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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 18.09.2014, 8 AZR 759/13

   
Schlagworte: Schwerbehinderung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 759/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.09.2014
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 20. Dezember 2011 - 14 Ca 4955/11
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 24. Oktober 2012 - 9 Sa 214/12
   

Bun­des­ar­beits­ge­richt

8 AZR 759/13

9 Sa 214/12

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Köln

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

18. Sep­tem­ber 2014

Ur­teil

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin, An­schluss­be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter, An­schluss­be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. Sep­tem­ber 2014 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Hauck, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Brein­lin­ger, die

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Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Win­ter so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Burr und Dr. Bloe­sin­ger für Recht er­kannt:

Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 24. Ok­to­ber 2012 - 9 Sa 214/12 - teil­wei­se auf­ge­ho­ben. Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln vom 20. De­zem­ber 2011 - 14 Ca 4955/11 - wird teil­wei­se ab­geändert und wie folgt neu ge­fasst:

Die Kla­ge wird ins­ge­samt ab­ge­wie­sen.

Die Kos­ten des Rechts­streits hat der Kläger zu tra­gen.

Von Recht we­gen!

Tat­be­stand



Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch, den der Kläger auf­grund ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen sei­ner Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft bei ei­nem Be­wer­bungs­ver­fah­ren gel­tend macht.

Der am 2. Ja­nu­ar 1959 ge­bo­re­ne Kläger ist schwer­be­hin­der­ter Mensch mit ei­nem GdB 50. Nach vor­aus­ge­gan­ge­ner Bank­leh­re hat er von 1982 bis 1989 ein Stu­di­um der Be­triebs­wirt­schafts­leh­re ab­sol­viert und als Di­plom-Kauf­mann ab­ge­schlos­sen. Er hat di­ver­se Fort­bil­dungs­maßnah­men im Be­reich Con­trol­ling und Rech­nungs­we­sen ab­sol­viert.

Mit E-Mail-Schrei­ben vom 16. Ju­ni 2010 be­warb der Kläger sich auf die Stel­le ei­nes/ei­ner „Pro­jekt­ko­or­di­na­tors/in ei­nes Pro­gramms zur Förde­rung von Frau­en in der Qua­li­fi­ka­ti­ons­pha­se“ im Pro­rek­to­rat für Aka­de­mi­sche Kar­rie­re, Di­ver­sität und In­ter­na­tio­na­les. Der Be­wer­bung war ein 34-sei­ti­ges An­la­gen­kon­vo­lut bei­gefügt, mit dem „auf Sei­te 29 der Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis über­reicht“ wur­de. Die ver­ant­wort­li­che Mit­ar­bei­te­rin ent­deck­te die­sen Hin­weis auf die Schwer­be­hin­de­rung, un­ter­rich­te­te die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung und der Kläger wur­de schließlich von der für das da­ma­li­ge Ein­stel­lungs­ver­fah­ren zu-

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ständi­gen Stel­le, der Pro­rek­to­rin für Aka­de­mi­sche Kar­rie­re, Di­ver­sität und In­ter­na­tio­na­les zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch am 28. Ju­ni 2010 ein­ge­la­den. Der Kläger er­hielt un­ter dem 17. Au­gust 2010 ei­ne Ab­sa­ge auf die­se Be­wer­bung.

Mit Be­wer­bungs­schluss am 26. Ju­li 2010 schrieb die Be­klag­te ei­ne auf drei Jah­re be­fris­te­te Voll­zeit­stel­le ei­nes/r wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­ters/in am Staats­wis­sen­schaft­li­chen Se­mi­nar der Uni­ver­sität zu K, Stif­tungs­pro­fes­sur für En­er­gie­wirt­schaft - Prof. Dr. B - aus, wo­bei Be­wer­bun­gen an die­se Stif­tungs­pro­fes­sur des Staats­wis­sen­schaft­li­chen Se­mi­nars zu rich­ten wa­ren. Die Be­klag­te hat­te die­se Stel­le am 12. Ju­li 2010 der Bun­des­agen­tur für Ar­beit ge­mel­det. Un­ter dem 25. Ju­li 2010 be­warb sich der Kläger auch für die­se Stel­le. We­der das Be­wer­bungs­an­schrei­ben noch der Le­bens­lauf ent­hiel­ten ei­nen Hin­weis auf die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft des Klägers. Der Be­wer­bung wa­ren 29 Sei­ten An­la­gen, im We­sent­li­chen chro­no­lo­gisch von 2009 bis 1978 ge­ord­net, oh­ne In­halts­ver­zeich­nis bei­gefügt. Als Blatt 24 die­ser An­la­gen - ein­gefügt zwi­schen zwei Fo­to­ko­pi­en von Do­ku­men­ten aus dem Jahr 1985 - be­fand sich ei­ne Ko­pie der Vor­der­sei­te des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses des Klägers.

