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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/133

AÜG: Un­an­ge­mes­se­ne Ver­mitt­lungs­pro­vi­si­on des Ver­lei­hers

Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen Ent­lei­her und Ver­lei­her dür­fen Ar­beits­platz­wech­sel nicht er­schwe­ren: Bun­des­ge­richts­hof, Ur­teil vom 11.03.2010, III ZR 240/09
Hunderteuroscheine An­ge­mes­sen­heit der Ver­mitt­lungs­pro­vi­si­on nach Ar­beit­neh­mer­über­las­sung
12.07.2010. Leih­ar­beit bzw. Zeit­ar­beit ist durch ge­wis­se Än­de­run­gen im Ar­beit­neh­mer­über­las­sungs­ge­setz (AÜG) ein ernst­zu­neh­men­der Wirt­schafts­fak­tor ge­wor­den. Ar­beit­neh­mer, die von ih­rem Ar­beit­ge­ber auf Zeit oder teil­wei­se so­gar auf Dau­er an stän­dig wech­seln­de Ent­lei­her ver­lie­hen wer­den, sind da­bei nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers nicht nur bil­li­ge und schnell aus­tausch­ba­re Ar­beits­kräf­te, son­dern zu­gleich mög­li­che neue Ar­beit­neh­mer des Ent­lei­hers.

Dem Ver­lei­her ist der Ver­lust von Be­schäf­tig­ten al­ler­dings nicht im­mer will­kom­men, ins­be­son­de­re wenn es sich um be­währ­te Fach­kräf­te han­delt. Aber selbst der an häu­fig wech­seln­de Be­schäf­tig­te ge­wohn­te Ver­lei­her hat im Zwei­fel In­ter­es­se dar­an, et­was an dem En­de des Ar­beits­ver­hält­nis­ses mit dem Leih­ar­beit­neh­mer bzw. an dem neu­en Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis zwi­schen dem Leih­ar­bein­neh­mer und dem (ehe­ma­li­gen) Ent­lei­her zu ver­die­nen. Im­mer­hin war er es, der den Ar­beit­neh­mer an den Ent­lei­her "ver­mit­telt" hat. Der Ge­setz­ge­ber re­spek­tiert das und er­laubt die Ver­ein­ba­rung "an­ge­mes­se­ner" Ver­mitt­lungs­ver­gü­tun­gen. Das obers­te deut­sche Zi­vil­ge­richt - der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) - hat­te nun erst­mals über die Fra­ge zu ent­schei­den, was in die­sem Sin­ne "an­ge­mes­sen" ist: BGH, Ur­teil vom 11.03.2010, III ZR 240/09.

Ent­lei­her möch­ten ih­re Ar­beit­neh­mer ver­lei­hen oder ei­ne Vergütung für die "Ver­mitt­lung" ih­res Ar­beit­neh­mers

Bei der ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­merüber­las­sung, auch Leih- oder Zeit­ar­beit ge­nannt, überlässt ei­ne Zeit­ar­beits­fir­ma – der so­ge­nann­te Ver­lei­her - ih­re Ar­beit­neh­mer für ei­nen ge­wis­sen Zeit­raum an den Ent­lei­her. Auf die­se kann et­wa die Su­che nach ge­eig­ne­ten Mit­ar­bei­tern, die zur Ver­tre­tung oder für ein be­stimm­tes Pro­jekt ge­braucht wer­den, er­leich­tert wer­den. Häufig geht es auch schlicht um die Ab­de­ckung ei­nes kurz­fris­ti­gen Be­darfs.

Zwi­schen dem Ent­lei­her und dem Ar­beit­neh­mer be­steht bei rechtmäßiger Ar­beit­neh­merüber­las­sung kei­ner­lei Ar­beits­verhält­nis. Er erhält sei­nen Ar­beits­lohn al­so wei­ter­hin von dem Ver­lei­her. Die­ser wie­der­um erhält vom Ent­lei­her ei­ne Vergütung für die Zeit der Ver­lei­he. An­ders als bei der Ar­beits­ver­mitt­lung ist es auch nicht das Ziel des Ver­lei­hers, ei­nen Ar­beits­ver­trag zwi­schen dem Leih­ar­beit­neh­mer und dem Ent­lei­her her­bei­zuführen und dafür wie ein Mak­ler ei­ne Pro­vi­si­on zu er­hal­ten. Sein Geschäfts­mo­dell ist viel­mehr dar­auf aus­ge­rich­tet, "sei­ne" Ar­beit­neh­mer auch zu be­hal­ten, um sie später wei­ter ver­lei­hen zu können.

