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BAG, Ur­teil vom 26.06.1997, 2 AZR 494/96

   
Schlagworte: Kündigung: Betriebsbedingt, Kurzarbeit
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 494/96
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.06.1997
   
Leitsätze: Die Einführung von Kurzarbeit (§ 63 Abs 1 Satz 1 AFG) spricht zunächst indiziell dafür, daß der Arbeitgeber nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel ausgegangen ist, der eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen kann. Dieses Indiz kann jedoch der wegen § 1 Abs 2 Satz 4 KSchG beweisbelastete Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften, wonach eine Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer auf Dauer entfallen ist (teilweise Abänderung der Rechtsprechung im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Oktober 1980 - 7 AZR 675/78 - AP Nr 10 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 24.06.1996, 5 Sa 1767/95
Arbeitsgericht Verden, Urteil vom 16.08.1995, 1 Ca 1749/94
   


2 AZR 494/96
5 Sa 1767/95 Nie­der­sach­sen 

Im Na­men des Vol­kes!

Ur­teil


Verkündet am

26. Ju­ni 1997

An­derl,

Amts­in­spek­to­rin

als Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le 

In Sa­chen

pp.

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hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 26. Ju­ni 1997 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter Dr. Et­zel, die Rich­ter Bit­ter und Bröhl so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin En­gel und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Be­cker­le für Recht er­kannt:

Auf die Re­vi­si­on des Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 24. Ju­ni 1996 - 5 Sa 1767/95 - auf­ge­ho­ben.

Der Rechts­streit wird zur an­der­wei­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on, an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand:

Der Kläger wur­de bei der Ge­mein­schuld­ne­rin, die früher mit ca. 150 Ar­beit­neh­mern ei­nen Bau­be­trieb (u. a. Straßen­bau) be­trieb, ab 16. Ja­nu­ar 1989 zunächst als Bau­ma­schi­nist ein­ge­stellt und wur­de et­wa ab Mit­te Fe­bru­ar 1989 als Bau­wer­ker wei­ter­beschäftigt; er er­hielt zu­letzt bei ei­nem Brut­to­stun­den­lohn von 18,89 DM durch­schnitt­lich mo­nat­lich 4.000,- DM brut­to. Im Be­trieb der Ge­mein­schuld­ne­rin wur­de für die Zeit vom 1. De­zem­ber 1994 bis zum 30. Ju­ni 1995 Kurz­ar­beit an­ge­ord­net. Sie ent­ließ we­gen Ar­beits­man­gels im De­zem­ber 1994 die Bau­wer­ker N K und S zum 21. De­zem­ber 1994 und 0 L zum 31. De­zem­ber 1994.

Dem Kläger kündig­te die Ge­mein­schuld­ne­rin mit dem am glei­chen Tag zu­ge­gan­ge­nen Schrei­ben vom 15. De­zem­ber 1994 eben­falls we­gen Ar­beits­man­gels zum 28. Fe­bru­ar 1995.
 

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Der Kläger hat gel­tend ge­macht, die Kündi­gung we­gen Ar­beits­man­gels sei nicht ge­recht­fer­tigt, zu­mal er An­fang De­zem­ber 1994 zur Si­che­rung des Ar­beits­plat­zes der Kurz­ar­beit zu­ge­stimmt ha­be. Die frühe­re Be­klag­te ha­be ihn auch als Kraft­fah­rer ein­set­zen können, zu­mal er in den Jah­ren 1993/94 mo­na­te­lang ei­nen LKW bis 7,5 Ton­nen ge­fah­ren ha­be und auch auf ei­nem Unimog-Fahr­zeug ein­ge­setzt wor­den sei. Der an­geb­li­che Um­satzrück­gang wer­de be­strit­ten; die Ge­mein­schuld­ne­rin ha­be je­den­falls nicht nach­voll­zieh­bar dar­ge­stellt, in­wie­fern auf­grund des an­geb­li­chen Auf­tragsrück­gangs Stel­len als Bau­wer­ker ent­fal­len sei­en; die be­haup­te­ten Auf­trags­sum­men ließen - zu­mal im Schwarz­de­cken­bau - nicht ein­mal ei­ne rückläufi­ge Ten­denz er­ken­nen. Nach dem Sach­vor­trag der Ge­mein­schuld­ne­rin sei auch nicht deut­lich ge­wor­den, in­wie­fern aus an­geb­lich rückläufi­gen Auf­trags­beständen sich die Not­wen­dig­keit zur Per­so­nal­re­du­zie­rung er­ge­be. Be­strit­ten wer­de im übri­gen, daß mit der An­schaf­fung ei­nes sog. Sei­ten­fer­ti­gers für ihn, den Kläger, al­le Ar­bei­ten im Straßen­bau weg­ge­fal­len sei­en.