Die Be­klag­te bestätig­te un­ter dem 26. Ju­li 2010 den Ein­gang der Be­wer­bung des Klägers. So­dann führ­te sie am 29. und 30. Ju­li 2010 Vor­stel­lungs­gespräche mit an­de­ren Be­wer­bern durch, zu de­nen der Kläger nicht ein­ge­la­den wur­de. Das Aus­wahl­ver­fah­ren zu der aus­ge­schrie­be­nen Stel­le wur­de nach An­ga­ben der Be­klag­ten in der ers­ten Au­gusthälf­te be­en­det und die nicht berück­sich­tig­ten Be­wer­ber er­hiel­ten Ab­sa­gen. Der Kläger er­hielt kei­ne Ab­sa­ge.

Un­ter dem 1. Ok­to­ber 2010 be­warb sich der Kläger für ei­ne drit­te Stel­le. Auch die­se Be­wer­bung blieb er­folg­los.

We­gen der Stel­le am Staats­wis­sen­schaft­li­chen Se­mi­nar frag­te der Kläger mit E-Mail vom 14. De­zem­ber 2010 nach. Sch­ließlich wur­de ihm auf te­le­fo­ni­sche wei­te­re Nach­fra­ge am 24. Ja­nu­ar 2011 mit­ge­teilt, dass er bei der schon im Au­gust 2010 ge­trof­fe­nen Ent­schei­dung kei­ne Berück­sich­ti­gung ge­fun­den ha­be.

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Der Kläger mach­te mit Te­le­fax vom 24. März 2011 ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch gel­tend und er­hob mit Ein­gang bei Ge­richt am 24. Ju­ni 2011 Entschädi­gungs­kla­ge.

Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, er sei we­gen sei­ner Schwer­be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wor­den. Die Be­klag­te sei ih­rer Ver­pflich­tung nach § 82 Satz 2 SGB IX, ihn zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den, nicht nach­ge­kom­men. Von sei­ner Schwer­be­hin­de­rung ha­be er die Be­klag­te bei die­ser Be­wer­bung ord­nungs­gemäß un­ter­rich­tet, da die Be­klag­te von sei­ner Ei­gen­schaft als schwer­be­hin­der­ter Mensch Kennt­nis hätte er­lan­gen können, wenn sie sei­ne Be­wer­bungs­un­ter­la­gen vollständig zur Kennt­nis ge­nom­men hätte. Ei­nes Hin­wei­ses an ex­po­nier­ter Stel­le bedürfe es nicht. Dies zei­ge die Be­klag­te selbst, da sie auf ei­nen ähn­li­chen Hin­weis bei sei­ner ers­ten Be­wer­bung mit der Ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch re­agiert ha­be. Sei­ne Be­wer­bung sei ernst­haft.

Der Kläger hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn ei­ne Entschädi­gung, de­ren Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird, die je­doch nicht un­ter 10.757,16 Eu­ro lie­gen soll­te, nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 22. April 2011 zu zah­len.

Ih­ren An­trag auf Kla­ge­ab­wei­sung hat die Be­klag­te da­mit be­gründet, dass sich der Kläger nicht ernst­haft auf die Stel­len be­wor­ben ha­be. Der Hin­weis auf sei­ne Schwer­be­hin­de­rung sei je­weils an ver­steck­ter Stel­le er­folgt, nach den Ab­sa­gen sei­en dann Entschädi­gungs­kla­gen er­ho­ben wor­den. Der Kläger sei ge­hal­ten ge­we­sen, auf sei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft im Be­wer­bungs­an­schrei­ben, je­den­falls aber an ex­po­nier­ter Stel­le hin­zu­wei­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge iHv. 1.000,00 Eu­ro statt­ge­ge­ben. Un­ter Zurück­wei­sung der Be­ru­fung der Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt auf die An­schluss­be­ru­fung des Klägers die Entschädi­gungs­sum­me um wei­te­re 4.378,58 Eu­ro erhöht. Mit der auf die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de der Be­klag­ten durch Be­schluss vom 22. Au­gust 2013 - 8 AZN 230/13 - vom Se­nat zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ihr Ziel ei­ner Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter.

