ten wer­den, ab ei­nem be­stimm­ten Pen­sum Über­stun­den nicht mehr auf­zu­schrei­ben. Es herrscht, so kann man hören und le­sen, ein "Kli­ma der Angst". Befürch­tet wer­den u.a. bei As­sis­tenzärz­ten Nach­tei­le im be­ruf­li­chen Fort­kom­men.

Dass der Druck auf die Ärz­te­schaft all­ge­mein hoch ist, über­rascht an­ge­sichts lee­rer Kas­sen und ei­nes im­mer gra­vie­ren­der wer­den­den Per­so­nal­man­gels nicht.

Der Ärz­te­man­gel wie­der­um ist iro­ni­scher­wei­se nicht zu­letzt den schlech­ten Ar­beits­zei­ten ge­schul­det. Vie­le Me­di­zi­ner zie­hen es vor, nach ih­rem Stu­di­um im Aus­land zu ar­bei­ten. Dort sind in al­ler Re­gel nicht nur die Ar­beits­be­din­gun­gen und der St­un­den­lohn deut­lich at­trak­ti­ver, son­dern es sind auch Pri­vat- und Be­rufs­le­ben bes­ser ver­ein­bar.

Ein Bei­spiel un­ter vie­len: Nord­rhein-Westfäli­sche Kran­kenhäuser

Wie mas­siv schon al­lein die do­ku­men­tier­ten Verstöße ge­gen das Ar­beits­zeit­ge­setz sind, zeigt ei­ne ak­tu­el­le Ant­wort der Lan­des­re­gie­rung Nord­rhein-West­fa­len auf ei­ne Klei­ne An­fra­ge des Ab­ge­ord­ne­ten Dr. Ste­fan Rom­berg (FDP).

Be­rich­tet wird dort über ei­ne zum Stich­tag 30.06.2010 durch­geführ­te Schwer­punkt­prüfung der Ar­beits­schutz­behörden in 40 der et­wa 400 Kran­kenhäuser Nord­rhein-West­fa­lens, die auf Initia­ti­ve der FDP durch­geführt wor­den war. Da­bei wur­den in 37 Kran­kenhäusern ins­be­son­de­re 22 Über­schrei­tun­gen der tägli­chen Ar­beits­zeit von 10 bzw. 12 St­un­den, 15 Über­schrei­tun­gen ei­ner Schichtlänge von 24 St­un­den, 12 Über­schrei­tun­gen der zulässi­gen In­an­spruch­nah­me im Be­reit­schafts­dienst so­wie in ins­ge­samt 34 Fällen ei­ne feh­len­de oder un­zu­rei­chen­de Be­las­tungs­ana­ly­se auf­ge­deckt. Gleich­wohl wur­den le­dig­lich in sie­ben Fällen Ord­nungs­wid­rig­keits­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet. Aus Da­ten­schutz­gründen gab die Re­gie­rung kei­ne Aus­kunft darüber, wel­che Kran­kenhäuser hier­von be­trof­fen wa­ren.

Die FDP nahm die­ses Er­geb­nis zum An­lass, ei­nen "Sturm im Was­ser­glas" zu ver­an­stal­ten. Sie gab Pres­se­mit­tei­lun­gen her­aus und be­an­trag­te ei­ne ak­tu­el­le St­un­de, da­mit sich der Land­tag "mit den mas­si­ven Ar­beits­zeit­verstößen und den dar­aus zu zie­hen­den Kon­se­quen­zen" be­fas­sen könne. Das Er­geb­nis die­ses Streit­gesprächs fiel er­war­tungs­gemäß we­nig kon­struk­tiv aus. Die FDP for­der­te im We­sent­li­chen stärke­re Kon­trol­len und muss­te sich im Ge­gen­zug vor­hal­ten las­sen, dass un­ter ih­rer Re­gie­rung die ent­spre­chen­den Stel­len im Ar­beits­schutz ab­ge­baut wor­den wa­ren. Der Lan­des­mi­nis­ter für Ar­beit, In­te­gra­ti­on und So­zia­les, Gun­tram Schnei­der, ver­such­te die Verstöße zu re­la­ti­vie­ren und die Lan­des­mi­nis­te­rin für Ge­sund­heit, Eman­zi­pa­ti­on, Pfle­ge und Al­ter, Bar­ba­ra Stef­fens, ver­wies auf den be­ste­hen­den Spar­zwang oh­ne Sparmöglich­kei­ten bei gleich­zei­ti­gem Ärz­te­man­gel.

Fa­zit

Die in Nord­rhein-West­fa­len fest­ge­stell­ten Verhält­nis­se dürf­ten re­präsen­ta­tiv und nur die Spit­ze des Eis­bergs sein. Sie zei­gen bei­spiel­haft die Ar­beits­be­din­gun­gen an deut­schen Kran­kenhäusern und die Schutzlücken bei der prak­ti­schen Um­set­zung des Ar­beits­rechts.

Be­trof­fe­ne Ärz­te ha­ben nur we­ni­ge sinn­vol­le Möglich­kei­ten, um ge­gen Ar­beits­zeit­verstöße vor­zu­ge­hen. Stets dro­hen "in­of­fi­zi­el­le" Sank­tio­nen wie der Ent­zug von Ope­ra­ti­ons­ter­mi­nen und Pa­ti­en­ten­kon­tak­ten. Vor die­sem Hin­ter­grund ist die Kon­takt­auf­nah­me mit ei­ner be­trieb­li­chen In­ter­es­sen­ver­tre­tung (Be­triebs­rat, Per­so­nal­rat, Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung) letzt­lich eben­so­we­nig ei­ne brauch­ba­re Op­ti­on wie das Gespräch mit dem Vor­ge­setz­ten oder gar ei­ne ar­beits­ge­richt­li­che Kla­ge. Am sinn­volls­ten dürf­te noch sein, Ar­beits­zeit­verstöße den zuständi­gen Behörden an­onym mit­zu­tei­len.

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Letzte Überarbeitung: 21. Juni 2019

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