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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/031

Än­de­rung des Ge­set­zes über Eu­ro­päi­sche Be­triebs­rä­te ge­plant

Ent­wurf ei­nes Ge­set­zes zur Än­de­rung des Ge­set­zes über Eu­ro­päi­sche Be­triebs­rä­te (EBRG), vom 31.12.2010: Ge­setz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung, Bun­des­rats-Druck­sa­che 848/10
Europafahne Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung auf Eu­ro­päi­scher Ebe­ne
14.02.2011. Die Bun­des­re­gie­rung hat un­längst ei­nem Ent­wurf des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les ei­ner Än­de­rung des Ge­set­zes über Eu­ro­päi­sche Be­triebs­rä­te zu­ge­stimmt (Ent­wurf ei­nes Zwei­ten Ge­set­zes zur Än­de­rung des Eu­ro­päi­sche Be­triebs­rä­te-Ge­set­zes - Um­set­zung der Richt­li­nie 2009/38/EG über Eu­ro­päi­sche Be­triebs­rä­te (2. EBRG-ÄndG), BR-Drs. 848/10). Da­mit sol­len die in­ner­be­trieb­li­chen In­ter­es­sen­ver­tre­ter auf eu­ro­päi­scher Ebe­ne wei­ter ge­stärkt wer­den.

Ob und in­wie­weit der vor­lie­gen­de Ge­set­zes­ent­wurf nach sei­ner Um­set­zung Ein­fluss auf das Ver­hal­ten von Un­ter­neh­men und Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern bei Ent­las­sungs­wel­len etc. künf­tig ha­ben wird, bleibt ab­zu­war­ten.

Ände­rungs­be­darf durch neue Richt­li­nie

Das Ge­setz über Eu­ropäische Be­triebsräte (Eu­ropäische Be­triebsräte-Ge­setz - EBRG) sieht für größere, ge­mein­schafts­weit täti­ge Un­ter­neh­men oder Un­ter­neh­mens­grup­pen, mit Sitz in Deutsch­land und ei­ner ge­wis­sen An­zahl von Mit­ar­bei­tern in ver­schie­de­nen EU-Staa­ten, die Bil­dung Eu­ropäischer Be­triebsräte (EBR) oder ei­nes Ver­fah­rens zur Un­ter­rich­tung und Anhörung der Ar­beit­neh­mer vor. Da­mit sol­len Ar­beit­neh­mer­rech­te in in­ter­na­tio­nal täti­gen Un­ter­neh­men gestärkt wer­den.

Der EBR ist kein Er­satz der na­tio­na­len be­trieb­li­chen In­ter­es­sen­ver­tre­tun­gen, son­dern ei­ne zusätz­lich zu bil­den­de In­ter­es­sen­ver­tre­tung der Ar­beit­neh­mer für Un­ter­neh­mens­ent­schei­dun­gen auf eu­ropäischer Ebe­ne. Der EBR verfügt zwar in Deutsch­land – an­ders als Be­triebsräte - nicht über Mit­be­stim­mungs­rech­te, kann je­doch über Aus­kunfts- und Un­ter­rich­tungs­rech­te ei­nen ge­wis­sen Ein­fluss neh­men.

