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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 25|2022

Update Arbeitsrecht 25|2022 vom 14.12.2022

Entscheidungsbesprechungen

LAG Düsseldorf: Betriebsräte dürfen Präsenzseminare auch dann buchen, wenn Onlineschulungen günstiger sind

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2022, 8 TaBV 59/21

Betriebsräte sind nicht verpflichtet, bei der Auswahl von Schulungsveranstaltungen für ihre Mitglieder aus Kostengründen ein Online-Seminar („Webinar“) anstelle einer Präsenzveranstaltung zu buchen.

§§ 37 Abs.6 Satz 1; 40 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Rechtlicher Hintergrund

Betriebsratsmitglieder sind gemäß § 37 Abs.2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) von ihrer Arbeitspflicht bezahlt freizustellen, „wenn und soweit“ dies nach den betrieblichen Gegebenheiten zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Das gilt gemäß § 37 Abs.6 Satz 1 BetrVG auch für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, falls diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. 

Liegen diese Voraussetzungen vor, d.h. gibt es Wissenslücken eines Betriebsratsmitglieds und ist das fehlende Wissen notwendig für die Betriebsratsarbeit, ist es Aufgabe des Betriebsrats, als Gremium durch Beschluss darüber zu entscheiden, dass und zu welcher Fortbildungsveranstaltung das Betriebsratsmitglied entsandt wird.

Dabei hat der Betriebsrat einen Beurteilungsspielraum. Bei der Festlegung der zeitlichen Lage einer gebuchten Fortbildung muss der Betriebsrat die betrieblichen Notwendigkeiten berücksichtigen (§ 37 Abs.6 Satz 3 BetrVG). Darüber hinaus sind bei der Entscheidung auch wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Unter gleich gut geeigneten Veranstaltungen ist die preisgünstigste zu wählen.

Hält sich die vom Betriebsrat getroffene Entscheidung für eine bestimmte Fortbildungsveranstaltung in den Grenzen seines Entscheidungsspielraums, muss der Arbeitgeber gemäß § 40 Abs.1 BetrVG sämtliche Kosten für die gebuchte Fortbildung übernehmen. 

Dazu gehören die Kursgebühren sowie - falls nötig - die Reisekosten und Übernachtungskosten für die Teilnahme an einer auswärtigen Veranstaltung. Darüber hinaus haben Betriebsratsmitglieder einen Anspruch auf Lohn- bzw. Gehaltsfortzahlung während der Dauer der Fortbildung, d.h. sie können eine bezahlte Freistellung verlangen.

In einem aktuellen Fall des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf stritten Arbeitgeber und Betriebsrat über Verpflichtung des Arbeitgebers zur Übernahme von Schulungskosten für ein viertägiges Präsenzseminar, zu dem die betriebliche Personalvertretung eines Luftverkehrsunternehmens zwei Mitglieder entsandt hatte.

Sachverhalt

Bei einem Luftverkehrsunternehmen war eine Personalvertretung Kabine (PV Kabine) gebildet, für die die Vorschriften des BetrVG entsprechend galten. Die PV Kabine wollte zwei in Düsseldorf und Köln wohnende Mitglieder zu einer Präsenzschulung „Betriebsverfassungsrecht Teil 1“ in Binz auf Rügen entsenden. Das Unternehmen schlug vor, aus Kostengründen einen ortsnäheren Seminarort zu wählen oder ein Online-Seminar („Webinar“) zu buchen.

Die PV Kabine beschloss daraufhin, ihre beiden Mitglieder zu einem Präsenzseminar „Betriebsverfassungsrecht Teil 1“ in Potsdam zu entsenden. Für das viertägige Seminar vom 24.08.2021 (Dienstag) bis zum 27.08.2021 (Freitag) fielen für beide Teilnehmer zusammen 1.818,32 EUR brutto Kursgebühren sowie 1.319,26 EUR brutto Übernachtungs- und Verpflegungskosten an. Die Hin- und Rückreise erfolgte per Flugzeug nach Berlin auf Flügen des Unternehmens, und zwar auf Plätzen, die von Kunden nicht gebucht worden waren.

