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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/230

Ab­schluss von Ta­rif­ver­trag durch an­de­ren Ar­beit­ge­ber

Bun­des­ar­beits­ge­richt nennt Vor­aus­set­zung der Ver­tre­tung: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 18.11.2009, 4 AZR 491/08
Handschlag Playmobil Wirk­sa­me Ver­tre­tung bei Ab­schluss ei­nes Fir­men­ta­rif­ver­tra­ges

11.12.2009. Was er­for­der­lich ist, da­mit ein Ta­rif­ver­trag wirk­sam in Ver­tre­tung ge­schlos­sen wer­den kann, zeigt ein Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG): BAG, Ur­teil vom 18.11.2009, 4 AZR 491/08.

Vor­aus­set­zung zum Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags

Ta­rif­verträge wer­den ent­we­der zwi­schen Ge­werk­schaf­ten und Ar­beit­ge­ber­verbänden ver­ein­bart, oder die Ge­werk­schaf­ten ver­ein­ba­ren mit ei­nem ein­zel­nen Ar­beit­ge­ber ei­nen so ge­nann­ten Haus- oder Fir­men­ta­rif­ver­trag, der nicht für ei­ne gan­ze Bran­che, son­dern nur für ein spe­zi­el­les Un­ter­neh­men gilt.

Auf die Mit­glie­der der ta­rif­sch­ließen­den Par­tei­en fin­den die Ta­rif­verträge dann un­mit­tel­bar und zwin­gend, d.h. wie ein Ge­setz An­wen­dung. Die Gel­tung von Ta­rif­verträgen (ei­nes be­stimm­ten, ei­ner Bran­che bzw. des je­weils ak­tu­el­len) kann je­doch auch ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bart wer­den.

Lan­ge Zeit war um­strit­ten, ob in Ta­rif­verträgen Re­ge­lun­gen zulässig sind, die Ge­werk­schafts­mit­glie­der ge­genüber Ar­beit­neh­mern, auf die ein Ta­rif­ver­trag nur auf­grund ar­beits­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung An­wen­dung fand, be­vor­zu­gen. Erst seit ei­ner Ent­schei­dung des BAG (4 AZR 64/08) vom 18.03.2009 (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/076: Bes­ser­stel­lung von Ge­werk­schafts­mit­glie­dern durch ta­rif­li­che Dif­fe­ren­zie­rungs­klau­seln) ent­spricht es höchst­rich­ter­li­cher Recht­spre­chung, dass der­ar­ti­ge Ver­ein­ba­run­gen dann nicht zu be­an­stan­den sind, wenn der Ar­beit­ge­ber die Möglich­keit behält, frei­wil­lig den Nicht­ge­werk­schafts­mit­glie­dern glei­che Leis­tun­gen zu gewähren (so ge­nann­te „ein­fa­che Dif­fe­ren­zie­rungs­klau­seln“).

Fast nie wird da­ge­gen über die Un­wirk­sam­keit oder Un­an­wend­bar­keit ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges we­gen Formmängeln ge­strit­ten. Dies­bezüglich re­gelt § 1 Abs. 2 Ta­rif­ver­trags­ge­setz (TVG) nur, dass Ta­rif­verträge der Schrift­form bedürfen, ei­ne Vor­schrift, ge­gen die ei­gent­lich nie ver­s­toßen wird.

Auch außer­halb des TVG gibt es je­doch Re­ge­lun­gen, die für die Wirk­sam­keit oder den An­wen­dungs­be­reich ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges ei­ne Rol­le spie­len. So enthält das TVG sel­ber für die Ver­tre­tung ei­ner Par­tei bei Ab­schluss des Ta­rif­ver­tra­ges nur ei­ne Re­ge­lung für die Ver­tre­tung von Verbänden durch Spit­zen­or­ga­ni­sa­tio­nen (§ 2 Abs. 2 TVG). Da ein Ta­rif­ver­trag je­doch ei­nem „nor­ma­len“ pri­va­ten Ver­trag nicht unähn­lich ist, wird all­ge­mein an­ge­nom­men, dass ei­ne Ver­tre­tung nach den für die­se Verträge gel­ten­den Re­ge­lun­gen (§§ 164ff. Bürger­li­ches Ge­setz­buch – BGB) möglich ist. Ei­ne Ge­werk­schaft kann sich al­so durch ei­ne an­de­re eben­so ver­tre­ten las­sen, wie ein Ar­beit­ge­ber­ver­band oder ein Ar­beit­ge­ber durch ei­nen an­de­ren.

Gemäß BGB ist für ei­ne Ver­tre­tung er­for­der­lich, dass der Ver­tre­ter be­vollmäch­tigt ist (§ 167 BGB) und nach außen deut­lich wird, dass er in Ver­tre­tung han­delt (§ 164 Abs. 2 BGB).

Frag­lich ist, wel­che An­for­de­run­gen zu stel­len sind, wenn ein Ar­beit­ge­ber in Ver­tre­tung für ei­nen an­de­ren ei­nen Haus­ta­rif­ver­trag ab­sch­ließt. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts – BAG – (Ur­teil vom 18.11.2009, 4 AZR 491/08).