Po­li­tisch ge­wollt ist das je­doch nicht. Viel­mehr soll die Ar­beit­neh­merüber­las­sung ei­ne Möglich­keit für Ar­beit­neh­mer sein, ei­nem "ech­ten" Ar­beit­ge­ber ih­re Fähig­kei­ten zu be­wei­sen und auf die­se Wei­se möglichst schnell ei­nen re­gulären Ar­beits­platz im Un­ter­neh­men des Ent­lei­hers zu er­hal­ten. Der Ar­beit­neh­mer soll al­so qua­si bei sei­nem Ent­lei­her "kle­ben" blei­ben.

Um die­se gänz­lich ver­schie­de­nen In­ter­es­sen recht­lich ab­zu­si­chern, wer­den in § 9 Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz (AÜG) be­stimm­te Ver­ein­ba­run­gen un­ter­sagt. Bei­spiels­wei­se darf ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer nicht vom Ver­lei­her ver­bo­ten wer­den, nach dem En­de ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses bei dem (ehe­ma­li­gen) Ent­lei­her zu ar­bei­ten (§ 9 Nr.4 AÜG). Auch dem Ent­lei­her kann nicht ver­bo­ten wer­den, später sei­nen bewähr­ten Leih­ar­beit­neh­mer selbst ein­zu­stel­len. Ver­lei­her und Ent­lei­her dürfen al­ler­dings ei­ne "an­ge­mes­se­ne" Vergütung für die "Ver­mitt­lung" ver­ein­ba­ren (§ 9 Nr.3 AÜG).

Die­se An­fang 2004 ein­geführ­te Re­ge­lung lässt al­ler­dings völlig of­fen, was in die­sem Sin­ne (noch) "an­ge­mes­sen" ist. Nun hat der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) sich der Fra­ge zum ers­ten Mal an­ge­nom­men (BGH, Ur­teil vom 11.03.2010, III ZR 240/09).

Der Fall: Ent­lei­her will das 200fache des für die Über­las­sung ver­ein­bar­ten St­un­den­sat­zes als Ver­mitt­lungs­vergütung

Die Kläge­rin be­trieb ge­werb­li­che Ar­beit­neh­merüber­las­sung. Sie hat­te der Be­klag­ten ei­nen ih­rer Ar­beit­neh­mer – ei­nen Schweißer - zunächst als Leih­ar­beit­neh­mer über­las­sen. Die Be­klag­te zahl­te der Kläge­rin für des­sen Ein­satz in ih­rem Be­trieb 25 € pro St­un­de. Im Über­las­sungs­ver­trag war ver­ein­bart:

„Wenn der Ent­lei­her mit dem Ar­beit­neh­mer in­ner­halb von 6 Mo­na­ten nach dem En­de der Über­las­sung ein Beschäfti­gungs­verhält­nis be­gründet, hat er ei­ne Pro­vi­si­on in der 200fachen Höhe des für die Über­las­sung ver­ein­bar­ten St­un­den­ver­rech­nungs­sat­zes zu zah­len“

Als die Be­klag­te und der Ar­beit­neh­mer be­reits ei­nen Mo­nat nach Be­ginn der Über­las­sung tatsächlich ei­nen Ar­beits­ver­trag schlos­sen, ver­lang­te die Kläge­rin dem­ent­spre­chend ei­ne Pro­vi­si­on von 5000 €. Die Be­klag­te wei­ger­te sich, zu zah­len, die Kla­ge wur­de vom Amts­ge­richt ab­ge­wie­sen. Nach­dem die Be­ru­fung der Kläge­rin er­folg­reich war, leg­te die Be­klag­te Re­vi­si­on zum BGH ein.

