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BAG, Ur­teil vom 16.06.2012, 8 AZR 697/10

   
Schlagworte: Diskriminierung: Behinderung, Entschädigungsanspruch, Schwerbehinderung, Vorstellungsgespräch
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 697/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 16.06.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Frankfurt, Urteil vom 28.01.2010, 11 Ca 7932/09
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 5.10.2010, 13 Sa 488/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


8 AZR 697/10
13 Sa 488/10

Hes­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

16. Fe­bru­ar 2012

UR­TEIL

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te, Re­vi­si­onskläge­rin und An­schluss­re­vi­si­ons­be­klag­te,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger, Re­vi­si­ons­be­klag­ter und An­schluss­re­vi­si­onskläger,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 16. Fe­bru­ar 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des-
 


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ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter von Schuck­mann und Dr. Mall­mann für Recht er­kannt:


Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 5. Ok­to­ber 2010 - 13 Sa 488/10 - wird mit der Maßga­be zurück­ge­wie­sen, dass der Te­nor des Ur­teils des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 5. Ok­to­ber 2010 - 13 Sa 488/10 - klar­stel­lend wie folgt neu ge­fasst wird:

Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 28. Ja­nu­ar 2010 - 11 Ca 7932/09 - teil­wei­se ab­geändert.

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger ei­ne Entschädi­gung in Höhe von 2.700,00 Eu­ro zu zah­len. Im Übri­gen wird die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen.

Die Kos­ten des Rechts­streits wer­den ge­gen­ein­an­der auf­ge­ho­ben.

Die An­schluss­re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 5. Ok­to­ber 2010 - 13 Sa 488/10 - wird als un­zulässig ver­wor­fen.


Die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens ha­ben Kläger und Be­klag­te je zur Hälf­te zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch des Klägers we­gen ei­ner Be­nach­tei­li­gung auf­grund sei­ner Be­hin­de­rung bei ei­ner Be­wer­bung.


Der Kläger war nach dem Ab­schluss der Be­rufs­aus­bil­dung zum Elek­tro­in­stal­la­teur ua. als Pfört­ner und Fah­rer von Ok­to­ber 1987 bis De­zem­ber 1990 tätig. In den Fol­ge­jah­ren ar­bei­te­te er ua. als Mon­teur, leg­te die Meis­ter­prüfung als Elek­tro­in­stal­la­teur ab und ar­bei­te­te als Haus­hand­wer­ker und Fah­rer von Ju­li
 


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1999 bis De­zem­ber 2006. Der Kläger ist schwer­be­hin­dert mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 60.

Am 18. März 2004 hat­te das Bun­des­mi­nis­te­ri­um des In­nern (BMI) mit der Haupt­schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung des BMI, der Haupt­schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung des Bun­des­grenz­schut­zes (BGS), den je­wei­li­gen Haupt­per­so­nalräten, der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung des BMI, dem Per­so­nal­rat des BMI und der Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ten ei­ne „Rah­men­ver­ein­ba­rung zur In­te­gra­ti­on schwer­be­hin­der­ter und die­sen gleich­ge­stell­ten be­hin­der­ten Men­schen im Bun­des­mi­nis­te­ri­um des In­nern und den Behörden sei­nes Geschäfts­be­reichs (ein­sch­ließlich BGS) gemäß § 83 So­zi­al­ge­setz­buch - Neun­tes Buch (SGB IX)“(im Fol­gen­den: Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung) ge­schlos­sen. In die­ser Rah­men­ver­ein­ba­rung ist ua. das Fol­gen­de ge­re­gelt:

1. Präam­bel
(1) Schwer­be­hin­der­te Men­schen im Bun­des­mi­nis­te­ri­um des In­nern und den Behörden sei­nes Geschäfts­be­reichs (ein­schl. BGS)1 sind wie al­le an­de­ren Beschäftig­ten leis­tungsfähig und leis­tungs­be­reit. ...


(2) Mit die­ser Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung wer­den die Maßnah­men und Möglich­kei­ten auf­ge­zeigt, die die be­ruf­li­chen Chan­cen und die kon­kre­ten Ar­beits­be­din­gun­gen die­ser Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen in der Dienst­stel­le wei­ter ver­bes­sern sol­len. ...

(3) Al­le be­tei­lig­ten Stel­len und Per­so­nen sind ver­pflich­tet, ver­trau­ens­voll zu­sam­men­zu­ar­bei­ten und im Rah­men der ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten und der vor­han­de­nen Möglich­kei­ten den An­lie­gen der schwer­be­hin­der­ten Men­schen verständ­nis­voll, sach- und be­hin­der­ten­ge­recht zu be­geg­nen. So­weit der Dienst­stel­le vom Ge­setz­ge­ber ein Er­mes­sens­spiel­raum zu­ge­stan­den wird, soll­te die­ser im In­ter­es­se der schwer­be­hin­der­ten Beschäftig­ten möglichst großzügig ge­hand­habt wer­den.

2. Zie­le
(1) Nach Art. 3 Abs. 3 GG un­ter­lie­gen be­hin­der­te Men­schen dem be­son­de­ren Schutz des Grund­ge­set­zes. Die Dienst­stel­le wahrt die Rech­te der schwer­be­hin­der­ten Beschäftig­ten und berück­sich­tigt ih­re Be­lan­ge bei al­len Maßnah­men, von de­nen sie berührt sind.

(2) Schwer­be­hin­der­te Beschäftig­te dürf­ten bei ei­ner

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Ver­ein­ba­rung oder ei­ner Maßnah­me, ins­be­son­de­re bei der Be­gründung des Dienst-, Ar­beits- oder sons­ti­gen Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses, beim be­ruf­li­chen Auf­stieg oder bei ei­ner Kündi­gung nicht we­gen ih­rer Schwer­be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wer­den. ...

4. Per­so­nal­ma­nage­ment

...

4.2.4 Ein­stel­lung

...

(3) Hin­sicht­lich der sons­ti­gen Eig­nung, ins­be­son­de­re der be­ruf­li­chen Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten, gilt un­ein­ge­schränkt das Leis­tungs­prin­zip im Wett­be­werb mit an­de­ren nicht­be­hin­der­ten Be­wer­bern.


...

(5) Schwer­be­hin­der­te Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber sind zu Aus­wahl­ver­fah­ren zu­zu­las­sen, es sei denn, dass sie nach den vor­ge­leg­ten Un­ter­la­gen für ei­ne Ver­wen­dung auf Grund be­ste­hen­der Aus­bil­dungs- oder Prüfungs­vor­aus­set­zun­gen of­fen­sicht­lich nicht ge­eig­net er­schei­nen. Von ei­ner Ein­la­dung zum Aus­wahl­ver­fah­ren ist ab­zu­se­hen, wenn zwi­schen Zen­tral­ab­tei­lung, Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ter Ein­ver­neh­men be­steht, dass die Be­wer­be­rin oder der Be­wer­ber für den frei­en Ar­beits­platz nicht in Be­tracht kommt. Der Per­so­nal­rat ist vor die­ser Ent­schei­dung an­zuhören.

...

(7) Die Ver­pflich­tung zur Beschäfti­gung schwer­be­hin­der­ter Men­schen wird durch an­de­re ge­setz­li­che Ver­pflich­tun­gen zur be­vor­zug­ten Ein­stel­lung und Beschäfti­gung be­stimm­ter Per­so­nen­grup­pen nicht berührt (§ 122 SGB IX).

...

12 Schluss­be­stim­mun­gen und In­kraft­tre­ten

...

(2) Rechts­vor­schrif­ten und ta­rif­li­che Re­ge­lun­gen wer­den durch die­se Ver­ein­ba­rung nicht berührt.“

Die dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um des In­nern un­ter­stell­te B schrieb am 13. März 2009 ei­ne Stel­le als Pfört­ner/in, Wäch­ter/in aus. In der Aus­schrei­bung heißt es:

„...

Die B hat zum nächstmögli­chen Zeit­punkt ei­nen Dienst­pos­ten für Ta­rif­beschäftig­te im Sach­be­reich 37 (Zen­tra­ler Dienst) für den Pfört­ner- und Wach­dienst zu be­set­zen und sucht des­halb

ei­ne Pfört­ne­rin/Wächte­rin bzw. ei­nen Pfört-

ner/Wäch­ter.

Die Tätig­keit ist mit der Ent­gelt­grup­pe 3 des Ta­rif­ver­tra­ges für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) be­wer­tet.

Das Auf­ga­ben­ge­biet be­inhal­tet:
• Kon­trol­le des ein- und aus­ge­hen­den Per­so­nen­ver­kehrs so­wie des ein- und aus­fah­ren­den Kfz-Ver­kehrs ein­sch­ließlich Kon­trol­le der ent­spre­chen­den Aus­wei­se so­wie der Be­rech­ti­gung zum Auf­ent­halt in der Lie­gen­schaft
• Emp­fang und An­mel­dung von Be­su­chern, Er­tei­len von Auskünf­ten
• Be­strei­fung des Geländes der Lie­gen­schaft F

An­for­de­run­gen:
• Be­reit­schaft zur fle­xi­blen Ar­beits­zeit­ge­stal­tung in Form ei­nes Re­gel­diens­tes rund um die Uhr (Früh-, Spät- und Nacht­dienst)
• ge­pfleg­tes Er­schei­nungs­bild, über­zeu­gen­des und si­che­res Auf­tre­ten so­wie gu­te Um­gangs­for­men
• körper­li­che Eig­nung
• gu­te Deutsch­kennt­nis­se in Wort und Schrift
• Er­fah­run­gen oder Aus­bil­dung im Be­reich des Wach-und Si­cher­heits­diens­tes vor­teil­haft
• Be­reit­schaft zum Führen ei­ner Schuss­waf­fe
• Führungs­zeug­nis oh­ne Ein­trag (braucht in der Be­wer­bung noch nicht vor­ge­legt wer­den!)

Ei­ne Be­set­zung mit Teil­zeit­kräften ist grundsätz­lich möglich. Be­reit­schaft zur fle­xi­blen Ar­beits­zeit­ge­stal­tung gemäß den dienst­li­chen Er­for­der­nis­sen wird vor­aus­ge­setzt.

