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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/039

Kon­trol­le ar­beits­ver­trag­li­cher Be­stim­mun­gen bei Ver­weis auf ei­nen Ta­rif­ver­trag

In­halt­li­che Kon­trol­le ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zug­nah­me auf ei­nen Ta­rif­ver­trag: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 19.08.2010, 5 Sa 628/10
Mann hinter hohem Papierstapel Streit­the­ma: AGB-Kon­trol­le
24.02.2011. Ar­beits­ver­trä­ge sind zu­meist vom Ar­beit­ge­ber vor­for­mu­lier­te Ver­trags­be­din­gun­gen, die bei Ver­trags­schluss in­halt­lich nicht be­spro­chen oder aus­ge­han­delt wer­den. Dem Ge­setz­ge­ber und der Recht­spre­chung ist dies durch­aus be­wusst. Sie schützt den Ar­beit­neh­mer je­doch da­durch, dass sol­che Ar­beits­ver­trä­ge bzw. die in ihm ent­hal­te­nen Re­ge­lun­gen ei­ner stren­gen Kon­trol­le un­ter­lie­gen. Ob sie wirk­sam sind, wird ent­we­der di­rekt (§ 305 Abs. 1 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch - BGB) oder in­di­rekt (§ 310 Abs. 3 Nr.2 BGB) an­hand des Rechts der All­ge­mei­nen Ge­schäfts­be­din­gun­gen (AGB) über­prüft.

Un­wirk­sam sind da­nach Be­stim­mun­gen, die den Ar­beit­neh­mer "un­an­ge­mes­sen be­nach­tei­li­gen". Ei­ne sol­che Be­nach­tei­li­gung kann sich ent­we­der aus dem In­halt der Re­ge­lung oder aber dar­aus er­ge­ben, dass die Re­ge­lung nicht klar und ver­ständ­lich ("trans­pa­rent") ist. Der In­halt wird al­ler­dings nur kon­trol­liert, wenn von Rechts­vor­schrif­ten ab­ge­wi­chen oder die­se er­gänzt wer­den (§ 307 Abs. 3 BGB). Als Rechts­vor­schrift in die­sem Sin­ne wer­den auch Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen und Ta­rif­ver­trä­ge be­han­delt (§ 310 Abs. 4 S. 3 BGB).

Wenn ein Ar­beits­ver­trag "glo­bal", al­so voll­stän­dig, auf ei­nen Ta­rif­ver­trag ver­weist, d.h. ei­ne Glo­bal­ver­wei­sung vor­liegt, dann wird der In­halt ei­ner ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lung dem­ent­spre­chend nicht kon­trol­liert. Da­hin­ter steckt die Ver­mu­tung, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en in der Ge­samt­heit der Re­ge­lun­gen ih­re wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen an­ge­mes­sen aus­ge­gli­chen ha­ben.

Ei­ne sol­che Ver­mu­tung kann na­tür­lich dann nicht mehr an­ge­stellt wer­den, so­bald nur noch auf ein­zel­ne Be­stim­mun­gen ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges ver­wie­sen wird. Bei ei­ner sol­chen Ein­zel­ver­wei­sung wird näm­lich die in den Ar­beits­ver­trag über­nom­me­ne, für den Ar­beit­ge­ber ver­mut­lich güns­ti­ge Re­ge­lung, nicht mehr durch ei­ne für den Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Re­ge­lung kom­pen­siert. Da da­mit ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung ver­bun­den sein kann, ist ei­ne In­halts­kon­trol­le wie­der an­ge­bracht.

Zwi­schen der Ein­zel­ver­wei­sung der Glo­bal­ver­wei­sung an­ge­sie­delt ist die so ge­nann­te Teil­ver­wei­sung, bei der zwar nicht auf den ge­sam­ten Ta­rif­ver­trag, aber im­mer­hin voll­stän­dig auf ei­nen ab­ge­schlos­se­nen Re­ge­lungs­kom­plex ver­wie­sen wird. In­wie­weit sol­che Ver­wei­sun­gen in­halt­lich kon­trol­liert wer­den müs­sen oder nicht, ist um­strit­ten.

