HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 18.07.2013, C-426/11 - Alemo-Her­ron u.a.

   
Schlagworte: Betriebsübergang, Tarifvertrag, Bezugnahmeklausel, Betriebsübergang: Tarifvertrag
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-426/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.07.2013
   
Leitsätze: Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, vorzusehen, dass im Fall eines Unternehmensübergangs die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sind, wenn dieser nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen.
Vorinstanzen:
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Drit­te Kam­mer)

18. Ju­li 2013(*)

„Über­gang von Un­ter­neh­men – Richt­li­nie 2001/23/EG – Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer – Kol­lek­tiv­ver­trag, der zum Zeit­punkt des Über­gangs für den Veräußerer und den Ar­beit­neh­mer galt“

In der Rechts­sa­che C-426/11

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Su­pre­me Court of the United King­dom (Ver­ei­nig­tes König­reich) mit Ent­schei­dung vom 10. Au­gust 2011, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 12. Au­gust 2011, in dem Ver­fah­ren

Mark Alemo-Her­ron u. a.

ge­gen

Park­wood Lei­su­re Ltd

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Drit­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung der Rich­te­rin R. Sil­va de La­pu­er­ta in Wahr­neh­mung der Auf­ga­ben des Präsi­den­ten der Drit­ten Kam­mer so­wie der Rich­ter K. Lena­erts, G. Ares­tis, J. Ma­le­n­ovský (Be­richt­er­stat­ter) und D. Šváby,

Ge­ne­ral­an­walt: P. Cruz Vil­lalón,

Kanz­ler: L. Hew­lett, Haupt­ver­wal­tungsrätin,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 20. Sep­tem­ber 2012,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

- von M. Alemo-Her­ron u. a., Pro­zess­be­vollmäch­tig­te: T. Lin­den, Bar­ris­ter, und L. Prin­ce, Ad­vo­ca­te,

- der Park­wood Lei­su­re Ltd, Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter: A. Lynch, QC,

- der Re­gie­rung des Ver­ei­nig­ten König­reichs, ver­tre­ten durch H. Wal­ker als Be­vollmäch­tig­te,

- der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch G. Ro­zet und J. En­e­gren als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts in der Sit­zung vom 19. Fe­bru­ar 2013

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12. März 2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len (ABl. L 82, S. 16).
2 Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Herrn Alemo-Her­ron u. a. ei­ner­seits und der Park­wood Lei­su­re Ltd (im Fol­gen­den: Park­wood) an­de­rer­seits über die An­wen­dung ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

3 Die Richt­li­nie 2001/23 ko­di­fi­ziert die Richt­li­nie 77/187/EWG des Ra­tes vom 14. Fe­bru­ar 1977 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len (ABl. L 61, S. 26) in der durch die Richt­li­nie 98/50/EG des Ra­tes vom 29. Ju­ni 1998 (ABl. L 201, S. 88) geänder­ten Fas­sung (im Fol­gen­den: Richt­li­nie 77/187).
4 Art. 3 Abs. 1 bis 3 der Richt­li­nie 2001/23 be­stimmt:

„1. Die Rech­te und Pflich­ten des Veräußerers aus ei­nem zum Zeit­punkt des Über­gangs be­ste­hen­den Ar­beits­ver­trag oder Ar­beits­verhält­nis ge­hen auf­grund des Über­gangs auf den Er­wer­ber über.

Die Mit­glied­staa­ten können vor­se­hen, dass der Veräußerer und der Er­wer­ber nach dem Zeit­punkt des Über­gangs ge­samt­schuld­ne­risch für die Ver­pflich­tun­gen haf­ten, die vor dem Zeit­punkt des Über­gangs durch ei­nen Ar­beits­ver­trag oder ein Ar­beits­verhält­nis ent­stan­den sind, der bzw. das zum Zeit­punkt des Über­gangs be­stand.

2. Die Mit­glied­staa­ten können ge­eig­ne­te Maßnah­men er­grei­fen, um zu gewähr­leis­ten, dass der Veräußerer den Er­wer­ber über al­le Rech­te und Pflich­ten un­ter­rich­tet, die nach die­sem Ar­ti­kel auf den Er­wer­ber über­ge­hen, so­weit die­se dem Veräußerer zum Zeit­punkt des Über­gangs be­kannt wa­ren oder be­kannt sein muss­ten. Un­terlässt der Veräußerer die­se Un­ter­rich­tung des Er­wer­bers, so berührt die­se Un­ter­las­sung we­der den Über­gang sol­cher Rech­te und Pflich­ten noch die Ansprüche von Ar­beit­neh­mern ge­genüber dem Er­wer­ber und/oder Veräußerer in Be­zug auf die­se Rech­te und Pflich­ten.