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Ent­schei­dungs­gründe



Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist be­gründet. Die Kla­ge ist un­be­gründet. Die Be­klag­te hat bei der Be­set­zung der Stel­le ei­nes wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­ters am Staats­wis­sen­schaft­li­chen Se­mi­nar nicht ge­gen das Ver­bot ver­s­toßen, ei­nen schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber we­gen sei­ner Be­hin­de­rung zu be­nach­tei­li­gen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, §§ 7, 1 AGG). Dem Kläger steht da­her kein Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX zu.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet:

Der ob­jek­tiv für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ge­eig­ne­te Kläger sei durch die Aus­son­de­rung vor der ei­gent­li­chen Aus­wah­l­ent­schei­dung be­nach­tei­ligt wor­den. Dies sei we­gen sei­ner Be­hin­de­rung ge­sche­hen. Denn die Be­klag­te ha­be ihn als schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber ent­ge­gen ih­rer Ver­pflich­tung als öffent­li­che Ar­beit­ge­be­rin nach § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den, was die Ver­mu­tung auslöse, die Be­nach­tei­li­gung ste­he im ursächli­chen Zu­sam­men­hang mit der Be­hin­de­rung. Dem könne die Be­klag­te nicht ent­ge­gen­hal­ten, die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft des Klägers nicht ge­kannt zu ha­ben. Auf­grund der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen hätte sie sich Kennt­nis von der Schwer­be­hin­de­rung ver­schaf­fen können. Die Vor­la­ge des ge­ra­de zum Nach­weis im Rechts­ver­kehr aus­ge­stell­ten Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses genüge. Dies bestäti­ge das ei­ge­ne Ver­hal­ten der Be­klag­ten im Zu­sam­men­hang mit der ers­ten Be­wer­bung, bei der ei­ne Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch er­folgt sei. Aus der da­mals er­folg­ten Be­tei­li­gung der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung ge­he her­vor, dass im ers­ten Be­wer­bungs­ver­fah­ren die Be­klag­te in der La­ge ge­we­sen sei, den Hin­weis des Klägers auf­zu­neh­men. Als Entschädi­gung sei die Hälf­te des vom Kläger be­gehr­ten Entschädi­gungs­be­tra­ges, al­so 11/2 Brut­to­mo­nats­gehälter, an­ge­mes­sen.

 

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B. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.

I. Der persönli­che An­wen­dungs­be­reich des AGG ist eröff­net. Als Be­wer­ber ist der Kläger „Beschäftig­ter“ nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG. Da die Be­klag­te um Be­wer­bun­gen für das von ihr an­ge­streb­te Beschäfti­gungs­verhält­nis nach­ge­sucht hat, ist sie Ar­beit­ge­be­rin iSd. § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG (BAG 23. Ja­nu­ar 2014 - 8 AZR 118/13 - Rn. 17; 21. Ju­ni 2012 - 8 AZR 188/11 - Rn. 18, BA­GE 142, 143; 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 370/09 - Rn. 23).

II. Sei­nen auf die Be­nach­tei­li­gung we­gen Schwer­be­hin­de­rung gestütz­ten Entschädi­gungs­an­spruch hat der Kläger in­ner­halb der Fris­ten der § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG gel­tend ge­macht.

1. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein An­spruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den. Im Fal­le ei­ner Be­wer­bung be­ginnt die Frist grundsätz­lich mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG) zu lau­fen, nicht je­doch vor dem Zeit­punkt, in dem der Be­wer­ber von sei­ner Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt (vgl. BAG 15. März 2012 - 8 AZR 37/11 - Rn. 55, BA­GE 141, 48 = AP AGG § 15 Nr. 11). Da­bei genügt ei­ne te­le­fo­ni­sche Be­nach­rich­ti­gung, so­weit sie hin­rei­chend klar und in­di­vi­dua­li­siert ist (vgl. v. Ro­et­te­ken AGG Stand Ju­li 2014 § 15 Rn. 89 f.).

Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts hat der Kläger in dem Te­le­fo­nat vom 24. Ja­nu­ar 2011 er­fah­ren, dass sei­ne Be­wer­bung schon im Au­gust 2010 ab­ge­lehnt wur­de. Mit der Re­vi­si­on hat die Be­klag­te die­se Fest­stel­lung nicht, auch nicht mit ei­ner zulässi­gen Ver­fah­rensrüge an­ge­grif­fen. Der Ein­gang des Gel­tend­ma­chungs­schrei­bens des Klägers am 24. März 2011 bei der Be­klag­ten ist un­strei­tig.