We­gen der da­mit recht un­ter­schied­li­chen Kon­troll­dich­te kann ent­schei­dend sein, ob ei­ne Glo­bal­ver­wei­sung oder ei­ne sons­ti­ge Ver­wei­sung vor­liegt. Mit der Ab­gren­zung zwi­schen den ver­schie­de­nen Ar­ten der ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­wei­sung auf ei­nen Ta­rif­ver­trag be­schäf­tig­te sich des Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen im Au­gust 2010 (Ur­teil vom 19.08.2010, 5 Sa 628/10; Vor­in­stanz: Ar­beits­ge­richt Han­no­ver, Ur­teil vom 05.02.2010, 7 Ca 561/09). In dem zu Grun­de lie­gen­den Fall strit­ten die Par­tei­en über den An­spruch des kla­gen­den Ar­beit­neh­mers auf ei­ne Jah­res­son­der­zah­lung. Ent­schei­dend war hier, ob ei­ne per ar­beits­ver­trag­li­che Ver­wei­sung in Be­zug ge­nom­me­ne kur­ze ta­rif­li­che Aus­schluss­klau­sel wirk­sam ver­ein­bart wur­de, denn der Klä­ger hat­te die­se nicht ein­ge­hal­ten.

In dem Ver­trag war al­ler­dings nicht nur auf die Aus­schluss­klau­sel Be­zug ge­nom­men wor­den. Das LAG ver­glich da­her sämt­li­che ar­beits­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen mit dem Ta­rif­ver­trag. Als Er­geb­nis die­ser Ge­samt­schau stell­te es fest, "dass we­sent­li­che, un­ter­schied­li­che Be­rei­che des Ar­beits­ver­hält­nis­ses pau­schal und glo­bal durch die Ver­wei­sung auf den Ta­rif­ver­trag er­fasst wer­den soll­ten". Da­her ging das Ge­richt von ei­ner Glo­bal­ver­wei­sung aus und kon­trol­lier­te den In­halt der Aus­schluss­klau­sel nicht. Die Kür­ze der Aus­schluss­klau­sel führ­te da­her nicht zu ih­rer Un­wirk­sam­keit. Da sie auch ver­ständ­lich for­mu­liert wor­den war, hielt das Lan­des­ar­beits­recht Nie­der­sach­sen sie für wirk­sam ver­ein­bart. Der Ar­beit­neh­mer ver­lor folg­lich sei­nen Pro­zess.

Das LAG Nie­der­sach­sen ließ die Re­vi­si­on ge­gen sei­ne Ent­schei­dung zu. Sie ist nun beim Bun­des­ar­beits­ge­richt un­ter dem Ak­ten­zei­chen 10 AZR 559/10 an­hän­gig.

Fa­zit: Im We­sent­li­chen hat das Ge­richt ge­prüft, ob schwer­punkt­mä­ßig und in ver­schie­de­nen Re­ge­lungs­be­rei­chen auf den Ta­rif­ver­trag ver­wie­sen wird. Ist das der Fall, nimmt es ei­ne Glo­bal­ver­wei­sung an. Nur wenn der Ar­beits­ver­trag le­dig­lich er­gän­zend und oh­ne nen­nens­wer­ten An­wen­dungs­be­reich auf den Ta­rif­ver­trag ver­weist, kann sei­ner Auf­fas­sung nach ei­ne In­halts­kon­trol­le des Ar­beits­ver­tra­ges statt­fin­den. Die­se Über­le­gung hat zwar den Vor­teil, ver­gleichs­wei­se ein­deu­ti­ge Re­sul­ta­te zu pro­du­zie­ren. Ob da­mit der mit dem AGB-Recht be­ab­sich­tig­te Schutz des Ar­beit­neh­mers aus­rei­chend be­rück­sich­tigt wird, ist frag­lich. Denn auch wer sich über­wie­gend und an in ver­schie­de­nen Re­ge­lungs­be­rei­chen teil­wei­se auf ein Ta­rif­ver­trag be­zieht, kann sich nur die für ihn güns­ti­ge­ren Be­stim­mun­gen her­aus­su­chen. Es wä­re des­halb wohl sinn­voll ge­we­sen, wenn das Ge­richt auch nä­her dar­auf ein­ge­gan­gen wä­re, ob im Er­geb­nis noch ei­ne aus­ge­wo­ge­ne Re­ge­lung vor­liegt. Au­ßer­dem wä­re es wün­schens­wert, die be­vor­zug­te Be­hand­lung der "Glo­bal­ver­wei­sung" als Aus­nah­me­re­ge­lung an­zu­se­hen und dem­ent­spre­chend zu­rück­hal­tend von ihr Ge­brauch zu ma­chen.

Als Merk­pos­ten kann aus die­ser Ent­schei­dung je­den­falls mit­ge­nom­men wer­den, dass im Ein­zel­fall auch ei­ne ar­beits­ver­trag­lich in Be­zug ge­nom­me­ne ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lung der In­halts­kon­trol­le un­ter­lie­gen und dann we­gen ih­res In­halts un­wirk­sam sein kann. Ein ge­nau­er Blick in den Ar­beits­ver­trag kann hier al­so durch­aus sinn­voll sein.

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Letzte Überarbeitung: 4. August 2015

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