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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/022

Zu­läs­sig­keit ge­werk­schaft­li­cher E-Mail-Wer­bung an dienst­li­che E-Mail-Adres­sen

Ge­werk­schaf­ten dür­fen auch oh­ne das OK des Ar­beit­ge­bers In­for­ma­ti­ons- oder Wer­be­ma­te­ri­al an die dienst­li­chen E-Mail-Adres­sen von Ar­beit­neh­mern sen­den: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 20.01.2009, 1 AZR 515/08
Ge­werk­schaf­ten dür­fen wer­ben, auch per E-Mail "im Be­trieb"

17.02.2009. Ei­ne im Be­trieb ver­tre­te­ne Ge­werk­schaft darf sich über be­trieb­li­che E-Mail-Adres­sen mit Wer­bung und In­for­ma­tio­nen an die Ar­beit­neh­mer wen­den. Die­ses Recht ist durch Art. 9 Abs. 3 Grund­ge­setz (GG) ge­schützt.

Dies gilt auch dann, wenn der Ar­beit­ge­ber den Ge­brauch der be­trieb­li­chen E-Mail-Zu­gän­ge für Pri­vatz­we­cke ver­bo­ten hat. Auch auf mög­li­cher­wei­se be­ein­träch­tig­te da­ten­schutz­recht­li­che Be­lan­ge sei­ner Mit­ar­bei­ter kann sich der Ar­beit­ge­ber nicht be­ru­fen.

Das hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung klar­ge­stellt: BAG, Ur­teil vom 20.01.2009, 1 AZR 515/08.

Dürfen Ge­werk­schaf­ten oh­ne das OK des Ar­beit­ge­bers In­for­ma­ti­ons- oder Wer­be­ma­te­ri­al an die dienst­li­chen E-Mail-Adres­sen von Ar­beit­neh­mern sen­den?

Art. 9 Abs. 3 Grund­ge­setz (GG) schützt Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gun­gen und Ge­werk­schaf­ten in ih­rem Be­stand, ih­rer or­ga­ni­sa­to­ri­schen Aus­ge­stal­tung und ih­ren Betäti­gun­gen.

Zu den grund­recht­lich geschütz­ten Betäti­gungs­rech­ten der Ge­werk­schaf­ten gehört auch die Mit­glie­der­wer­bung, da sie die Auf­ga­ben­erfüllung und den wei­te­ren Be­stand der Or­ga­ni­sa­ti­on si­chert. Letzt­lich können Ge­werk­schaf­ten oh­ne die An­wer­bung neu­er Mit­glie­der auf­grund rückläufi­ger Mit­glie­der­zahl und Ver­hand­lungsstärke ih­ren ver­fas­sungs­recht­lich erwünsch­ten Bei­trag zur „Wah­rung und Förde­rung der Wirt­schafts­be­din­gun­gen“ nicht mehr leis­ten.

Von be­son­de­rer Be­deu­tung für die Ge­werk­schaf­ten ist da­bei tra­di­tio­nell die Mit­glie­der­wer­bung in den Be­trie­ben. Nach all­ge­mei­ner An­sicht ist es den Ge­werk­schaf­ten er­laubt, zu Wer­be­zwe­cken die Be­trie­be zu be­tre­ten und ge­werk­schaft­li­che Wer­be- und In­for­ma­ti­ons­ma­te­ria­len während der Pau­sen zu ver­tei­len.

Frag­lich ist al­ler­dings, ob die Ge­werk­schaf­ten auch un­auf­ge­for­dert In­for­ma­ti­ons- oder Wer­be­ma­te­ri­al an die dienst­li­chen E-Mail-Adres­sen der Ar­beit­neh­mer sen­den dürfen. Zu die­ser Fra­ge hat nun­mehr das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit Ur­teil vom 20.01.2009 (1 AZR 515/08) Stel­lung ge­nom­men.

Der Streit­fall: Ge­werk­schaft ver­schickt in ei­nem Großbe­trieb 3.000 E-Mails an dienst­li­che E-Mail-Adres­sen von Ar­beit­neh­mern

Der Ar­beit­ge­ber, ein Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men, plan­te An­fang 2007 um­fas­sen­de Re­struk­tu­rie­rungs­maßnah­men. Dies nahm ei­ne im Be­trieb ver­tre­te­ne Ge­werk­schaft zum An­lass, un­auf­ge­for­dert mehr als 3.000 gleich­lau­ten­de E-Mails an dienst­li­che E-Mail-Adres­sen der Mit­ar­bei­ter der Kläge­rin zu ver­sen­den.