Die B ist be­strebt, den Frau­en­an­teil zu erhöhen. Be­wer­bun­gen von Frau­en sind be­son­ders erwünscht. Bei glei­cher Eig­nung, Befähi­gung und fach­li­cher Leis­tung wer­den Frau­en nach Maßga­be des Bun­des­gleich­stel­lungs­ge­set­zes be­vor­zugt berück­sich­tigt.
Im Rah­men der Stel­len­be­set­zun­gen wer­den die Gleich-stel­lungs­be­auf­trag­te und die Ver­trau­ens­per­son der

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Schwer­be­hin­der­ten be­tei­ligt. Schwer­be­hin­der­te wer­den bei glei­cher Eig­nung be­vor­zugt berück­sich­tigt, es wird ein Min­dest­maß an körper­li­cher Eig­nung ver­langt.
...“


Mit Schrei­ben vom 16. März 2009 be­warb sich der Kläger um die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le. Aus­zugs­wei­se lau­tet die Be­wer­bung des Klägers wie folgt:


„Ich bin 43 Jah­re alt und ha­be aus­rei­chend Be­rufs­er­fah­rung im Fahr- und Pfor­ten­dienst in­clu­si­ve Per­so­nen- und Zu­gangs­kon­trol­le. Durch die­se Be­rufs­er­fah­rung und mei­ne bis­he­ri­gen Qua­li­fi­ka­tio­nen fühle ich mich bes­tens ge­eig­net, die von Ih­nen aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ide­al zu be­set­zen.


Be­reits bei mei­ner Tätig­keit als Fah­rer/Pfört­ner beim S in Be, ha­be ich die Haupt­auf­ga­ben in die­sem Ar­beits­be­reich frühzei­tig ken­nen ge­lernt. Durch mei­ne langjähri­ge Be­rufs­er­fah­rung verfüge ich über um­fang­rei­che Kennt­nis­se in der Per­so­nen- und Fahr­zeug­kon­trol­le so­wie in der münd­li­chen bzw. te­le­fo­ni­schen Aus­kunfts­er­tei­lung und als Lot­se bezüglich der Be­su­che­r­ein­wei­sung vor Ort in­ner­halb der Lie­gen­schaf­ten. Auf­ga­ben, wie die Zu­stel­lung und Beförde­rung der Post, so­wie der Per­so­nen­trans­port im städti­schen und länd­li­chen Be­reich, gehörten auch zu mei­nen tägli­chen Schwer­punkt­auf­ga­ben. Ich bin im Be­sitz al­ler Führer­schein­klas­sen.

Wörter, wie Dis­kre­ti­on, Verläss­lich- und Pünkt­lich­keit sind kei­nes­falls fremd für mich, ge­nau­so wie ein ge­pfleg­tes Äußeres und ein ho­hes Maß an Zu­verlässig­keit und Loya­lität. Mei­ne vor­han­de­ne Schwer­be­hin­de­rung mit ei­nem GdB von 60 würde mich we­der körper­lich noch geis­tig für die ge­for­der­ten Auf­ga­ben in Ih­rem Hau­se ein­schränken, so dass ich ger­ne mei­ne Fähig- und Fer­tig­kei­ten bei Ih­nen ein­brin­gen würde.

Der von Ih­nen be­schrie­be­ne Ar­beits­ein­satz im Schicht-dienst kommt mei­ner der­zei­ti­gen Le­bens­si­tua­ti­on ent­ge­gen.“

Zu den dem Be­wer­bungs­schrei­ben bei­gefügten Un­ter­la­gen gehörte ua. auch ei­ne Ko­pie des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses des Klägers. Auf dem Aus­weis ist ma­schi­nen­schrift­lich ein GdB von 50 be­fris­tet bis März 2007 und hand­schrift­lich ein GdB von 60 seit dem 29. Ju­ni 2004 mit ei­nem ein­ge­stem­pel­ten Gültig­keits­da­tum bis Ja­nu­ar 2022 ver­merkt.
 


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Im Rah­men des Aus­wahl­ver­fah­rens für die zu be­set­zen­de Stel­le be­tei­lig­te das BMI sei­ne Zen­tral­ab­tei­lung, die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung, die Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­te so­wie den Per­so­nal­rat. Zwi­schen die­sen herrsch­te Ein­ver­neh­men darüber, dass der Kläger für die Stel­le we­gen of­fen­sicht­lich feh­len­der Eig­nung nicht in Be­tracht kom­me. Von sei­ner Ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch wur­de des­halb ab­ge­se­hen. Zu Vor­stel­lungs­gesprächen wur­den ne­ben fünf Männern auch fünf Frau­en ein­ge­la­den. Aus­weis­lich der von der Be­klag­ten vor­ge­leg­ten Un­ter­la­gen zum Be­wer­bungs­ver­fah­ren be­war­ben sich auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ne­ben dem Kläger auch wei­te­re schwer­be­hin­der­te bzw. gleich­ge­stell­te Be­wer­ber, die eben­falls nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wur­den.


Mit Schrei­ben vom 11. Mai 2009 teil­te die B dem Kläger mit, dass man sich im Aus­wahl­ver­fah­ren für ei­ne Be­wer­be­rin ent­schie­den ha­be.


Nach­dem der Kläger mit Schrei­ben vom 29. Mai 2009 die B auf­ge­for­dert hat­te, ihn bei der Be­set­zung der Stel­le zu berück­sich­ti­gen, mach­te er mit Schrei­ben vom 18. Ju­ni 2009 Entschädi­gungs- bzw. Scha­dens­er­satz­ansprüche iHv. sechs Mo­nats­gehältern we­gen der Nicht­ein­stel­lung gel­tend. Dem trat die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 10. Ju­li 2009 ent­ge­gen.

Mit sei­ner am 15. Sep­tem­ber 2009 beim Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main ein­ge­gan­ge­nen und der Be­klag­ten am 28. Sep­tem­ber 2009 zu­ge­stell­ten Kla­ge nimmt der Kläger die Be­klag­te auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung in Höhe von drei Mo­nats­gehältern der Ent­gelt­grup­pe 3, Stu­fe 2, des TVöD in An­spruch.


Der Kläger ver­tritt die An­sicht, die nicht er­folg­te Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch sei ein In­diz dafür, dass er we­gen sei­ner Be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wor­den sei. Da ihm die fach­li­che Eig­nung nicht of­fen­sicht­lich ge­fehlt ha­be, wäre er ein­zu­la­den ge­we­sen. Auf das Ab­se­hen von ei­ner Ein­la­dung auf­grund Ziff. 4.2.4 Abs. 5 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung vom 18. März 2004 könne sich die Be­klag­te nicht mit Er­folg be­ru­fen, da sonst § 82 SGB IX um­gan­gen würde.
 


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Der Kläger hat be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 5.723,28 Eu­ro zu zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. 


Sie macht gel­tend, der Kläger ha­be im Be­wer­bungs­ver­fah­ren sei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft nicht zwei­fels­frei nach­ge­wie­sen. Außer­dem sei­en we­gen § 19 Haus­halts­ge­setz 2009 Ver­set­zungs­be­wer­ber und we­gen § 7 BGleiG be­vor­zugt Frau­en zu berück­sich­ti­gen ge­we­sen, da die­se un­ter­re­präsen­tiert ge­we­sen sei­en. Der Kläger sei zu­dem des­halb nicht ein­ge­la­den wor­den, weil den Un­ter­la­gen kein Hin­weis auf ei­ne Sach­kun­de­prüfung nach § 34a (Be­wa­chungs­ge­wer­be) Ge­wO zu ent­neh­men ge­we­sen sei. Vor al­lem ha­be ei­ne Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch des­halb un­ter­blei­ben dürfen, weil nach Ziff. 4.2.4 Abs. 5 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung vom 18. März 2004 Ein­ver­neh­men be­stan­den ha­be, dass der Kläger für den frei­en Ar­beits­platz nicht in Be­tracht kom­me. Je­den­falls tref­fe die Be­klag­te we­der Vor­satz noch gro­be Fahrlässig­keit.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung des Klägers hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Be­klag­te zur Zah­lung von 2.700,00 Eu­ro ver­ur­teilt. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag wei­ter. Der Kläger er­strebt mit sei­ner An­schluss­re­vi­si­on die Ver­ur­tei­lung der Be­klag­ten zur Zah­lung von 5.723,28 Eu­ro.

Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet, während die An­schluss­re­vi­si­on des Klägers un­zulässig ist.

A. Sein Ur­teil, mit dem es die Be­klag­te zur Zah­lung ei­ner Entschädi­gung von 2.700,00 Eu­ro an den Kläger ver­ur­teilt hat, hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Der Kläger sei we­gen ei­nes Merk­mals iSd.
 


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§ 1 AGG, nämlich sei­ner Be­hin­de­rung, be­nach­tei­ligt wor­den (§ 7 Abs. 1 AGG). Dafür ha­be er mit der Nicht­ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch (§ 82 SGB IX) ein aus­rei­chen­des In­diz vor­ge­tra­gen. Die fach­li­che Eig­nung ha­be dem Kläger nicht of­fen­sicht­lich ge­fehlt, da er das nach der Stel­len­aus­schrei­bung er­for­der­li­che An­for­de­rungs­pro­fil erfülle. Ei­ne Sach­kun­de­prüfung nach § 34a (Be­wa­chungs­ge­wer­be) Ge­wO wer­de dort nicht ver­langt. Die Be­klag­te ha­be die Ver­mu­tung der Be­nach­tei­li­gung we­gen der Be­hin­de­rung nicht ent­kräftet. Ins­be­son­de­re könne sie sich nicht er­folg­reich dar­auf be­ru­fen, die am Ein­stel­lungs­ver­fah­ren Be­tei­lig­ten sei­en übe­rein­stim­mend der Auf­fas­sung ge­we­sen, der Kläger sei of­fen­sicht­lich nicht ge­eig­net. Die Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung sei nach § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam, da mit ihr in un­zulässi­ger Wei­se der Rechts­schutz schwer­be­hin­der­ter Men­schen be­schnit­ten wer­de. Es wer­de mit Ziff. 4.2.4 Abs. 5 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung der Ein­druck er­weckt, ei­ne ge­richt­li­che Über­prüfung der Vor­aus­set­zun­gen ei­ner of­fen­sicht­lich feh­len­den fach­li­chen Eig­nung sei nicht mehr möglich. Dies un­ter­lau­fe den all­ge­mei­nen Jus­tiz­gewährungs­an­spruch. Auch § 15 Abs. 3 AGG sei zu­guns­ten der Be­klag­ten nicht ein­schlägig. Ob § 15 Abs. 3 AGG ge­gen EU-Richt­li­ni­en ver­s­toße, könne da­hin­ste­hen, denn die Be­klag­te tref­fe je­den­falls der Vor­wurf grob fahrlässi­gen Ver­hal­tens. Die Be­klag­te ha­be an der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung selbst mit­ge­wirkt. Sie hätte er­ken­nen müssen, dass kol­lek­tiv-recht­li­che Re­ge­lun­gen, die den Zu­gang zu den Ge­rich­ten be­schnei­den, ver­fas­sungs­wid­rig sind.