Das Luftverkehrsunternehmen verweigerte die Übernahme der Kosten für Schulung, Übernachtung und Verpflegung. Aus seiner Sicht hätten die beiden Mitglieder der PV Kabine an einem kostengünstigeren Webinar mit demselben Schulungsinhalt teilnehmen können. Dann wären keine Übernachtungs- und Verpflegungskosten angefallen. Außerdem hätte man im selben Zeitraum im näheren Einzugsgebiet auch günstigere Präsenzseminare buchen können. 

Aus Sicht der PV Kabine bestand keine Pflicht zum Besuch eines Webinars. Ortsnähere Präsenzseminare wären urlaubsbedingt nicht in Betracht gekommen. Daher beantragte die PV Kabine im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, das Unternehmen zu verpflichten, sie von den Schulungs-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten für das Seminar in Potsdam freizustellen.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf gab dem Antrag statt (Beschluss vom 17.11.2021, 10 BV 126/21). Daraufhin beglich das Unternehmen zwar die Kursgebühren, wollte aber weiterhin nicht die Übernachtungs- und Verpflegungskosten übernehmen. Daher legte es wegen dieser Kosten Beschwerde zum LAG Düsseldorf ein.

Entscheidung des LAG Düsseldorf

Das LAG Düsseldorf wies die Beschwerde zurück. Der Betriebsrat konnte nicht nur die Übernahme der Kursgebühren verlangen, sondern auch die Freistellung von den Kosten für Übernachtung und Verpflegung. Anspruchsgrundlage war § 40 Abs.1 in Verb. mit § 37 Abs.6 BetrVG. Denn, so das LAG in der derzeit allein vorliegenden Pressemitteilung:

Das streitige Seminar in Potsdam vermittelte den beiden Mitgliedern der PV Kabine Kenntnisse, die für die Arbeit in der PV Kabine bzw. für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Dies war hier zwischen den Parteien (mittlerweile) unstreitig.

Daher blieb die Frage, ob sich die PV Kabine für ein kostengünstigeres Webinar anstelle einer teureren Präsenzveranstaltung hätte entscheiden müssen. Nein, so das LAG.

Denn die PV Kabine muss zwar bei ihrer Entscheidung die betriebliche Situation und die mit der Schulungsveranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers berücksichtigen. Allerdings hat sie bei der Auswahl zwischen verschiedenen Seminaren einen Beurteilungsspielraum. 

Nur wenn mehrere gleichzeitig angebotene Veranstaltungen - nach Ansicht der PV Kabine innerhalb ihres Beurteilungsspielraums - als qualitativ gleichwertig anzusehen sind, ist es denkbar, dass der Arbeitgeber nur die Kosten für die preiswertere Veranstaltung tragen muss.

Im Streitfall war die PV Kabine zu der Einschätzung gekommen, dass ein Webinar und eine Präsenzveranstaltung auch bei gleichem Inhalt qualitativ nicht vergleichbar sind. Diese Bewertung hielt sich in den Grenzen ihres Beurteilungsspielraums. Dabei ging die PV Kabine von der Annahme aus, dass der Lerneffekt bei einer Präsenzveranstaltung deutlich höher ist als bei einem Webinar. Diese Annahme war laut LAG „nicht zu beanstanden“. 

Denn ein Austausch und eine Diskussion über bestimmte Themen sind bei einem Webinar in schlechterem Maße möglich als bei einer Präsenzveranstaltung. Ein Webinar stellt eher einen „Frontalunterricht“ dar. Hier verweist das LAG auf die Hemmschwelle, sich online an Diskussionen zu beteiligen. Diese Schwelle sei weitaus höher als bei einem Präsenzseminar.

Praxishinweis

Dem LAG ist zuzustimmen. Bei Seminarveranstaltungen für Betriebsräte ist davon auszugehen, dass die Teilnehmer weit überwiegend keine juristischen Vorkenntnisse im Recht der Betriebsverfassung haben. Daher besteht die Gefahr von Missverständnissen, die es notwendig macht, möglichst viele Teilnehmer möglichst intensiv in das Gespräch einzubeziehen. Das ist im Rahmen eines Online-Seminars kaum möglich.

Außerdem kommt es bei Fortbildungsveranstaltungen für Betriebsräte auch auf den Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen den Teilnehmern an. Diese Kommunikation ist aber bei Webinaren praktisch so gut wie ausgeschlossen.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2022, 8 TaBV 59/21 (Pressemitteilung des Gerichts)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2022, 8 TaBV 59/21

 

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsrat 

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Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsratsschulung

 

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