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BAG, Ur­teil vom 03.12.2019, 9 AZR 78/19

   
Schlagworte: Beschäftigungsanspruch, Schwerbehinderter Mensch, Schwerbehinderung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 78/19
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 03.12.2019
   
Leitsätze: Ein öffentlicher Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine ermessensfehlerfrei unbeschränkt ausgeschriebene Stelle außerhalb des nach Art. 33 Abs. 2 GG durchzuführenden Bewerbungs- und Auswahlverfahrens vorab einem schwerbehinderten Arbeitnehmer zuzuweisen, um dessen Anspruch auf Beschäftigung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX zu gewährleisten.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Erfurt, Urteil vom 01.04.2016, 9 Ca 17/16,
Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 27.09.2018, 4 Sa 231/16
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

9 AZR 78/19
4 Sa 231/16
Thürin­ger
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
3. De­zem­ber 2019

UR­TEIL

Jatz, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

 

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

 

pp.

 

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

 

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 3. De­zem­ber 2019 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Kiel, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt We­ber und den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Suckow so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Win­zen­ried und Stang für Recht er­kannt:

 

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  1. Auf die Re­vi­si­on des Be­klag­ten wird das Ur­teil des Thürin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 27. Sep­tem­ber 2018 - 4 Sa 231/16 - teil­wei­se auf­ge­ho­ben, so­weit es die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Er­furt vom 1. April 2016 - 9 Ca 17/16 - zurück­ge­wie­sen hat.

  2. Im Um­fang der Auf­he­bung wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Er­furt vom 1. April 2016 - 9 Ca 17/16 - ab­geändert und die Kla­ge ins­ge­samt ab­ge­wie­sen.

  3. Die Kläge­rin hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

 

Von Rechts we­gen!

 

Tat­be­stand

 

Die Kläge­rin ver­langt vom be­klag­ten Frei­staat, sie - un­ter Aus­schluss ei­ner Tätig­keit als Leh­re­rin im Schul­dienst - zu beschäfti­gen.

1

Die 1955 ge­bo­re­ne Kläge­rin wur­de von der Rechts­vorgänge­rin des Be­klag­ten zum 1. Au­gust 1979 als Leh­re­rin ein­ge­stellt. Von En­de 2008 bis Ju­li 2012 war sie an das E ab­ge­ord­net. Seit Sep­tem­ber 2012 ist die Kläge­rin ar­beits­unfähig krank. Wie­der­ein­glie­de­rungs­ver­su­che vom 24. Ju­ni bis zum 12. Ju­li 2013 und vom 23. Ju­ni bis zum 17. Ju­li 2014 blie­ben oh­ne Er­folg. Am 20. Ja­nu­ar 2013 fand ein Präven­ti­ons­gespräch statt. Nach ei­ner amtsärzt­li­chen Un­ter­su­chung der Kläge­rin am 22. April 2015 stell­te der Amtsärzt­li­che Dienst in ei­ner Stel­lung­nah­me vom 7. Au­gust 2015 fest, dass mit ei­ner Wie­der­her­stel­lung ih­rer Ar­beitsfähig­keit als Leh­re­rin nicht zu rech­nen sei; die Kläge­rin könne leich­te Tätig­kei­ten oh­ne be­son­de­re An­for­de­run­gen an die nerv­li­che Be­las­tung, Um-stel­lungs- und An­pas­sungsfähig­keit so­wie Ver­ant­wor­tung für an­de­re Per­so­nen ausüben.

2

Die Kläge­rin be­warb sich er­folg­los auf ver­schie­de­ne Stel­len, die der Be­klag­te in­ner­halb und außer­halb des Geschäfts­be­reichs des M (im Fol­gen­den TMBJS) aus­ge­schrie­ben hat­te. Mit Schrei­ben vom 8. De­zem­ber 2015 über-

 

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sand­te der Be­klag­te der Kläge­rin ei­ne Aus­schrei­bung des TMBJS, mit der für die Tätig­keit als „Leh­rer-Kul­tur­agent/Kul­tur­agen­tin“ zehn Stel­len aus­ge­schrie­ben wur­den und bat sie, sich „bis zum 16. De­zem­ber 2015 zu po­si­tio­nie­ren“, ob sie in der La­ge sei, „die Tätig­keit als Kul­tur­agen­tin un­ter der Maßga­be aus­zu­üben, dass es sich um ei­ne Teil­zeittätig­keit mit ei­nem Beschäfti­gungs­um­fang von 80% ei­nes Voll­zeit­beschäftig­ten oh­ne Un­ter­richts­ver­pflich­tung“ han­de­le, und sich ggf. zu be­wer­ben. Par­al­lel wer­de der amtsärzt­li­che Dienst um ei­ne Einschätzung ge­be­ten, ob ei­ner Über­tra­gung der Tätig­keit an die Kläge­rin ge­sund­heit­li­che Gründe ent­ge­genstünden. Die Kläge­rin be­warb sich dar­auf­hin auf die aus­ge­schrie­be­nen Stel­len und un­ter­zog sich am 4. Ja­nu­ar 2016 er­neut ei­ner amtsärzt­li­chen Un­ter­su­chung. Der Amtsärzt­li­che Dienst führ­te in sei­ner Stel­lung­nah­me vom 15. Ja­nu­ar 2016 aus, die Kläge­rin ha­be bei der Un­ter­su­chung kei­ne we­sent­li­chen ge­sund­heit­li­chen Be­schwer­den an­ge­ge­ben; ih­re ge­sund­heit­li­che Eig­nung für die ge­plan­te Tätig­keit ent­spre­chend der Stel­len­be­schrei­bung sei ge­ge­ben. Mit Be­scheid vom 14. März 2016 stell­te die Stadt­ver­wal­tung E - Amt für So­zia­les und Ge­sund­heit - mit Wir­kung ab dem 13. Ja­nu­ar 2016 ei­nen Grad der Be­hin­de­rung (GdB) der Kläge­rin von 30 fest.

