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ARBEITSRECHT AKTUELL // 08/002

Eu­ro­pa­rechts­wid­ri­ge Be­nach­tei­li­gung von Teil­zeit-Be­am­ten bei Über­stun­den

Wenn die Mehr­ar­beits­ver­gü­tung deut­lich mehr Frau­en als Män­ner trifft und wenn es kei­ne ob­jek­ti­ve Recht­fer­ti­gung für sie gibt, liegt ei­ne Ent­gelt­dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en vor: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 06.12.2007 (Voß), C-300/06
Europafahne Bei Dis­kri­mi­nie­run­gen von Frau­en im Er­werbs­le­ben schaut der EuGH ge­nau hin

03.01.2008. Wer­den Be­am­te, die in Teil­zeit be­schäf­tigt wer­den, zur Mehr­ar­beit her­an­ge­zo­gen, wird die­se Mehr­ar­beit nach deut­schem Be­am­ten­recht ge­rin­ger ver­gü­tet als die ver­gleich­ba­re Ar­beits­zeit von Voll­zeit­be­am­ten.

Das kann zu ei­ner mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en füh­ren, falls sich un­ter den Teil­zeit­be­am­ten weit über­wie­gend Frau­en be­fin­den.

Zu die­sem Er­geb­nis ist der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) in ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil ge­kom­men, in dem es um die Kla­ge ei­ner Ber­li­ner Teil­zeit-Leh­re­rin auf hö­he­re Mehr­ar­beits­ver­gü­tung ging: EuGH, Ur­teil vom 06.12.2007, C-300/06 (Voß).

Ist es mit dem eu­ropäischen Recht zu ver­ein­ba­ren, wenn Teil­zeit­be­am­tin­nen für Mehr­ar­beit we­ni­ger Geld be­kom­men als ih­re Voll­zeit­kol­le­gen für ih­re re­gulären Ar­beits­stun­den?

Gemäß Art.141 Abs.1 und 2 des Ver­tra­ges zur Gründung der Eu­ropäischen Ge­mein­schaft (EGV) hat je­der EU-Mit­glied­staat die An­wen­dung des Grund­sat­zes des glei­chen Ent­gelts für Männer und Frau­en bei glei­cher oder gleich­wer­ti­ger Ar­beit si­cher­zu­stel­len.

Dies gilt für die übli­chen Grund- und Min­dest­gehälter so­wie al­le sons­ti­gen Vergütun­gen, die der Ar­beit­ge­ber auf­grund des Dienst­verhält­nis­ses dem Ar­beit­neh­mer zahlt.

Frag­lich ist, ob die Re­ge­lun­gen des Be­am­ten­be­sol­dungs­rechts des Lan­des Ber­lin die­sem Grund­satz wi­der­spre­chen.

Gemäß § 35 Abs.2 des Ber­li­ner Lan­des­be­am­ten­ge­set­zes sind Be­am­te grundsätz­lich zur Leis­tung von Mehr­ar­beit ver­pflich­tet. Nach der auch im Land Ber­lin gel­ten­den Ver­ord­nung über die Gewährung von Mehr­ar­beits­vergütung für Be­am­te (MVergV) ist die für Mehr­ar­beit ge­zahl­te Vergütung al­ler­dings ge­rin­ger als die an­tei­li­ge re­guläre Vergütung, die sich un­ter Zu­grun­de­le­gung der in­di­vi­du­el­len Ar­beits­zeit des Be­am­ten er­gibt.

Da die in­di­vi­du­el­le Ar­beits­zeit bei Teil­zeit- und Voll­zeit­beschäftig­ten un­ter­schied­lich lang ist, fällt ein Teil der von Teil­zeit­be­am­ten ge­leis­te­ten Mehr­ar­beit bei Voll­zeit­beschäfti­gen in de­ren "re­guläre" Ar­beits­zeit und wird in die­sem Rah­men bes­ser vergütet.

BEISPIEL: Ei­ne Teil­zeit­be­am­ten mit ei­ner St­un­den­zahl von 20 St­un­den leis­tet fünf zu vergüten­de Mehr­ar­beits­stun­den. Die­se fünf St­un­den wer­den schlech­ter be­zahlt als fünf Ar­beits­stun­den ei­nes Voll­zeit­be­am­ten mit ver­gleich­ba­ren Ar­beits­auf­ga­ben, da die­ser die fünf St­un­den im Rah­men sei­ner re­gulären und ge­genüber der Mehr­ar­beits­vergütung bes­ser be­zahl­ten Ar­beits­zeit ab­sol­viert hat.

Die Re­ge­lun­gen der MVergV führen nämlich ei­ner­seits da­zu, dass jeg­li­che Mehr­ar­beit, die der Teil­zeit- so­wie auch der Voll­zeit­beschäfti­gen, grundsätz­lich in glei­cher Wei­se, d.h. "gekürzt" vergütet wird. An­de­rer­seits führt dies auch zu dem Er­geb­nis, dass Mehr­ar­beit von Teil­zeit­beschäftig­ten, die bei Voll­zeit­beschäftig­ten noch in­ner­halb de­ren in­di­vi­du­el­ler ("re­gulärer") Ar­beits­zeit läge, ge­rin­ger vergütet wird, als wenn der Voll­zeit­beschäftig­te die­sel­be Ar­beits­zeit ge­leis­tet hätte.