Die E-Mail in­for­mier­te u.a. über den ge­werk­schaft­li­chen Stand­punkt zu dem Um­struk­tu­rie­rungs­kon­zept der Kläge­rin und über die Ver­hand­lungs­zie­le der Ge­werk­schaft. Darüber hin­aus be­fand sich am En­de des Tex­tes ein Link, mit dem sich der Empfänger au­to­ma­tisch aus dem Ver­tei­ler löschen konn­te.

Der Ar­beit­ge­ber hat­te der Ge­werk­schaft die E-Mail-Adres­sen selbst nicht zur Verfügung ge­stellt. Wie die Ge­werk­schaft an die Mit­a­bei­ter­na­men und die da­zu gehöri­gen E-Mail-Adres­sen ge­lang­te, blieb in dem ge­richt­li­chen Ver­fah­ren un­geklärt.

Für den Be­trieb galt ei­ne Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung, wo­nach be­trieb­li­che E-Mail-Ac­counts aus­sch­ließlich zu dienst­li­chen Zwe­cken ge­nutzt wer­den durf­ten. Al­ler­dings er­laub­te die Be­triebs­ver­ein­ba­rung den Ar­beit­neh­mern die pri­va­te Nut­zung des In­ter­net in an­ge­mes­se­nem Um­fang, so dass sie über den dienst­li­chen In­ter­net­zu­gang auf ih­re pri­va­ten Postfächer zu­grei­fen konn­ten.

Mit ih­rer beim Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main ein­ge­reich­ten Kla­ge ver­klag­te der Ar­beit­ge­ber die Ge­werk­schaft auf Un­ter­las­sung. Kon­kret soll­te das Ge­richt der Ge­werk­schaft un­ter­sa­gen, E-Mails an die dienst­li­chen E-Mail-Adres­sen ih­rer Ar­beit­neh­mer oh­ne vor­he­ri­ges OK der Ar­beit­neh­mer zu ver­sen­den. So­wohl das Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main (Ur­teil vom 06.09.2007, 21 Ca 4489/07) als auch das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) ga­ben dem Ar­beit­ge­ber recht (Ur­teil vom 30.04.2008, 18 Sa 1724/07).

Nach An­sicht des LAG hat­te die Ge­werk­schaft mit der Ver­sen­dung der wer­ben­den E-Mails in das Recht des Ar­beit­ge­bers am ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb ein­ge­grif­fen, da die Mai­ling­ak­ti­on als pri­vat im Sin­ne der Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung zu be­wer­ten sei. Darüber hin­aus sei mit der In­an­spruch­nah­me der be­trieb­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel das Ei­gen­tums­recht be­trof­fen.

Die­ser Ein­griff sei nicht durch die in Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit ge­recht­fer­tigt. Zwar müsse man in Fällen der vor­lie­gen­den Art zwi­schen der grund­recht­lich geschütz­ten Betäti­gungs­frei­heit der Ge­werk­schaf­ten und den Rechts­po­si­tio­nen des Ar­beit­ge­bers abwägen.

Ei­ne sol­che Abwägung konn­te im vor­lie­gen­den Fall aber nach An­sicht des LAG aus­nahms­wei­se un­ter­blei­ben, da die E-Mail-Ver­sen­dung be­reits we­gen ei­nes Ver­s­toßes ge­gen das Bun­des­da­ten­schutz­ge­setz (BDSG) rechts­wid­rig sei. Die Na­men der Mit­ar­bei­ter und der da­zu­gehöri­ge In­ter­net-Na­me der kla­gen­den Ar­beit­ge­be­rin stell­ten per­so­nen­be­zo­ge­ne Da­ten dar, die die be­klag­te Ge­werk­schaft oh­ne Rechts­grund­la­ge er­ho­ben und zum Zwe­cke der wei­te­ren Nut­zung ge­spei­chert ha­be. Hier­zu ha­be we­der ein Ein­verständ­nis der Mit­ar­bei­ter vor­ge­le­gen noch könne ein sol­ches un­ter­stellt wer­den.

Zu­dem ver­let­ze die Wer­be­ak­ti­on die Rech­te der Mit­ar­bei­ter, da erst am En­de des E-Mail-Tex­tes ein Link zur Löschung aus dem Ver­tei­ler an­ge­ge­ben wur­de, so dass die Ar­beit­neh­mer zunächst den In­halt der E-Mail zur Kennt­nis neh­men muss­ten, bis sie sich aus dem Ver­tei­ler löschen konn­ten.

BAG: Die im Grund­ge­setz geschütz­te Betäti­gungs­frei­heit der Ge­werk­schaft über­wiegt bei E-Mail-Wer­bung die Be­lan­ge des Ar­beit­ge­bers

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten vor dem BAG hat­te Er­folg. An­ders als die Vor­in­stan­zen be­jah­te das BAG die Zulässig­keit der E-Mail-Ver­sen­dun­gen und wies da­her die Kla­ge der Ar­beit­ge­be­rin ab. Die Ent­schei­dungs­gründe sind der­zeit noch nicht bzw. nur an­satz­wei­se auf der Grund­la­ge ei­ner Pres­se­mel­dung des BAG be­kannt.