Der Kläger hat - so­weit für die Re­vi­si­ons­in­stanz von Be­lang - be­an­tragt

fest­zu­stel­len, daß das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung laut Schrei­ben vom 15. De­zem­ber 1994 nicht auf­gelöst wor­den ist.

Die Ge­mein­schuld­ne­rin hat zu ih­rem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag vor­ge­tra­gen, auch nach vier bis fünf Wo­chen Ein­ar­bei­tungs­zeit sei der Kläger nicht als Bau­ma­schi­nist - wie ursprüng­lich vor­ge­se-

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hen - ein­setz­bar ge­we­sen; in der Fol­ge­zeit sei er nur als Bau­wer­ker beschäftigt wor­den, und zwar hauptsächlich im Straßen­bau. Die Auf­ga­be des Bau­wer­kers im Straßen­bau be­ste­he in ers­ter Li­nie in der Vor- und Nach­be­rei­tung der Sei­tenränder der zu asphal­tie­ren­den Straßen­fläche; eben­so würden Bau­wer­ker grundsätz­lich zu Auf-räum- und Hand­lan­ger­ar­bei­ten ein­ge­setzt, so­fern die­se Ar­bei­ten nicht be­reits von Fach­ar­bei­tern mitüber­nom­men würden. Im Hin­blick dar­auf, daß aus Ra­tio­na­li­sie­rungs­gründen im Som­mer 1994 die Sei­ten­fer­ti­ger-Ma­schi­ne an­ge­schafft wor­den sei, sei­en die vom Kläger aus­geführ­ten Ar­bei­ten suk­zes­si­ve ent­fal­len; der Sei­ten­fer­ti­ger ha­be sämt­li­che Ar­bei­ten ei­nes Bau­wer­kers im Straßen­bau über­nom­men (Be­weis: R , St ). Hin­zu kom­me, daß sich die all­ge­mei­ne Auf­trags­la­ge dra­ma­tisch ver­schlech­tert ha­be, und zwar sei­en die Auf­trags­bestände von 11.012.608,25 DM En­de Ja­nu­ar 1994 auf 419.802,14 DM Mit­te De­zem­ber 1994 zurück­ge­gan­gen, wo­bei es im Schwarz­de­cken­bau im März und Mai 1995 nur ei­nen ge­ringfügi­gen An­stieg auf 1.162.992,24 bzw. 1.450.353,62 DM ge­ge­ben ha­be; die Auf­trags­bestände sei­en aber im wei­te­ren Ver­lauf des Jah­res 1995 wie­der zurück­ge­gan­gen. Be­reits im De­zem­ber 1994 ha­be der Kläger im Straßen­bau nach der Fer­tig­stel­lung der letz­ten Großbau­stel­le in B - letzt­lich auch we­gen des Ein­sat­zes der Spe­zi­al­ma­schi­ne - nicht mehr ein­ge­setzt wer­den können, son­dern ha­be oh­ne­hin ab De­zem­ber nur noch Aufräum­ar­bei­ten er­le­digt. Im Ka­nal­bau ge­be es eben­so­we­nig wie als Hilfs­pflas­te­rer ei­ne Beschäfti­gungsmöglich­keit für den Kläger.

Das Ar­beits­ge­richt hat nach dem Kla­ge­an­trag er­kannt, je­doch den Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch des Klägers ab­ge­wie­sen. Die al­lein von der Be­klag­ten ein­ge­leg­te Be­ru­fung ist er­folg­los ge­b­lie-
 