3. Nach dem Über­gang erhält der Er­wer­ber die in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen bis zur Kündi­gung oder zum Ab­lauf des Kol­lek­tiv­ver­trags bzw. bis zum In­kraft­tre­ten oder bis zur An­wen­dung ei­nes an­de­ren Kol­lek­tiv­ver­trags in dem glei­chen Maße auf­recht, wie sie in dem Kol­lek­tiv­ver­trag für den Veräußerer vor­ge­se­hen wa­ren.

Die Mit­glied­staa­ten können den Zeit­raum der Auf­recht­er­hal­tung der Ar­beits­be­din­gun­gen be­gren­zen, al­ler­dings darf die­ser nicht we­ni­ger als ein Jahr be­tra­gen.“

5 Art. 8 die­ser Richt­li­nie lau­tet:

„Die­se Richt­li­nie schränkt die Möglich­keit der Mit­glied­staa­ten nicht ein, für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Rechts- oder Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten an­zu­wen­den oder zu er­las­sen oder für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Kol­lek­tiv­verträge und an­de­re zwi­schen den So­zi­al­part­nern ab­ge­schlos­se­ne Ver­ein­ba­run­gen, die für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ger sind, zu fördern oder zu­zu­las­sen.“

Das Recht des Ver­ei­nig­ten König­reichs

6 Die Richt­li­nie 77/187 wur­de im Ver­ei­nig­ten König­reich durch die Trans­fer of Un­der­ta­kings (Pro­tec­tion of Em­ploy­ment) Re­gu­la­ti­ons 1981 (Ver­ord­nung von 1981 über den Über­gang von Un­ter­neh­men [Ar­beit­neh­mer­schutz], im Fol­gen­den: TU­PE) um­ge­setzt.
7 Re­gu­la­ti­on 5 (2) (a) der TU­PE, mit der Art. 3 Abs. 2 der Richt­li­nie 2001/23 um­ge­setzt wird, be­stimmt:

„[S]ämt­li­che Rech­te, Be­fug­nis­se und Pflich­ten des Veräußerers, die sich aus dem Ver­trag er­ge­ben oder mit ihm im Zu­sam­men­hang ste­hen, [ge­hen] auf­grund die­ser Re­gu­la­ti­on auf den Er­wer­ber über“.

8 Nach dem na­tio­na­len Recht ha­ben die Par­tei­en die Möglich­keit, in den von ih­nen ge­schlos­se­nen Ver­trag ei­ne Klau­sel auf­zu­neh­men, wo­nach das Ar­beits­ent­gelt des Ar­beit­neh­mers pe­ri­odisch von ei­nem Drit­ten wie z. B. dem Na­tio­nal Joint Coun­cil for Lo­cal Go­vern­ment Ser­vices (im Fol­gen­den: NJC) be­stimmt wird, dem der Ar­beit­ge­ber nicht an­gehört oder in dem er nicht ver­tre­ten ist. Nach dem kol­lek­ti­ven Ar­beits­recht des Ver­ei­nig­ten König­reichs sind ta­rif­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen die­ser Art nur dann rechts­ver­bind­lich, wenn die Par­tei­en dies aus­drück­lich ver­ein­ba­ren. In die­sem Fall können die Be­stim­mun­gen ei­nes sol­chen Ta­rif­ver­trags als Be­stim­mun­gen des in­di­vi­du­el­len Ar­beits­ver­trags zwi­schen dem Ar­beit­ge­ber und dem Ar­beit­neh­mer wirk­sam wer­den. Dies kann, wie im vor­lie­gen­den Fall, da­durch er­reicht wer­den, dass in den Ver­trag ei­ne Klau­sel auf­ge­nom­men wird, wo­nach für den Ar­beit­neh­mer die zwi­schen dem Ar­beit­ge­ber und ei­ner Ge­werk­schaft ver­ein­bar­ten oder von ei­ner an­de­ren Stel­le wie dem NJC aus­ge­han­del­ten Be­din­gun­gen gel­ten. Mit ih­rer Ein­be­zie­hung wer­den die­se Be­din­gun­gen als Be­stim­mun­gen des Ar­beits­ver­trags wirk­sam.