In An­be­tracht von Art und Schwe­re der Be­nach­tei­li­gung, ih­rer Dau­er, ih­rer Fol­gen, des An­las­ses und des Be­weg­grun­des des Han­delns, des Gra­des der Ver­ant­wort­lich­keit und der Ge­nug­tu­ungs­funk­ti­on so­wie der Not­wen­dig­keit ei­ner ab­schre­cken­den Wir­kung der zu­zu­spre­chen­den Entschädi­gung sei vor-lie­gend ei­ne sol­che in Höhe von 2.700,00 Eu­ro an­ge­mes­sen.

Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hält nicht in al­len Tei­len der Be­gründung, wohl aber im Er­geb­nis ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand.


B. Die zulässi­ge Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet.
 


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I. Streit­ge­gen­stand ist ein An­spruch auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung we­gen ei­nes im­ma­te­ri­el­len Scha­dens (§ 15 Abs. 2 AGG) und nicht ein auf Er­satz ei­nes Vermögens­scha­dens ge­rich­te­ter Scha­dens­er­satz­an­spruch (§ 15 Abs. 1 AGG). Zwar ver­wen­det der Kläger zur Be­gründung der Kla­ge wie­der­holt den Be­griff „Scha­dens­er­satz“, je­doch macht er aus­weis­lich der von ihm ge­ge­be­nen Be­gründung kei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch gel­tend. Ins­be­son­de­re kann der Kla­ge­be­gründung nicht ent­nom­men wer­den, dass der Kläger ei­nen kon­kre­ten Ver­dienst­aus­fall für ei­nen be­stimm­ten Zeit­raum we­gen un­ter­blie­be­ner Ein­stel­lung be­gehrt. Auch be­haup­tet er nicht, er wäre als am bes­ten ge­eig­ne­ter Be­wer­ber von der Be­klag­ten ein­zu­stel­len ge­we­sen. Mit der von ihm an­ge­ge­be­nen Kla­ge­for­de­rung von 5.723,28 Eu­ro hat der Kläger aus­drück­lich drei Mo­nats­gehälter er­sicht­lich als Entschädi­gung iSv. § 15 Abs. 2 AGG ge­for­dert.

II. Die Kla­ge ist in Höhe des aus­ge­ur­teil­ten Be­trags (2.700,00 Eu­ro) be­gründet.

1. Die Be­klag­te hat bei der Be­set­zung der Stel­le ei­nes Pfört­ners/Wächters bzw. ei­ner Pfört­ne­rin/Wächte­rin im Frühjahr 2009 ge­gen das Ver­bot ver­s­toßen, schwer­be­hin­der­te Beschäftig­te we­gen ih­rer Be­hin­de­rung zu be­nach­tei­li­gen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, §§ 7, 1 AGG). Der Kläger hat als be­nach­tei­lig­ter schwer­be­hin­der­ter Beschäftig­ter nach § 81 Abs. 2 SGB IX, § 15 Abs. 2 AGG An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld.


a) Der persönli­che An­wen­dungs­be­reich des AGG ist eröff­net. Der Kläger ist als Be­wer­ber „Beschäftig­ter“ im Sin­ne des AGG. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG gel­ten als Beschäftig­te auch Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis. Für den Be­wer­ber­be­griff kommt es da­bei we­der auf die ob­jek­ti­ve Eig­nung (vgl. BAG 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12) noch auf die sub­jek­ti­ve Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung an. An der sub­jek­ti­ven Ernst­haf­tig­keit be­ste­hen un­abhängig da­von kei­ne Zwei­fel. Das Feh­len ei­ner sol­chen würde auch nur zum Ein­wand treu­wid­ri­gen Ver­hal­tens des Be­wer­bers führen (vgl. BAG 13. Ok­to­ber 2011 - 8 AZR 608/11 -).


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b) Die Be­klag­te ist als „Ar­beit­ge­ber“ pas­siv le­gi­ti­miert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Ar­beit­ge­ber im Sin­ne des Ge­set­zes, wer „Per­so­nen nach Ab­satz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Ar­beit­ge­ber ist al­so der­je­ni­ge, der um Be­wer­bun­gen für ein von ihm an­ge­streb­tes Beschäfti­gungs­verhält­nis bit­tet (vgl. BAG 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11). Dies trifft auf die Be­klag­te auf­grund der Stel­len­aus­schrei­bung zu.


2. Der Kläger hat sei­nen An­spruch in­ner­halb der Fris­ten des § 15 Abs. 4 AGG gel­tend ge­macht.


a) Die Ab­leh­nung der Be­wer­bung wur­de dem Kläger mit­tels Schrei­bens der B vom 11. Mai 2009 mit­ge­teilt. Mit Schrei­ben vom 18. Ju­ni 2009 mach­te der Kläger Entschädi­gungs- bzw. Scha­dens­er­satz­ansprüche gel­tend. Da­mit hat er die Zwei­mo­nats­frist für die schrift­li­che Gel­tend­ma­chung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG ge­wahrt. Un­er­heb­lich ist, ob der Kläger sein Schrei­ben vom 18. Ju­ni 2009 un­ter­schrie­ben hat. Das Schrift­form­ge­bot des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG ver­langt nicht die ge­setz­li­che Schrift­form nach § 126 Abs. 1 BGB, aus­rei­chend ist viel­mehr die Text­form nach § 126b BGB (vgl. BAG 27. Ja­nu­ar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3). Für die Text­form nach § 126b BGB muss zwar - ne­ben der Nen­nung der Per­son des Erklären­den - der Ab­schluss der Erklärung durch Nach­bil­dung der Na­mens­un­ter­schrift oder an­ders er­kenn­bar ge­macht wer­den. Hier­zu genügt aber ei­ne Grußfor­mel oder die Nen­nung des Na­mens am Tex­ten­de (vgl. MüKoBGB/Ein­se­le 6. Aufl. § 126b BGB Rn. 6; Pa­landt/El­len­ber­ger BGB 71. Aufl. § 126b Rn. 5). Die­sen Er­for­der­nis­sen genügt das Schrei­ben vom 18. Ju­ni 2009 mit der Grußfor­mel am Tex­ten­de un­ter Na­mens­nen­nung. Nicht er­for­der­lich war, dass der Kläger die Entschädi­gungs­for­de­rung be­zif­fer­te (vgl. BAG 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12).

b) Die am 15. Sep­tem­ber 2009 beim Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main ein­ge­gan­ge­ne Kla­ge, die der Be­klag­ten am 28. Sep­tem­ber 2009 zu­ge­stellt wur­de, hat die Frist des § 61b Abs. 1 ArbGG ge­wahrt. Sie wur­de in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach der schrift­li­chen Gel­tend­ma­chung des An­spruchs er­ho­ben.

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Für die Frist­wah­rung genügte gemäß § 167 ZPO der Ein­gang der Kla­ge beim Ar­beits­ge­richt, weil de­ren Zu­stel­lung demnächst er­folg­te (vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6, zu § 611a BGB aF).

3. Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­ten Tat­sa­chen las­sen ei­nen Ver­s­toß der Be­klag­ten ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ver­mu­ten.


a) Vor­aus­set­zung für ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 AGG. § 15 Abs. 2 AGG enthält nur ei­ne Rechts­fol­gen­re­ge­lung, je­doch ist für die Vor­aus­set­zun­gen des An­spruchs auf § 15 Abs. 1 AGG zurück­zu­grei­fen. Dies er­gibt sich aus dem sys­te­ma­ti­schen Zu­sam­men­hang (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerw­GE 139, 135; BAG 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21).

b) Der Kläger hat ei­ne Be­nach­tei­li­gung im Hin­blick auf sei­ne Be­hin­de­rung er­fah­ren.

aa) Der Be­griff der Be­hin­de­rung im Sin­ne von § 1 AGG, we­gen der gemäß § 7 AGG Beschäftig­te nicht be­nach­tei­ligt wer­den dürfen, ent­spricht den ge­setz­li­chen De­fi­ni­tio­nen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 31). Auf ei­nen be­stimm­ten Grad der Be­hin­de­rung kommt es nicht an (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BA­GE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15). Der Kläger, für den seit dem 10. April 2003 ein Grad der Be­hin­de­rung von 50 und seit dem 29. Ju­ni 2004 ein Grad der Be­hin­de­rung von 60, dh. ei­ne Schwer­be­hin­de­rung, fest­ge­stellt ist, un­terfällt dem Be­hin­der­ten­be­griff des § 1 AGG.


bb) Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on. Der Kläger er­fuhr ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung als
 


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die ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin. We­ni­ger güns­tig war auch die Be­hand­lung des Klägers im Ver­gleich mit den zu Vor­stel­lungs­gesprächen ein­ge­la­de­nen Be­wer­bern/in­nen. Ein Nach­teil im Rah­men ei­ner Aus­wah­l­ent­schei­dung, ins­be­son­de­re bei ei­ner Ein­stel­lung und Beförde­rung, liegt be­reits vor, wenn der Beschäftig­te - wie hier der Kläger - nicht in die Aus­wahl ein­be­zo­gen, son­dern vor­ab aus­ge­nom­men wird. Die Be­nach­tei­li­gung liegt in der Ver­sa­gung ei­ner Chan­ce (vgl. BAG 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21).

cc) Der Kläger und die letzt­lich ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin be­fan­den sich auch in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on.