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ben. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on er-strebt der in das Ver­fah­ren ein­ge­tre­te­ne Kon­kurs­ver­wal­ter der Ge­mein­schuld­ne­rin, über de­ren Vermögen am 22. Ok­to­ber 1996 das Kon­kurs­ver­fah­ren eröff­net wor­den ist, die vollständi­ge Kla­ge­ab­wei­sung.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist be­gründet. Sie führt zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils und zur Zurück­ver­wei­sung (S 565 ZPO), weil der Se­nat nicht ab­sch­ließend über die Be­triebs­be­dingt­heit der Kündi­gung ent­schei­den kann, § 1 Abs. 2 KSchG.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im we­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Der von der Ge­mein­schuld­ne­rin dar­ge­leg­te Auf­tragsrück­gang während des Jah­res 1994 stel­le zwei­fel­los ei­nen Grund dar, der sie zu ein­schnei­den­den Ra­tio­na­li­sie­rungs­maßnah­men ver­an­las­sen mußte, was of­fen­sicht­lich sei. Die frühe­re Be­klag­te ha­be je­doch die An­schaf­fung des Sei­ten­fer­ti­gers im Som­mer 1994 nicht zum An­laß ge­nom­men, das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger zu kündi­gen, ob­wohl an­geb­lich des­sen Ar­beits­platz weg­ge­fal­len sei. Viel­mehr ha­be sie die Kündi­gung erst in ei­nem Zeit­raum aus­ge­spro­chen, als im Be­trieb schon Kurz­ar­beit ein­geführt wor­den sei. Da­mit müsse da­von aus­ge­gan­gen wer­den, daß die­se Maßnah­me ei­nem vorüber­ge­hen­den Ar­beits­man­gel Rech­nung ge­tra­gen ha­be, so daß kei­ne wei­te­ren Umstände vorlägen, aus de­nen auf ei­nen Weg­fall der Beschäfti­gungsmöglich­keit für den Kläger ge­schlos­sen wer­den könne.
 

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II. Dem folgt der Se­nat nicht. Der Be­klag­te rügt zu Recht ei­ne man­geln­de Sach­ver­halts­aufklärung durch das Be­ru­fungs­ge­richt; ins­be­son­de­re sei nicht da­von aus­zu­ge­hen, daß al­lein mit der Einführung der Kurz­ar­beit dem Ar­beits­man­gel hätte be­geg­net wer­den können; viel­mehr sei zum Kündi­gungs­zeit­punkt er­kenn­bar ge­we­sen, daß für den Kläger auf Dau­er kei­ne Beschäfti­gungsmöglich­keit mehr ge­ge­ben sein würde. 1. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. u. a. BAG Ur­tei­le vom 7. De­zem­ber 1978 - 2 AZR 155/77 - BA­GE 31, 157 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung; vom 29. März 1990 - 2 AZR 369/.89 - BA­GE 65, 61 = AP Nr. 50, aaO und vom 26. Sep­tem­ber 1996 - 2 AZR 200/96 - AP Nr. 80, aaO) können sich be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se im Sin­ne des § 1 Abs. 2 KSchG aus in­ner­be­trieb­li­chen Umständen (Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung: z. B. Ra­tio­na­li­sie­rungs­maßnah­me, Um­stel­lung oder Ein­schränkung der Pro­duk­ti­on) oder durch außer­be­trieb­li­che Gründe (z. B. Auf­trags­man­gel, Um­satzrück­gang usw.) er­ge­ben; die­se be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­se müssen drin­gend sein und ei­ne Kündi­gung im In­ter­es­se des Be­trie­bes not­wen­dig ma­chen, wo­bei die­se wei­te­re Vor­aus­set­zung erfüllt ist, wenn es dem Ar­beit­ge­ber nicht möglich ist, der be­trieb­li­chen La­ge durch an­de­re Maßnah­men auf tech­ni­schem, or­ga­ni­sa­to­ri­schem oder wirt­schaft­li­chem Ge­biet als durch ei­ne Kündi­gung zu ent­spre­chen. Die Kündi­gung muß we­gen der be­trieb­li­chen La­ge un­ver­meid­bar sein. Auf­trags- oder Um­satzrück­gang kann ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung recht­fer­ti­gen, wenn da­durch der Ar­beits­an­fall so zurück­geht, daß für ei­nen oder meh­re­re Ar­beit­neh­mer das Bedürf­nis zur Wei­ter­beschäfti­gung entfällt. Außer-
 