Bun­des­ge­richts­hof: Ei­ne star­re Ver­mitt­lungs­vergütung dürfen Ver­lei­her und Ent­lei­her nicht ver­ein­ba­ren

Der BGH gab der Re­vi­si­on statt. Die Pro­vi­si­on in Höhe des 200fachen Ta­ges­sat­zes für die Ver­lei­hung sei nicht an­ge­mes­sen, die gan­ze Klau­sel des­halb un­wirk­sam nach § 9 Nr. 3 S. 1 AÜG. Ei­ne Pro­vi­si­on stand der Kläge­rin dem­ent­spre­chend nicht zu.

Ei­ne an­ge­mes­se­ne Pro­vi­si­on, so der BGH, müsse grundsätz­lich nach der Dau­er des vor­an­ge­gan­ge­nen Ver­leihs ge­staf­felt sein. Dies er­ge­be sich aus der Ge­set­zes­be­gründung. Dort sind ins­be­son­de­re drei Kri­te­ri­en für die An­ge­mes­sen­heit der Pro­vi­si­on ge­nannt: die Dau­er des vor­an­ge­gan­ge­nen Ver­leihs, die Höhe des vom Ent­lei­her für den Ver­leih be­reits ge­zahl­ten Ent­gelts und der Auf­wand des Ver­lei­hers für die Ge­win­nung ei­nes ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mers.

Die ers­ten bei­den Kri­te­ri­en verändern sich zwangsläufig bzw. ty­pi­scher­wei­se mit zu­neh­men­der Dau­er des Ver­leihs. Dies zei­ge den Wil­len des Ge­setz­ge­bers, dass ei­ne Pro­vi­si­on grundsätz­lich da­nach ge­staf­felt sein müsse. Ei­ne „star­re“ Pro­vi­si­on könne da­ge­gen nur aus­nahms­wei­se an­ge­mes­sen sein, wenn sie so nied­rig sei, dass sie den Ent­lei­her vernünf­ti­ger­wei­se nicht da­von ab­hal­ten könne, den Ar­beit­neh­mer zu über­neh­men.

Im Übri­gen war der BGH der Auf­fas­sung, dass die zu ho­he und da­mit un­an­ge­mes­se­ne Pro­vi­si­on auch nicht auf den an­ge­mes­se­nen Be­trag her­ab­ge­setzt wer­den kann. Die­sen Un­ter­schied zu ei­nem ech­ten Ar­beits­ver­mitt­lungs­ver­trag be­gründet das Ge­richt mit dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers: Die­ser ha­be im AÜG be­wusst in ers­ter Li­nie das Grund­recht des Ar­beit­neh­mers auf freie Ar­beits­platz­wahl schützen wol­len und sich da­her ge­zielt ge­gen ei­ne sol­che An­pas­sung ent­schie­den. Denn schon die Un­si­cher­heit darüber, ob der vom Ent­lei­her ge­for­der­te Be­trag un­an­ge­mes­sen sei, sei ge­eig­net, den Ver­lei­her von ei­ner Über­nah­me des Ar­beit­neh­mers ab­zu­hal­ten. Pro­vi­si­ons­klau­seln sind al­so mit Vor­sicht zu for­mu­lie­ren, der Ver­lei­her trägt das al­lei­ni­ge Ri­si­ko ih­rer Un­wirk­sam­keit.

Fa­zit: Wie ei­ne an­ge­mes­se­ne, ge­richts­fes­te Pro­vi­si­on nach § 9 Nr. 3 S. 2 AÜG im Ein­zel­nen aus­zu­se­hen hat, ist auch nach dem Ur­teil nicht klar. Al­ler­dings kann da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass ih­re ab­so­lu­te Höhe in der Re­gel deut­lich un­ter den im ent­schie­de­nen Fall ver­lang­ten 5000 € lie­gen und ge­staf­felt sein muss. Die De­tails der Staf­fe­lung blei­ben um­strit­ten. In der Li­te­ra­tur wird da­bei teil­wei­se so­gar vor­ge­schla­gen, dass be­reits nach vier Wo­chen Beschäfti­gung im Ent­lei­her­be­trieb kei­ne Pro­vi­si­on mehr ver­langt wer­den darf.

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Letzte Überarbeitung: 21. August 2016

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