Das Vor­lie­gen ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on setzt vor­aus, dass der Kläger ob­jek­tiv für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ge­eig­net war, denn ver­gleich­bar (nicht: gleich) ist die Aus­wahl­si­tua­ti­on nur für Ar­beit­neh­mer, die glei­cher­maßen die ob­jek­ti­ve Eig­nung für die zu be­set­zen­de Stel­le auf­wei­sen (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13). Für das Vor­lie­gen ei­ner Be­nach­tei­li­gung ist es er­for­der­lich, dass ei­ne Per­son, die an sich für die Tätig­keit ge­eig­net wäre, nicht aus­gewählt oder schon nicht in Be­tracht ge­zo­gen wur­de. Könn­te auch ein ob­jek­tiv un­ge­eig­ne­ter Be­wer­ber im­ma­te­ri­el­le Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG ver­lan­gen, stünde dies nicht im Ein­klang mit dem Schutz­zweck des AGG. Das AGG will vor un­ge­recht­fer­tig­ter Be­nach­tei­li­gung schützen, nicht ei­ne un­red­li­che Ge­sin­nung des (po­ten­ti­el­len) Ar­beit­ge­bers sank­tio­nie­ren. Die ob­jek­ti­ve Eig­nung ist al­so kei­ne un­ge­schrie­be­ne Vor­aus­set­zung der Be­wer­be­rei­gen­schaft, son­dern Kri­te­ri­um der „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG (vgl. BAG 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12).


Grundsätz­lich ist für die ob­jek­ti­ve Eig­nung nicht auf das for­mel­le An­for­de­rungs­pro­fil, wel­ches der Ar­beit­ge­ber er­stellt hat, ab­zu­stel­len, son­dern auf die An­for­de­run­gen, die der Ar­beit­ge­ber an ei­nen Stel­len­be­wer­ber stel­len durf­te. Zunächst ist da­von aus­zu­ge­hen, dass der Ar­beit­ge­ber über den der Stel­le zu­ge­ord­ne­ten Auf­ga­ben­be­reich und die dafür ge­for­der­ten Qua­li­fi­ka­tio­nen des Stel­len­in­ha­bers frei ent­schei­den darf. Durch das Stel­len von An­for­de­run­gen an
 


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den Be­wer­ber, die nach der im Ar­beits­le­ben herr­schen­den Ver­kehrs­an­schau­ung durch die Er­for­der­nis­se der wahr­zu­neh­men­den Auf­ga­ben un­ter kei­nem nach­voll­zieh­ba­ren Ge­sichts­punkt ge­deckt sind, darf er al­ler­dings die Ver­gleich­bar­keit der Si­tua­ti­on nicht willkürlich ge­stal­ten und da­durch den Schutz des AGG de fac­to be­sei­ti­gen (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13). Die­se Grundsätze gel­ten al­ler­dings bei der Be­set­zung von Stel­len öffent­li­cher Ar­beit­ge­ber nur ein­ge­schränkt. Während der pri­va­te Ar­beit­ge­ber im Rah­men der oben dar­ge­leg­ten Grundsätze frei ist, wel­che An­for­de­run­gen er in sei­ner Stel­len­aus­schrei­bung an Be­wer­ber stellt und ob er dann bei sei­ner Aus­wah­l­ent­schei­dung von ein­zel­nen die­ser ge­for­der­ten Qua­li­fi­ka­tio­nen ab­weicht, hat der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber Art. 33 Abs. 2 GG zu be­ach­ten. Hier­nach be­steht nach Eig­nung, Befähi­gung und fach­li­cher Leis­tung An­spruch auf glei­chen Zu­gang zu je­dem öffent­li­chen Amt. Öffent­li­che Ämter in die­sem Sin­ne sind nicht nur Be­am­ten­stel­len, son­dern auch Stel­len, die mit Ar­bei­tern und An­ge­stell­ten be­setzt wer­den. Art. 33 Abs. 2 GG dient zum ei­nen dem öffent­li­chen In­ter­es­se an der bestmögli­chen Be­set­zung der Stel­len des öffent­li­chen Diens­tes, des­sen fach­li­ches Ni­veau und recht­li­che In­te­grität gewähr­leis­tet wer­den sol­len (sog. Bes­ten­aus­le­se), zum an­de­ren trägt er dem be­rech­tig­ten In­ter­es­se des Be­wer­bers an sei­nem be­ruf­li­chen Fort­kom­men Rech­nung. Art. 33 Abs. 2 GG be­gründet ein grund­rechts­glei­ches Recht auf rechts­feh­ler­freie Ein­be­zie­hung in die Be­wer­be­r­aus­wahl und auf de­ren Durchführung an­hand der in der Re­ge­lung - hier der Stel­len­aus­schrei­bung - ge­nann­ten Aus­wahl­kri­te­ri­en (sog. Be­wer­bungs­ver­fah­rens­an­spruch; vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - aaO).


Die in Art. 33 Abs. 2 GG ge­nann­ten Ge­sichts­punk­te der Eig­nung, Befähi­gung und fach­li­chen Leis­tung sind die al­lein maßgeb­li­chen Kri­te­ri­en für die Be­wer­be­r­aus­wahl; an­de­re Kri­te­ri­en sind nicht zulässig. Al­ler­dings be­stimmt Art. 33 Abs. 2 GG nicht, auf wel­chen Be­zugs­punkt sich die­se Kri­te­ri­en be­zie­hen. Dies folgt erst aus dem An­for­de­rungs­pro­fil, wel­ches als Funk­ti­ons­be­schrei­bung des Dienst­pos­tens ob­jek­tiv die Kri­te­ri­en be­stimmt, die der künf­ti­ge Stel­len­in­ha­ber erfüllen muss. Über die Ein­rich­tung und nähe­re

Aus­ge­stal­tung von Dienst­pos­ten ent­schei­det grundsätz­lich der Dienst­herr nach sei­nen or­ga­ni-

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sa­to­ri­schen Bedürf­nis­sen und Möglich­kei­ten. Es ob­liegt da­her auch sei­nem or­ga­ni­sa­to­ri­schen Er­mes­sen, wie er ei­nen Dienst­pos­ten zu­schnei­den will und wel­che An­for­de­run­gen dem­gemäß der Be­wer­be­r­aus­wahl zu­grun­de zu le­gen sind. Erst aus die­sem Zu­schnitt des zu ver­ge­ben­den Am­tes oder Dienst­pos­tens wer­den da­her die An­for­de­run­gen be­stimmt, an de­nen kon­kur­rie­ren­de Be­wer­ber zu mes­sen sind (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13).

Mit der Be­stim­mung ei­nes An­for­de­rungs­pro­fils für die zu ver­ge­ben­de Stel­le legt der Dienst­herr die Kri­te­ri­en für die Aus­wahl der Be­wer­ber fest; an ihm wer­den die Ei­gen­schaf­ten und Fähig­kei­ten der Be­wer­ber ge­mes­sen (vgl. BVerfG 8. Ok­to­ber 2007 - 2 BvR 1846/07 - BVerfGK 12, 284). Der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber hat im An­for­de­rungs­pro­fil die for­ma­len Vor­aus­set­zun­gen, fach­li­chen Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten so­wie außer­fach­li­chen Kom­pe­ten­zen zu be­schrei­ben, die ein Be­wer­ber für ei­ne er­folg­rei­che Bewälti­gung der künf­ti­gen Tätig­keit benötigt und die dem­ent­spre­chend der leis­tungs­be­zo­ge­nen Aus­wahl zu­grun­de zu le­gen sind (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerw­GE 139, 135). Auf­grund des An­for­de­rungs­pro­fils sol­len ei­ner­seits ge­eig­ne­te Be­wer­ber ge­fun­den, an­de­rer­seits un­ge­eig­ne­te Be­wer­ber schon im Vor­feld der ei­gent­li­chen Aus­wah­l­ent­schei­dung aus dem Kreis der in das en­ge­re Aus­wahl­ver­fah­ren ein­zu­be­zie­hen­den Be­wer­ber aus­ge­schlos­sen wer­den. Mit der Fest­le­gung des An­for­de­rungs­pro­fils wird ein we­sent­li­cher Teil der Aus­wah­l­ent­schei­dung vor­weg­ge­nom­men. Zu­gleich be­stimmt der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber mit dem An­for­de­rungs­pro­fil den Um­fang sei­ner der ei­gent­li­chen Aus­wah­l­ent­schei­dung vor­ge­la­ger­ten ver­fah­rens­recht­li­chen Ver­pflich­tung nach § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - aaO).

Für die Dau­er des Aus­wahl­ver­fah­rens bleibt der Ar­beit­ge­ber an das in der veröffent­lich­ten Stel­len­be­schrei­bung be­kannt ge­ge­be­ne An­for­de­rungs­pro­fil ge­bun­den (vgl. BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - BA­GE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).