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

9 Im Jahr 2002 über­trug ei­ner der Be­zirksräte Lon­dons, der Le­wis­ham Lon­don Bo­rough Coun­cil (im Fol­gen­den: Le­wis­ham), das Lei­su­re De­part­ment (Ab­tei­lung für Frei­zeit) auf das Pri­vat­un­ter­neh­men CCL Li­mi­ted (im Fol­gen­den: CCL), das die Ar­beit­neh­mer die­ser Ab­tei­lung über­nahm. Im Mai 2004 über­trug CCL die­sen Geschäfts­be­reich auf Park­wood, ein an­de­res Pri­vat­un­ter­neh­men.
10 So­lan­ge das Lei­su­re De­part­ment Le­wis­ham un­ter­stand, gal­ten für die Verträge mit den Ar­beit­neh­mern die­ser Ab­tei­lung die Ar­beits­be­din­gun­gen, die im Rah­men des NJC, ei­nem Ta­rif­ver­hand­lungs­or­gan auf der lo­ka­len öffent­li­chen Ebe­ne, aus­ge­han­delt wur­den. Die An­wend­bar­keit der im Rah­men des NJC aus­ge­han­del­ten Ver­ein­ba­run­gen be­ruh­te nicht auf dem Ge­setz, son­dern auf ei­ner im je­wei­li­gen Ar­beits­ver­trag ent­hal­te­nen Ver­trags­klau­sel, die Fol­gen­des vor­sah:

„Während der Dau­er Ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses mit [Le­wis­ham] rich­ten sich die Ar­beits­be­din­gun­gen nach den vom [NJC] pe­ri­odisch aus­ge­han­del­ten Ta­rif­verträgen …, die durch von den Ver­hand­lungs­ausschüssen von [Le­wis­ham] auf lo­ka­ler Ebe­ne ge­schlos­se­ne Ver­ein­ba­run­gen ergänzt wer­den.“

11 Zum Zeit­punkt des Über­gangs des Lei­su­re De­part­ments auf CCL galt der im Rah­men des NJC für die Zeit vom 1. April 2002 bis zum 31. März 2004 ge­schlos­se­ne Kol­lek­tiv­ver­trag. Im Mai 2004 ging das die­sen Geschäfts­be­reich be­trei­ben­de Un­ter­neh­men auf Park­wood über.
12 Park­wood be­tei­ligt sich nicht am NJC und könn­te dies auch gar nicht, da sie ein pri­va­tes Un­ter­neh­men ist und nicht zur öffent­li­chen Ver­wal­tung gehört.
13 Im Rah­men des NJC wur­de im Ju­ni 2004 ei­ne neue Ver­ein­ba­rung ge­schlos­sen, die rück­wir­kend zum 1. April 2004 in Kraft trat und bis zum 31. März 2007 galt. Die­se Ver­ein­ba­rung wur­de mit­hin nach dem Über­gang des be­tref­fen­den Un­ter­neh­mens auf Park­wood ge­schlos­sen. Auf­grund des­sen war Park­wood der Auf­fas­sung, dass die neue Ver­ein­ba­rung für sie nicht bin­dend sei, und teil­te dies den Ar­beit­neh­mern mit, de­nen sie die im Rah­men des NJC für die Zeit von April 2004 bis März 2007 ver­ein­bar­te Loh­nerhöhung ver­wei­ger­te.
14 Da sich Park­wood wei­ger­te, die im Rah­men des NJC ver­ein­bar­ten Be­din­gun­gen zu ak­zep­tie­ren, er­ho­ben die Ar­beit­neh­mer ei­ne Kla­ge beim Em­ploy­ment Tri­bu­nal, die 2008 ab­ge­wie­sen wur­de. Ge­gen die­ses Ur­teil leg­ten sie Be­ru­fung beim Em­ploy­ment Ap­peal Tri­bu­nal ein, das ih­rem Rechts­mit­tel am 12. Ja­nu­ar 2009 statt­gab. Ge­gen das Ur­teil die­ses Ge­richts leg­te Park­wood beim Court of Ap­peal (Eng­land & Wa­les) (Ci­vil Di­vi­si­on) ein Rechts­mit­tel ein.
15