3

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Be­klag­te sei ver­pflich­tet, sie lei­dens- und be­hin­de­rungs­ge­recht in­ner­halb oder außer­halb des Geschäfts­be­reichs des TMBJS zu beschäfti­gen. Der Be­klag­te ha­be pflicht­wid­rig ein be­trieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment und ein Präven­ti­ons­ver­fah­ren un­ter­las­sen und könne sich des­halb nicht dar­auf be­schränken, das Be­ste­hen ei­ner Be­schäfti­gungsmöglich­keit zu be­strei­ten. Sie sei in der La­ge, Tätig­kei­ten der Wer­tig­keit der Ent­gelt­grup­pe 11 TV-L auf Grund­la­ge ih­rer Aus­bil­dung und Qua­li­fi­ka­ti­on so­wie ih­rer be­ruf­li­chen Er­fah­rung aus­zuüben, ins­be­son­de­re die Auf­ga­ben ei­ner Kul­tur­agen­tin wahr­zu­neh­men. Da­mit exis­tie­re je­den­falls ein frei­er und ge­eig­ne­ter Ar­beits­platz, auf dem sie beschäftigt wer­den könne. Auf zwi­schen­zeit­lich er­folg­te Stel­len­be­set­zun­gen könne sich der Be­klag­te nicht be­ru­fen.

4

Die Kläge­rin hat - so­weit für die Re­vi­si­on noch von Be­deu­tung - be­an­tragt,

den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, sie lei­dens­ge­recht - un­ter Aus­schluss ei­ner Tätig­keit als Leh­re­rin im Schul­dienst - zu

 

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beschäfti­gen im Be­reich der Schul­auf­sicht im TMBJS oder an ei­nem der staat­li­chen Schulämter oder an­der­wei­tig im Geschäfts­be­reich ei­nes an­de­ren Mi­nis­te­ri­ums (Res­sorts) als Mit­ar­bei­te­rin am E oder als Mit­ar­bei­te­rin bei der A oder als Kul­tur­agen­tin.

5

Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Er hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Kla­ge­an­trag sei nur zulässig, so­weit die Kläge­rin ei­ne Be­schäfti­gung als Kul­tur­agen­tin ver­lan­ge. Im Übri­gen sei der An­trag un­zulässig, weil die be­gehr­te Beschäfti­gung nicht hin­rei­chend kon­kret be­zeich­net sei. Für die Stel­le als Kul­tur­agen­tin schei­de ein Beschäfti­gungs­an­spruch der Kläge­rin schon we­gen des noch lau­fen­den Aus­wahl­ver­fah­rens und des nach Art. 33 Abs. 2 GG bei der Aus­wah­l­ent­schei­dung zu be­ach­ten­den Grund­sat­zes der Bes­ten­aus­le­se aus. Außer­dem sei die Kläge­rin ge­sund­heit­lich und fach­lich für die Tätig­keit nicht ge­eig­net.

6

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Nach Verkündung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils stell­te die Agen­tur für Ar­beit E die Kläge­rin mit Be­scheid vom 20. Sep­tem­ber 2016 mit Wir­kung ab dem 18. März 2016 ei­nem schwer­be­hin­der­ten Men­schen gleich. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt der Be­klag­te sei­nen Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag wei­ter. Der Be­klag­te hat die Stel­len für Kul­tur­agen­ten in­zwi­schen mit an­de­ren Mit­ar­bei­tern be­setzt. Da­ge­gen wen­det sich die Klä­ge­rin mit ei­ner beim Ar­beits­ge­richt Er­furt ein­ge­reich­ten Kla­ge vom 31. Au­gust 2018. Das Ar­beits­ge­richt Er­furt hat die Kla­ge mit Ur­teil vom 3. Ja­nu­ar 2019 (- 5 Ca 1537/18 -) ab­ge­wie­sen. Über die Be­ru­fung der Kläge­rin hat das Thürin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richt noch nicht ent­schie­den.

 

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Ent­schei­dungs­gründe

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Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge zu Un­recht statt­ge­ge­ben. Die Kla­ge ist teil­wei­se un­zulässig und im Übri­gen un­be­gründet.

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I. Der Kla­ge­an­trag ist ent­ge­gen der An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts nur teil­wei­se zulässig. Er genügt den Be­stimmt­heits­an­for­de­run­gen von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur, so­weit die Kläge­rin ei­ne Beschäfti­gung als Kul­tur­agen­tin be­gehrt. Im Übri­gen ist die von der Kläge­rin ge­gehr­te Beschäfti­gung nicht hin­rei­chend be­stimmt be­zeich­net.

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1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Kla­ge­schrift die be­stimm­te An­ga­be des Ge­gen­stan­des und des Grun­des des er­ho­be­nen An­spruchs so­wie ei­nen be­stimm­ten An­trag ent­hal­ten. Die Kla­ge­par­tei muss ein­deu­tig fest­le­gen, wel­che Ent­schei­dung sie be­gehrt. Da­zu hat sie den Streit­ge­gen­stand so ge­nau zu be­zeich­nen, dass der Rah­men der ge­richt­li­chen Ent­schei­dungs­be­fug­nis (§ 308 ZPO) kei­nem Zwei­fel un­ter­liegt und die ei­gent­li­che Streit­fra­ge mit Rechts­kraft­wir­kung zwi­schen den Par­tei­en ent­schie­den wer­den kann (§ 322 ZPO). So­wohl bei ei­ner der Kla­ge statt­ge­ben­den als auch bei ei­ner sie ab­wei­sen­den Sach­ent­schei­dung muss zu­verlässig fest­stell­bar sein, worüber das Ge­richt ent­schie­den hat (BAG 24. Sep­tem­ber 2014 - 5 AZR 593/12 - Rn. 18, BA­GE 149, 169). Un­klar­hei­ten über den In­halt der Ver­pflich­tung dürfen nicht aus dem Er­kennt­nis­ver­fah­ren ins Voll­stre­ckungs­ver­fah­ren ver­la­gert wer­den. Des­sen Auf­ga­be ist es zu klären, ob der Schuld­ner ei­ner fest­ge­leg­ten Ver­pflich­tung nach­ge­kom­men ist, nicht aber wor­in die­se be­steht (BAG 15. April 2009 - 3 AZB 93/08 - Rn. 16, BA­GE 130, 195).