Un­ter Be­ach­tung die­ser Grundsätze be­ste­hen un­ter Zu­grun­de­le­gung des An­for­de­rungs­pro­fils in der Stel­len­aus­schrei­bung vom 13. März 2009 an der
 


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ob­jek­ti­ven Eig­nung des Klägers für die von der Be­klag­ten aus­ge­schrie­be­ne Stel­le kei­ne Zwei­fel. Die Be­klag­te hat mit ih­rer Aus­schrei­bung ei­ne Pfört­ne­rin/Wächte­rin bzw. ei­nen Pfört­ner/Wäch­ter ge­sucht und da­zu ein An­for­de­rungs­pro­fil auf­ge­stellt, wo­nach die Be­reit­schaft zur fle­xi­blen Ar­beits­zeit­ge­stal­tung, ein ge­pfleg­tes Er­schei­nungs­bild, ein über­zeu­gen­des und si­che­res Auf­tre­ten, gu­te Um­gangs­for­men, körper­li­che Eig­nung, gu­te Deutsch­kennt­nis­se in Wort und Schrift, die Be­reit­schaft zum Führen ei­ner Schuss­waf­fe und ein Führungs­zeug­nis oh­ne Ein­trag ver­langt wur­de. Er­fah­run­gen oder ei­ne Aus­bil­dung im Be­reich des Wach- und Si­cher­heits­diens­tes wa­ren nach dem An­for­de­rungs­pro­fil nicht vor­aus­ge­setzt, son­dern nur vor­teil­haft. Fach­li­che Vor­aus­set­zun­gen wer­den mit dem An­for­de­rungs­pro­fil nicht auf­ge­stellt. Der Kläger hat­te in der Ver­gan­gen­heit be­reits als Pfört­ner ge­ar­bei­tet und aus­weis­lich sei­nes Be­wer­bungs­schrei­bens um­fang­rei­che Kennt­nis­se im Be­reich von Per­so­nen- und Fahr­zeug­kon­trol­len. Im Hin­blick auf die vom Kläger in der Ver­gan­gen­heit ver­rich­te­ten Tätig­kei­ten und aus­weis­lich der An­ga­ben des Klägers im Be­wer­bungs­schrei­ben ist auch von sei­ner körper­li­chen Eig­nung aus­zu­ge­hen. Auch die Be­klag­te zieht die­se nicht in Zwei­fel. Dass der Kläger zum Zeit­punkt der Be­wer­bung kei­ne Sach­kun­de­prüfung nach § 34a Abs. 1 Satz 5 Ge­wO ab­ge­legt hat­te, ist im Hin­blick auf das ver­bind­li­che An­for­de­rungs­pro­fil der Be­klag­ten nicht re­le­vant. Auch ist da­von aus­zu­ge­hen, dass der Kläger die An­for­de­run­gen im Er­schei­nungs­bild und Auf­tre­ten erfüllt, zu­mal et­wai­ge De­fi­zi­te in die­sen Be­rei­chen nur in ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch hätten fest­ge­stellt wer­den können.


c) Die Be­klag­te be­han­del­te den Kläger auch we­gen sei­ner Be­hin­de­rung we­ni­ger güns­tig.

aa) Der Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen nach­tei­li­ger Be­hand­lung und Be­hin­de­rung ist be­reits dann ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an die Be­hin­de­rung an­knüpft oder durch sie mo­ti­viert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32 zu § 3 Abs. 1 AGG). Da­bei ist es nicht er­for­der­lich, dass der be­tref­fen­de Grund, dh. die Be­hin­de­rung, das aus­sch­ließli­che Mo­tiv für das Han­deln des Be­nach­tei­li­gen­den ist. Aus­rei­chend ist viel­mehr, dass die Be­hin­de­rung Be­stand­teil ei­nes Mo­tivbündels ist, wel­ches die Ent­schei­dung be­ein­flusst hat. Auf ein schuld­haf-


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tes Han­deln oder gar ei­ne Be­nach­tei­li­gungs­ab­sicht kommt es nicht an (BAG 27. Ja­nu­ar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3).

bb) Hin­sicht­lich der Kau­sa­lität zwi­schen Nach­teil und dem verpönten Merk­mal ist in § 22 AGG ei­ne Be­weis­last­re­ge­lung ge­trof­fen, die sich auch auf die Dar­le­gungs­last aus­wirkt. Der Beschäftig­te genügt da­nach sei­ner Dar­le­gungs­last, wenn er In­di­zi­en vorträgt, die sei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes ver­bo­te­nen Merk­mals ver­mu­ten las­sen. Dies ist der Fall, wenn die vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen aus ob­jek­ti­ver Sicht mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit dar­auf schließen las­sen, dass die Be­nach­tei­li­gung we­gen die­ses Merk­mals er­folgt ist. Durch die Ver­wen­dung der Wörter „In­di­zi­en“ und „ver­mu­ten“ bringt das Ge­setz zum Aus­druck, dass es hin­sicht­lich der Kau­sa­lität zwi­schen ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe und ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung genügt, Hilfs­tat­sa­chen vor­zu­tra­gen, die zwar nicht zwin­gend den Schluss auf die Kau­sa­lität zu­las­sen, die aber die An­nah­me recht­fer­ti­gen, dass die Kau­sa­lität ge­ge­ben ist. Liegt ei­ne Ver­mu­tung für die Be­nach­tei­li­gung vor, trägt nach § 22 AGG die an­de­re Par­tei die Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat (BAG 27. Ja­nu­ar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3).


cc) Die Würdi­gung der Tat­sa­chen­ge­rich­te, ob die von ei­nem Be­wer­ber vor­ge­tra­ge­nen oder un­strei­ti­gen Tat­sa­chen ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen sei­ner Be­hin­de­rung ver­mu­ten las­sen, ist nur be­schränkt re­vi­si­bel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ge­won­ne­ne Über­zeu­gung bzw. Nichtüber­zeu­gung von ei­ner über­wie­gen­den Wahr­schein­lich­keit für die Kau­sa­lität zwi­schen ei­ner Be­hin­de­rung und ei­nem Nach­teil kann re­vi­si­ons­recht­lich nur dar­auf über­prüft wer­den, ob sie möglich, in sich wi­der­spruchs­frei ist und nicht ge­gen Denk­ge­set­ze, Er­fah­rungssätze oder an­de­re Rechtssätze verstößt (BAG 27. Ja­nu­ar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3).


dd) Rechts­feh­ler­frei hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zunächst an­ge­nom­men, als ein In­diz für ei­nen Kau­sal­zu­sam­men­hang stel­le sich die un­ter­las­se­ne Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch dar.



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Un­terlässt es der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber ent­ge­gen § 82 Satz 2 SGB IX, den schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den, so ist dies ei­ne ge­eig­ne­te Hilfs­tat­sa­che nach § 22 AGG (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerw­GE 139, 135; BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - BA­GE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

Zu­tref­fend ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch da­von aus­ge­gan­gen, dass die Pflicht, den Kläger zum Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den, nicht auf­grund der Aus­nah­me­vor­schrift des § 82 Satz 3 SGB IX we­gen of­fen­sicht­lich feh­len­der fach­li­cher Eig­nung ent­fal­len war.

Ein schwer­be­hin­der­ter Be­wer­ber muss bei ei­nem öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber die Chan­ce ei­nes Vor­stel­lungs­gesprächs be­kom­men, wenn sei­ne fach­li­che Eig­nung zwei­fel­haft, aber nicht of­fen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist. Selbst wenn sich der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber auf­grund der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen schon die Mei­nung ge­bil­det hat, ein oder meh­re­re an­de­re Be­wer­ber sei­en so gut ge­eig­net, dass der schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber nicht mehr in die nähe­re Aus­wahl kom­me, muss er den schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber nach dem Ge­set­zes­ziel ein­la­den. Der schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber soll den öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber im Vor­stel­lungs­gespräch von sei­ner Eig­nung über­zeu­gen können. Wird ihm die­se Möglich­keit ge­nom­men, liegt dar­in ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung als sie das Ge­setz zur Her­stel­lung glei­cher Be­wer­bungs­chan­cen ge­genüber an­de­ren Be­wer­bern für er­for­der­lich hält. Der Aus­schluss aus dem wei­te­ren Be­wer­bungs­ver­fah­ren ist ei­ne Be­nach­tei­li­gung, die in ei­nem ursächli­chen Zu­sam­men­hang mit der Be­hin­de­rung steht (BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - BA­GE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

Auch für die Fra­ge, ob dem Be­wer­ber die fach­li­che Eig­nung of­fen­sicht­lich fehlt, ist im öffent­li­chen Dienst auf die veröffent­lich­te Stel­len­be­schrei­bung ab­zu­stel­len (vgl. BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - BA­GE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1), denn mit dem veröffent­lich­ten An­for­de­rungs­pro­fil be­stimmt der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber den Um­fang sei­ner ver­fah­rens­recht­li­chen Ver­pflich­tung nach § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerw­GE 139, 135).


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Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, dem Kläger ha­be die fach­li­che Eig­nung nicht of­fen­sicht­lich ge­fehlt, ist nicht zu be­an­stan­den. Der Kläger erfüllt die An­for­de­run­gen der Stel­len­be­schrei­bung, die kei­ne be­son­de­ren An­for­de­run­gen an Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se stellt. Auch die Be­klag­te be­haup­tet nicht, der Kläger erfülle ei­ne oder meh­re­re An­for­de­run­gen der veröffent­lich­ten Stel­len­be­schrei­bung nicht. Auf ei­ne feh­len­de Sach­kun­de­prüfung nach § 34a Abs. 1 Satz 5 Ge­wO kann sich die Be­klag­te nicht er­folg­reich be­ru­fen, da in der Stel­len­aus­schrei­bung ei­ne sol­che nicht ver­langt wird.


Dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ist je­doch nicht da­hin zu fol­gen, dass Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 2 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung we­gen § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam ist. Viel­mehr er­gibt sich im We­ge der Aus­le­gung, dass die Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung kei­ne zu­un­guns­ten des schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bers von § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX ab­wei­chen­de Re­ge­lung enthält. We­der nach § 82 Satz 3 SGB IX noch nach Ziff. 4.2.4 Abs. 5 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung durf­te ei­ne Ein­la­dung des Klägers zum Vor­stel­lungs­gespräch un­ter­blei­ben.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 2 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung zu Un­recht ent­nom­men, ab­wei­chend von § 82 Satz 3 SGB IX sei dort der Be­klag­ten die Be­fug­nis ein­geräumt, von ei­ner Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch ab­zu­se­hen, wenn zwi­schen Zen­tral­ab­tei­lung, Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ter Ein­ver­neh­men be­steht, dass der Be­wer­ber für den frei­en Ar­beits­platz nicht in Be­tracht kommt.