An­ge­sichts der Tat­sa­che, dass Teil­zeit­beschäfti­gun­gen weit über­wie­gend von Frau­en aus­geübt wer­den, er­gab sich für das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt die Fra­ge, ob die­se Re­ge­lung mit Art.141 Abs.1 und 2 EGV ver­ein­bar ist oder ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en dar­stellt, wenn es sich bei den in Teil­zeit beschäftig­ten Be­am­ten über­wie­gend um Frau­en han­delt.

Der Streit­fall Ur­su­la Voß: Ber­li­ner Teil­zeit-Leh­re­rin möch­te höhe­re Vergütung für Mehr­ar­beit

In dem beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt anhängi­gen Pro­zess geht es um die Vergütung von Mehr­ar­beit ei­ner be­am­te­ten und in Teil­zeit beschäftig­ten Leh­re­rin, Frau Voß.

Im Jah­re 2000 leis­te­te sie mo­nat­lich zwi­schen vier und sechs und ins­ge­samt 27 Un­ter­richts­stun­den, die als zu be­zah­len­de Mehr­ar­beit ge­son­dert vergütet wur­den. Der ihr gewähr­te Aus­gleich be­trug 1.075,14 DM, während ei­nem ver­gleich­ba­ren voll­zei­tig beschäftig­ten Be­am­ten für die­se Tätig­keit 1.616,15 DM hätten ge­zahlt wer­den müssen.

Nach­dem der An­trag der Frau Voß auf Vergütung der Dif­fe­renz von 541,01 DM vom Land Ber­lin ab­ge­lehnt wor­den war, er­hob sie Kla­ge beim Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin, das der Kla­ge statt­gab. Ge­gen die Ent­schei­dung leg­te das Land Ber­lin Sprungs­re­vi­si­on zum Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) ein.

Mit Vor­la­ge­be­schluss vom 11.05.2006 (2 C 8/05) leg­te das BVerwG dem EuGH die Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor, ob Art. 141 EG ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­steht, nach der die Vergütung für Mehr­ar­beit bei voll­zeit- wie bei teil­zeit­beschäftig­ten Be­am­ten in der­sel­ben Höhe ge­zahlt wird, die nied­ri­ger ist als die an­tei­li­ge Be­sol­dung, die bei voll­zeit­beschäftig­ten Be­am­ten auf ei­nen gleich­lan­gen Teil ih­rer re­gulären Ar­beits­zeit entfällt, wenn über­wie­gend Frau­en teil­zeit­beschäftigt sind.

Im Rah­men die­ses Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens hat­te der Ge­ne­ral­an­walt Dáma­so Ruiz-Ja­rabo Co­lo­mer mit sei­nen Schluss­anträgen vom 10.07.2007 dafür plädiert, die Vor­la­ge­fra­ge im Sin­ne der Eu­ro­pa­rechts­wid­rig­keit der frag­li­chen Über­stun­den­re­ge­lun­gen zu be­ant­wor­ten.

EuGH: Wenn die Mehr­ar­beits­vergütung deut­lich mehr Frau­en als Männer trifft und wenn es kei­ne ob­jek­ti­ve Recht­fer­ti­gung für sie gibt, liegt ei­ne Ent­gelt­dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en vor

Der Eu­ropäische Ge­richts­hof stellt in sei­nem Ur­teil vom 06.12.2007 zunächst her­aus, dass der Grund­satz des glei­chen Ent­gelts nicht nur auf Vor­schrif­ten, die ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts be­inhal­ten, son­dern auch auf mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­run­gen an­zu­wen­den ist.

Da­mit fal­len nicht nur be­ab­sich­tig­te Un­gleich­be­hand­lun­gen, son­dern auch un­ge­woll­te Schlech­ter­stel­lun­gen, die sich als Fol­ge von ge­schlechts­neu­tra­len Kri­te­ri­en er­ge­ben, un­ter den An­wen­dungs­be­reich des Art.141 EG. Ent­schei­dend ist bei un­mit­tel­ba­ren wie bei mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­run­gen, ob sich die Un­gleich­be­hand­lung durch ob­jek­ti­ve Fak­to­ren sach­lich recht­fer­ti­gen lässt.

In der ge­rin­ge­ren Vergütung der von Teil­zeit­beschäftig­ten ge­leis­te­ten Mehr­ar­beit sieht der EuGH ei­ne Un­gleich­be­hand­lung zum Nach­teil der teil­zeit­beschäftig­ten Be­am­ten. Ob dies auch ei­ne Un­gleich­be­hand­lung spe­zi­ell von Frau­en be­inhal­tet, rich­tet sich nach dem ge­sam­ten An­wen­dungs­be­reich der Norm, al­so dem Kreis von Per­so­nen, auf die die Norm ins­ge­samt An­wen­dung fin­det.

Falls dies über­wie­gend weib­li­che Ar­beit­neh­mer sein soll­ten, läge ei­ne un­zulässi­ge ge­schlechts­be­zo­ge­ne Ent­gelt­dis­kri­mi­nie­rung von Be­am­tin­nen vor. Ei­ne sach­li­che Recht­fer­ti­gung der Un­gleich­be­hand­lung war der Vor­la­ge des BVerwG nach An­sicht des EuGH nicht zu ent­neh­men. Die Prüfung die­ser Fra­ge über­ließ der Ge­richts­hof dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt.

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Letzte Überarbeitung: 30. Dezember 2018

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