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2. Bei ei­nem auf Beschäfti­gung ge­rich­te­ten Kla­ge­an­trag muss ei­ner­seits 11 für den Pro­zess­geg­ner aus rechts­staat­li­chen Gründen er­kenn­bar sein, in wel­chen Fällen er bei Nich­terfüllung der aus­ge­ur­teil­ten Ver­pflich­tung mit ei­nem Zwangs­mit­tel zu rech­nen hat. An­de­rer­seits er­for­dern das Rechts­staats­prin­zip und das dar­aus fol­gen­de Ge­bot ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes (BVerfG 12. Fe­bru­ar

 

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1992 - 1 BvL 1/89 - zu C I der Gründe, BVerfGE 85, 337), dass ma­te­ri­ell-recht­li­che Ansprüche ef­fek­tiv durch­ge­setzt wer­den können. Be­gehrt der Ar­beit­neh­mer ihn lei­dens- und be­hin­de­rungs­ge­recht zu beschäfti­gen, kann aus ma­te­ri­ell-recht­li­chen Gründen nicht ver­langt wer­den, dass der Kla­ge­an­trag auf ei­ne ganz be­stimm­te im Ein­zel­nen be­schrie­be­ne Tätig­keit oder Stel­le zu­ge­schnit­ten ist. Dar­auf hat der Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig kei­nen An­spruch, denn we­der die ver­trag­li­che Rück­sicht­nah­me­pflicht noch das Schwer­be­hin­der­ten­recht be­grün­den ei­nen An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf ei­nen selbst be­stimm­ten Ar­beits­platz. Ver­lang­te man für ei­nen zulässi­gen Beschäfti­gungs­an­trag die An­ga­be ei­nes ein­zi­gen kon­kre­ten Ar­beits­plat­zes, so lie­fe der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer stets Ge­fahr, dass die so kon­kre­ti­sier­te Kla­ge zwar zulässig, aber un­be­gründet wäre, weil der Ar­beit­ge­ber ihm auch ei­nen an­de­ren be­hin­de­rungs­ge­rech­ten Ar­beits­platz zu­wei­sen dürf­te (vgl. BAG 10. Mai 2005 - 9 AZR 230/04 - zu B I 2 b ff der Gründe mwN, BA­GE 114, 299). Um bei­den Ge­sichts­punk­ten ge­recht zu wer­den, muss zu­min­dest die Art der be­gehr­ten Beschäfti­gung durch Aus­le­gung des An­trags ggf. un­ter Her­an­zie­hung der Kla­ge­schrift und des sons­ti­gen Vor-brin­gens der kla­gen­den Par­tei fest­stell­bar sein (vgl. BAG 27. Mai 2015 - 5 AZR 88/14 - Rn. 44, BA­GE 152, 1; sie­he auch 17. März 2015 - 9 AZR 702/13 - Rn. 25; 13. Ju­ni 2006 - 9 AZR 229/05 - Rn. 14, BA­GE 118, 252; 10. Mai 2005 - 9 AZR 230/04 - zu B I 2 a der Gründe mwN, BA­GE 114, 299). Er­for­der­lich und aus­rei­chend ist die Be­zeich­nung des Be­rufs­bilds, mit dem der Ar­beit­neh­mer beschäftigt wer­den soll, wenn sich da­mit hin­rei­chend be­stimmt fest­stel­len lässt, wor­in die ihm zu­zu­wei­sen­de Tätig­keit be­ste­hen soll. Ein­zel­hei­ten hin­sicht­lich der Art der Beschäfti­gung oder sons­ti­gen Ar­beits­be­din­gun­gen muss der An­trag nicht ent­hal­ten (vgl. zur hin­rei­chen­den Be­stimmt­heit ei­nes Be­schäfti­gungs­ti­tels nach § 322 Abs. 1 ZPO: BAG 27. Mai 2015 - 5 AZR 88/14 - Rn. 40, 44, 46, aaO; 15. April 2009 - 3 AZB 93/08 - Rn. 20, BA­GE 130, 195).

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3. Un­ter Be­ach­tung die­ser Grundsätze genügt der Kla­ge­an­trag den An­for­de­run­gen von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur, so­weit die Kläge­rin ei­ne Beschäfti­gung als Kul­tur­agen­tin be­gehrt.

 

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a) Der In­halt der Tätig­keit als Kul­tur­agen­tin ist mit hin­rei­chen­der Be­stimmt­heit der von der Kläge­rin vor­ge­leg­ten Stel­len­be­schrei­bung zu ent­neh­men. Mit dem Kla­ge­ziel „Beschäfti­gung” geht es der Kläge­rin er­sicht­lich um die Zu­wei­sung ei­ner lei­dens- und be­hin­de­rungs­ge­rech­ten Tätig­keit. Der Be­klag­te soll ver­pflich­tet wer­den, ihr ei­nen Ar­beits­platz als Kul­tur­agen­tin zur Verfügung zu stel­len (BAG 10. Mai 2005 - 9 AZR 230/04 - zu B I 2 b bb der Gründe mwN, BA­GE 114, 299), dh. ihr Zu­tritt zum Be­trieb gewähren, die mit dem Ar­beits­platz ver­bun­de­nen Auf­ga­ben über­tra­gen und den Zu­griff auf die sach­li­chen und per­so­nel­len Mit­tel eröff­nen, die zur tatsächli­chen Ausübung der Ar­beits­leis­tung als Kul­tur­agen­tin er­for­der­lich sind (vgl. BAG 13. Ju­ni 2006 - 9 AZR 229/05 - Rn. 18, BA­GE 118, 252).

