HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/222

Haus­ta­rif­ver­trag nach Be­triebs­über­gang

Haus­ta­rif­ver­trä­ge gel­ten für Be­triebs­er­wer­ber nur ein­ge­schränkt: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 10.06.2009, 4 ABR 21/08
Zwei Firmenschilder, eines durchgestrichen Kein Über­gang der Ta­rif­bin­dung bei Be­triebs­über­gang

01.12.2009. Nach ei­nem Be­triebs­über­gang gel­ten die Ver­bands­ta­rif­ver­trä­ge, an die der bis­he­ri­ge Be­triebs­in­ha­ber als Mit­glied des Ar­beit­ge­ber­ver­bands ge­bun­den war, im All­ge­mei­nen nicht mehr nor­ma­tiv wei­ter, d.h. "un­mit­tel­bar und zwin­gend".

Ei­ne Aus­nah­me gilt dann, wenn der neue Be­triebs­in­ha­ber eben­falls Mit­glied des­sel­ben Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des ist, in dem auch der Be­triebs­ver­äu­ße­rer or­ga­ni­siert ist.

Ob die nor­ma­ti­ve Wir­kung auch bei ei­nem spe­zi­ell auf ei­nen Be­trieb zu­ge­schnit­te­nen Haus­ta­rif­ver­trag im Fal­le ei­nes Be­triebs­über­gangs en­det, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung ge­klärt: BAG, Be­schluss vom 10.06.2009, 4 ABR 21/08.

Was pas­siert mit ei­nem Ta­rif­ver­trag nach Be­triebsüber­gang?

Ta­rif­verträge fin­den auf ganz ver­schie­de­ne Wei­se An­wen­dung. Häufig ist die Gel­tung über die Ver­wei­sung im Ar­beits­ver­trag, d.h. im Ar­beits­ver­trag wird ver­ein­bart, dass ein be­stimm­ter Ta­rif­ver­trag oder die Ta­rif­verträge ei­ner be­stimm­ten Bran­che an­wend­bar sein sol­len.

Während in die­sem Fall die Bin­dung an ei­nen Ta­rif­ver­trag frei­wil­lig vor­ge­nom­men wor­den ist, ist dies bei der sog. Ta­rif­bin­dung an­ders. Die Nor­men des Ta­rif­ver­trags gel­ten dann nämlich „un­mit­tel­bar und zwin­gend“, al­so wie ein Ge­setz. Im Ar­beits­ver­trag darf von den ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen nur dann ab­ge­wi­chen wer­den, wenn die ar­beits­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen güns­ti­ger als die ta­rif­li­chen sind (§ 4 Abs.1, 3 Ta­rif­ver­trags­ge­setz - TVG).

Vor­aus­set­zung für die un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Gel­tung des Ta­rif­ver­trags ist, dass der Ar­beit­neh­mer Ge­werk­schafts­mit­glied ist. Gleich­zei­tig muss der Ar­beit­ge­ber Mit­glied des ta­rif­sch­ließen­den Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des sein oder, bei so ge­nann­ten Fir­men- oder Haus­ta­rif­verträgen, sel­ber den Ta­rif­ver­trag ab­sch­ließen (§ 3 Abs.1 TVG).

Wenn der Ar­beit­ge­ber Mit­glied in ei­nem Ar­beit­ge­ber­ver­band ist und des­we­gen an des­sen Ta­rif­verträge ge­bun­den ist, en­det die­se Bin­dung für die Beschäftig­ten, wenn der Ar­beit­ge­ber den Be­trieb an ei­nen Be­triebs­er­wer­ber veräußert, der nicht Mit­glied des sel­ben Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des ist. Der Be­triebs­er­wer­ber wird nämlich gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) au­to­ma­tisch neu­er Ar­beit­ge­ber der Beschäftig­ten.

Die bis­her im Be­trieb gel­ten­den Ta­rif­verträge gel­ten dann nicht mehr zwin­gend und un­mit­tel­bar. Ih­re In­halts­nor­men wer­den statt­des­sen gemäß § 613a Abs.1 Satz 2 BGB Be­stand­teil der Ar­beits­verträge der Beschäftig­ten. In den ers­ten zwölf Mo­na­ten nach dem Be­triebsüber­gang können sie nicht zu­las­ten der Ar­beit­neh­mer geändert wer­den, da­nach ist ei­ne Ände­rung je­doch möglich.

Pro­ble­ma­tisch ist, ob die un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges auch dann durch ei­nen Be­triebsüber­gang be­en­det wird, wenn es sich um ei­nen Fir­men­ta­rif­ver­trag han­delt, der ge­ra­de auf den über­ge­gan­gen Be­trieb zu­ge­schnit­ten war. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des BAG (Be­schluss vom 10.06.2009, 4 ABR 21/08).

Der Fall des Bun­des­ar­beits­ge­richts: Streit um Gel­tung ei­nes Haus­ta­rif­ver­trags nach Über­tra­gung ei­nes Call­cen­ters auf Toch­ter­un­ter­neh­men von Ne­cker­mann

Die Ne­cker­mann Ver­sand AG schloss mit den Ge­werk­schaf­ten HBV und DAG am 15.08.2000 ei­nen „Fir­men­ta­rif­ver­trag über den Ein­satz von Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern im Call­cen­ter des Lo­gis­tik­zen­trums Hei­de­loh der Ne­cker­mann Ver­sand AG in Sach­sen-An­halt“. In dem Ta­rif­ver­trag war un­ter an­de­rem die Vergütung der Ar­beit­neh­mer im Rah­men ei­nes Ein­grup­pie­rungs­sys­tems ge­re­gelt.