Nach Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 1 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung sind schwer­be­hin­der­te Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber zu Aus­wahl­ver­fah­ren zu­zu­las­sen, es sei denn, dass sie nach den vor­ge­leg­ten Un­ter­la­gen für ei­ne Ver­wen­dung auf­grund be­ste­hen­der Aus­bil­dungs- und Prüfungs­vor­aus­set­zun­gen of­fen­sicht­lich nicht ge­eig­net er­schei­nen. Da­mit knüpft Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 1 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung an die be­ste­hen­de Rechts­la­ge nach § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX an. Die die Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung ab­sch­ließen­den Par­tei­en ge­hen vom ge­setz­li­chen Re­gel-/Aus­nah­me­verhält­nis aus. Die Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch/Die Zu­las-
 


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sung zum Aus­wahl­ver­fah­ren ist der Re­gel­fall, der Aus­schluss we­gen of­fen­sicht­li­cher Nich­t­eig­nung die Aus­nah­me. Da­bei wird auch die ge­setz­li­che Ter­mi­no­lo­gie der of­fen­sicht­lich feh­len­den Eig­nung auf­ge­grif­fen, so­dass da­von aus­zu­ge­hen ist, dass die Ver­trags­par­tei­en den ge­setz­li­chen Be­griff der of­fen­sicht­lich feh­len­den fach­li­chen Eig­nung aus § 82 Satz 3 SGB IX zu­grun­de ge­legt und die­ses Be­griffs­verständ­nis zum In­halt der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung ge­macht ha­ben. Da­mit ist die Eig­nung am veröffent­lich­ten Stel­len­pro­fil zu mes­sen. Die in der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung an­ge­spro­che­nen Aus­bil­dungs- und Prüfungs­vor­aus­set­zun­gen können da­her nur dann maßgeb­lich sein, wenn die­se in das veröffent­lich­te Stel­len­pro­fil Ein­gang ge­fun­den ha­ben.

Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 2 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung schränkt dies nicht ein, son­dern soll den ge­setz­lich be­ste­hen­den Schutz viel­mehr er­wei­tern. Zwar ist nach Satz 2 von ei­ner Ein­la­dung zum Aus­wahl­ver­fah­ren ab­zu­se­hen, wenn zwi­schen Zen­tral­ab­tei­lung, Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ter Ein­ver­neh­men be­steht, dass der Be­wer­ber für den frei­en Ar­beits­platz nicht in Be­tracht kommt. Die­se Re­ge­lung ist aber nicht so zu ver­ste­hen, dass auch bei Nicht­vor­lie­gen ei­ner of­fen­sicht­li­chen Nich­t­eig­nung auf­grund ei­nes Ein­ver­neh­mens der ge­nann­ten Stel­len von ei­ner Ein­la­dung zum Aus­wahl­ver­fah­ren/Vor­stel­lungs­gespräch ab­ge­se­hen wer­den darf. Schon in Abs. 2 der Präam­bel der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung ist aus­geführt, dass mit die­ser die be­ruf­li­chen Chan­cen und kon­kre­ten Ar­beits­be­din­gun­gen in der Dienst­stel­le „wei­ter ver­bes­sert“ wer­den sol­len. In Ziff. 2 Abs. 1 Satz 2 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung ist aus­geführt, dass die Dienst­stel­le die Rech­te der schwer­be­hin­der­ten Beschäftig­ten wahrt und bei al­len Maßnah­men de­ren Be­lan­ge berück­sich­tigt. Hier­aus er­gibt sich, dass der ge­setz­li­che Min­dest­schutz des § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX nicht un­ter­schrit­ten, son­dern durch die Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung ein höhe­res Schutz­ni­veau gewähr­leis­tet wer­den soll. Vor al­lem er­gibt sich dies aus de­ren Ziff. 12 Abs. 2. Dort ist aus­drück­lich ge­re­gelt, dass Rechts­vor­schrif­ten und ta­rif­li­che Re­ge­lun­gen durch die Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung nicht berührt wer­den. Da­durch ha­ben die Ver­trags­par­tei­en zum Aus­druck ge­bracht, dass ein Ab­wei­chen von ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten zu­un­guns­ten Schwer­be­hin­der­ter - un­abhängig da­von, in­wie­weit
 


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dies über­haupt recht­lich zulässig wäre - nicht be­ab­sich­tigt ist. Da­mit kommt es auch nach der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung für die Fra­ge der of­fen­sicht­lich feh­len­den fach­li­chen Eig­nung auf das veröffent­lich­te An­for­de­rungs­pro­fil an. Von ei­ner Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch darf nach Ziff. 4.2.4 Abs. 5 Satz 2 der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung des­halb nur dann ab­ge­se­hen wer­den, wenn zusätz­lich zur of­fen­sicht­lich vor­lie­gen­den feh­len­den Eig­nung Ein­ver­neh­men zwi­schen Zen­tral­ab­tei­lung, Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ter über die­se Nich­t­eig­nung be­steht. Da dem Kläger aber die fach­li­che Eig­nung nicht of­fen­sicht­lich fehl­te, war der Kläger auch nach den Re­geln der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung ein­zu­la­den.

ee) Ei­ne Pflicht­ver­let­zung nach § 82 Satz 2 SGB IX ist als In­diz im Sin­ne von § 22 AGG nur dann ge­eig­net, wenn dem Ar­beit­ge­ber die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft oder Gleich­stel­lung des Be­wer­bers be­kannt ge­we­sen ist oder sich der Ar­beit­ge­ber auf­grund der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen die­se Kennt­nis hätte ver­schaf­fen können. An­dern­falls ist der Pflich­ten­ver­s­toß dem Ar­beit­ge­ber nicht zu­zu­rech­nen (vgl. BAG 18. No­vem­ber 2008 - 9 AZR 643/07 - AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19). Es ob­liegt dem ab­ge­lehn­ten Be­wer­ber des­halb dar­zu­le­gen, dass dem Ar­beit­ge­ber die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft oder Gleich­stel­lung be­kannt ge­we­sen ist oder er sich auf­grund der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen die­se Kennt­nis je­den­falls hätte ver­schaf­fen können.

Dies hat der Kläger ge­tan. Er hat­te die Be­klag­te auf die be­ste­hen­de Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft in sei­nem Be­wer­bungs­schrei­ben hin­ge­wie­sen. Dort heißt es, dass ihn die „vor­han­de­ne Schwer­be­hin­de­rung mit ei­nem GdB von 60“ we­der körper­lich noch geis­tig für die Auf­ga­ben ein­schränkt. Auch die Be­klag­te hat­te den Kläger im Be­wer­bungs­ver­fah­ren als schwer­be­hin­der­ten Men­schen geführt, wie sich aus den von ihr vor­ge­leg­ten Un­ter­la­gen zur Er­fas­sung der Be­wer­ber er­gibt.

ff) Die Be­klag­te hat die Ver­mu­tung der Be­nach­tei­li­gung des Klägers we­gen des­sen Be­hin­de­rung nicht wi­der­legt.

Wenn die fest­ge­stell­ten Tat­sa­chen ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen der Be­hin­de­rung ver­mu­ten las­sen, trägt der Ar­beit­ge­ber nach § 22 AGG die Be-
 


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weis­last dafür, dass ei­ne sol­che Be­nach­tei­li­gung nicht vor­lag. Der Ar­beit­ge­ber muss das Ge­richt da­von über­zeu­gen, dass die Be­nach­tei­li­gung nicht (auch) auf der Be­hin­de­rung be­ruht. Da­mit muss er Tat­sa­chen vor­tra­gen und ge­ge­be­nen­falls be­wei­sen, aus de­nen sich er­gibt, dass es aus­sch­ließlich an­de­re Gründe wa­ren als die Be­hin­de­rung, die zu der we­ni­ger güns­ti­gen Be­hand­lung geführt ha­ben (vgl. BAG 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10), und in sei­nem Mo­tivbündel we­der die Be­hin­de­rung als ne­ga­ti­ves noch die feh­len­de Be­hin­de­rung als po­si­ti­ves Kri­te­ri­um ent­hal­ten war.


Für die Fra­ge, wel­che Tat­sa­chen ge­eig­net sind, die Ver­mu­tung der Be­nach­tei­li­gung zu wi­der­le­gen, sind die Be­son­der­hei­ten des Be­wer­bungs­ver­fah­rens für ein öffent­li­ches Amt iSv. Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. BAG 18. No­vem­ber 2008 - 9 AZR 643/07 - AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19) und die ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen des SGB IX zu be­ach­ten. Für den nach § 22 AGG mögli­chen Nach­weis, dass für die Nicht­ein­la­dung ei­nes Be­wer­bers ent­ge­gen § 82 Satz 2 SGB IX aus­sch­ließlich an­de­re Gründe als die Be­hin­de­rung er­heb­lich wa­ren, können nur sol­che Gründe her­an­ge­zo­gen wer­den, die nicht die fach­li­che Eig­nung be­tref­fen. Hierfür enthält die in § 82 Satz 3 SGB IX ge­re­gel­te Aus­nah­me mit dem Er­for­der­nis der „of­fen­sicht­li­chen“ Nich­t­eig­nung ei­ne ab­sch­ließen­de Re­ge­lung. Sie prägt auch die An­for­de­run­gen, die bei Verstößen im Be­wer­bungs­ver­fah­ren bei auf die fach­li­che Eig­nung be­zo­ge­nen Erwägun­gen für den Ge­gen­be­weis zu­grun­de zu le­gen wären. Dies ent­spricht dem Schutz­zweck des § 7 Abs. 1 AGG iVm. § 82 Satz 2 SGB IX, der das Recht schwer­be­hin­der­ter Men­schen und der ih­nen gleich­ge­stell­ten be­hin­der­ten Men­schen auf ein be­nach­tei­li­gungs­frei­es Be­wer­bungs­ver­fah­ren schützt (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerw­GE 139, 135). Die Wi­der­le­gung der in­fol­ge der Ver­let­zung des § 82 Satz 2 SGB IX ver­mu­te­ten Kau­sa­lität setzt da­her den Nach­weis vor­aus, dass die Ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch auf­grund von Umständen un­ter­blie­ben ist, die we­der ei­nen Be­zug zur Be­hin­de­rung auf­wei­sen noch die fach­li­che Eig­nung des Be­wer­bers berühren, wenn nicht so­wie­so be­reits ei­ne of­fen­sicht­lich feh­len­de fach­li­che Eig­nung iSd. § 82 Satz 3 SGB IX vor­ge­le­gen und des­halb die Ein­la­dung ent­behr­lich ge­macht hat. Dies folgt aus dem in­so­weit ab­sch­ließen­den Cha­rak­ter des § 82 Satz 3 SGB IX. Der öffent­li-

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che Ar­beit­ge­ber darf da­her von der Ein­la­dung ei­nes schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bers im Hin­blick auf die fach­li­che Eig­nung nur dann ab­se­hen, wenn er vor­ab ein dis­kri­mi­nie­rungs­frei­es und sach­lich ge­recht­fer­tig­tes An­for­de­rungs­pro­fil er­stellt hat (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - aaO) und der Be­wer­ber die­ses of­fen­sicht­lich nicht erfüllt.

