Update Arbeitsrecht 15|2020 vom 22.07.2020
Entscheidungsbesprechungen
LAG Köln: Frauendiskriminierende Kündigung kurz nach erlittener Fehlgeburt
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 17.01.2020, 4 Sa 862/17
Es stellt eine Diskriminierung wegen des Geschlechts dar, wenn einer Frau wegen möglicher künftiger Schwangerschaften gekündigt wird.
§§ 1, 3, 7, 15, 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); §§ 134, 622 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Rechtlicher Hintergrund
Eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, wenn sie den gekündigten Arbeitnehmer unzulässig diskriminiert und daher gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstößt. Denn obwohl es in § 2 Abs.4 AGG heißt, dass für Kündigungen „ausschließlich“ die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten sollen, ist heute allgemein anerkannt, dass eine Kündigung, die die Diskriminierungsverbote der §§ 1, 3, 7 AGG missachtet, gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und daher gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam ist.
Wer daher einer Arbeitnehmerin kündigt, weil er befürchtet, dass sie künftig schwanger werden könnte, verstößt gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts (§§ 1, 2 Abs.1 Nr.2, 7 Abs.1 AGG).
Da diskriminierende Motive schwer zu beweisen sind, enthält § 22 AGG eine Beweiserleichterung. Danach muss eine möglicherweise diskriminierte Person vor Gericht zunächst nur Indizien vortragen bzw. beweisen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Dann muss die Gegenpartei nachweisen, dass letztlich doch kein Verstoß gegen die Diskriminierungsverbote des AGG vorgelegen hat.
In einem aktuellen Fall des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln hatte ein Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin unter Begleitumständen gekündigt, die als Indizien für eine geschlechtsbedingte Diskriminierung gemäß § 22 AGG anzusehen waren.
Sachverhalt
Eine zu Anfang 2017 eingestellte Arbeitnehmerin informierte ihren Chef, einen Rechtsanwalt, am 24.01.2017 (Dienstag) über eine Fehlgeburt im frühen Stadium, die sie an diesem Tag erlitten hatte. Infolgedessen war sie bis zum Ende der Woche arbeitsunfähig.
Im Verlauf des 10.02.2017 (Freitag) erkrankte sie erneut und verließ ihren Arbeitsplatz. Am Montag darauf wurde sie für zwei Wochen krankgeschrieben. Das nahm der Arbeitgeber zum Anlass für eine postwendend erklärte ordentliche Kündigung, die er als Probezeitkündigung mit zweiwöchiger Frist gemäß § 622 Abs.3 BGB aussprach.
In dem Kündigungsschreiben vom 13.02.2017 wurde die Kündigung mit den Krankheitszeiten begründet. Außerdem stellte der Arbeitgeber einen möglichen Neuabschluss des Arbeitsverhältnisses nach Genesung seiner Angestellten in Aussicht.
Diese reagierte mit SMS vom 16.02.2017 (Donnerstag) wenig begeistert und erwähnte ein Vier-Augen-Gespräch kurz vor Ausspruch der Kündigung, in dem der Arbeitgeber angeblich gesagt haben soll, dass er der Angestellten kündigen würde, sollte sie den Wunsch haben, erneut schwanger zu werden. In einem Antwort-Schreiben des Arbeitgebers vom 22.02.2017 (Mittwoch), mit dem er auf die SMS reagierte, hieß es dann u.a.:
„Wenn Ihre Lebensplanung schon beim Einstellungsgespräch war, kurzfristig schwanger zu werden, hätten Sie mir dies offenbaren müssen, da Sie dann für die zu besetzende Stelle nicht in Frage gekommen wären.“
Die Angestellte erhob Kündigungsschutzklage, mit der sie sich gegen die Kündigung vom 13.02.2017 und gegen zwei weitere, später nachgeschobene Kündigungen zur Wehr setzte. Außerdem verlangte sie unter Berufung auf § 15 Abs.2 AGG eine Geldentschädigung wegen erlittener Diskriminierung.