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b) Im Übri­gen ist der Kla­ge­an­trag un­zulässig, weil die Art der von der Klä­ge­rin be­gehr­ten Beschäfti­gung nicht iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hin­rei­chend be­stimmt be­zeich­net ist.

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aa) Dem An­trag ist le­dig­lich zu ent­neh­men, dass die Kläge­rin ei­ne Beschäf­ti­gung un­ter Aus­schluss ei­ner Tätig­keit als Leh­re­rin im Schul­dienst be­gehrt. So­weit er sich auf ei­ne Beschäfti­gung im Be­reich der Schul­auf­sicht oder an ei­nem der staat­li­chen Schulämter oder als Mit­ar­bei­te­rin am E oder als Mit­ar­bei­te­rin bei der A be­zieht, ist der Kla­ge­an­trag we­der auf kon­kret be­zeich­ne­te Stel­len noch auf ein be­stimm­tes Be­rufs­bild oder ei­ne der Kläge­rin zu­zu­wei­sen­de Tätig­keit ge­rich­tet. Auch un­ter Her­an­zie­hung der Kla­ge­schrift und des sons­ti­gen Vor­brin­gens der Kläge­rin ist nicht fest­stell­bar, wel­che Art von Beschäfti­gung sie be­gehrt. Dies er­gibt sich auch nicht aus dem Vor­trag der Kläge­rin, es ge­he ihr um „Tätig­kei­ten der Wer­tig­keit der Ent­gelt­grup­pe 11 TV-L auf Grund­la­ge ih­rer Aus­bil­dung und Qua­li­fi­ka­ti­on so­wie ih­rer be­ruf­li­chen Er­fah­rung, in Be­rei­chen oh­ne Un­ter­richts­ver­pflich­tung“, denn die Ent­gel­t­ord­nung zum TV-L nennt zahl­rei­che Bei­spie­le für Tätig­kei­ten in der Ent­gelt­grup­pe 11 in ver­schie­de­nen Be­rei­chen.

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bb) Es be­darf kei­ner ab­sch­ließen­den Ent­schei­dung, ob es zur Gewähr­leis­tung ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes für schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer oder ih­nen gleich­ge­stell­te Ar­beit­neh­mer ge­bo­ten sein kann, die An­for­de­run­gen an die Be-

 

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stimmt­heit des Kla­ge­an­trags iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ab­zu­sen­ken, wenn der Ar­beit­ge­ber we­der ein be­trieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX aF bzw. iSv. § 167 Abs. 2 SGB IX noch ein Präven­ti­ons­ver­fah­ren iSv. § 84 Abs. 1 SGB IX aF bzw. iSv. § 167 Abs. 1 SGB IX durch­geführt hat.

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(1) Ver­letzt der Ar­beit­ge­ber sei­ne aus § 84 Abs. 1 SGB IX aF bzw. § 167 Abs. 1 SGB IX und/oder § 84 Abs. 2 SGB IX aF bzw. iSv. § 167 Abs. 2 SGB IX re­sul­tie­ren­den Ver­pflich­tun­gen können zu­guns­ten des für die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner be­hin­de­rungs­ge­rech­ten Beschäfti­gungsmöglich­keit primär dar­le­gungs­be-las­te­ten Ar­beit­neh­mers die Grundsätze der se­kundären Be­haup­tungs­last ein­grei­fen (vgl. hier­zu im Ein­zel­nen BAG 4. Ok­to­ber 2005 - 9 AZR 632/04 - Rn. 30, BA­GE 116, 121 zu § 84 Abs. 1 SGB IX aF; BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 28 mwN zu § 84 Abs. 2 SGB IX aF). Die Er­leich­te­run­gen der se­kundären Dar­le­gungs­last grei­fen je­doch nur ein, so­weit die dar­le­gungs­pflich­ti­ge Par­tei, ob­wohl sie al­le ihr zur Verfügung ste­hen­den Möglich­kei­ten aus­geschöpft hat, ih­rer primären Dar­le­gungs­last nicht nach­kom­men kann, weil sie außer­halb des für ih­ren An­spruch er­heb­li­chen Ge­sche­hens­ab­laufs steht (vgl. BAG 27. Mai 2015 - 5 AZR 88/14 - Rn. 31, BA­GE 152, 1; 25. Fe­bru­ar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 53, BA­GE 133, 265; 18. Sep­tem­ber 2014 - 6 AZR 145/13 - Rn. 29).

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(2) Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind im vor­lie­gen­den Fall nicht erfüllt. An­ga­ben im An­trag zur Art der be­gehr­ten Beschäfti­gung wa­ren nicht ent­behr­lich, weil sich we­der aus den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts noch nach dem Vor­trag der Par­tei­en An­halts­punk­te dafür er­ge­ben, dass die Kläge­rin un­ter Aus­schöpfung al­ler ihr zur Verfügung ste­hen­den Möglich­kei­ten nicht in der La­ge ge­we­sen wäre, je­den­falls das Be­rufs­bild der von ihr be­gehr­ten Beschäfti­gung oder die ihr zu­zu­wei­sen­den Tätig­kei­ten im Kla­ge­an­trag abs­trakt an­zu­ge­ben.