Am 29. Ja­nu­ar 2010 gab die­ses Ge­richt dem Rechts­mit­tel von Park­wood statt und stell­te die Ent­schei­dung des Em­ploy­ment Tri­bu­nal wie­der her, mit der die Kla­gen der Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens ab­ge­wie­sen wor­den wa­ren. Der Court of Ap­peal (Eng­land & Wa­les) (Ci­vil Di­vi­si­on) war der Auf­fas­sung, dass sich aus dem Ur­teil vom 9. März 2006, Wer­hof (C-499/04, Slg. 2006, I‑2397), er­ge­be, dass Art. 3 Abs. 1 der Richt­li­nie 77/187 den Er­wer­ber nicht an Ta­rif­verträge bin­de, die nach dem Über­gang des Un­ter­neh­mens zu­stan­de ge­kom­men sei­en.

16 Die Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens ha­ben ge­gen die Ent­schei­dung des Court of Ap­peal (Eng­land & Wa­les) (Ci­vil Di­vi­si­on) ein Rechts­mit­tel beim Su­pre­me Court of the United King­dom ein­ge­legt, das be­schloss, dem Ge­richts­hof be­stimm­te Fra­gen zur Aus­le­gung und Wir­kung der Richt­li­nie 2001/23 vor­zu­le­gen. Nach An­sicht des vor­le­gen­den Ge­richts ist nämlich die Fra­ge, die der Ge­richts­hof im Ur­teil Wer­hof zu be­ant­wor­ten hat­te, nicht die glei­che wie die­je­ni­ge, die im Aus­gangs­ver­fah­ren zu ent­schei­den ist.
17 Hier­zu trägt es vor, dass das deut­sche Recht, das in der dem Ur­teil Wer­hof zu­grun­de lie­gen­den Rechts­sa­che ge­genständ­lich ge­we­sen sei, in der Fra­ge des Schut­zes von Ar­beit­neh­mern nach dem Über­gang ei­nes Un­ter­neh­mens oder Be­triebs ei­nen „sta­ti­schen“ An­satz ver­fol­ge. Es se­he vor, dass ta­rif­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Re­ge­lun­gen nur mit dem In­halt Teil des Ar­beits­ver­trags würden, den sie zum Zeit­punkt des Un­ter­neh­mens- oder Be­triebsüber­gangs hätten, und dass sie nach dem Über­gang nicht an­ge­passt würden.
18 Hin­ge­gen stel­le sich im Aus­gangs­ver­fah­ren die Fra­ge, ob ein Mit­glied­staat dar­an ge­hin­dert sei, den Ar­beit­neh­mern im Fall ei­nes Un­ter­neh­mens- oder Be­triebsüber­gangs in An­wen­dung des na­tio­na­len Ver­trags­rechts ei­nen „dy­na­mi­schen“ Schutz zu gewähren, d. h. ei­nen Schutz, der den Er­wer­ber nicht nur den zum Zeit­punkt des be­tref­fen­den Über­gangs gel­ten­den Kol­lek­tiv­verträgen, son­dern auch den nach dem Über­gang ge­schlos­se­nen Kol­lek­tiv­verträgen un­ter­wer­fe.
19 Da­her be­schloss der Su­pre­me Court of the United King­dom, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

1. Be­steht un­ter der im vor­lie­gen­den Fall ge­ge­be­nen Vor­aus­set­zung, dass ein Ar­beit­neh­mer ei­nen ver­trag­li­chen An­spruch ge­gen den Veräußerer auf Ar­beits­be­din­gun­gen hat, die von ei­ner drit­ten Par­tei als Ta­rif­ver­trags­part­ner pe­ri­odisch ver­han­delt und ver­ein­bart wer­den, und dass die­ser An­spruch im Verhält­nis zwi­schen Ar­beit­neh­mer und veräußern­dem Ar­beit­ge­ber nach na­tio­na­lem Recht als dy­na­misch und nicht als sta­tisch an­ge­se­hen wird, nach Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23 in Ver­bin­dung mit dem Ur­teil Wer­hof

a) ei­ne Ver­pflich­tung, die­sen An­spruch im Fall ei­nes re­le­van­ten Über­gangs, auf den die­se Richt­li­nie an­wend­bar ist, ge­genüber dem Er­wer­ber zu schützen und durch­zu­set­zen

oder

b) ei­ne Be­fug­nis der na­tio­na­len Ge­rich­te, zu ent­schei­den, dass die­ser An­spruch im Fall ei­nes re­le­van­ten Über­gangs, auf den die ge­nann­te Richt­li­nie an­wend­bar ist, ge­genüber dem Er­wer­ber geschützt und durch­setz­bar ist,

oder

c) ein Hin­der­nis für die na­tio­na­len Ge­rich­te, zu ent­schei­den, dass die­ser An­spruch im Fall ei­nes re­le­van­ten Über­gangs, auf den die­sel­be Richt­li­nie an­wend­bar ist, ge­genüber dem Er­wer­ber geschützt und durch­setz­bar ist?