So­weit die Be­klag­te „mit Nicht­wis­sen be­strit­ten“ hat, dass dem Kläger ihr Ab­sa­ge­schrei­ben nicht schon im Au­gust 2010 zu­ge­gan­gen sei, hat sie dar­an im Be­ru­fungs­rechts­zug nicht fest­ge­hal­ten. Im Übri­gen war ein sol­ches Be­strei­ten mit Nicht­wis­sen un­zulässig, weil die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für ei­nen

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frühe­ren Zu­gang der Ab­sa­ge bei der Be­klag­ten selbst liegt. Dass die Be­klag­te nicht für ei­nen Zu­stel­lungs­nach­weis der Ab­sa­ge ge­sorgt hat, be­deu­tet nicht, dass sie über den frühe­ren Zu­gang ei­ner Ab­sa­ge nicht auch hätte Kennt­nis ha­ben können.

2. Die am 24. Ju­ni 2011 bei dem Ar­beits­ge­richt Köln ein­ge­gan­ge­ne Kla­ge wahr­te die Drei-Mo­nats-Frist nach § 61b Abs. 1 ArbGG. Die Zu­stel­lung an die Be­klag­te er­folg­te am 4. Ju­li 2011, al­so „demnächst“ iSv. § 167 ZPO.

III. Die Be­klag­te hat den Kläger un­mit­tel­bar be­nach­tei­ligt. Ei­ne sol­che Be­nach­tei­li­gung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn ei­ne Per­son ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde. Der Kläger er­fuhr ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung als der tatsächlich ein­ge­stell­te, er­folg­rei­che Be­wer­ber. Ein Nach­teil im Rah­men ei­ner Aus­wah­l­ent­schei­dung, ins­be­son­de­re bei ei­ner Ein­stel­lung oder Beförde­rung, liegt be­reits dann vor, wenn der Be­wer­ber oder Beschäftig­te - wie hier der Kläger - nicht in die (End-)Aus­wahl ein­be­zo­gen, son­dern vor­ab aus­ge­nom­men und vor­zei­tig aus dem Be­wer­bungs­ver­fah­ren aus­ge­schlos­sen wird. Hier liegt die Be­nach­tei­li­gung in der Ver­sa­gung ei­ner Chan­ce (BAG 23. Au­gust 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 22; 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 -; 13. Ok­to­ber 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 24; 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 29).

IV. Der Kläger be­fand sich mit dem letzt­lich aus­gewähl­ten Be­wer­ber in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Es ist nicht er­sicht­lich, dass die Be­klag­te in Ab­re­de ge­stellt hätte, dass der Kläger ob­jek­tiv für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ge­eig­net war. Die ent­spre­chen­de Würdi­gung im Be­ru­fungs­ur­teil (dort un­ter II 1 c bb der Gründe) hat die Re­vi­si­on nicht an­ge­grif­fen.

V. Die Be­klag­te be­han­del­te den Kläger aber nicht „we­gen“ sei­ner Be­hin­de­rung we­ni­ger güns­tig. Es fehlt an dem er­for­der­li­chen Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen der ihn be­nach­tei­li­gen­den Hand­lung - Ab­leh­nung - und dem Merk­mal der Be­hin­de­rung.

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1. Vor­aus­set­zung des Entschädi­gungs­an­spruchs nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG (zur Be­zug­nah­me auf die Vor­aus­set­zun­gen in § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG - oh­ne die des Ver­schul­dens nach § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG -: vgl. BAG 26. Ju­ni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 24; 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 30; 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 25; BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16.10 - Rn. 14, BVerw­GE 139, 135). Nach nähe­rer Maßga­be des AGG sind Be­nach­tei­li­gun­gen aus ei­nem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund, hier al­so we­gen ei­ner Be­hin­de­rung, in Be­zug auf die Be­din­gun­gen für den Zu­gang zu un­selbstständi­ger Er­werbstätig­keit, ein­sch­ließlich der Aus­wahl­kri­te­ri­en und der Ein­stel­lungs­be­din­gun­gen, un­abhängig vom Tätig­keits­feld und von der be­ruf­li­chen Po­si­ti­on un­zulässig (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Ei­ne ver­bo­te­ne (§ 7 AGG) un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde.