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II. Die Kla­ge ist - so­weit zulässig - nicht be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Un­recht an­ge­nom­men, die Kläge­rin ha­be nach § 241 Abs. 2 BGB und auf­grund ih­rer Gleich­stel­lung mit ei­nem schwer­be­hin­der­ten Men­schen ge­mäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF An­spruch auf die be­gehr­te lei­dens­ge­rech­te Beschäfti­gung. Sie könne je­den­falls als Kul­tur­agen­tin beschäftigt wer-

 

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den. Da­bei hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht be­ach­tet, dass ei­nem An­spruch der Kläge­rin auf Beschäfti­gung als Kul­tur­agen­tin die vom Be­klag­ten ge­trof­fe­ne Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­schei­dung ent­ge­gen­steht, die Stel­len im Rah­men und erst nach Ab­schluss des durch die Stel­len­aus­schrei­bung ein­ge­lei­te­ten Aus­wahl­ver­fah­rens zu be­set­zen, und der Be­klag­te bei der Stel­len­be­set­zung an Art. 33 Abs. 2 GG ge­bun­den ist. Die Sa­che ist den­noch nicht zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen. Der Se­nat kann nach § 563 Abs. 3 ZPO in der Sa­che selbst ab­sch­ließend ent­schei­den, weil die für ei­ne End­ent­schei­dung er­for­der­li­chen Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen sind.

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1. Der Be­klag­te ist nicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB ver­pflich­tet, die Kläge­rin un­ter Aus­schluss ei­ner Tätig­keit als Leh­re­rin im Schul­dienst als Kul­tur­agen­tin zu beschäfti­gen.

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a) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist je­de Par­tei des Ar­beits­ver­trags zur Rück­sicht­nah­me auf die Rech­te, Rechtsgüter und In­ter­es­sen ih­res Ver­trags­part­ners ver­pflich­tet. Dies dient dem Schutz und der Förde­rung des Ver­trags­zwecks. Ist der Ar­beit­neh­mer aus in sei­ner Per­son lie­gen­den Gründen nicht mehr in der La­ge, die vom Ar­beit­ge­ber auf­grund sei­nes Di­rek­ti­ons­rechts nach § 106 Satz 1 Ge­wO näher be­stimm­te Leis­tung zu er­brin­gen, kann es die Rück­sicht­nah­me-pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB ge­bie­ten, dass der Ar­beit­ge­ber von sei­nem Di­rek­ti­ons­recht er­neut Ge­brauch macht und dem leis­tungs­ge­min­der­ten Ar­beit­neh­mer in­ner­halb des ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Rah­mens ei­ne Tätig­keit überträgt, zu de­ren Er­brin­gung die­ser noch in der La­ge ist. Vor­aus­set­zung ist, dass dem Ar­beit­ge­ber die ent­spre­chen­de Neu­be­stim­mung der aus­zuüben­den Tätig­keit recht­lich möglich und zu­mut­bar ist (vgl. BAG 27. Mai 2015 - 5 AZR 88/14 - Rn. 26 f., 34, 44, 46, BA­GE 152, 1; 15. Ok­to­ber 2013 - 1 ABR 25/12 - Rn. 24; 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 28 ff., BA­GE 134, 296). Ei­ne Ver­pflich­tung zu ei­ner ver­trags­frem­den Beschäfti­gung be­gründet das Ge­bot der Rück­sicht­nah­me nicht. Der Ar­beit­ge­ber kann im Rah­men der Rück­sicht­nah­me-pflicht le­dig­lich ge­hal­ten sein, dem Wunsch des Ar­beit­neh­mers nach ei­ner Ver­trags­an­pas­sung nach­zu­kom­men, ins­be­son­de­re wenn an­de­ren­falls ein dau­er­haf­tes Un­vermögen des Ar­beit­neh­mers droht (vgl. BAG 21. Fe­bru­ar

 

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2017 - 1 AZR 367/15 - Rn. 22, BA­GE 158, 148; 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 26, BA­GE 134, 296; 13. Au­gust 2009 - 6 AZR 330/08 - Rn. 31, BA­GE 131, 325).

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b) Die Kläge­rin ver­langt vor­lie­gend je­doch kei­ne Ver­tragsände­rung, son­dern un­mit­tel­bar ei­ne ver­trags­frem­de Beschäfti­gung. Hierfür bie­tet § 241 Abs. 2 BGB kei­ne Grund­la­ge. Sie wur­de als Leh­re­rin ein­ge­stellt. Der Kla­ge­an­trag ist auf ei­ne Beschäfti­gung als Kul­tur­agen­tin un­ter Aus­schluss ei­ner Tätig­keit als Leh­re­rin im Schul­dienst und da­mit auf ei­ne Beschäfti­gung außer­halb des ver­trag­li­chen Rah­mens ge­rich­tet. Die Auf­ga­ben ei­ner Kul­tur­agen­tin kann der Be­klag­te der Kläge­rin nicht in Ausübung sei­nes Di­rek­ti­ons­rechts zu­wei­sen.

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2. Ein An­spruch der Kläge­rin ge­gen den Be­klag­ten auf Beschäfti­gung als Kul­tur­agen­tin be­steht auch nicht gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF bzw. nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX in der seit dem 1. Ja­nu­ar 2018 gel­ten­den Fas­sung.