Zunächst stell­te das BAG klar, dass ei­ne im Be­trieb ver­tre­te­ne Ge­werk­schaft das Recht ha­be, sich über be­trieb­li­che E-Mail-Adres­sen an die Ar­beit­neh­mer des Be­trie­bes mit Wer­bung und In­for­ma­tio­nen zu wen­den. Die­ses Recht sei Teil ih­rer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­ten Betäti­gungs­frei­heit. Dies gilt nach An­sicht des BAG auch dann, wenn der Ar­beit­ge­ber den Ge­brauch der E-Mail-Adres­sen zu pri­va­ten Zwe­cken ver­bo­ten ha­be.

Wei­ter­hin führt das BAG in Übe­rein­stim­mung mit dem LAG aus, dass man in Fällen der vor­lie­gen­den Art, in de­nen die Betäti­gungs­frei­heit der Ge­werk­schaft mit wi­der­strei­ten­den Rech­ten des Ar­beit­ge­bers in Kon­flikt gerät, ei­ne Abwägung der bei­der­sei­ti­gen Rechts­po­si­tio­nen vor­zu­neh­men ha­be. An­ders als das LAG kommt das BAG al­ler­dings zu dem Er­geb­nis, dass das Recht des Ar­beit­ge­bers am ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb ge­genüber dem Betäti­gungs­recht der Ge­werk­schaft zurück­zu­tre­ten ha­be, so­lan­ge der E-Mail-Ver­sand nicht zu nen­nens­wer­ten Be­triebs­ab­laufstörun­gen führe oder spürba­re, durch den E-Mail-Ver­sand ver­ur­sach­te wirt­schaft­li­che Be­las­tun­gen nach sich zie­he. Sol­che kon­kre­ten or­ga­ni­sa­to­ri­schen oder wirt­schaft­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen hat­te die Kläge­rin im vor­lie­gen­den Fall nicht vor­ge­tra­gen.

Ent­ge­gen der Vor­in­stanz ver­trat das BAG zu­dem die An­sicht, dass sich die Ar­beit­ge­be­rin im Rah­men des Un­ter­las­sungs­an­spruchs nicht auf ei­ne Persönlich­keits­ver­let­zung ih­rer Mit­ar­bei­ter be­ru­fen könne.

Dem Ur­teil des BAG ist zu­zu­stim­men. Es zieht die rich­ti­gen Kon­se­quen­zen aus der grund­recht­lich geschütz­ten Betäti­gungs­frei­heit der Ge­werk­schaf­ten. Hätten Ge­werk­schaf­ten nicht die recht­lich geschütz­te Möglich­keit, un­ter Nut­zung be­trieb­li­cher Ein­rich­tun­gen und da­mit „na­he am Ar­beits­platz“ für ih­re Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­re For­de­run­gen zu wer­ben, wäre ih­re Betäti­gungs­frei­heit im Kern be­trof­fen.

Sol­che For­men der Ge­werk­schafts­ar­beit grei­fen al­ler­dings auf­grund des Ei­gen­tums­rechts des Ar­beit­ge­bers an sei­nen be­trieb­li­chen Ein­rich­tun­gen im­mer in des­sen - eben­falls grund­recht­lich, nämlich durch Art. 14 GG geschütz­ten - Rechts­po­si­tio­nen ein.

Fa­zit: Vor die­sem Hin­ter­grund die­ses BAG-Ur­teils ist nicht da­nach zu fra­gen, wel­che for­ma­len Er­laub­nis­se der Pri­vat­kom­mu­ni­ka­ti­on sich aus ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung er­ge­ben, son­dern nach dem Aus­maß der kon­kre­ten Be­ein­träch­ti­gun­gen, die die Ge­werk­schaftstätig­keit im Be­trieb mögli­cher­wei­se an­rich­tet. Gibt es sol­che Be­ein­träch­ti­gun­gen nicht oder sind sie sehr ge­ring, muss der Ar­beit­ge­ber die durch die Ge­werk­schaftstätig­keit (im­mer!) be­ding­ten Be­ein­träch­ti­gun­gen sei­ner Rechts­po­si­tio­nen hin­neh­men. Sch­ließlich kann sich der Ar­beit­ge­ber auch nicht auf die durch et­wai­ge Da­ten­schutz­verstöße be­ein­träch­tig­ten Persönlich­keits­rech­te der bei ihm beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer, d.h. auf Rech­te Drit­ter be­ru­fen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 15. September 2016

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