Für ei­ne mögli­che Wi­der­le­gung der Ver­mu­tung ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen der Be­hin­de­rung ist auch die in § 122 SGB IX ge­trof­fe­ne Re­ge­lung zu be­ach­ten, wo­nach die Ver­pflich­tun­gen zur be­vor­zug­ten Ein­stel­lung und Beschäfti­gung be­stimm­ter Per­so­nen­krei­se nach an­de­ren Ge­set­zen den Ar­beit­ge­ber nicht von der Ver­pflich­tung zur Beschäfti­gung schwer­be­hin­der­ter Men­schen nach den be­son­de­ren Re­ge­lun­gen für schwer­be­hin­der­te Men­schen ent­bin­den. Die Vor­schrift re­gelt das Verhält­nis der Re­ge­lun­gen des SGB IX über die Ein­stel­lung und Beschäfti­gung von schwer­be­hin­der­ten Men­schen zu ent­spre­chen­den recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen für an­de­re be­son­ders schutz­bedürf­ti­ge Per­so­nen (vgl. FKS-SGB IX-Fa­ber 2. Aufl. § 122 Rn. 1). § 122 SGB IX stellt klar, dass sich der Ar­beit­ge­ber nicht da­durch von sei­nen Ver­pflich­tun­gen zur Beschäfti­gung schwer­be­hin­der­ter Men­schen ent­las­ten kann, dass er auf sei­ne ge­setz­li­chen Ver­pflich­tun­gen ge­genüber an­de­ren schutz­bedürf­ti­gen Per­so­nen ver­weist (vgl. Trenk-Hin­ter­ber­ger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 122 Rn. 3). Die Re­ge­lung spricht zwar nur von „Beschäfti­gung“ schwer­be­hin­der­ter Men­schen - im Ge­gen­satz zur „Ein­stel­lung und Beschäfti­gung“ der an­de­ren Per­so­nen­krei­se - je­doch ist der Be­griff „Beschäfti­gung“ nach Sinn und Zweck der Norm weit zu ver­ste­hen. Er um­fasst da­her auch die Be­set­zung von Ar­beitsplätzen und die Ein­stel­lung von Ar­beit­neh­mern (vgl. Trenk-Hin­ter­ber­ger aaO Rn. 5; Fa­ber aaO Rn. 4; Lam­pe GK-SGB IX Stand Ja­nu­ar 2012 § 122 Rn. 12; Ma­such in Hauck/Noftz SGB IX Stand No­vem­ber 2011 K § 122 Rn. 4). Da­mit kon­kre­ti­siert § 122 SGB IX das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (vgl. Ma­such aaO). Ob § 122 SGB IX ei­ne Vor­ran­g­re­ge­lung zu­guns­ten Schwer­be­hin­der­ter dar­stellt (da­ge­gen: ErfK/Rolfs 12. Aufl. § 122 SGB IX Rn. 1; Knit­tel SGB IX Kom­men­tar 5. Aufl. § 122 Rn. 3; aA Düwell in LPK-SGB IX 2. Aufl. § 122 Rn. 6), kann da­hin­ste­hen. Je­den­falls folgt aus § 122 SGB IX das Ver­bot, die Pflich­ten ge­genüber schwer­be­hin­der­ten Men­schen aus An­lass von Ver-
 


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pflich­tun­gen ge­genüber an­de­ren Per­so­nen zu miss­ach­ten (vgl. Trenk-Hin­ter­ber­ger aaO Rn. 10; Ma­such aaO Rn. 6; Fa­ber aaO Rn. 6). Das hat zur Fol­ge, dass der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber nicht mit der Be­gründung, al­lein die Förde­rung an­de­rer Per­so­nen­krei­se ha­be sei­ne Ent­schei­dung mo­ti­viert und die Be­hin­de­rung sei da­her in kei­ner Wei­se ein Kri­te­ri­um für den Aus­schluss ei­nes schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bers vom Vor­stel­lungs­gespräch ge­we­sen, den Ent­las­tungs­be­weis nach § 22 AGG führen kann.

Zunächst kann sich die Wi­der­le­gung der Be­nach­tei­li­gungs­ver­mu­tung nicht aus ei­ner bes­se­ren Eig­nung der tatsächlich ein­ge­stell­ten Be­wer­be­rin er­ge­ben. Denn die bes­se­re Eig­nung schließt die Be­nach­tei­li­gung nicht aus. Dies er­gibt sich schon aus dem Wort­laut des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG. Da­nach ist selbst dann ei­ne Entschädi­gung zu leis­ten, wenn der schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre. Im Übri­gen be­wir­ken Fra­gen der fach­li­chen Eig­nung kei­ne Ent­las­tung des Ar­beit­ge­bers nach § 22 AGG, weil § 82 Satz 3 AGG in­so­weit ei­ne ab­sch­ließen­de Re­ge­lung enthält (vgl. oben).

Die Ein­las­sung der Be­klag­ten, aus­schlag­ge­bend für die Nicht­ein­la­dung des Klägers sei ge­we­sen, dass sie § 19 Haus­halts­ge­setz 2009 und § 7 Bun­des­gleich­stel­lungs­ge­setz (BGleiG) zu be­ach­ten hat­te, ist nicht ge­eig­net nach-zu­wei­sen, dass die Ein­la­dung auf­grund von nicht dis­kri­mi­nie­ren­den Umständen un­ter­blie­ben ist. In § 19 Haus­halts­ge­setz 2009, wo­nach freie Plan­stel­len und Stel­len vor­ran­gig mit Be­diens­te­ten zu be­set­zen sind, die bei an­de­ren Behörden der Bun­des­ver­wal­tung we­gen Auf­ga­benrück­gangs oder we­gen Auflösung der Behörde nicht mehr benötigt wer­den, ist ei­ne Ver­pflich­tung zur be­vor­zug­ten Ein­stel­lung und Beschäfti­gung ei­nes be­stimm­ten Per­so­nen­krei­ses iSv. § 122 SGB IX ge­trof­fen. Die­se ent­bin­det die Be­klag­te nicht von ih­rer Ver­pflich­tung nach § 82 Satz 2 SGB IX (vgl. oben). Glei­ches gilt für die in §§ 7, 8, 9 BGleiG und die dort zu­guns­ten von Frau­en ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen (vgl. Trenk-Hin­ter­ber­ger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 122 Rn. 7; FKS-SGB IX-Fa­ber 2. Aufl. § 122 Rn. 5). § 7 BGleiG ord­net an, dass bei der Be­set­zung von Ar­beitsplätzen in Be­rei­chen, in de­nen Frau­en un­ter­re­präsen­tiert sind, zu Vor­stel­lungs­gesprächen oder be­son­de­ren Aus­wahl­ver­fah­ren min­des­tens eben­so vie­le Frau­en wie
 


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Männer ein­zu­la­den sind, wel­che die in der Aus­schrei­bung vor­ge­ge­be­ne Qua­li­fi­ka­ti­on auf­wei­sen, so­fern Be­wer­bun­gen von Frau­en in aus­rei­chen­der Zahl vor­lie­gen. Da­mit war die Be­klag­te nach § 122 SGB IX auf­ge­for­dert, so­wohl ih­re Ein­la­dungs­pflicht nach § 7 BGleiG als auch nach § 82 Satz 2 SGB IX zu erfüllen. Die Be­klag­te kann sich nicht durch ei­nen Ver­weis auf ih­re Pflicht zur Frau­enförde­rung ge­genüber dem schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber ent­las­ten.


4. Ein Aus­schluss der Haf­tung der Be­klag­ten folgt nicht aus der Haf­tungs­pri­vi­le­gie­rung des § 15 Abs. 3 AGG. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob die Be­klag­te bei der An­wen­dung der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung grob fahrlässig ge­han­delt hat, wie vom Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men. Vor­lie­gend ist be­reits der An­wen­dungs­be­reich des § 15 Abs. 3 AGG nicht eröff­net.

Nach § 15 Abs. 3 AGG ist der Ar­beit­ge­ber bei der An­wen­dung kol­lek­tiv­recht­li­cher Ver­ein­ba­run­gen nur dann zur Entschädi­gung ver­pflich­tet, wenn er vorsätz­lich oder grob fahrlässig ge­han­delt hat. Un­abhängig da­von, ob ei­ne In­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung nach § 83 SGB IX ei­ne kol­lek­tiv­recht­li­che Ver­ein­ba­rung im Sin­ne von § 15 Abs. 3 AGG dar­stellt und un­abhängig von der Fra­ge der Eu­ro­pa­rechts­wid­rig­keit des § 15 Abs. 3 AGG (of­fen­ge­las­sen: BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - BA­GE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1) kommt ei­ne An­wen­dung von § 15 Abs. 3 AGG nach Sinn und Zweck des­halb nicht in Be­tracht, weil der Kläger durch die fal­sche An­wen­dung der nicht dis­kri­mi­nie­ren­den kol­lek­tiv­recht­li­chen Re­ge­lung - nämlich der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung - be­nach­tei­ligt wor­den ist (vgl. St­ein in Wen­de­ling-Schröder/St­ein AGG § 15 Rn. 63; Däubler/Bertz­bach-Dei­nert 2. Aufl. § 15 AGG Rn. 89a). Denn Grund für die in § 15 Abs. 3 AGG ent­hal­te­ne Pri­vi­le­gie­rung ist, dass der Ar­beit­ge­ber für die Fol­gen ei­ner dis­kri­mi­nie­ren­den kol­lek­tiv­recht­li­chen Ver­ein­ba­rung, die er an­wen­det, nicht (al­lein) ver­ant­wort­lich sein soll. Die fal­sche An­wen­dung ei­ner dis­kri­mi­nie­rungs­frei­en Kol­lek­tiv­ver­ein­ba­rung wird von § 15 Abs. 3 AGG da­ge­gen nicht er­fasst.