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a) Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX ha­ben Schwer­be­hin­der­te und mit ih­nen - wie die Kläge­rin - gleich­ge­stell­te be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer ge­genüber ih­rem Ar­beit­ge­ber An­spruch auf Beschäfti­gung, bei der sie ih­re Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se möglichst voll ver­wer­ten und wei­ter­ent­wi­ckeln können. Dar­aus kann sich ein An­spruch des schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mers auf an­der­wei­ti­ge - auch ver­trags­frem­de - Beschäfti­gung er­ge­ben, wenn er sei­ne ver­trag­lich ge­schul­de­te Tätig­keit we­gen sei­ner Be­hin­de­rung nicht mehr ausüben kann (vgl. BAG 15. Ok­to­ber 2013 - 1 ABR 25/12 - Rn. 24). Der An­spruch be­steht nicht, wenn ei­ne an­der­wei­ti­ge Beschäfti­gung zwar in Be­tracht kommt, sie dem Ar­beit­ge­ber aber un­zu­mut­bar oder für ihn mit un­verhält­nismäßig ho­hen Auf­wen­dun­gen ver­bun­den ist (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX). Ins­be­son­de­re muss der Ar­beit­ge­ber kei­nen zusätz­li­chen, bis­her nicht vor­han­de­nen und nicht benötig­ten Ar­beits­platz dau­er­haft ein­rich­ten (st. Rspr. BAG 16. Mai 2019 - 6 AZR 329/18 - Rn. 35; 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 664/13 - Rn. 25).

 

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b) Ein An­spruch der Kläge­rin gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB auf Beschäfti­gung als Kul­tur­agen­tin schei­det be­reits des­halb aus, weil in die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt des Be­klag­ten un­zu­lässig ein­ge­grif­fen würde, ver­lang­te man von ihm, der Kläge­rin die Tätig­keit als Kul­tur­agen­tin außer­halb des mit der Aus­schrei­bung ein­ge­lei­te­ten Be­set­zungs­ver­fah­rens zu­zu­wei­sen. Zu­dem ist der Be­klag­te in­fol­ge der un­be­schränk­ten Aus­schrei­bung der Stel­len für die Tätig­keit als Leh­rer-Kul­tur­agent/Kul­tur­agen­tin bei der Stel­len­be­set­zung an Art. 33 Abs. 2 GG ge­bun­den.

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aa) Aus der Art. 33 Abs. 2 GG vor­ge­la­ger­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt des öf­fent­li­chen Ar­beit­ge­bers folgt, dass es ihm im Grund­satz ob­liegt, darüber zu ent­schei­den, ob, wel­che und ggf. wie vie­le Sta­tusämter er vorhält (vgl. BAG 12. De­zem­ber 2017 - 9 AZR 152/17 - Rn. 29; BA­GE 161, 157; BVerwG 13. De­zem­ber 2012 - 2 C 11.11 - Rn. 20, BVerw­GE 145, 237). Ob, in wel­cher Ge­stalt und zu wel­chem Zeit­punkt ei­ne Stel­le be­setzt wer­den soll, ent­schei­det der Dienst­herr in Ausübung sei­ner Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt nach sei­nen Bedürf­nis­sen. Die Schaf­fung und Be­set­zung von Plan­stel­len dient grundsätz­lich al­lein dem öffent­li­chen In­ter­es­se an ei­ner bestmögli­chen Erfüllung der öffent­li­chen Auf­ga­ben. Sie er­folgt nicht in Wahr­neh­mung der Rück­sicht­nah­me­pflicht des öffent­li­chen Ar­beit­ge­bers ge­genüber sei­nen Beschäftig­ten. Sub­jek­ti­ve Rech­te et­wai­ger Be­wer­ber auf den Er­lass ei­ner sol­chen Ent­schei­dung be­ste­hen grund­sätz­lich nicht, son­dern set­zen sie vor­aus (vgl. BAG 12. De­zem­ber 2017 - 9 AZR 152/17 - Rn. 28, aaO; BVerwG 17. No­vem­ber 2016 - 2 C 27.15 - Rn. 34, BVerw­GE 156, 272). Der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber hat auf­grund sei­ner Or­ga­ni­sa­ti­ons­frei­heit das Recht, zwi­schen ver­schie­de­nen Möglich­kei­ten, ei­ne Stel­le zu be­set­zen, zu wählen. Er ist nicht ver­pflich­tet, of­fe­ne Stel­len aus­sch­ließlich auf Grund von Aus­schrei­bun­gen und Aus­wahl­ver­fah­ren zu be­set­zen und hat das Recht, zwi­schen Um­set­zun­gen, Ver­set­zun­gen oder Beförde­run­gen zu wählen. Nur so­weit es um den be­ruf­li­chen Auf­stieg von Be­wer­bern mit der Rang­ord­nung nach nied­ri­ge­ren Be­sol­dungs­grup­pen geht (sog. Beförde­rung), ist zwin­gend ei­ne Aus­wahl nach den Maßstäben des Art. 33 Abs. 2 GG ge­bo­ten. Ein Art. 33 Abs. 2 GG ent­spre­chen­des Aus­wahl­ver­fah­ren ist zu­dem durch­zuführen, wenn der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber die zu be­set­zen­de Stel­le er­mes­sens­feh­ler­frei un­be-

 

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schränkt aus­ge­schrie­ben hat. Wie der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber sei­ne Or­ga­ni­sa­ti­ons­frei­heit nutzt, steht in sei­nem pflicht­gemäßen Er­mes­sen (vgl. BAG 12. April 2016 - 9 AZR 673/14 - Rn. 25, BA­GE 155, 29; 23. Ja­nu­ar 2007 - 9 AZR 492/06 - Rn. 40 mwN, BA­GE 121, 67). Er darf die­se ins­be­son­de­re nicht ge­zielt und ma­ni­pu­la­tiv ein­set­zen, um den nach Maßga­be von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX be­ste­hen­den Beschäfti­gungs­an­spruch schwer­be­hin­der­ter und mit ih­nen gleich­ge­stell­ter Ar­beit­neh­mer zu um­ge­hen oder ei­ne Aus­wah­l­ent­schei­dung zu­guns­ten oder zu­las­ten ein­zel­ner Be­wer­ber zu steu­ern (vgl. zum Be­wer­bungs­ver­fah­rens­an­spruch BAG 12. De­zem­ber 2017 - 9 AZR 152/17 - Rn. 30, BA­GE 161, 157).