2. Steht es den Ge­rich­ten ei­nes Mit­glied­staats in dem Fall, dass ein Mit­glied­staat sei­ne Ver­pflich­tun­gen zur Um­set­zung der Min­dest­an­for­de­run­gen in Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23 erfüllt hat, aber in Fra­ge steht, ob die zur Um­set­zung er­gan­ge­nen Rechts­vor­schrif­ten da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie zu­guns­ten des geschütz­ten Ar­beit­neh­mers über die­se An­for­de­run­gen hin­aus­ge­hen, in­dem sie dy­na­mi­sche ver­trag­li­che Ansprüche ge­gen den Er­wer­ber gewähren, frei, zur Aus­le­gung der zur Um­set­zung er­gan­ge­nen Rechts­vor­schrif­ten na­tio­na­les Recht un­ter der grund­le­gen­den Vor­aus­set­zung an­zu­wen­den, dass ei­ne sol­che Aus­le­gung dem Ge­mein­schafts­recht nicht wi­der­spricht, oder ist ein an­de­rer Aus­le­gungs­an­satz zu wählen, und wenn ja, wel­cher?

3. Steht es dem na­tio­na­len Ge­richt im vor­lie­gen­den Fall, in dem der Ar­beit­ge­ber kei­ne Ver­let­zung sei­ner Rech­te nach Art. 11 der am 4. No­vem­ber 1950 in Rom un­ter­zeich­ne­ten Eu­ropäischen Kon­ven­ti­on zum Schutz der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten durch die recht­li­che Stel­lung dy­na­mi­scher Ansprüche der Ar­beit­neh­mer nach in­ner­staat­li­chem Recht auf ta­rif­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Ar­beits­be­din­gun­gen gel­tend macht, frei, die TU­PE in dem von den Ar­beit­neh­mern gel­tend ge­mach­ten Sinn aus­zu­le­gen?

