HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/096

Bei krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­un­fä­hig­keit in­fol­ge Hor­mon­be­hand­lung be­steht Pflicht zur Ent­gelt­fort­zah­lung.

Führt die Be­hand­lung von Frucht­bar­keits­stö­run­gen mit ei­ner Hor­mon­the­ra­pie zu krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­un­fä­hig­keit, liegt kein "Ver­schul­den" des Ar­beit­neh­mers ge­mäß EFZG vor: Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 26.11.2008, 6/18 Sa 740/08
Kein "Ver­schul­den" bei Fol­ge­schä­den in­fol­ge ei­ner Hor­mon­the­ra­pie

08.06.2009. Trifft den Ar­beit­neh­mer an ei­ner krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­un­fä­hig­keit aus­nahms­wei­se ein­mal ein "Ver­schul­den", ist die Pflicht des Ar­beit­ge­bers zur Ent­gelt­fort­zah­lung aus­ge­schlos­sen. Ein sol­ches "Ver­schul­den" liegt aber nur sel­ten vor, näm­lich wenn sich der Ar­beit­neh­mer ex­trem un­ver­nün­fig ver­hält.

Un­ter­zieht sich ei­ne Ar­beit­neh­me­rin ei­ner Hor­mon­be­hand­lung we­gen ei­ner ärzt­lich fest­ge­stell­ten Un­frucht­bar­keit und wird dar­auf­hin ar­beits­un­fä­hig krank, ist der Ar­beit­ge­ber zur Ent­gelt­fort­zah­lung ver­pflich­tet.

Ein "Ver­schul­den" der Ar­beit­neh­me­rin an ih­rer Krank­heit bzw. der dar­aus re­sul­tie­ren­den Ar­beits­un­fä­hig­keit liegt in ei­nem sol­chen Fall näm­lich nicht vor: Hes­si­sches LAG, Ur­tei vom 26.11.2008, 6/18 Sa 740/08.

Wann be­ruht ei­ne krank­heits­be­ding­te Ar­beits­unfähig­keit auf ei­nem "Ver­schul­den" des Ar­beit­neh­mers?

Wird ein Ar­beit­neh­mer durch Ar­beits­unfähig­keit in­fol­ge Krank­heit an sei­ner Ar­beits­leis­tung ver­hin­dert, oh­ne daß ihn ein Ver­schul­den trifft, so hat er gemäß § 3 Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz (EFZG) An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall durch den Ar­beit­ge­ber für die Zeit der Ar­beits­unfähig­keit bis zur Dau­er von sechs Wo­chen.

Un­ter „Ver­schul­den“ ver­steht die Recht­spre­chung ein Ver­hal­ten, mit dem der er­krank­te Ar­beit­neh­mer grob ge­gen das „von ei­nem verständi­gen Men­schen im ei­ge­nen In­ter­es­se zu er­war­ten­de Ver­hal­ten“ verstößt, so dass es un­ge­recht wäre, die Fol­gen die­ses völlig un­vernünf­ti­gen Ver­hal­tens auf den Ar­beit­ge­ber ab­zuwälzen.

Fälle, in de­nen die Recht­spre­chung ein sol­ches "Ver­schul­den" des er­krank­ten Ar­beit­neh­mers an­ge­nom­men hat, sind zum Bei­spiel ei­ne Trun­ken­heits­fahrt mit Un­fall­fol­ge, die Nicht­be­ach­tung der Gurt­pflicht, die Her­beiführung ei­nes Ar­beits­un­falls durch ei­nen be­son­ders leicht­sin­ni­gen Ver­s­toß ge­gen Un­fall­verhütungs­vor­schrif­ten oder auch die Ausübung ei­nes Sports un­ter gro­bem und leicht­sin­ni­gem Ver­s­toß ge­gen die an­er­kann­te Re­geln der Sport­art.

Im Er­geb­nis kom­men Ar­beit­ge­ber mit ih­rer Mei­nung, der Ar­beit­ge­ber tra­ge ein sol­ches „Ver­schul­den“ an sei­ner Krank­heit, bei Ge­richt nur sel­ten durch. Da­her sind Pro­zes­se über die Fra­ge, ob ei­ne vom Ar­beit­neh­mer ver­schul­de­te krank­heits­be­ding­te Ar­beits­unfähig­keit vor­liegt, eben­falls sel­ten.

Über ei­nen sol­chen Fall hat­te vor kur­zem das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) mit Ur­teil vom 26.11.2008 (6/18 Sa 740/08) zu ent­schei­den.