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be­trieb­li­che Umstände können ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung außer­dem dann recht­fer­ti­gen, wenn sie der Ar­beit­ge­ber zum An­laß nimmt, zum Zwe­cke der Kos­ten­er­spar­nis durch Ra­tio­na­li­sie­rungs­maßnah­men in­ner­be­trieb­li­che Verände­run­gen durch­zuführen, durch die die Zahl der Ar­beitsplätze ver­rin­gert wird; da­bei sind die or­ga­ni­sa­to­ri­schen Maßnah­men, die der Ar­beit­ge­ber trifft, um sei­nen Be­trieb dem Um­satzrück­gang oder der ver­schlech­ter­ten Auf­trags­la­ge an­zu­pas­sen, nicht auf ih­re Not­wen­dig­keit und Zweckmäßig­keit, wohl aber dar­auf­hin nach­zu­prüfen, ob sie of­fen­bar un­sach­lich, un­vernünf­tig oder willkürlich sind (vgl. zu­letzt Se­nats­ur­teil vom 24. April 1997 - 2 AZR 352/96 - zur Veröffent­li­chung vor­ge­se­hen, zu II 1 der Gründe, m.w.N.). Vom Ge­richt voll nach­zu­prüfen ist da­bei im­mer, ob die zur Be­gründung drin­gen­der be­trieb­li­cher Er­for­der­nis­se an­geführ­ten in­ner- oder außer­be­trieb­li­chen Gründe tatsächlich vor­lie­gen und wie sich die­se Umstände im be­trieb­li­chen Be­reich aus­wir­ken, d. h. in wel­chem Um­fang da­durch ei­ne Beschäfti­gungsmöglich­keit ganz oder teil­wei­se weg­ge­fal­len ist (vgl. u. a. Se­nats­ur­teil vom 15. Ju­ni 1989 - 2 AZR 600/88 AP Nr. 45, aaO).

2. Geht man von die­sen Grundsätzen aus, so hat das Be­ru­fungs­ge­richt nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt, daß hier ei­ne Ku­mu­la­ti­on außer- und in­ner­be­trieb­li­cher Gründe nach dem in­so­weit schlüssi­gen Sach­vor­trag des Be­klag­ten vor­lie­gen und zum Weg­fall des Beschäfti­gungs­bedürf­nis­ses für den Kläger geführt ha­ben könn­te, § 1 Abs. 2 KSchG.

a) In­so­fern hält das Lan­des­ar­beits­ge­richt der vor­mals Be­klag­ten - jetzt Ge­mein­schuld­ne­rin - zu Un­recht vor, sie ha­ben die An­schaf- 


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fung des Sei­ten­fer­ti­gers im Som­mer 1994 nicht zum An­laß ge­nom­men, das Ar­beits­verhält­nis zum Kläger zu kündi­gen, und könne sich zur Zeit des Aus­spruchs der Kündi­gung Mit­te De­zem­ber 1994 hier­auf nicht mehr be­ru­fen, weil be­reits seit An­fang De­zem­ber 1994 Kurz­ar­beit ein­geführt wor­den sei. Zwar weist das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts hin (Ur­teil vom 17. Ok­to­ber 1980 - 7 AZR 675/78 - AP Nr. 10, aaO), wo­nach ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung im Zu­sam­men­hang mit ei­ner vom Ar­beit­ge­ber be­reits ein­geführ­ten Kurz­ar­beit gemäß § 1 Abs. 2 KSchG nur dann ge­recht­fer­tigt ist, wenn über die Gründe hin­aus, die zur Einführung von Kurz­ar­beit geführt ha­ben, wei­ter­ge­hen­de in­ner- oder außer­be­trieb­li­che Gründe vor­lie­gen, die auf Dau­er für den gekündig­ten Ar­beit­neh­mer das Wei­ter­beschäfti­gungs­bedürf­nis ent­fal­len las­sen. In­so­fern berück­sich­tigt das Lan­des­ar­beits­ge­richt aber nicht aus­rei­chend, daß nach dem Sach­vor­trag der Ge­mein­schuld­ne­rin schon die An­schaf­fung des Sei­ten­fer­ti­gers im Som­mer 1994 das Bedürf­nis für ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung von Bau­wer­kern suk­zes­si­ve ent­fal­len ließ, weil die­se Ma­schi­ne nach ih­rem Sach­vor­trag ge­eig­net war, seit Som­mer 1994 zu­neh­mend die Sei­ten­raum­ar­bei­ten beim Straßen­bau zu über­neh­men, wo­bei dann tatsächlich seit Ja­nu­ar 1995 al­le Ar­bei­ten, die zu­vor von Hand durch Hilfs­kräfte wie den Kläger aus­geführt wur­den, ent­fal­len sei­en. Die Ge­mein­schuld­ne­rin hat die­sen Sach­vor­trag mit der wei­te­ren Be­haup­tung, auf die das Be­ru­fungs­ge­richt nicht ein­geht, un­terstützt, in­fol­ge­des­sen sei der Kläger schon seit De­zem­ber 1994 nur noch mit Aufräum­ungs­ar­bei­ten beschäftigt wor­den. Der erst­in­stanz­li­che Sach­vor­trag des Klägers hier­zu läßt er­ken­nen, daß er einräumt, zu­min­dest auch mit Aufräum­ungs­ar­bei­ten beschäftigt wor­den
 