Im Prin­zip soll­te der EBR nach dem ge­setz­li­chen Pro­gramm auf­grund ei­ner Ver­ein­ba­rung zwi­schen ei­nem - ei­gens da­zu zu er­rich­ten­den -„be­son­de­ren Ver­hand­lungs­gre­mi­um“ (BVG) und der zen­tra­len Un­ter­neh­mens­lei­tung ge­bil­det wer­den. Ver­wei­gert die Un­ter­neh­mens­lei­tung aber die Ver­hand­lun­gen, wo­zu sie sechs Mo­na­te nach ei­nem Ver­hand­lungs­an­trag des BVG Zeit hat, erklären bei­de Sei­ten das vor­zei­ti­ge Schei­tern der Ver­hand­lun­gen oder kommt in­ner­halb von drei Jah­ren ab An­trag­stel­lung kei­ne Ver­ein­ba­rung über ei­nen EBR zu­stan­de, wird die­ser kraft Ge­set­zes er­rich­tet. Zur­zeit gibt es eu­ro­pa­weit, je nach Quel­le, zwi­schen 900 und 1.000 EBRs, die et­wa 15 Mil­lio­nen Ar­beit­neh­mer re­präsen­tie­ren. Ih­re zen­tra­le Auf­ga­be ist es, den von ih­nen ver­tre­te­nen Ar­beit­neh­mern über die Er­geb­nis­se ih­rer Un­ter­rich­tung und Anhörung zu be­rich­ten.

Auf eu­ro­pa­recht­li­cher Ebe­ne stand hin­ter dem EBRG bis­her ei­ne Richt­li­nie aus dem Jahr 1994 (Richt­li­nie 94/45/EG des Ra­tes vom 22.09.1994 über die Ein­set­zung ei­nes Eu­ropäischen Be­triebs­rats oder die Schaf­fung ei­nes Ver­fah­rens zur Un­ter­rich­tung und Anhörung der Ar­beit­neh­mer in ge­mein­schafts­weit ope­rie­ren­den Un­ter­neh­men und Un­ter­neh­mens­grup­pen). Die­se ist in ei­nem lan­ge dau­ern­den Re­form­pro­zess re­for­miert und neu­ge­fasst wor­den: Die Neu­fas­sung trat im Mai 2009 in Kraft und muss bis An­fang Ju­ni 2011 von den Mit­glied­staa­ten um­ge­setzt wer­den (Richt­li­nie 2009/38/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 06.05.2009 über die Ein­set­zung ei­nes Eu­ropäischen Be­triebs­rats oder die Schaf­fung ei­nes Ver­fah­rens zur Un­ter­rich­tung und Anhörung der Ar­beit­neh­mer in ge­mein­schafts­weit ope­rie­ren­den Un­ter­neh­men und Un­ter­neh­mens­grup­pen (Neu­fas­sung)). Ins­ge­samt sol­len die Stel­lung und Möglich­kei­ten eu­ropäischer Be­triebsräte gestärkt wer­den.

Vor die­sem Hin­ter­grund stimm­te die Bun­des­re­gie­rung En­de 2010 ei­nem Ge­set­zes­ent­wurf des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les zu, mit dem die­ser Ver­pflich­tung nach­ge­kom­men wer­den soll (Ent­wurf ei­nes Zwei­ten Ge­set­zes zur Ände­rung des Eu­ropäische Be­triebsräte-Ge­set­zes - Um­set­zung der Richt­li­nie 2009/38/EG über Eu­ropäische Be­triebsräte (2. EBRG-ÄndG), BR-Drs. 848/10).

Ge­set­zes­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung

Der bis­her nicht be­ra­te­ne Ent­wurf ist im We­sent­li­chen ei­ne Mi­ni­mallösung, mit der die Min­dest­vor­ga­ben der Richt­li­nie eins zu eins in deut­sches Recht über­nom­men wer­den sol­len.
Ei­ne wich­ti­ge Ände­rung soll der neue § 1 EBRG ent­hal­ten. Die Fra­gen, was ei­ne „Un­ter­rich­tung“ und was ei­ne „Anhörung“ ist, wer­den nun klar­stel­lend ge­setz­lich de­fi­niert und in­halt­lich ge­genüber der bis­he­ri­gen Re­ge­lung er­wei­tert.