2. Der Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen be­nach­tei­li­gen­der Be­hand­lung und dem Merk­mal der Be­hin­de­rung ist be­reits dann ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an die Be­hin­de­rung an­knüpft oder durch die­se mo­ti­viert ist. Da­bei ist es nicht er­for­der­lich, dass der be­tref­fen­de Grund - die Be­hin­de­rung - das aus­sch­ließli­che Mo­tiv für das Han­deln des Be­nach­tei­li­gen­den ist. Aus­rei­chend ist viel­mehr, dass das „verpönte Merk­mal“ Be­stand­teil ei­nes Mo­tivbündels ist, wel­ches die Ent­schei­dung be­ein­flusst hat (st. Rspr., BAG 21. Ju­ni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 32, BA­GE 142, 158; 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 42, AP AGG § 22 Nr. 4). Auf ein schuld­haf­tes Han­deln oder gar ei­ne Be­nach­tei­li­gungs­ab­sicht kommt es - wie erwähnt - nicht an (BAG 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 - aaO). Die Be­hin­de­rung muss mit­hin nicht - ge­wis­ser­maßen als vor­herr­schen­der Be­weg­grund, Haupt­mo­tiv oder „Trieb­fe­der“ des Ver­hal­tens - hand­lungs­lei­tend oder be­wusst­seins­do­mi­nant ge­we­sen sein; ei­ne bloße Mit­ursächlich­keit genügt.

 

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3. Hin­sicht­lich des Ur­sa­chen­zu­sam­men­hangs zwi­schen Nach­teil und verpöntem Merk­mal ist in § 22 AGG ei­ne Be­weis­last­re­ge­lung ge­trof­fen, die sich zu­gleich auf die Dar­le­gungs­last aus­wirkt. Ein er­folg­lo­ser Be­wer­ber genügt da­nach sei­ner Dar­le­gungs­last, wenn er In­di­zi­en vorträgt, die sei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes un­zulässi­gen Merk­mals ver­mu­ten las­sen. Dies ist dann der Fall, wenn die vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen - aus ob­jek­ti­ver Sicht und mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit - dar­auf schließen las­sen, dass die Be­nach­tei­li­gung zu­min­dest auch we­gen je­nes Merk­mals er­folgt ist. Denn durch die Ver­wen­dung der Be­grif­fe „In­di­zi­en“ und „ver­mu­ten“ bringt das Ge­setz zum Aus­druck, dass es hin­sicht­lich des Zu­sam­men­hangs zwi­schen ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe und ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung genügt, Hilfs­tat­sa­chen vor­zu­tra­gen, die zwar nicht zwin­gend den Schluss auf die Kau­sa­lität zu­las­sen, die aber gleich­wohl die An­nah­me recht­fer­ti­gen, dass die Kau­sa­lität ge­ge­ben ist (BAG 23. Au­gust 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 32, AP AGG § 3 Nr. 9; 27. Ja­nu­ar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 29, AP AGG § 22 Nr. 3).

Be­steht ei­ne der­ar­ti­ge Ver­mu­tung für die Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des, trägt nach § 22 AGG die an­de­re Par­tei die Dar­le­gungs- und Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat.

4. Die Würdi­gung der Tat­sa­chen­ge­rich­te, ob die von ei­nem Be­wer­ber vor­ge­tra­ge­nen und un­strei­ti­gen oder be­wie­se­nen (Hilfs-)Tat­sa­chen ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen der Be­hin­de­rung ver­mu­ten las­sen, ist nur be­schränkt re­vi­si­bel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ge­won­ne­ne Über­zeu­gung bzw. Nichtüber­zeu­gung von ei­ner über­wie­gen­den Wahr­schein­lich­keit für die Kau­sa­lität zwi­schen ei­nem verpönten Merk­mal und ei­nem Nach­teil kann re­vi­si­ons­recht­lich nur dar­auf über­prüft wer­den, ob sie möglich und in sich wi­der­spruchs­frei ist und nicht ge­gen Rechtssätze, Denk­ge­set­ze oder Er­fah­rungssätze verstößt (BAG 21. Ju­ni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 34, BA­GE 142, 158; 13. Ok­to­ber 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 36).

5. § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG ver­bie­tet ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung. Da­mit sind je­den­falls al­le iSv. § 2 Abs. 1 SGB IX be­hin­der­ten

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Men­schen vor ei­ner Un­gleich­be­hand­lung auf­grund die­ses Merk­mals geschützt. Seit dem In­kraft­tre­ten des AGG können sich be­hin­der­te Men­schen, die nicht iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX als schwer­be­hin­der­te Men­schen an­er­kannt sind oder die nicht iSv. § 2 Abs. 3 SGB IX die­sen gleich­ge­stellt wur­den, nicht auf die Ver­let­zung von Ver­fah­rens­vor­schrif­ten, et­wa der §§ 81, 82 SGB IX als Ver­mu­tungs­tat­sa­chen iSd. § 22 AGG be­ru­fen, weil die­se nur für schwer­be­hin­der­te oder die­sen gleich­ge­stell­te be­hin­der­te Men­schen gel­ten (§ 68 Abs. 1 SGB IX; vgl. BAG 27. Ja­nu­ar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 32; Bey­er ju­ris­PR-ArbR 35/2011 Anm. 2).

a) Rechts­feh­ler­frei ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­von aus­ge­gan­gen, dass für die Mit­tei­lung der Ei­gen­schaft als schwer­be­hin­der­ter Mensch ei­nes Be­wer­bers an sich die „Vor­la­ge“ des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses aus­rei­chend ist.