Die Ne­cker­mann Ver­sand AG gründe­te im Fol­gen­den ein Toch­ter­un­ter­neh­men, auf dass sie zum 01.01.2006 das Call­cen­ter in Hei­de­loh über­trug. Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat strit­ten da­bei über die Fra­ge, ob der bis­her in dem Be­trieb an­ge­wand­te Fir­men­ta­rif vom 15.08.2000 wei­ter­hin kraft Ta­rif­wir­kung, al­so un­mit­tel­bar und zwin­gend, an­wend­bar wäre.

Sch­ließlich woll­te der Be­triebs­rat die­se Fra­ge ge­richt­lich klären und be­an­trag­te im Be­schluss­ver­fah­ren un­ter an­de­rem, das Toch­ter­un­ter­neh­men der Ne­cker­mann Ver­sand AG zu ver­pflich­ten, neu ein­zu­stel­len­de Ar­beit­neh­mer in den bis­her gel­ten­den Fir­men­ta­rif­ver­trag ein­zu­grup­pie­ren und den Be­triebs­rat gem. § 99 Abs. 1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) ent­spre­chend zu be­tei­li­gen. Der Be­triebs­rat be­kam in der ers­ten In­stanz vor dem Ar­beits­ge­richt recht. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Sach­sen-An­halt ent­schied da­ge­gen ge­gen den Be­triebs­rat (Be­schluss vom 31.01.2008, 7 TaBV 21/07). Da­ge­gen leg­te der Be­triebs­rat Rechts­be­schwer­de zum BAG ein.

Bun­des­ar­beits­ge­richt: Kei­ne wei­te­re kol­lek­tiv­recht­li­che Gel­tung des Haus­ta­rif­ver­trags

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied eben­falls ge­gen den Be­triebs­rat. Es war der An­sicht, der Fir­men­ta­rif­ver­trag ha­be durch den Be­triebsüber­gangs und der da­mit ein­her­ge­hen­den Aus­wechs­lung des Ar­beit­ge­bers kei­ne un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung auf die Ar­beits­verhält­nis­se der Beschäftig­ten des Call­cen­ters mehr.

Zur Be­gründung führt das BAG an, zum ei­nen sei nicht das Toch­ter­un­ter­neh­men der Ne­cker­mann Ver­sand AG sel­ber Par­tei des Fir­men­ta­rif­ver­tra­ges ge­we­sen. Zum an­de­ren lie­ge auch kei­ne Un­ter­neh­mensum­wand­lung nach dem Um­wand­lungs­ge­setz (Um­wG) vor, die die nor­ma­ti­ve Wir­kung des Ta­rif­ver­trags zur Fol­ge hätte ha­ben können. Ei­ne un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung könne al­so al­len­falls durch den Be­triebsüber­gang und den Aus­tausch des Ar­beit­ge­bers er­folgt sein. Die­se Wir­kung kommt dem Be­triebsüber­gang nach Auf­fas­sung des BAG aber nicht zu.

Das BAG stellt da­zu aus­drück­lich fest, dass auch die Be­son­der­hei­ten des vor­lie­gen­den Fal­les nicht zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis führen. We­der, dass die Ne­cker­mann Ver­sand AG al­lei­ni­ge Ge­sell­schaf­te­rin des Toch­ter­un­ter­neh­mens war und die­ses nur zur Über­lei­tung des Call­cen­ters ge­gründet hat­te, noch die Tat­sa­che, dass der Ta­rif­ver­trag ein Fir­men­ta­rif­ver­trag war, der ex­tra auf den Be­trieb zu­ge­schnit­ten war, führen da­zu, dass der Fir­men­ta­rif­ver­trag nor­ma­tiv wei­ter gilt, so das BAG.

Fa­zit: Ar­beit­ge­ber können die nor­ma­ti­ve Wir­kung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges „um­ge­hen“, in­dem sie ei­nen Be­triebs(teil) auf ein hun­dert­pro­zen­ti­ges Toch­ter­un­ter­neh­men über­tra­gen. An die Re­ge­lung des Ta­rif­ver­tra­ges sind sie dann nur noch ge­genüber den bei Be­triebsüber­gang schon ein­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mern und nur für die Dau­er ei­nes Jah­res ge­bun­den.

Da­nach können sie mit den Ar­beit­neh­mern ei­ne Ver­tragsände­rung ver­ein­ba­ren. Bei Neu­ein­stel­lun­gen können außer­dem oh­ne wei­te­res Ar­beits­verträge ver­ein­bart wer­den, die die Re­gun­gen des Ta­rif­ver­tra­ges un­ter­schrei­ten. Da­ge­gen kann nur vor­ge­gan­gen wer­den, in­dem ein Ta­rif­ab­schluss mit dem Toch­ter­un­ter­neh­men erstrit­ten wird.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 23. Januar 2014

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de