Im We­sent­li­chen wird an­hand der Be­griffs­be­stim­mun­gen deut­lich, dass der EBR recht­zei­tig vor der Ent­schei­dung, über ei­ne sei­ne Zuständig­keit be­tref­fen­de Maßnah­me, in­for­miert und an­gehört wer­den soll. Er soll die Möglich­keit ha­ben, den Ent­schei­dungs­pro­zess im Un­ter­neh­men zu be­ein­flus­sen. Dafür ist künf­tig ein Recht auf Tref­fen mit der zen­tra­len Un­ter­neh­mens­lei­tung so­wie das Recht auf ei­ne mit Gründen ver­se­he­ne Ant­wort auf sei­ne Stel­lung­nah­me vor­ge­se­hen.

Dem Ne­ben­ein­an­der von EBR und na­tio­na­lem Be­triebs­rat wird durch ei­ne Re­ge­lung zur sog. „Ebe­nen­ab­stim­mung“ Rech­nung ge­tra­gen. Die Un­ter­rich­tung und Anhörung des EBR ist nach dem Ent­wurf spätes­tens gleich­zei­tig mit der na­tio­na­len Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung durch­zuführen. Ei­ne frühe­re In­for­ma­ti­on ist hier al­so grundsätz­lich möglich, ei­ne späte­re je­doch nicht.

Außer­dem soll die Ar­beit­neh­mer­sei­te bei der Er­rich­tung von eu­ropäischen Be­triebsräten gestärkt wer­den. Hier war bis­lang um­strit­ten, in wel­chem Um­fang den Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen In­for­ma­tio­nen zum Zwe­cke der Er­rich­tung ei­nes EBR ge­ge­ben wer­den muss­ten. § 5 EBRG sieht in der vom Ent­wurf vor­ge­schla­ge­nen Neu­fas­sung deut­li­cher als bis­lang ei­ne ver­bind­li­che Pflicht zur Er­tei­lung al­ler „er­for­der­li­chen“ In­for­ma­tio­nen vor. Hier­zu zählen ins­be­son­de­re die Ge­samt­zahl der Ar­beit­neh­mer und Da­ten über Un­ter­neh­mens­struk­tur.

Der Ver­hand­lungsführer der Ar­beit­neh­mer­sei­te bei der EBR-Bil­dung, das oben be­reits erwähn­te „be­son­de­re Ver­hand­lungs­gre­mi­um“ (BVG), wird künf­tig auf der Grund­la­ge der Neu­fas­sung von § 10 Abs. 1 EBRG in ei­ner Wei­se ge­bil­det, die die pro­zen­tua­le Ver­tei­lung der Ar­beit­neh­mer auf die Un­ter­neh­men in den ver­schie­de­nen Ländern der Eu­ropäischen Uni­on bes­ser als bis­her wi­der­spie­gelt.

Künf­tig hat das BVG die Möglich­keit, nicht nur vor den Ver­hand­lun­gen mit der Un­ter­neh­mens­lei­tung, son­dern auch da­nach Sit­zun­gen ab­zu­hal­ten (§ 13 n.F.).

Auch die Ge­werk­schaf­ten wer­den gestärkt. Sie müssen zu­gleich mit der La­dung zur kon­sti­tu­ie­ren­den Sit­zung des BVG über den Be­ginn der Ver­hand­lun­gen in­for­miert wer­den. Da­mit wird der Tat­sa­che Rech­nung ge­tra­gen, dass die Ge­werk­schaf­ten auf eu­ropäischer Ebe­ne oh­ne­hin maßgeb­lich bei der Gründung von EBR mit­wir­ken. Da­her ist es auch nur kon­se­quent, dass Ge­werk­schafts­ver­tre­ter künf­tig be­ra­tend an den Ver­hand­lun­gen teil­neh­men können.