Zwar hat der Kläger nicht „sei­nen Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis vor­ge­legt“, son­dern un­ter sei­ne Be­wer­bungs­un­ter­la­gen nur die Ko­pie der Vor­der­sei­te sei­nes Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses ge­mischt, aus der sein GdB nicht her­vor­geht. Nach der Aus­weis­ver­ord­nung Schwer­be­hin­der­ten­ge­setz (Schw­bA­wV vom 25. Ju­li 1991, BGBl. I S. 1739, 1743), die für die Aus­stel­lung ei­nes Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses, wie ihn der Kläger hat, noch maßgeb­lich ist, ist gemäß dem Mus­ter 1 zu § 1 Schw­bA­wV der GdB auf der Rück­sei­te des Aus­wei­ses an­zu­ge­ben. Nach § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB IX wird aber ein Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis nur aus­ge­stellt, wenn die Ei­gen­schaft als schwer­be­hin­der­ter Mensch fest­ge­stellt oder aber, bei ei­nem ge­rin­ge­ren Grad der Be­hin­de­rung, ei­ne Gleich­stel­lung er­folgt ist, § 68 Abs. 1 SGB IX iVm. § 2 Abs. 2 und Abs. 3 SGB IX. Mit an­de­ren Wor­ten: Zeigt der Be­wer­ber an, dass er im Be­sitz ei­nes Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses ist, in­dem er sei­ne In­ha­ber­schaft nach­weist, so genügt die Ko­pie der Aus­weis­vor­der­sei­te, um die An­wen­dungs­pflicht der be­son­de­ren Re­ge­lun­gen zur Teil­ha­be schwer­be­hin­der­ter Men­schen aus­zulösen (Teil 2 des SGB IX, §§ 68 ff. SGB IX). Er­folgt al­ler­dings der Nach­weis des Be­sit­zes ei­nes Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses nicht, wo­zu kei­ne Pflicht be­steht (BAG 13. Ok­to­ber 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 40), so muss die Schwer­be­hin­de­rung mit dem Grad der Be­hin­de­rung und, bei ei­nem ge­rin­ge­ren Grad als 50, auch die er­folg­te Gleich­stel­lung mit­ge­teilt wer­den (BAG 26. Sep­tem­ber

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2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 30), um den Schutz der §§ 68 ff. SGB IX zu er­lan­gen.

b) Je­doch stell­te die Über­mitt­lung ei­ner Ko­pie des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses als Blatt 24 der An­la­ge zur Be­wer­bung kei­ne ord­nungs­gemäße Mit­tei­lung der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft des Klägers dar.

Will ein Be­wer­ber sei­ne Ei­gen­schaft als schwer­be­hin­der­ter Mensch bei der Be­hand­lung sei­ner Be­wer­bung berück­sich­tigt wis­sen, so hat er den Ar­beit­ge­ber über sei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft re­gelmäßig im Be­wer­bungs­schrei­ben selbst un­ter An­ga­be des GdB, ggf. ei­ner Gleich­stel­lung zu in­for­mie­ren. Je­den­falls ist der Ar­beit­ge­ber ge­hal­ten, bei je­der Be­wer­bung das ei­gent­li­che Be­wer­bungs­schrei­ben zur Kennt­nis zu neh­men (vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 39, BA­GE 127, 367). Auch auf ei­ne Be­hin­de­rung iSd. § 2 Abs. 1 SGB IX, die berück­sich­tigt wer­den soll, aber kei­ne Schwer­be­hin­de­rung iSd. § 2 Abs. 2 SGB IX dar­stellt und für die auch kei­ne Gleich­stel­lung nach § 2 Abs. 3 SGB IX er­folgt ist, ist im Be­wer­bungs­schrei­ben mit wei­te­ren An­ga­ben zur Art der Be­hin­de­rung hin­zu­wei­sen.

Möglich ist auch ei­ne In­for­ma­ti­on im Le­bens­lauf. Dies hat je­doch an her­vor­ge­ho­be­ner Stel­le und deut­lich, et­wa durch ei­ne be­son­de­re Über­schrift, zu ge­sche­hen.