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bb) Da­nach war der Be­klag­te bei der Be­set­zung der Stel­len für Leh­rer- Kul­tur­agen­ten/Kul­tur­agen­tin­nen an Art. 33 Abs. 2 GG ge­bun­den.

27

(1) Bei den Stel­len für Leh­rer-Kul­tur­agen­ten/Kul­tur­agen­tin­nen han­delt es sich um öffent­li­che Ämter iSd. Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. hier­zu BAG 12. April 2016 - 9 AZR 673/14 - Rn. 16, BA­GE 155, 29).

28

(2) Es be­ste­hen kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass die Ent­schei­dung des
Be­klag­ten, die Stel­len aus­zu­schrei­ben, nicht pflicht­gemäßem Er­mes­sen ent­sprach. Der An­nah­me, der Be­klag­te ha­be - je­den­falls nicht al­le - Stel­len für Leh­rer-Kul­tur­agen­ten/Kul­tur­agen­tin­nen un­be­schränkt aus­schrei­ben dürfen, weil er ver­pflich­tet ge­we­sen sei, die Kläge­rin auf ei­ner der Stel­len zu beschäfti­gen, steht ent­ge­gen, dass § 241 Abs. 2 BGB der Kläge­rin kei­nen An­spruch auf die ver­trags­frem­de Beschäfti­gung als Kul­tur­agen­tin gewährt und zum Zeit­punkt der Aus­schrei­bung ein Beschäfti­gungs­an­spruch der Kläge­rin gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX man­gels er­folg­ter Gleich­stel­lung mit ei­nem schwer­be­hin­der­ten Men­schen noch nicht in Be­tracht kam.

29

(3) In­fol­ge der un­be­schränk­ten Aus­schrei­bung hat­te der Be­klag­te bei der Aus­wah­l­ent­schei­dung und Stel­len­be­set­zung das sub­jek­ti­ve Recht ei­nes je­den Be­wer­bers auf chan­cen­glei­che Teil­nah­me am Be­wer­bungs­ver­fah­ren zu ge­währ­leis­ten (vgl. BAG 19. Mai 2015 - 9 AZR 837/13 - Rn. 16 mwN). Dies steht

 

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ei­nem An­spruch auf Zu­wei­sung der Tätig­keit als Kul­tur­agen­tin un­abhängig vom Aus­gang des Be­wer­bungs­ver­fah­rens ent­ge­gen, wie ihn die Kläge­rin im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren mit ih­rem Beschäfti­gungs­an­trag gel­tend macht (vgl. oben Rn. 13).

30

(a) Der nach Art. 33 Abs. 2 GG bei der Be­set­zung öffent­li­cher Ämter un­be­schränkt und vor­be­halt­los gewähr­leis­te­te Grund­satz der Bes­ten­aus­le­se dient zum ei­nen dem öffent­li­chen In­ter­es­se an der bestmögli­chen Be­set­zung der Stel­len des öffent­li­chen Diens­tes. Zum an­de­ren trägt die Ver­fas­sungs­norm dem be­rech­tig­ten In­ter­es­se der Be­diens­te­ten an ei­nem an­ge­mes­se­nen be­ruf­li­chen Fort­kom­men da­durch Rech­nung, dass sie grund­rechts­glei­che Rech­te auf er-mes­sens- und be­ur­tei­lungs­feh­ler­freie Ein­be­zie­hung in die Be­wer­be­r­aus­wahl be­gründet. Be­am­ten und Ar­beit­neh­mern im öffent­li­chen Dienst steht des­halb bei der Be­set­zung von Ämtern des öffent­li­chen Diens­tes ein ver­fas­sungs­recht­li­cher Be­wer­bungs­ver­fah­rens­an­spruch zu. An­ge­sichts der Kri­te­ri­en Eig­nung, Be­fähi­gung und fach­li­che Leis­tung folgt aus Art. 33 Abs. 2 GG ein sub­jek­ti­ves Recht je­des Be­wer­bers auf chan­cen­glei­che Teil­nah­me am Be­wer­bungs­ver­fah­ren (st. Rspr. zB BAG 12. De­zem­ber 2017 - 9 AZR 152/17 - Rn. 33, BA­GE 161, 157; 28. Sep­tem­ber 2017 - 8 AZR 492/16 - Rn. 39; 19. Mai 2015 - 9 AZR 837/13 - Rn. 16 mwN). Die Ver­let­zung der aus Art. 33 Abs. 2 GG ab­ge­lei­te­ten Ver­fah­rens­grundsätze be­gründet re­gelmäßig kei­nen Ein­stel­lungs­an­spruch, son­dern le­dig­lich ei­nen An­spruch des nicht berück­sich­tig­ten Be­wer­bers auf Fortführung des ursprüng­li­chen Aus­wahl­ver­fah­rens nach Maßga­be von Art. 33 Abs. 2 GG. Der Be­wer­bungs­ver­fah­rens­an­spruch ver­dich­tet sich nur dann zu ei­nem Be­set­zungs­an­spruch, wenn das Aus­wahl­ver­fah­ren ord­nungs­gemäß ab­ge­schlos­sen wur­de und die Aus­wahl nach den Kri­te­ri­en des Art. 33 Abs. 2 GG zu­guns­ten des An­spruch­stel­lers aus­ge­fal­len ist oder hätte aus­fal­len müssen (vgl. BAG 20. März 2018 - 9 AZR 249/17 - Rn. 13; 24. März 2009 - 9 AZR 277/08 - Rn. 18, BA­GE 130, 107).