Für die per­so­nel­le Zu­sam­men­set­zung von EBRs, die kraft Ge­set­zes er­rich­tet wer­den, gel­ten in Zu­kunft neue Vor­schrif­ten. Sie ent­spre­chen den Re­ge­lun­gen zur Bil­dung des BVG. So­wohl für ver­ein­bar­te als auch ge­setz­lich ge­bil­de­te EBRs sol­len da­bei künf­tig nicht mehr nur das Ge­schlecht, son­dern auch die Tätig­kei­ten der ver­tre­te­nen Ar­beit­neh­mer aus­ge­wo­gen durch die Mit­glie­der wi­der­ge­spie­gelt wer­den – „so­weit dies möglich ist“. Die lau­fen­den Geschäfte ei­nes kraft Ge­set­zes er­rich­te­ten EBR soll künf­tig un­abhängig von der An­zahl sei­ner Mit­glie­der ein Aus­schuss führen, der aus drei bis fünf Per­so­nen be­steht.

Al­le EBR-Mit­glie­der ha­ben in Zu­kunft - an­ders als bis­her - ei­nen An­spruch auf Fort­bil­dung und Schu­lung. Der An­spruch stimmt im We­sent­li­chen mit den Re­ge­lun­gen übe­rein, die das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) für die Schu­lung bzw. Fort­bil­dung von Be­triebsräten enthält.

Der Ge­set­zes­ent­wurf sieht wei­ter­hin vor, dass bei er­heb­li­chen Um­struk­tu­rie­run­gen wie z.B. beim Zu­sam­men­schluss oder der Spal­tung von Un­ter­neh­men oder Un­ter­neh­mens­grup­pen, Ver­hand­lun­gen über die Ver­ein­ba­rung ei­nes neu­en EBR auf­zu­neh­men sind. Im übri­gen hat der bis­he­ri­ge EBR während der Dau­er der Ver­hand­lun­gen über ei­nen neu­en EBR vorüber­ge­hend noch ein Über­g­angs­man­dat.

Fa­zit und Aus­blick

Wie sich die be­trieb­li­chen Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen von Un­ter­neh­men mit Stand­or­ten in ver­schie­de­nen EU-Ländern bei eu­ro­pa­weit um­zu­set­zen­den Ent­las­sungs­wel­len oder bei In­ves­ti­ti­ons­ent­schei­dun­gen ver­hal­ten wer­den, d.h. ob der Be­triebs- bzw. Lände­re­go­is­mus stärker sein wird als ge­genläufi­ge So­li­da­ri­sie­rungs­bemühun­gen, all dies wird auch künf­tig weit­ge­hend Sa­che der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer bzw. ih­rer Ge­werk­schaf­ten und be­trieb­li­chen In­ter­es­sen­ver­tre­tun­gen sein. Ge­set­ze ha­ben dar­auf we­nig Ein­fluss.

Es wäre zu wünschen, dass im Ver­lauf der par­la­men­ta­ri­schen Um­set­zung des Ge­set­zes­ent­wurfs noch ei­ni­ge Nach­bes­se­run­gen vor­ge­nom­men wer­den. So sind die den Un­ter­neh­men dro­hen­den fi­nan­zi­el­len Sank­tio­nen, im Fal­le von Verstößen ge­gen die ge­setz­li­chen In­for­ma­ti­ons- und Kon­sul­ta­ti­ons­pflich­ten, nach wie vor lächer­lich ge­ring: Hier dro­hen nur Geld­buße von bis zu 15.000,00 EUR, d.h. von Beträgen, die in­ter­na­tio­nal täti­ge Un­ter­neh­men aus der Por­to­kas­se be­glei­chen können.

Den­noch zei­gen die Richt­li­nie 2009/38/EG und die ihr ent­spre­chen­de Re­form­fas­sung des EBRG, dass die eu­ropäischen Be­triebsräte von der Po­li­tik an­er­kannt wer­den und ih­re Bil­dung und Tätig­keit er­leich­tert wer­den soll. Das ist, an­ge­sichts zu­neh­men­der grenzüber­schrei­ten­der Un­ter­neh­mens­ver­flech­tun­gen in Eu­ro­pa, ein Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung.

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Letzte Überarbeitung: 23. März 2018

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