Im Fal­le ei­ner Be­hin­de­rung oder Schwer­be­hin­de­rung wird ein Be­wer­ber­merk­mal mit­ge­teilt, über das nicht je­de Be­wer­be­rin/je­der Be­wer­ber verfügt. Durch den Hin­weis sol­len be­son­de­re Förder­pflich­ten des Ar­beit­ge­bers aus­gelöst wer­den. We­gen der Pflicht zur ge­gen­sei­ti­gen Rück­sicht­nah­me auf die In­ter­es­sen und Rech­te des Ver­trags­part­ners (§ 241 Abs. 2 BGB iVm. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) ist auch bei ei­ner Be­wer­bung der Ar­beit­ge­ber über die be­son­de­re Si­tua­ti­on des Be­wer­bers klar und ein­deu­tig zu in­for­mie­ren. Da­her sind „ein­ge­streu­te“ oder un­auffälli­ge In­for­ma­tio­nen, in­di­rek­te Hin­wei­se in bei­gefügten amt­li­chen Do­ku­men­ten, ei­ne in den wei­te­ren Be­wer­bungs­un­ter­la­gen be­find­li­che Ko­pie des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses etc. kei­ne ord­nungs­gemäße In­for­ma­ti­on des an­ge­streb­ten Ver­trags­part­ners (BAG 26. Sep­tem­ber 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 30).

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Die­sen An­for­de­run­gen ent­sprach die Mit­tei­lung des Klägers über sei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft bei sei­ner Be­wer­bung vom 25. Ju­li 2010 nicht. Er hat we­der im Be­wer­bungs­schrei­ben noch im Le­bens­lauf an her­vor­ge­ho­be­ner Stel­le auf sei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft hin­ge­wie­sen. Die von ihm in die wei­te­ren Be­wer­bungs­un­ter­la­gen ein­gefügte Ko­pie sei­nes Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses stell­te ge­ra­de kei­ne ord­nungs­gemäße In­for­ma­ti­on der Be­klag­ten als des an­ge­streb­ten Ver­trags­part­ners dar.

6. Der Be­klag­ten war die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft des Klägers auch nicht nach­weis­lich schon be­kannt.

a) Bei ei­ner Außen­be­wer­bung wird der Beschäftig­ten­sta­tus iSd. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG nur durch die je­wei­li­ge Be­wer­bung im Ein­zel­fall er­wor­ben. Da­her ist die Ei­gen­schaft als be­hin­der­ter oder schwer­be­hin­der­ter Mensch bei je­der Be­wer­bung aufs Neue klar und ein­deu­tig mit­zu­tei­len. Zu­dem liegt es in der Ent­schei­dung des Be­wer­bers, ob er sei­ne Be­hin­de­rung oder Schwer­be­hin­de­rung vom Ar­beit­ge­ber bei der Be­hand­lung der kon­kre­ten Be­wer­bung berück­sich­tigt ha­ben will oder nicht. Ei­ne Pflicht zur Of­fen­ba­rung der Schwer­be­hin­de­rung schon bei ei­ner Be­wer­bung be­steht grundsätz­lich nicht, eben­so we­nig wie ein grundsätz­li­ches Fra­ge­recht des Ar­beit­ge­bers (vgl. BAG 26. Ju­ni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 53; 16. Fe­bru­ar 2012 - 6 AZR 553/10 - BA­GE 141, 1). Zu­dem ist der Ar­beit­ge­ber nicht nur nicht ver­pflich­tet, son­dern es ist ihm re­gelmäßig da­ten­schutz­recht­lich un­ter­sagt, per­so­nen­be­zo­ge­ne Da­ten er­folg­lo­ser Be­wer­ber, erst recht sen­si­ble Da­ten wie die Ei­gen­schaft als schwer­be­hin­der­ter Mensch nach Ab­schluss ei­ner Be­wer­bung zu spei­chern oder sie während der Be­wer­bung oder nach de­ren Ab­schluss wei­ter­zu­ver­wen­den oder zu ver­brei­ten, auch nicht in­ner­halb des ei­ge­nen Un­ter­neh­mens an an­de­re per­so­nal­ent­schei­dungs­be­rech­tig­te Stel­len. Kennt­nis­se zur Per­son, die nur auf­grund ei­ner Be­wer­bung beim Ar­beit­ge­ber ent­ste­hen, darf die­ser grundsätz­lich nicht außer­halb der Be­ar­bei­tung die­ser Be­wer­bung ver­wen­den.