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­me­rin un­ter­zieht sich we­gen Frucht­bar­keitsstörun­gen ei­ner Hor­mon­be­hand­lung und er­krankt in­fol­ge die­ser Be­hand­lung

Die Ar­beit­neh­me­rin war im Au­gust und Sep­tem­ber 2003 so­wie zum Jah­res­wech­sel 2003/2004 ins­ge­samt et­wa vier Wo­chen ar­beits­unfähig er­krankt, weil sie sich auf­grund ei­ner Hor­mon­be­hand­lung ei­ne Bauch­was­ser­sucht so­wie Schmer­zen im Un­ter­bauch zu­ge­zo­gen hat­te. Der Hor­mon­be­hand­lung hat­te sie sich auf ärzt­li­chen Vor­schlag hin un­ter­zo­gen, nach­dem Un­frucht­bar­keit dia­gnos­ti­ziert wor­den war.

Der Ar­beit­ge­ber, der von den Krank­heits­bil­dern und de­ren ursäch­li­chem Hin­ter­grund Kennt­nis hat­te, ver­klag­te die Ar­beit­neh­mer dar­auf­hin auf Rück­zah­lung der ihr gewähr­ten Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall, da er der Mei­nung war, die­se Leis­tung oh­ne recht­li­chen Grund er­bracht zu ha­ben. Die ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Ent­gelt­fort­zah­lungs­pflicht sah er als nicht ge­ge­ben an, da die Ar­beit­neh­me­rin ih­re durch die Hor­mon­be­hand­lung ver­ur­sach­te Er­kran­kung und da­durch be­ding­te Ar­beits­unfähig­keit „ver­schul­det“ ha­be.

Das in ers­ter In­stanz mit dem Fall be­fass­te Ar­beits­ge­richt Mar­burg wies die Kla­ge ab (Ur­teil vom 11.04.2008, 2 Ca 450/07). Die Durchführung ei­ner Hor­mon­be­hand­lung bei ärzt­lich fest­ge­stell­ter Un­frucht­bar­keit stellt, so das Ar­beits­ge­richt, kei­nen gro­ben Ver­s­toß ge­gen das von ei­nem verständi­gen Men­schen im ei­ge­nen In­ter­es­se zu er­war­ten­de Ver­hal­ten dar, das als „Ver­schul­den“ mit der Fol­ge ei­nes Weg­falls der Ent­gelt­fort­zah­lung an­zu­se­hen wäre.

Hes­si­sches LAG: Kein Ver­schul­den bei Fol­ge­er­kran­kung auf­grund ei­ner Hor­mon­the­ra­pie

Das Hes­si­sche LAG bestätig­te das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts, d.h. es ent­schied eben­falls zu­guns­ten der Ar­beit­neh­me­rin. Zur Be­gründung heißt es im we­sent­li­chen:

Dass sich ei­ne Ar­beit­neh­me­rin un­ter ärzt­li­cher An­lei­tung ei­ner Hor­mon­be­hand­lung un­ter­zieht, ist nach An­sicht des LAG ei­ne Ver­hal­tens­wei­se der pri­va­ten Le­bens­ge­stal­tung, die in kei­ner Wei­se ge­gen das von ei­nem verständi­gen Men­schen im ei­ge­nen In­ter­es­se zu er­war­ten­de Ver­hal­ten verstößt.

Der Ar­gu­men­ta­ti­on des Ar­beit­ge­bers hält das Ge­richt ent­ge­gen, dass die späte­re Er­kran­kung auf­grund der Hor­mon­be­hand­lung schließlich nicht von der Ar­beit­neh­me­rin be­ab­sich­tigt wor­den war. Viel­mehr hat­te sie al­len­falls ei­ne ge­wis­se Ge­fahr der Er­kran­kung in Kauf ge­nom­men.

An die­ser Stel­le ist das Ver­hal­ten der Kläge­rin nicht an­ders zu be­wer­ten als die Ausübung ei­ner mit Ver­let­zungs­ge­fah­ren ver­bun­de­nen Sport­art. Wer als Ar­beit­neh­mer in sei­ner Frei­zeit Fußball spielt, tut dies ja auch nicht in der Ab­sicht, sich ein Bein zu bre­chen.

Mit Blick auf die zu Sport­ver­let­zun­gen vor­lie­gen­de Recht­spre­chung mein­te das LAG, ein „Ver­schul­den“ der Ar­beit­neh­me­rin könn­te al­len­falls dann an­ge­nom­men wer­den, wenn be­son­ders ge­stei­ger­te Er­kran­kungs­ri­si­ken vor­lie­gen. Sol­che Umstände, bei de­nen der Er­folg der Hor­mon­be­hand­lung und die mit ihr ver­bun­de­ne Er­kran­kungs­ge­fahr „in kei­nem Verhält­nis mehr ste­hen“, la­gen hier aber nicht vor.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 17. Juli 2017

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de