Der Fall des Bun­des­ar­beits­ge­richts: Kran­ken­schwes­ter be­gehrt ta­rif­li­che Son­der­zah­lung. Haus­ta­rif­ver­trag wur­de durch an­de­ren Ar­beit­ge­ber ab­ge­schlos­sen

Die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin war als Kran­ken­schwes­ter beschäftigt. In ih­rem Ar­beits­ver­trag war u.a. die Gel­tung der zwi­schen Ar­beit­ge­ber­ver­band und ÖTV (die in­zwi­schen in ver.di auf­ge­gan­gen ist) ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge so­wie „al­le die­se ergänzen­den und ändern­den Ta­rif­verträge“ ver­ein­bart. Seit 1998 wur­den die Ta­rif­verträge teil­wei­se durch Haus­ta­rif­verträge er­setzt, nach de­nen die Kran­ken­schwes­ter be­stimm­te Son­der­zah­lun­gen er­hielt.

Im Jahr 2007 schloss u.a. ver.di als „Nach­fol­ge­rin“ der ÖTV mit der D-Hol­ding AG ei­nen als „Ta­rif­ver­trag über die Gewährung ei­ner jähr­li­chen Son­der­zah­lung“ (TV Son­der­zah­lung) be­zeich­ne­ten Haus­ta­rif­ver­trag. Dort ver­ein­bart wur­de die Zah­lung ei­ner vom Kon­zern­er­geb­nis abhängi­gen Son­der­zah­lung mit ei­nem ga­ran­tier­ten Min­dest­fak­tor, der für ver.di-Mit­glie­der höher war als für nicht in der Ge­werk­schaft or­ga­ni­sier­te Beschäftig­te (so ge­nann­te ein­fa­che Dif­fe­ren­zie­rungs­klau­sel). Nach sei­nem Gel­tungs­be­reich er­fass­te der TV-Son­der­zah­lung auch den Be­trieb, in dem die Kran­ken­schwes­ter beschäftigt war und wur­de von ih­rem Ar­beit­ge­ber auch an­ge­wandt.

Die Kran­ken­schwes­ter war nicht Ge­werk­schafts­mit­glied und er­hielt des­we­gen ei­ne um fast 1.500 EUR nied­ri­ge­re Son­der­zah­lung als sie als ver.di-Mit­glied er­hal­ten hätte. Sie klag­te des­halb vor dem Ar­beits­ge­richt auf Zah­lung die­ser Dif­fe­renz.

So­wohl das Ar­beits­ge­richt Kiel als auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein (Ur­teil vom 07.05.2008, 6 Sa 424/07) ga­ben ihr Recht. Mit der Fra­ge, ob der Ar­beit­ge­ber der Kran­ken­schwes­ter bei Ab­schluss des Haus­ta­rif­ver­tra­ges wirk­sam von der D-Hol­ding AG ver­tre­ten wor­den war, be­fas­sen sich die Ent­schei­dun­gen gar nicht. Die ein­fa­che Dif­fe­ren­zie­rungs­klau­sel hal­ten bei­de In­stan­zen für un­wirk­sam, was dar­auf zurück­zuführen ist, dass die Ur­teils­verkündung zeit­lich vor der an­ders lau­ten­den Ent­schei­dung des BAG lag.

Bun­des­ar­beits­ge­richt: Ver­tre­tung un­wirk­sam, weil nicht nach außen er­kenn­bar

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied ge­gen die Kran­ken­schwes­ter.

Hin­sicht­lich der Wirk­sam­keit der ein­fa­chen Dif­fe­ren­zie­rungs­klau­sel ver­weist die der­zeit al­lein vor­lie­gen­de Pres­se­erklärung (PM 111/09) kurz und bündig auf die Ent­schei­dung vom 18.03.2009, nach der der­ar­ti­ge Klau­seln wirk­sam sind.

Hier­auf kommt es aber gar nicht an. Das BAG hält den TV-Son­der­zah­lung nämlich für auf das Ar­beits­verhält­nis der Kran­ken­schwes­ter nicht an­wend­bar, weil ihr Ar­beit­ge­ber durch die D-Hol­ding AG nicht wirk­sam ver­tre­ten wor­den war. Das BAG bemängelt, dass die Ver­tre­tung nicht aus­rei­chend nach außen do­ku­men­tiert wur­de. Ent­we­der hätte der Ar­beit­ge­ber der Kran­ken­schwes­ter aus­drück­lich als Par­tei im Ta­rif­ver­trag ge­nannt wer­den müssen oder aus den Umständen hätte sich die Ver­tre­tung er­ge­ben müssen, so das BAG. Da Ta­rif­verträge aber nur wirk­sam sind, wenn sie schrift­lich ver­fasst sind, müssen die Umstände, aus de­nen sich ei­ne Ver­tre­tung er­gibt, eben­falls schrift­lich nie­der­ge­legt sein, meint das BAG. Dass die D-Hol­ding AG den Ta­rif­ver­trag zu­gleich in Ver­tre­tung des Ar­beit­ge­bers der Kran­ken­schwes­ter ge­schlos­sen hat­te, war aus dem Ta­rif­text sel­ber je­doch nicht er­kenn­bar.

Die Tat­sa­che, dass der Ar­beit­ge­ber den Ta­rif­ver­trag an­wand­te und da­bei Ge­werk­schafts­mit­glie­der be­vor­zug­te, half der Kran­ken­schwes­ter eben­falls nicht. Hier­an kann kei­ne sach­wid­ri­ge Un­gleich­be­hand­lung der Kran­ken­schwes­ter lie­gen, weil der Ar­beit­ge­ber le­dig­lich ei­nen ver­meint­lich wirk­sa­men Ta­rif­ver­trag voll­zo­gen hat­te, an den er sei­ner An­sicht nach zwin­gend ge­bun­den war.

Fa­zit: Ein un­gewöhn­li­cher Fall, der zeigt, dass auch beim Ab­schluss von Ta­rif­verträgen „Form­feh­ler“ auf­tre­ten können.

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Letzte Überarbeitung: 15. September 2016

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