Darüber hin­aus kann ein Ar­beit­ge­ber nicht wis­sen, ob ei­ne anläss­lich ei­ner frühe­ren Be­wer­bung mit­ge­teil­te Ei­gen­schaft als schwer­be­hin­der­ter Mensch noch vor­liegt. Dies gilt auch im Fall ei­ner nicht be­fris­te­ten Fest­stel­lung

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der Schwer­be­hin­de­rung oder der Aus­stel­lung ei­nes un­be­fris­tet gülti­gen Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses. Denn die An­wen­dung der be­son­de­ren Re­ge­lun­gen des SGB IX zur Teil­ha­be schwer­be­hin­der­ter Men­schen wird be­en­det, wenn die Vor­aus­set­zun­gen nach § 2 Abs. 2 SGB IX weg­fal­len, al­so wenn der Grad der Be­hin­de­rung sich auf we­ni­ger als 50 ver­rin­gert oder wenn die Gleich­stel­lung wi­der­ru­fen oder zurück­ge­nom­men wird, § 116 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Das Ge­bot der Rechts­klar­heit und -si­cher­heit ver­bie­tet zu­dem ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach dem Zeit­ab­lauf zwi­schen meh­re­ren Be­wer­bun­gen oder nach der Größe des Ar­beit­ge­bers. Auch auf ei­ne et­wai­ge Kennt­nis der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung des Ar­beit­ge­bers von der Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft ei­nes Be­wer­bers kann es nicht an­kom­men. Kennt­nis­se der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung sind kei­ne des oder der Ar­beit­ge­bers/in, weil die Ver­trau­ens­per­son der Schwer­be­hin­der­ten ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber die glei­che persönli­che Rechts­stel­lung wie ein Mit­glied der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen­ver­tre­tung be­sitzt, § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX (BAG 21. Fe­bru­ar 2013 - 8 AZR 180/12 - Rn. 50, BA­GE 144, 275).

An­de­res kann nur dann gel­ten, wenn dem Ar­beit­ge­ber außer­halb des Be­wer­bungs­verhält­nis­ses die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft po­si­tiv be­kannt ist, was re­gelmäßig bei der In­nen­be­wer­bung ei­nes schwer­be­hin­der­ten Mit­ar­bei­ters der Fall sein wird. Eben­so kann, et­wa bei ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch, ei­ne Be­hin­de­rung iSd. § 2 Abs. 1 SGB IX of­fen­kun­dig wer­den, zB bei ei­nem auf den Roll­stuhl an­ge­wie­se­nen Be­wer­ber. Um die be­son­de­ren Re­ge­lun­gen zur Teil­ha­be schwer­be­hin­der­ter Men­schen nach Teil 2 des SGB IX zur An­wen­dung kom­men zu las­sen, ist je­doch die Fest­stel­lung nach § 69 iVm. § 68 Abs. 1 SGB IX nach­zu­wei­sen.

b) Da­nach kann sich der Kläger, der ei­ne Entschädi­gung we­gen Be­nach­tei­li­gung bei sei­ner Be­wer­bung vom 25. Ju­li 2010 gel­tend macht, nicht dar­auf be­ru­fen, die Be­klag­te ha­be um sei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft auf­grund sei­ner vor­aus­ge­gan­ge­nen Be­wer­bung vom 16. Ju­ni 2010 ge­wusst, in de­ren Be­ar­bei­tung da­mals ei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung bei der Be­klag­ten ein­ge­schal­tet wor­den war. Es lag in der Ent­schei­dungs­macht des Klägers, ob er

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bei sei­ner je­wei­li­gen Be­wer­bung die fest­ge­stell­te Ei­gen­schaft als schwer­be­hin­der­ter Mensch berück­sich­tigt wis­sen woll­te. Eben­so lag es in sei­ner Ent­schei­dung, ggf. darüber klar und ein­deu­tig Mit­tei­lung zu ma­chen. Dies hat der Kläger bei die­ser Be­wer­bung versäumt. Wenn ei­ne Be­reichs­ver­wal­tung der Be­klag­ten gleich­wohl auf­grund be­son­de­rer Auf­merk­sam­keit bei der ers­ten Be­wer­bung ei­ne Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung ein­ge­schal­tet hat­te, kann der Kläger hier­aus kei­ne recht­li­chen Fol­gen für die Be­hand­lung sei­ner zwei­ten Be­wer­bung ab­lei­ten.

C. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 ZPO.


Hauck

Brein­lin­ger

Win­ter

Burr

Bloe­sin­ger  

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