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

20 Mit sei­nen drei Fra­gen, die zu­sam­men zu prüfen sind, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er es ei­nem Mit­glied­staat ver­wehrt, vor­zu­se­hen, dass im Fall ei­nes Un­ter­neh­mensüber­gangs wie dem des Aus­gangs­ver­fah­rens die Klau­seln, die dy­na­misch auf nach dem Zeit­punkt des Über­gangs ver­han­del­te und ge­schlos­se­ne Kol­lek­tiv­verträge ver­wei­sen, ge­genüber dem Er­wer­ber durch­setz­bar sind.
21 Vor­ab ist fest­zu­stel­len, dass das Ur­teil Wer­hof zu Art. 3 der Richt­li­nie 77/187 ei­ni­ge für das Aus­gangs­ver­fah­ren sach­dien­li­che Ausführun­gen enthält. Das Aus­gangs­ver­fah­ren be­trifft zwar die Richt­li­nie 2001/23, doch sind die­se Ausführun­gen auf die­se Richt­li­nie vollständig über­trag­bar, da sie die Richt­li­nie 77/187 ko­di­fi­ziert und die ein­schlägi­gen Be­stim­mun­gen von Art. 3 der bei­den Richt­li­ni­en gleich­lau­tend sind.
22 Ers­tens ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Ge­richts­hof in Rand­nr. 37 des Ur­teils Wer­hof fest­ge­stellt hat, dass Art. 3 Abs. 1 der Richt­li­nie 77/187 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er nicht dem ent­ge­gen­steht, dass der Er­wer­ber, der nicht Par­tei ei­nes den Veräußerer bin­den­den Kol­lek­tiv­ver­trags ist, auf den der Ar­beits­ver­trag ver­weist, durch Kol­lek­tiv­verträge, die dem zum Zeit­punkt des Un­ter­neh­mensüber­gangs gel­ten­den nach­fol­gen, nicht ge­bun­den ist.
23 Fer­ner er­gibt sich aus Art. 8 der Richt­li­nie 2001/23, dass die­se Richt­li­nie die Möglich­kei­ten der Mit­glied­staa­ten nicht ein­schränkt, für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Rechts- und Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten an­zu­wen­den oder zu er­las­sen oder für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Kol­lek­tiv­verträge und an­de­re zwi­schen den So­zi­al­part­nern ab­ge­schlos­se­ne Ver­ein­ba­run­gen, die für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ger sind, zu fördern oder zu­zu­las­sen.
24 Im Aus­gangs­ver­fah­ren steht, wie be­reits aus dem Wort­laut der zwei­ten Vor­la­ge­fra­ge her­vor­geht, fest, dass sich die­se Klau­seln, die auf Kol­lek­tiv­verträge ver­wei­sen, die nach dem Zeit­punkt des be­tref­fen­den Un­ter­neh­mensüber­gangs aus­ge­han­delt und ge­schlos­sen wur­den, und dy­na­mi­sche ver­trag­li­che Ansprüche gewähren, als für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ger er­wei­sen.
25 Je­doch dient die Richt­li­nie 77/187 nicht nur dem Schutz der Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen bei ei­nem Un­ter­neh­mensüber­gang, son­dern sie soll auch ei­nen ge­rech­ten Aus­gleich zwi­schen den In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer ei­ner­seits und de­nen des Er­wer­bers an­de­rer­seits gewähr­leis­ten. Ins­be­son­de­re stellt sie klar, dass der Er­wer­ber in der La­ge sein muss, die für die Fort­set­zung sei­ner Tätig­keit er­for­der­li­chen An­pas­sun­gen vor­zu­neh­men (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Wer­hof, Rand­nr. 31).
26 In­so­weit ist fest­zu­stel­len, dass im Aus­gangs­ver­fah­ren das Un­ter­neh­men von ei­ner ju­ris­ti­schen Per­son des öffent­li­chen Rechts auf ei­ne ju­ris­ti­sche Per­son des Pri­vat­rechts über­ge­gan­gen ist.
27 Da es sich um den Über­gang ei­nes Un­ter­neh­mens vom öffent­li­chen auf den pri­va­ten Sek­tor han­delt, ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Fort­set­zung der Tätig­keit des Er­wer­bers in An­be­tracht der un­ver­meid­li­chen Un­ter­schie­de, die zwi­schen die­sen bei­den Sek­to­ren bei den Ar­beits­be­din­gun­gen be­ste­hen, beträcht­li­che An­pas­sun­gen er­for­dert.
28 Ei­ne Klau­sel, die dy­na­misch auf nach dem Über­gang des be­tref­fen­den Un­ter­neh­mens ver­han­del­te und ge­schlos­se­ne Kol­lek­tiv­verträge ver­weist, wel­che die Ent­wick­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen im öffent­li­chen Sek­tor re­geln sol­len, könn­te je­doch den Hand­lungs­spiel­raum, den ein pri­va­ter Er­wer­ber benötigt, um die­se An­pas­sungs­maßnah­men zu er­grei­fen, er­heb­lich ein­schränken.
29 In ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on kann ei­ne sol­che Klau­sel den ge­rech­ten Aus­gleich zwi­schen den In­ter­es­sen des Er­wer­bers in sei­ner Ei­gen­schaft als Ar­beit­ge­ber ei­ner­seits und de­nen der Ar­beit­neh­mer an­de­rer­seits be­ein­träch­ti­gen.