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zu sein, wo­bei der Kläger al­ler­dings be­strei­tet, daß mit der An­schaf­fung des Sei­ten­fer­ti­gers al­le Ar­bei­ten ent­fal­len sei­en, die er sei­ner­zeit aus­geführt hat­te. Mit dem Sach­vor­trag der Ge­mein­schuld­ne­rin, nach Fer­tig­stel­lung der letz­ten Großbau­stel­le in B sei we­gen des Ein­sat­zes der Spe­zi­al­ma­schi­ne und we­gen der Auf­trags­la­ge ein Ein­satz des Klägers in sei­nem bis­he­ri­gen Beschäfti­gungs­be­reich als Bau­wer­ker nicht mehr möglich ge­we­sen, wäre da­her un­abhängig von der ein­geführ­ten Kurz­ar­beit, die ge­ne­rell im Be­trieb ei­nem vorüber­ge­hen­den Ar­beits­man­gel (S 63 Abs. 1 Satz 1 AFG) ge­gen­steu­ern soll­te, ein Um­stand im Sin­ne der BAG-Recht­spre­chung vom 17. Ok­to­ber 1980 (aaO) ein­ge­tre­ten, der auf un­be­stimm­te Dau­er für den gekündig­ten Ar­beit­neh­mer das Bedürf­nis zur Wei­ter­beschäfti­gung ent­fal­len las­sen konn­te.

b) Im übri­gen ist nach Auf­fas­sung des er­ken­nen­den, nun­mehr al­lein für Kündi­gun­gen zuständi­gen Se­nats die Recht­spre­chung im Ur­teil vom 17. Ok­to­ber 1980 (aaO) wie folgt zu mo­di­fi­zie­ren: Aus der so­zi­al­recht­li­chen Vor­schrift des § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG kann nicht der Schluß ge­zo­gen wer­den, die Gewährung von Kurz­ar­bei­ter­geld zwin­ge zu der fik­ti­ven An­nah­me, daß in je­dem Fall auch aus ar­beits­recht­li­cher Sicht (S 1 Abs. 2 KSchG) nur ein vorüber­ge­hen­der Ar­beits­man­gel vor­liegt, der ei­ne auf Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­rich­te­te Kündi­gung aus­sch­ließt. Die Gewährung von Kurz­ar­bei­ter­geld kommt so­zi­al­recht­lich nur zur Er­hal­tung (und Schaf­fung) von Ar­beitsplätzen in Be­tracht (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 1 Kon­di­tio­nal­satz AFG). Die Tat­sa­che, daß die so­zi­al­recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für die Gewährung von Kurz­ar­bei­ter­geld vor­lie­gen, ist da­her ar­beits­recht­lich nur da­hin zu ver­ste­hen, daß

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zwar ein In­diz für ei­nen nur vorüber­ge­hen­den Ar­beits­man­gel vor­liegt, das je­doch der we­gen § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG be­weis­be­las­te­te Ar­beit­ge­ber ent­kräften kann. Im übri­gen hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts (aaO) be­reits aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, während ei­ner Kurz­ar­beits­pe­ri­ode sei­en be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht aus­ge­schlos­sen.

c) Rich­tig ist in­so­fern der An­satz des Lan­des­ar­beits­ge­richts, daß die Einführung von Kurz­ar­beit zunächst dafür spricht, der Ar­beit­ge­ber sei auf­grund ei­ner nach be­triebs­wirt­schaft­li­chen Ge­sichts­punk­ten vor­ge­nom­me­nen Pro­gno­se von ei­nem vorüber­ge­hen­den Ar­beits­man­gel (S 63 Abs. 1 Satz 1 AFG) aus­ge­gan­gen. Die­se Pro­gno­se be­zieht sich aber auf die Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten der Ge­samt­heit al­ler da­von be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer im Be­trieb, während für ein­zel­ne Ar­beit­neh­mer, dar­un­ter den Kläger in sei­ner Tätig­keit als Bau­wer­ker im Straßen­bau, auf­grund der vom Be­klag­ten an­geführ­ten zusätz­li­chen Umstände auf Dau­er ei­ne Beschäfti­gungsmöglich­keit ent­fal­len sein könn­te. Dies hängt da­von ab, ob auf­grund der in­ner­be­trieb­li­chen Si­tua­ti­on durch suk­zes­si­ve In­be­trieb­nah­me des Sei­ten­fer­ti­gers und der außer­be­trieb­li­chen Umstände (Auf­trags­man­gel) ei­ne Beschäfti­gungsmöglich­keit ent­fiel. Da­bei wird es ent­schei­dend auch dar­auf an­kom­men, ob die von der Ge­mein­schuld­ne­rin an­ge­stell­te Pro­gno­se zur Re­du­zie­rung der Auf­trags­eingänge, vor al­lem auch im Schwarz­de­cken­bau, die Befürch­tung als be­gründet er­schei­nen läßt, je­den­falls für den Kläger in der be­haup­te­ten Tätig­keit als Bau­wer­ker im Straßen­bau sei zum Aus­lau­fen der Kündi­gungs­frist (28. Fe­bru­ar 1995) ei­ne Beschäfti­gungsmöglich­keit auf Dau­er nicht mehr zu er­war­ten ge­we­sen. Dafür könn­te in­di­zi­ell der von der Ge­mein­schuld­ne­rin für Fe­bru­ar 1995 ge­nann­te