5. Der Aus­schluss des Klägers vom Vor­stel­lungs­gespräch lässt sich auch nicht mit ei­ner Förde­rung von Frau­en nach §§ 7 ff. BGleiG als po­si­ti­ve Maßnah­me nach § 5 AGG recht­fer­ti­gen.

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Zwar ermöglicht § 5 AGG kom­pen­sa­to­ri­sche Maßnah­men, um be­ste­hen­de Nach­tei­le we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des aus­zu­glei­chen. So­weit da­bei aber mit der Förde­rung ei­ner Grup­pe von Merk­mal­strägern nach § 1 AGG zu­gleich ei­ne Zurück­set­zung ei­ner an­de­ren Grup­pe ver­bun­den ist, sind ge­setz­li­che Kon­kur­renz­re­ge­lun­gen zu be­ach­ten. Im Fal­le von schwer-be­hin­der­ten bzw. die­sen gleich­ge­stell­ten Men­schen hat der Ge­setz­ge­ber in § 122 SGB IX ei­ne sol­che Kon­kur­renz­re­ge­lung ge­trof­fen, die ei­ne Zurück­set­zung die­ser Grup­pe zu­guns­ten ei­ner an­de­ren Grup­pe von Merk­mal­strägern nach § 1 AGG aus­sch­ließt (vgl. MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 5 AGG Rn. 13; Schleu­se­ner/Suckow/Voigt-Voigt AGG 3. Aufl. Rn. 14; St­ein in Wen­de­ling-Schröder/St­ein AGG § 5 Rn. 4). In der Rah­men­in­te­gra­ti­ons­ver­ein­ba­rung wird hier­auf in Ziff. 4.2.4 Abs. 7 Be­zug ge­nom­men. Ei­ne Förde­rung von Frau­en un­ter Miss­ach­tung der Re­ge­lun­gen der §§ 81, 82 SGB IX ist folg­lich aus­ge­schlos­sen.


6. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die dem Kläger zu­ste­hen­de an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den­der Wei­se mit 2.700,00 Eu­ro be­mes­sen.


a) § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Ge­richt ei­nen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum hin­sicht­lich der Höhe der Entschädi­gung ein. Bei der Fest­set­zung der an­ge­mes­se­nen Entschädi­gung sind al­le Umstände des Ein­zel­fal­les zu berück­sich­ti­gen. Zu die­sen zählen et­wa die Art und Schwe­re der Be­nach­tei­li­gung, ih­re Dau­er und Fol­gen, der An­lass und der Be­weg­grund des Han­delns, der Grad der Ver­ant­wort­lich­keit des Ar­beit­ge­bers, et­wa ge­leis­te­te Wie­der­gut­ma­chung oder er­hal­te­ne Ge­nug­tu­ung und das Vor­lie­gen ei­nes Wie­der­ho­lungs­fal­les. Fer­ner ist der Sank­ti­ons­zweck der Norm zu berück­sich­ti­gen, so­dass die Höhe auch da­nach zu be­mes­sen ist, was zur Er­zie­lung ei­ner ab­schre­cken­den Wir­kung er­for­der­lich ist. Da­bei ist zu be­ach­ten, dass die Entschädi­gung ge­eig­net sein muss, ei­ne wirk­lich ab­schre­cken­de Wir­kung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber zu ha­ben und in je­dem Fall in ei­nem an­ge­mes­se­nen Verhält­nis zum er­lit­te­nen Scha­den ste­hen muss (BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - BA­GE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).
 


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Da die Höhe der Entschädi­gung von ei­nem Be­ur­tei­lungs­spiel­raum abhängt, ist die Be­mes­sung des Entschädi­gungs­an­spruchs grundsätz­lich Auf­ga­be des Tatrich­ters (vgl. BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - BA­GE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1). Die Fest­set­zung der an­ge­mes­se­nen Entschädi­gung ob­liegt dem­nach nur ei­ner ein­ge­schränk­ten Über­prüfung durch das Re­vi­si­ons­ge­richt. Da­bei ist re­vi­si­ons­recht­lich zu über­prüfen, ob das Ur­teil das Bemühen um ei­ne an­ge­mes­se­ne Berück­sich­ti­gung al­ler maßgeb­li­chen Umstände er­ken­nen lässt und ob es ge­gen Rechtssätze, Denk­ge­set­ze oder Er­fah­rungssätze ver­s­toßen hat (vgl. BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - aaO).


b) Zwi­schen den Par­tei­en war in den Tat­sa­chen­in­stan­zen nicht strei­tig, dass der Kläger auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre, so­dass die Entschädi­gungshöhe nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG auf ma­xi­mal drei Mo­nats­gehälter be­grenzt ist. Der Kläger hat sei­ne Kla­ge­for­de­rung hier­an aus­ge­rich­tet und drei Mo­nats­gehälter á 1.907,76 Eu­ro (Ent­gelt-grup­pe 3, Stu­fe 2 TVöD Bund) ge­for­dert. Dies hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt be­ach­tet und im Übri­gen Art und Schwe­re des Ver­s­toßes, Fol­gen und Be­deu­tung für den Kläger und das Nicht­vor­lie­gen ei­nes Wie­der­ho­lungs­fal­les zu­tref­fend gewürdigt und auf die­ser Grund­la­ge - re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den - et­wa die Hälf­te der vom Kläger be­gehr­ten Entschädi­gung für an­ge­mes­sen er­ach­tet.

C. Die An­schluss­re­vi­si­on des Klägers ist un­zulässig. Die Re­vi­si­ons­be­gründung genügt nicht den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen.

I. Die An­schluss­re­vi­si­on ist zwar in der An­schluss­schrift vom 4. Fe­bru­ar 2011 be­gründet wor­den (§ 554 Abs. 3 ZPO). Für den not­wen­di­gen In­halt die­ser Be­gründung gel­ten die­sel­ben Grundsätze wie für die Be­gründung der Re­vi­si­on. So müssen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG, § 554 Abs. 3 Satz 2, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Re­vi­si­ons­gründe an­ge­ge­ben wer­den. Bei Sachrügen sind die­je­ni­gen Umstände be­stimmt zu be­zeich­nen, aus de­nen sich die Rechts­ver­let­zung er­gibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Re­vi­si­ons­be­gründung muss den an­ge­nom­me­nen Rechts­feh­ler des Lan­des­ar­beits­ge­richts in
 


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ei­ner Wei­se ver­deut­li­chen, die Ge­gen­stand und Rich­tung des Re­vi­si­ons­an­griffs er­ken­nen lässt. Die Re­vi­si­ons­be­gründung hat sich des­halb mit den tra­gen­den Gründen des Be­ru­fungs­ur­teils aus­ein­an­der­zu­set­zen. Da­durch soll ua. si­cher­ge­stellt wer­den, dass der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te des Re­vi­si­onsklägers das an­ge­foch­te­ne Ur­teil auf das Rechts­mit­tel hin über­prüft und die Rechts­la­ge ge­nau durch­denkt. Die Re­vi­si­ons­be­gründung soll durch ih­re Kri­tik an dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil außer­dem zur rich­ti­gen Rechts­fin­dung durch das Re­vi­si­ons­ge­richt bei­tra­gen (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 346/10 - NZA 2011, 878; 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - BA­GE 130, 119 - AP BUrlG § 7 Nr. 39 = EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 15). Die bloße Dar­stel­lung an­de­rer Rechts­an­sich­ten oh­ne je­de Aus­ein­an­der­set­zung mit den Gründen des Be­ru­fungs­ur­teils genügt nicht den An­for­de­run­gen an ei­ne ord­nungs­gemäße Re­vi­si­ons­be­gründung (vgl. BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 346/10 - aaO; 13. Ok­to­ber 2009 - 9 AZR 875/08 - AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 54).


II. Die­sen An­for­de­run­gen wird die Be­gründung der An­schluss­re­vi­si­on nicht ge­recht.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat dar­ge­legt, aus wel­chen Gründen es dem Kläger ei­ne Entschädi­gung iHv. von 2.700,00 Eu­ro zu­ge­spro­chen hat.


Die An­schluss­schrift setzt sich in­so­weit mit den Ent­schei­dungs­gründen des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht aus­ein­an­der. Zunächst wie­der­holt der Kläger nur be­reits in den Vor­in­stan­zen geäußer­te Rechts­auf­fas­sun­gen in zu­sam­men­ge­fass­ter Form, de­nen das Lan­des­ar­beits­ge­richt in wei­ten Tei­len ge­folgt war. Zur Entschädi­gungshöhe ist in der An­schluss­schrift le­dig­lich aus­geführt, die­se müsse an­ge­mes­sen und ge­eig­net sein, ei­ne ab­schre­cken­de Wir­kung ha­ben und im Verhält­nis zu dem er­lit­te­nen Scha­den ste­hen. Erst­mals macht der Kläger in der An­schluss­re­vi­si­on gel­tend, es könne nicht ge­sagt wer­den, ob der Kläger auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht hätte ein­ge­stellt wer­den müssen, wes­halb von drei Mo­nats­gehältern als Entschädi­gungs­leis­tung aus­zu­ge­hen sei. Es wird nicht erläutert, wor­in der Rechts­feh­ler des Lan­des­ar­beits­ge­richts lie­gen soll, dem der Ge­setz­ge­ber als Tat­sa­chen­ge­richt bei der Be­mes­sung der Höhe der Entschädi­gung ei­nen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt hat,
 


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und in wel­cher Wei­se das Lan­des­ar­beits­ge­richt die­sen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ver­kannt bzw. ge­gen Rechtssätze, Denk­ge­set­ze oder Er­fah­rungssätze ver­s­toßen ha­ben soll.

D. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO.

Hauck 

Böck 

Brein­lin­ger

Schuck­mann 

Mall­mann

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