30 Zwei­tens ist fest­zu­stel­len, dass nach ständi­ger Recht­spre­chung die Be­stim­mun­gen der Richt­li­nie 2001/23 im Ein­klang mit den Grund­rech­ten aus­zu­le­gen sind, wie sie in der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on (im Fol­gen­den: Char­ta) an­er­kannt wur­den (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 27. Sep­tem­ber 2012, Ci­ma­de und GISTI, C-179/11, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nr. 42).
31 Hier­zu führt das vor­le­gen­de Ge­richt zwar aus, dass das Recht auf ne­ga­ti­ve Ver­ei­ni­gungs­frei­heit nicht Ge­gen­stand des Aus­gangs­ver­fah­rens sei. Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23 ist je­doch auf je­den Fall im Ein­klang mit Art. 16 der Char­ta zur un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit aus­zu­le­gen.
32 Die­ses Grund­recht um­fasst ins­be­son­de­re die Ver­trags­frei­heit, wie sich aus den Erläute­run­gen er­gibt, die als An­lei­tung für die Aus­le­gung der Char­ta der Grund­rech­te ver­fasst wur­den (ABl. 2007, C 303, S. 17) und die gemäß Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Char­ta für de­ren Aus­le­gung zu berück­sich­ti­gen sind (Ur­teil vom 22. Ja­nu­ar 2013, Sky Öster­reich, C-283/11, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nr. 42).
33 Im Hin­blick auf Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23 folgt dar­aus, dass es dem Er­wer­ber möglich sein muss, im Rah­men ei­nes zum Ver­trags­ab­schluss führen­den Ver­fah­rens, an dem er be­tei­ligt ist, sei­ne In­ter­es­sen wirk­sam gel­tend zu ma­chen und die die Ent­wick­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen sei­ner Ar­beit­neh­mer be­stim­men­den Fak­to­ren mit Blick auf sei­ne künf­ti­ge wirt­schaft­li­che Tätig­keit aus­zu­han­deln.
34 Dem Er­wer­ber, um den es im Aus­gangs­ver­fah­ren geht, ist es je­doch ver­wehrt, in dem be­tref­fen­den Ta­rif­ver­hand­lungs­or­gan mit­zu­wir­ken. Die­ser Er­wer­ber hat da­her we­der die Möglich­keit, im Rah­men ei­nes zum Ver­trags­ab­schluss führen­den Ver­fah­rens sei­ne In­ter­es­sen wirk­sam gel­tend zu ma­chen, noch die Möglich­keit, die die Ent­wick­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen sei­ner Ar­beit­neh­mer be­stim­men­den Fak­to­ren mit Blick auf sei­ne künf­ti­ge wirt­schaft­li­che Tätig­keit aus­zu­han­deln.
35 Un­ter die­sen Umständen ist die Ver­trags­frei­heit die­ses Er­wer­bers so er­heb­lich re­du­ziert, dass ei­ne sol­che Ein­schränkung den We­sens­ge­halt sei­nes Rechts auf un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit be­ein­träch­ti­gen kann.
36 Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23 in Ver­bin­dung mit Art. 8 die­ser Richt­li­nie ist aber nicht da­hin aus­zu­le­gen, dass er die Mit­glied­staa­ten zum Er­lass von Maßnah­men ermäch­tigt, die zwar für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ger sind, aber den We­sens­ge­halt des Rechts des Er­wer­bers auf un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit be­ein­träch­ti­gen können (vgl. ent­spre­chend Ur­teil vom 6. Sep­tem­ber 2012, Deut­sches Wein­tor, C-544/10, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nrn. 54 und 58).
37 Nach al­le­dem ist auf die drei vor­ge­leg­ten Fra­gen zu ant­wor­ten, dass Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er es ei­nem Mit­glied­staat ver­wehrt, vor­zu­se­hen, dass im Fall ei­nes Un­ter­neh­mensüber­gangs die Klau­seln, die dy­na­misch auf nach dem Zeit­punkt des Über­gangs aus­ge­han­del­te und ab­ge­schlos­se­ne Kol­lek­tiv­verträge ver­wei­sen, ge­genüber dem Er­wer­ber durch­setz­bar sind, wenn die­ser nicht die Möglich­keit hat, an den Ver­hand­lun­gen über die­se nach dem Über­gang ge­schlos­se­nen Kol­lek­tiv­verträge teil­zu­neh­men.

Kos­ten

38 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Drit­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12. März 2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len ist da­hin aus­zu­le­gen, dass er es ei­nem Mit­glied­staat ver­wehrt, vor­zu­se­hen, dass im Fall ei­nes Un­ter­neh­mensüber­gangs die Klau­seln, die dy­na­misch auf nach dem Zeit­punkt des Über­gangs ver­han­del­te und ab­ge­schlos­se­ne Kol­lek­tiv­verträge ver­wei­sen, ge­genüber dem Er­wer­ber durch­setz­bar sind, wenn die­ser nicht die Möglich­keit hat, an den Ver­hand­lun­gen über die­se nach dem Über­gang ab­ge­schlos­se­nen Kol­lek­tiv­verträge teil­zu­neh­men.

Un­ter­schrif­ten


* Ver­fah­rens­spra­che: Eng­lisch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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