Das Arbeitsgericht Köln bewertete die Kündigung vom 13.02.2017 als diskriminierend und daher als unwirksam. Außerdem sprach es der Angestellten eine Entschädigung von 1,5 Gehältern wegen der erlittenen Diskriminierung zu. Eine der später ausgesprochenen Kündigungen hielt das Arbeitsgericht aber für wirksam (Urteil vom 28.09.2017, 6 Ca 1413/17).
Das LAG Köln wies die Berufung beider Parteien zurück (Urteil vom 11.12.2018), wurde aber vom Bundesarbeitsgericht (BAG) wegen einer unterlassenen Zeugenanhörung gerüffelt (BAG, Beschluss vom 27.06.2019, 2 AZN 127/19). Es musste daher - nach erfolgter Zeugenanhörung - erneut über den Fall entscheiden.
Entscheidung des LAG Köln
Das LAG wies die Berufungen beider Parteien (erneut) zurück. Zur Begründung für die Zurückweisung der Berufung des Arbeitgebers heißt es:
Die Kündigung vom 13.02.2017 war eine unmittelbare geschlechtsbedingte Diskriminierung, §§ 1, 3 Abs.1, 7 Abs.1 AGG. Denn eine Kündigung wegen einer (geplanten) Schwangerschaft der Arbeitnehmerin kann nur Frauen betreffen und knüpft damit unmittelbar am Geschlecht an. Die Kündigung war daher wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 7 Abs.1 AGG in Verb. mit § 134 BGB unwirksam.
Denn der Grund für die Kündigung vom 13.02.2017 war, jedenfalls als Teil eines Motivbündels, auch die künftige Möglichkeit einer Schwangerschaft der Angestellten, so das LAG. Dabei stützt sich das Gericht auf das Schreiben des Arbeitgebers vom 22.02.2017, in dem es heißt, dass die Angestellte für die zu besetzende Stelle nicht in Frage gekommen wäre, wenn ihre Lebensplanung schon beim Einstellungsgespräch war, kurzfristig schwanger zu werden (Urteil, Rn.86).
Diese Äußerungen lassen nach Ansicht des LAG aufgrund ihrer zeitlichen Nähe zu der wenige Tage zuvor ausgesprochenen Kündigung den Schluss zu, dass der Arbeitgeber die Kündigung zumindest auch wegen befürchteter Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses infolge künftiger Schwangerschaften ausgesprochen hatte (Urteil, Rn.86).
Diese Umstände waren ausreichend für die Vermutung einer (unmittelbaren) Diskriminierung der Angestellten wegen ihres Geschlechts, § 22 AGG. Die Vermutung hatte der Arbeitgeber nicht widerlegen können (Urteil, Rn.91-93).
Daher war es auch angemessen, dass der Arbeitgeber eine Geldentschädigung von 1,5 Gehältern zahlen musste.
Praxishinweis
Wer in einem Kleinbetrieb mit bis zu zehn Arbeitnehmern (wie hier im Kölner Streitfall) eine gerade erst einige Wochen lang beschäftigte Arbeitnehmerin kündigt, hat im Allgemeinen keinen Anlass, geschweige denn eine rechtliche Pflicht, sich seine „Kündigungsgründe“ überhaupt klarzumachen. Er braucht nämlich nach der Rechtsprechung des BAG gar keine Kündigungsgründe, d.h. er hat das Recht, „aus dem Bauch heraus“ zu kündigen.
Diese Berechtigung geht allerdings nicht so weit, krankheitsbedingte Ausfallzeiten in den ersten Monaten des Arbeitsverhältnisses mit einem möglicherweise bestehenden Kinderwunsch einer Arbeitnehmerin in einen Topf zu rühren. Denn krankheitsbedingte Fehlzeiten haben mit dem Geschlecht nichts zu tun, der Wunsch, schwanger zu werden, dagegen schon.
Daher hat es dem Arbeitgeber im Kölner Streitfall auch nicht geholfen, vor Gericht auf die Krankheitszeiten als den angeblich wesentlichen Kündigungsgrund zu verweisen. Denn dieser Kündigungsgrund schließt eine weitere - hier anzunehmende - diskriminierende Motivation für die Kündigung nicht aus.
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 17.01.2020, 4 Sa 862/17
Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Rechte Betroffener
Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Geschlecht
Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Kündigung wegen Krankheit
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