31

(b) Der aus Art. 33 Abs. 2 GG fol­gen­de Be­wer­bungs­ver­fah­rens­an­spruch setzt zu­dem dem Grund­satz nach vor­aus, dass die be­gehr­te Stel­le noch nicht be­setzt ist. Für ei­ne Neu­be­schei­dung ist kein Raum, wenn die be­gehr­te Stel­le

 

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dem er­folg­rei­chen Kon­kur­ren­ten rechts­wirk­sam auf Dau­er über­tra­gen wor­den ist. Die Stel­le ist da­mit nicht mehr verfügbar. Der un­ter­le­ge­ne Be­wer­ber hat re­gelmäßig kei­nen An­spruch auf „Wie­der­frei­ma­chung“ oder Dop­pel­be­set­zung der Stel­le. Dem ver­fah­rens­feh­ler­haft zurück­ge­wie­se­nen Be­wer­ber ste­hen al­len­falls Scha­dens­er­satz­ansprüche zu, wenn ihm die Stel­le hätte über­tra­gen wer­den müssen (vgl. hier­zu im Ein­zel­nen BAG 12. De­zem­ber 2017 - 9 AZR 152/17 - Rn. 25, BA­GE 161, 157). Nur wenn der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber den ef­fek­ti­ven Rechts­schutz des Be­wer­bers ver­ei­telt, gilt ei­ne Aus­nah­me. Dann ist es ihm ent­spre­chend den Rechts­ge­dan­ken aus § 162 Abs. 2 BGB so­wie aus §§ 135, 136 BGB ver­wehrt, dem über­g­an­ge­nen Be­wer­ber die an­der­wei­ti­ge Stel­len­be­set­zung ent­ge­gen­zu­hal­ten (vgl. BAG 12. De­zem­ber 2017 - 9 AZR 152/17 - Rn. 34, aaO; 12. April 2016 - 9 AZR 673/14 - Rn. 28, BA­GE 155, 29).

32

(4) Aus­ge­hend von die­sen Grundsätzen be­steht kein vom Aus­gang des Be­wer­bungs­ver­fah­rens un­abhängi­ger An­spruch der Kläge­rin auf Zu­wei­sung der Tätig­keit als Kul­tur­agen­tin.

33

(a) Mit der er­mes­sens­feh­ler­frei­en Aus­schrei­bung der Stel­len für Leh­rer- Kul­tur­agen­ten/Kul­tur­agen­tin­nen hat der Be­klag­te die Ent­schei­dung ge­trof­fen, die Stel­len erst nach Ab­schluss des Be­wer­bungs­ver­fah­rens zu be­set­zen. Gleich­zei­tig hat er die zu tref­fen­de Aus­wah­l­ent­schei­dung an Art. 33 Abs. 2 GG ge­bun­den. Aus dem Ge­bot der Rechts­si­cher­heit folgt, dass die Be­set­zung der aus­ge­schrie­be­nen Stel­len vom Be­klag­ten al­lein im Rah­men und auf Grund­la­ge des Be­wer­bungs­ver­fah­rens ver­langt wer­den kann. So­wohl der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber als auch die Be­wer­ber brau­chen Klar­heit darüber, in wel­chem Aus­wahl­ver­fah­ren die Stel­len ver­ge­ben wer­den. Der zeit­li­che Par­al­lel­lauf meh­re­rer auf die­sel­be Stel­le be­zo­ge­ner Ver­fah­ren mit un­ter­schied­li­chen Be­wer­bern wür­de zu schwie­ri­gen Ver­ga­be- und Rück­ab­wick­lungs­pro­ble­men führen (vgl. BAG 12. De­zem­ber 2017 - 9 AZR 152/17 - Rn. 40; BA­GE 161, 157). Wäre der Be­klag­te ver­pflich­tet, ei­ne der Stel­len außer­halb die­ses Rah­mens durch Zu­wei­sung der Tätig­keit an die Kläge­rin zu be­set­zen, bestünde die Ge­fahr, dass ent­we­der un­ter Ver­s­toß ge­gen Art. 33 Abs. 2 GG der An­spruch an­de­rer Be­wer­ber auf chan­cen­glei­che Teil­nah­me am Be­wer­bungs­ver­fah­ren (vgl. BAG 19. Mai

 

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2015 - 9 AZR 837/13 - Rn. 16 mwN) ver­ei­telt oder mit der Ver­pflich­tung zur - je­den­falls fak­ti­schen - Dop­pel­be­set­zung un­zulässig in die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt des Be­klag­ten ein­ge­grif­fen würde (vgl. BAG 28. Mai 2002 - 9 AZR 751/00 - zu II 2 a der Gründe, BA­GE 101, 153).

34

(b) Im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren ist nicht zu ent­schei­den, ob der Kläge­rin im Hin­blick auf ih­re Be­wer­bung als Kul­tur­agen­tin wei­ter­hin ein Be­wer­bungs­ver­fah-rens­an­spruch nach Art. 33 Abs. 2 GG zu­steht, ob der Be­klag­te durch die zwi­schen­zeit­li­chen Stel­len­be­set­zun­gen den Be­wer­bungs­ver­fah­rens­an­spruch der Kläge­rin ver­letzt hat und ggf. wel­che Rechts­fol­gen hier­aus re­sul­tie­ren. Dies ist nicht Streit­ge­gen­stand des vor­lie­gen­den Ver­fah­rens. Ge­gen die Stel­len­be­set­zung wen­det sich die Kläge­rin al­lein mit der beim Ar­beits­ge­richt Er­furt ein­ge­reich­ten Kla­ge vom 31. Au­gust 2018. Es kann des­halb da­hin­ste­hen, ob die Klä­ge­rin ge­sund­heit­lich in der La­ge ist, die Tätig­keit als Kul­tur­agen­tin mit der Maß­ga­be aus­zuüben, dass es sich um ei­ne Beschäfti­gung oh­ne Un­ter­richts­ver­pflich­tung han­delt, ob sie über die er­for­der­li­che fach­li­che Eig­nung verfügt und in­wie­weit sich die Rech­te der Kläge­rin nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX auf das Aus­wahler­mes­sen des Be­klag­ten aus­wir­ken.

35
III. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. 36

 

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