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re­la­tiv nied­ri­ge Auf­trags­be­stand von 570.717,09 DM spre­chen, der im Verhält­nis zu dem Vor­jah­res­auf­trags­be­stand im Ja­nu­ar bis März von ca. 10 bis 11 Mil­lio­nen DM in der Tat dras­tisch, nämlich - wie die Ge­mein­schuld­ne­rin be­haup­tet - um meh­re­re hun­dert Pro­zent zurück­ge­gan­gen wäre. Wenn dem so war, wofür die Ge­mein­schuld­ne­rin zweit­in­stanz­lich Be­weis an­ge­tre­ten hat, und sich auch ei­ne Bes­se­rung des Auf­trags­be­stan­des zum Kündi­gungs­zeit­punkt nicht ab­zeich­ne­te, könn­te ein drin­gen­des be­trieb­li­ches Er­for­der­nis für die Aufkündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses (.3 1 Abs. 2 KSchG) vor­ge­le­gen ha­ben. Dar­auf weist die Re­vi­si­on zu­tref­fend hin. Dafür könn­te schließlich spre­chen, daß die Ge­mein­schuld­ne­rin im De­zem­ber 1994 nicht nur dem Kläger als an­geb­lich letz­tem Bau­wer­ker im Straßen­bau, son­dern vor­her, was in­so­weit un­strei­tig ist, schon drei an­de­ren Bau­wer­kern gekündigt hat. Be­deut­sam wäre fer­ner, wenn der Kläger schon im De­zem­ber 1994 und zum Jah­res­an­fang 1995 (und auch bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist) tatsächlich nur noch mit Aufräum­ar­bei­ten beschäftigt wor­den wäre, wofür die Ge­mein­schuld­ne­rin eben­falls Be­weis an­ge­bo­ten hat­te.

Da das Lan­des­ar­beits­ge­richt dem wech­sel­sei­ti­gen Sach­vor­trag zum Weg­fall ei­ner Beschäfti­gungsmöglich­keit für den Kläger nicht nach­ge­gan­gen ist, ist der Rechts­streit zur wei­te­ren Sach­aufklärung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen. Da­bei wird der Be­klag­te u. a. (vgl. auch die Hin­wei­se oben zu II 2 a - c) den Sach­vor­trag zu präzi­sie­ren ha­ben, seit Som­mer 1994 ha­be der Sei­ten­fer­ti­ger zu­neh­mend die Sei­ten­raum­ar­bei­ten beim Straßen­bau über­nom­men.

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d) Bei der Be­ur­tei­lung der Kündi­gung wird dem wei­te­ren Fort­gang, nämlich daß die Ge­mein­schuld­ne­rin im Ok­to­ber 1996, al­so knapp zwei Jah­re nach Aus­spruch der Kündi­gung, in Kon­kurs ge­fal­len ist, kei­ne aus­schlag­ge­ben­de Be­deu­tung zu­kom­men. Denn für die Be­ur­tei­lung der Kündi­gung ist auf den Kündi­gungs­zeit­punkt ab­zu­stel­len (ständi­ge Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, vgl. zu­letzt Se­nats­ur­teil vom 27. Fe­bru­ar 1997 - 2 AZR 160/96 ¬zur Veröffent­li­chung vor­ge­se­hen, zu II 2 c der Gründe, m.w.N.).

 

Et­zel 

Bit­ter 

Bröhl

En­gel 

Be­cker­le

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